Blutegeltherapie: Helfer mit Biss
Die Blutegeltherapie gehört zu den ältesten Heilmethoden der Welt. Bereits vor 3000 Jahren ließen Menschen die Würmer an sich saugen, um Schmerzen und Entzündungen zu lindern. Auch wenn die meisten Leute diese Vorstellung heute eher eklig finden, ist die Behandlungsmethode vor allem in der Naturheilkunde nach wie vor in Gebrauch. Aber auch Chirurgen machen sich Blutgel zunutze. Kriminalbiologe Mark Benecke findet die Tiere sogar so faszinierend, dass er ihnen ein ganzes Buch gewidmet hat.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Wie saugen sich Blutegel fest?
Viele Menschen sind froh darum, dass Blutegel bei der Therapie häufig am Rücken angesetzt werden, wo sie nicht zu sehen sind. Trotzdem ist es nur fair, die Tierchen einmal kurz vorzustellen, die uns da behilflich sind – auch wenn sie das zugegebenermaßen aus reinem Eigennutz tun.
Blutegel gehören zu den Ringelwürmern und sind nahe verwandt mit den Regenwürmern. In der Medizin verwendet wird vor allem die Art "Hirudo medicinalis", der Medizinische Blutegel. Der im erwachsenen und ausgestreckten Zustand etwa 15 bis 20 Zentimeter lange Egel kann bis zu 30 Jahre alt werden. In der Medizin eingesetzte Egel werden in der Regel in Laboren gezüchtet. Sie gelten in Deutschland als "zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel".
Der Medizinische Blutegel kommt ursprünglich in Europa und auch in Deutschland vor, ist aber mittlerweile weltweit verbreitet. Er bevorzugt als Lebensraum pflanzenreiche, stehende Gewässer wie Tümpel und Seen mit sauberem Wasser, wo er sich am Grund von den Körperflüssigkeiten anderer Lebewesen wie Larven, Fischen und Lurchen ernährt.
Aufgrund der Zerstörung ihres Lebensraums sind Blutegel jedoch natürlicherweise nur noch in wenigen Gebieten zu finden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Medizinische Blutegel in Europa fast ausgerottet
So saugen die Egel Blut
Medizinische Blutegel haben sowohl am vorderen als auch am hinteren Ende je einen Saugnapf. Der hintere dient dem Blutegel zum Festhalten an der Hautoberfläche des Wirtes, in dem Fall des Menschen. Am vorderen Ende befindet sich neben dem Saugnapf auch die Mundöffnung. Darin sitzen drei Kieferreihen mit 40-95 winzigen Zähnchen aus Calcit. Mit ihnen sägt der Egel ein dreieckiges Loch in die Haut – beißen in dem Sinne tut das Tier nicht. Die Wunde, die danach zu sehen ist, erinnert an einen Mercedes-Stern.
Ist der Biss schmerzhaft?
Der Blutegel gibt Stoffe in die Wunde ab, die das Blut verdünnen und die Blutgerinnung verlangsamen. Auch ein schmerzstillendes Mittel gibt das Tier in die Wunde ab, sodass der Biss nicht sehr schmerzhaft ist und vom Wirt nicht so leicht bemerkt wird.
Wie läuft die Blutegeltherapie ab?
Etwa 500.000 Blutegel werden in Deutschland pro Jahr zu Therapiezwecken von Ärzten und Heilpraktikern eingesetzt. Eine Therapiesitzung dauert bis zu zwei Stunden. Der Saugvorgang selbst nimmt dabei nur etwa 30 bis 45 Minuten in Anspruch. Es kann aber dauern, bis die Egel "angebissen" haben. Nach der Sitzung muss der Therapeut die Wunde versorgen.
Anders als noch vor einiger Zeit setzt der Therapeut die Blutegel nur noch selten direkt an der Stelle an, die Beschwerden macht. Zum Beispiel bei Venenentzündungen oder neuralgischen Entzündungen. Stattdessen werden die zwei bis sechs Egel häufig an den Rücken gesetzt. Ein Egel saugt während der Zeit bis zu 15 Milliliter Blut ab. Hat er sich sattgesaugt, lässt er sich fallen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Blutegeltherapie nicht.
Nicht immer kommen lebende Blutegel zum Einsatz. Aus Blutegeln gewonnenes Hirudin wurde vor allem früher in Salbenform verabreicht. Es kann jedoch mittlerweile auch im Labor gewonnen werden. Außerdem gibt es "künstliche Blutegel", also Geräte, die mechanisch Blutabsaugen und gerinnungshemmende Substanzen ins Blut abgeben.
Was sollte man vor der Therapie beachten?
Blutegel sind sehr empfindlich und mögen keine starken Gerüche. Damit sie anbeißen und die Therapie Erfolg haben kann, sollte der Patient...
- ...zwei Tage vor der Behandlung keine Duftstoffe oder Cremes auf die Hautpartien auftragen, an denen die Egel angesetzt werden sollen.
- ...etwa drei Tage vor der Behandlung keinen Knoblauch essen.
Wie lange blutet es nach der Behandlung?
Die Wunde blutet anschließend noch nach, was Teil der Therapie ist. Die Nachblutung dauert etwa vier bis zwölf Stunden an und sollte nicht unterbrochen werden. Falls die Blutung sehr stark ist oder nicht aufhört, schafft ein Druckverband Abhilfe.
Wie wirkt eine Blutegeltherapie?
Diese Form des Aderlasses mag archaisch anmuten. Dennoch ist die Blutegeltherapie mehr als nur Hokuspokus. "Ein Blutegel ist die reinste Mini-Apotheke, bis zu hundert Inhaltsstoffe werden von Forschern im Speichel der Egel vermutet, die gerinnungshemmende, gefäßweitende, entkrampfende, entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkungen besitzen", schreibt Stephan Schorn im von Mark Benecke herausgegebenen Buch "Blutsauger als Heimtier und Heilmittel".
Win-Win-Situation für Egel und Mensch
Forscher der Universität Greifswald konnten nachweisen, dass dabei mehr als 20 verschiedene Speichelproteine des Egels in den Körper gelangen. Der Saugvorgang des Blutegels ist eine Win-Win-Situation: Die Stoffe in seinem Speichel dienen nicht nur dem Blutegel, weil die Gerinnungshemmer dafür sorgen, dass die Wunde länger blutet und der Egel sich in Ruhe daran laben kann. Sie sorgen auch beim Menschen für den medizinischen Nutzen, weil sie neben einer gerinnungshemmenden auch schmerzlindernde, gefäßweitende und entzündungshemmende Wirkung haben.
Der bekannteste Wirkstoff im Speichel des Blutegels ist das Enzym Hirudin, das die Blutgerinnung hemmt und Thrombosen und Embolien entgegenwirken soll. Dem Menschen kann es bei Erkrankungen helfen, die mit Durchblutungsstörungen einhergehen oder durch diese entstehen.
Wann werden Blutegel eingesetzt?
Bei folgenden Erkrankungen kommt eine Blutegelbehandlung infrage:
- Erkrankungen des Bewegungsapparates. Zum Beispiel: Arthrose, Rheuma, Gicht, Bandscheibenvorfall, Muskel- und Nervenschmerzen
- Gefäßerkrankungen. Zum Beispiel: Thrombose, Gefäßverkalkung, Hämorrhoiden, Krampfadern, Venenentzündungen
Wann kommt eine Blutegeltherapie nicht infrage?
Nicht angewendet werden sollte die Blutegeltherapie bei Patienten, die...
- ...Blutverdünner einnehmen, da die Nachblutung zu lange andauern kann (zum Beispiel Aspirin, Marcumar)
- ...immunschwach sind
- ...Hämophilie haben
- ...schwanger sind.
Können Nebenwirkungen auftreten?
Nebenwirkungen sind selten und in der Regel nicht schwer. Zum Beispiel kann es zu Blutergüssen, starkem Juckreiz, Narben & Narbenbehandlung und Kreislaufreaktionen kommen. Auch allergische Reaktionen sind möglich. Damit die Wunde sich nicht infiziert, muss der Therapeut sie im Anschluss an die Behandlung entsprechend behandeln.
Theoretisch können die Blutegel Bakterien auf ihren Wirt übertragen. Aus diesem Grund gelten strenge Hygienevorschriften für ihren Einsatz. Dennoch sind Infektionen möglich. Im Darm der Tiere kommt meist das Bakterium Aeromonas hydrophilia vor, das den Egeln bei der Verdauung hilft und symbiotisch in ihnen lebt. Dieses kann Wundinfektionen verursachen. Vorsorglich kann der Arzt dem Patienten deshalb Antibiotika verabreichen.
Blutegel dürfen aus hygienischen Gründen nur einmal verwendet werden, damit sie keine Bakterien oder Viren von Patient zu Patient übertragen können. Auch in die Natur gesetzt werden dürfen sie nicht. Sie werden deshalb in der Regel anschließend getötet. Es gibt allerdings auch "Rentnerbecken", in denen die Egel noch etwas weiterleben können.
Weitere Einsatzgebiete
Seit den 80er Jahren ist die Blutegeltherapie auch in der Chirurgie etabliert. Den Grundstein hierfür legte Harvard-Professor Joe Upton: Im Jahr 1985 nähte er einem kleinen Jungen ein Ohr an, welches ihm von einem Hund abgebissen worden war. Doch das Körperglied wuchs zunächst nicht an. Upton setzte schließlich Blutegel an, um den Blutfluss im Ohr wieder in Gang zu setzen – mit Erfolg. Denn Blutegel regen den Blutfluss an und unterstützen so die Versorgung von verletztem oder transplantiertem Gewebe.
Ist die Blutegeltherapie wirklich wirksam?
In vielen Bereichen fehlen klinische Studien, die die Wirksamkeit der Blutegeltherapie belegen könnten. Das liegt auch daran, dass es schwierig ist, aussagekräftige Studien mit Kontrollgruppen zu erstellen – schließlich wissen Patienten in der Regel, ob sie gebissen wurden oder nicht. Gerade im Bereich der Schmerzbehandlung sprechen jedoch einige Studien dafür, dass die Behandlung mit den Ringelwürmern einigen Patienten helfen kann.
Für eine Studie teilten die Forscher 113 Patienten mit fortgeschrittener Kniegelenkarthrose in drei Gruppen auf. Alle bekamen während der Behandlungen die Augen verbunden. Eine Gruppe bekam nur scheinbar Blutegel angesetzt. Mit einem Nadelstich ahmten Forscher den Biss der Tiere nach, mit feuchtem Mull ihren Körper. Die anderen beiden Gruppen bekamen tatsächlich Blutegel angesetzt, eine davon zwei Mal in vier Wochen.
Alle Probanden hatten anschließend weniger Schmerzen und konnten sich besser bewegen. Doch nur bei denen, die echte Blutegel angesetzt bekommen hatten, blieb diese Verbesserung auch ein halbes Jahr lang bestehen.
Ein Beweis dafür, dass eine Blutegeltherapie wirksam ist, ist das nicht. Vor allem scheint sie nicht bei allen Menschen anzuschlagen.
Blutegel selbst ansetzen?
Da die Krankenkassen die Kosten für die Therapie nicht übernehmen, fragen sich manche Menschen, ob sie die Tiere nicht einfach selbst halten und ansetzen können. Blutegel darf man nicht aus der Natur entnehmen, jedoch problemlos kaufen und zu Hause halten. Allerdings ist wegen der Nachblutungs- und Infektionsgefahr davon abzuraten, sich selbst mit ihnen ihnen zu behandeln.