Eine Frau fasst sich ans Bein, da sie Nervenschmerzen hat
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Nervenschmerzen: Was hilft bei Neuralgie?

Von: Till von Bracht (Medizinredakteur, M.A. Sportwissenschaften), Jasmin Krsteski (Biologin und Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 05.06.2023

Brennen, Kribbeln, Stechen – Nervenschmerzen im Bein oder anderen Körperstellen entstehen durch Schädigungen oder Erkrankungen des Nervengewebes. Welche Ursachen infrage kommen, welche Hausmittel helfen und ob ein rezeptfreies Medikament gegen neuropathische Schmerzen zur Verfügung steht, lesen Sie hier.

FAQ: Häufige Fragen und Antworten zu Nervenschmerzen

Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus und Multiple Sklerose sind häufig Auslöser von Neuralgien. Aber auch Alkoholmissbrauch, Verletzungen, ein Vitaminmangel oder eine Infektion mit dem Varizella-zoster-Virus (Gürtelrose) können neuropathische Schmerzen zur Folge haben.

Zunächst muss die Ursache für die Schmerzen gefunden und behandelt werden. Klassische Schmerzmittel helfen in der Regel nicht gegen die Beschwerden. Jedoch gibt es eine Reihe von Medikamenten, die speziell beim neuropathischen Schmerzsyndrom zum Einsatz kommen. Außerdem empfinden manche Betroffene Kälte oder Wärme als schmerzlindernd.

Nervenschmerzen: Symptome von neuropathischen Schmerzen

Viele Betroffene beschreiben Nervenschmerzen als

  • brennend,
  • kribbelnd,
  • stechend und
  • ausstrahlend.

Oft kommt es dabei zu plötzlich einschießenden Schmerzattacken. Dauerschmerzen treten eher seltener auf. Typisch für Neuralgien (Nervenschmerzen) ist auch, dass bereits sanfte Berührungen Schmerzen hervorrufen können – Fachleute sprechen dann von einer sogenannten Allodynie. 

Wie sich neuropathische Schmerzen genau äußern und welche Körperteile betroffen sind, hängt von der Ursache ab. Betroffene spüren den Schmerz oft nicht nur an den verletzten Nerven selbst, sondern an den mit ihnen verbundenen Körperteilen. Dies kann im Prinzip überall am Körper der Fall sein.

Nervenschmerzen im Bein und im Arm

Eine diabetische Polyneuropathie zum Beispiel geht häufig einher mit:

Trigeminusneuralgie: Nervenschmerzen im Gesicht

Sind die Fasern des fünften Hirnnervs (Trigeminusnerv) gereizt, geschädigt oder irritiert, entstehen blitzartige, sehr starke und stechende Schmerzen im Gesicht. Dies bezeichnen Fachleute als Trigeminusneuralgie.

Nervenschmerzen im Rücken

Schiebt sich beispielsweise bei einem Bandscheibenvorfall der Gallertkern der Bandscheibe in den Rückenmarkskanal, drückt er auf das umliegende Nervengewebe. Stechende neuropathische Schmerzen sind die Folge. Bei einer Ischias-Neuralgie ist der Ischiasnerv gereizt oder entzündet.

Neuropathische Schmerzen oder nozizeptive Schmerzen?

Neuropathische Schmerzen gehen mit Schädigungen oder Reizungen des Nervengewebes (Neuropathien) einher. Bei nozizeptiven Schmerzen hingegen treten Schmerzen auf, wenn die Haut, Muskeln, Knochen, Sehnen, Gelenke oder innere Organe geschädigt werden. Die Nervenfasern bleiben dabei intakt und leiten die Schmerzsignale an das Gehirn weiter. Typische Beispiele für nozizeptive Schmerzen sind Hautverbrennungen oder Gallenkoliken.

Da die beiden Schmerzarten auch kombiniert auftreten können, ist es in der Praxis oft schwer, zwischen neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen zu unterscheiden. Fachleute bezeichnen diese Form als Mixed Pain.

Ursachen: Wie entstehen Nervenschmerzen?

Bei anderen Schmerzen sind sie Nervenbahnen nur die Übermittler des Schmerzes. Bei neuropathischen Schmerzen sind sie selbst der Auslöser. Die Nerven können beispielsweise beschädigt oder gereizt sein oder mechanisch eingedrückt werden. Es gibt viele verschiedene Ursachen, die Nervenschäden und Nervenschmerzen zur Folge haben können – zum Beispiel

  • Verletzungen,
  • Operationen oder
  • Krankheiten.

Je nach Ursache kann diese Schädigung das periphere oder das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) betreffen. Zentrale neuropathische Schmerzen treten seltener auf als periphere Nervenschmerzen.

Periphere neuropathische Schmerzen

Als periphere Nerven bezeichnet man alle Nerven, die nicht zum Gehirn oder zum Rückenmark gehören – zum Beispiel in Armen und Beinen. Das Wort "peripher" bedeutet dabei so viel wie "außen, am Rand liegend".

  • Diabetische Polyneuropathie: Zu den häufigsten Ursachen peripherer neuropathischer Schmerzen zählt Diabetes mellitus. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer diabetischen Polyneuropathie. Veränderungen in den kleinsten Blutgefäßen, die durch den zu hohen Blutzuckerspiegel entstehen, führen dazu, dass die Nerven geschädigt werden.

  • Phantomschmerzen: Ein weiteres typisches Beispiel für periphere neuropathische Schmerzen sind sogenannte Phantomschmerzen. Sie entstehen, wenn periphere Nervenfasern durch einen Unfall oder eine Operation durchtrennt werden. Betroffene empfinden dabei Schmerzen in dem nicht mehr vorhandenen Körperteil. Der Phantomschmerz befindet sich also eigentlich außerhalb des Körpers.

  • Post-Zoster-Neuralgie: Bei einer Gürtelrose sind die neuropathischen Schmerzen Folge der Reaktivierung von Viren, die nach einer durchgemachten Windpocken-Infektion in den Nervenbahnen "schlummern". Dabei kommt es zu teils heftigen, brennenden Schmerzen in dem Körperbereich, den der infizierte Nerv versorgt. Fachleute nennen dies "Post-Zoster-Neuralgie".

  • Karpaltunnelsyndrom: Eine der häufigsten peripheren Nervenerkrankungen stellt das Karpaltunnelsyndrom dar – ein Nerven-Engpass-Syndrom der Hand. An der Innenseite des Handgelenks wird dabei der Nerv, der Bereiche der Hand versorgt (Medianusnerv), durch den Handwurzelkanal eingeengt. Es entstehen vor allem nachts Missempfindungen (Kribbeln) und Schmerzen in der Hand.

  • Nervenkompression: Beispielsweise bei einem Bandscheibenvorfall, einem Tumor oder einem Abszess können Nerven mechanisch eingeklemmt werden und zu Schmerzen oder Gefühlsstörungen führen. 

  • Weitere mögliche Ursachen: Infrage kommen außerdem Auslöser wie bestimmte Krebserkrankungen (z. B. Lungenkrebs), Nebenwirkungen von Medikamenten, Alkoholismus, Giftstoffe, Vitaminmangel (z. B. Vitamin B12 und Vitamin B6), entzündliche Erkrankungen wie Rheuma und angeborene Neuropathien.

Zentrale neuropathische Schmerzen

Liegen die geschädigten oder verletzten Nerven im Gehirn oder im Rückenmark, sprechen Fachleute von sogenannten zentralen neuropathischen Schmerzen.

Zentrale neuropathische Schmerzen können bei folgenden Erkrankungen entstehen:

  • Multiple Sklerose
  • Hirnabszesse
  • nach einem Schlaganfall
  • nach einer Rückenmarksverletzung
  • nach einer Syringomyelie (einer Flüssigkeitsansammlung im Rückenmark)
  • Tumoren (z. B. Hirntumor)

Typischerweise sind bei zentralen Nervenschmerzen vor allem größere Körperbereiche betroffen, es kann aber auch zu brennenden und meist plötzlich auftretenden Schmerzen in Händen oder Füßen kommen.

Was hilft bei Nervenschmerzen?

Bei Nervenschmerzen sollte eine neurologische Praxis aufgesucht werden. Der erste Schritt der Behandlung von Nervenschmerzen besteht darin, die Ursache zu beseitigen oder zumindest so gut wie möglich zu behandeln. Bei Patient*innen mit diabetischer Polyneuropathie bedeutet das zum Beispiel, dass der Blutzucker optimal eingestellt wird. Steckt Alkoholmissbrauch hinter den Nervenschmerzen, so sollten Betroffene auf den Konsum alkoholischer Getränke verzichten.

Gibt es ein rezeptfreies Medikament gegen Nervenschmerzen?

Nervenschmerzen sind oft schwierig zu behandeln. Dies liegt unter anderem daran, dass viele klassische Schmerzmittel wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) nicht gegen sie wirken. Dazu gehören etwa Ibuprofen, Diclofenac oder Paracetamol. Rezeptfreie Medikamente helfen also in der Regel nicht gegen Nervenschmerzen.

Liegt den Schmerzen allerdings ein Vitaminmangel zugrunde, können nach ärztlicher Absprache gezielt Nahrungsergänzungsmittel, beispielsweise mit Vitamin B12 oder Vitamin B6, eingenommen werden.

Bei diabetischer Neuropathie kommt mitunter Alpha-Liponsäure zum Einsatz. Diese ist rezeptfrei erhältlich und soll die Schmerzen für kurze Zeit lindern.

Wirksame Medikamente gegen Nervenschmerzen

Es gibt jedoch eine Reihe von Medikamenten, die speziell bei Nervenschmerzen eingesetzt werden: Dazu stehen momentan die folgenden Substanzgruppen zur Verfügung:

Antikonvulsiva

Der Wirkstoff Pregabalin behindert die Öffnung der Calciumkanäle und drosselt somit den Einstrom von Calcium in die Nervenendigungen. Die gesteigerte Freisetzung von Nervenbotenstoffen wird auf diese Weise auf das normale Maß zurückgeführt. Häufig kommt auch der Wirkstoff Gabapentin zum Einsatz. Der Wirkmechanismus ist noch nicht genau bekannt. 

Bei einer Trigeminusneuralgie ist der Wirkstoff Carbamazepin das Mittel der Wahl. Die schmerzlindernden Eigenschaften beruhen vermutlich auf einer Hemmung der Reizweiterleitung der betroffenen Nerven im Rückenmark. 

Antidepressiva

Vor allem die sogenannten trizyklischen Antidepressiva haben sich in der Behandlung neuropathischer Schmerzen bewährt. Wie fast alle Antidepressiva wirken diese Medikamente, indem sie im Gehirn die Konzentration der Botenstoffe zwischen den Nervenzellen beeinflussen.

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)

SSNRI wie etwa Duloxetin greifen in den Haushalt der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin ein und werden vor allem bei Depressionen eingesetzt. Sie haben jedoch auch schmerzlindernde Wirkung. 

Opioidhaltige Schmerzmittel

Wenn sich Nervenschmerzen mit Medikamenten aus der Gruppe der Antidepressiva oder Antiepileptika nicht behandeln lassen, können manchmal starke Schmerzmittel (Opioide) helfen. Vor allem im Gehirn und im Rückenmark befinden sich sogenannte Opioid-Rezeptoren, die bei Erregung eintreffende Schmerzsignale unterdrücken. Opioide Schmerzmittel binden an diese Rezeptoren und aktivieren sie. Damit wird die Wahrnehmung von Missempfindungen und Schmerzen vorübergehend ausgeschaltet.

Cannabinoide

Eine moderate, aber signifikante Schmerzlinderung kann einigen Studien zufolge mithilfe der Wirkstoffe aus Cannabis sativa (Hanf) wie Tetrahydrocannabinol (THC)  und Cannabidiol  (CBD) erreicht werden. Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Cannabinoide nicht wirksam sind. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt medizinisches Cannabis nicht bei neuropathischen Schmerzen.

Pflaster mit Capsaicin oder Lidocain

Bei lokalen Nervenschmerzen, etwa nach einer Gürtelrose-Erkrankung, können Pflaster mit den Wirkstoffen Capsaicin oder Lidocain betäubend wirken.

Weitere Therapiemöglichkeiten

Neben Medikamenten können folgende Therapien eine Option bei Nervenschmerzen sein:

  • Multimodale Schmerztherapie (umfasst verschiedene Therapien wie Physio-, Ergo-, Psycho- und physikalische Therapien)
  • TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)
  • Akupunktur
  • Motorkortex-Stimulation (Einbringen von Elektroden an der Gehirnoberfläche)
  • Mikrovaskuläre Dekompression (neurochirurgischer Eingriff) bei Trigeminusneuralgie
  • Nervenblockaden (Injektion eines Lokalanästhetikums)
  • Rückenmarkstimulation (Einbringen von Elektroden auf die Rückenmarkhaut bei Rückenschmerzen)

Völlige Schmerzfreiheit ist unwahrscheinlich

Diese Mittel können eine völlige Schmerzfreiheit nicht garantieren. Mögliche Therapieziele bei einem neuropathischen Schmerzsyndrom sind:

  • Schmerzverringerung um 30 bis 50 Prozent
  • besserer Schlaf
  • bessere Lebensqualität
  • Ermöglichen von sozialer Aktivität
  • Arbeitsfähigkeit

Wichtig für die Therapie: Geduld

Die Behandlung von Nervenschmerzen ist in den meisten Fällen langwierig und setzt ein gewisses Maß an Geduld voraus. Denn das richtige, wirksame Medikament, die beste Kombination und die richtige Dosierung müssen bei den einzelnen Betroffenen erprobt werden. Bei Nervenschmerzen besteht jedoch häufig die Gefahr, dass sich ein Schmerzgedächtnis ausbildet.

Nervenschmerzen und Psyche

Bei manchen Betroffenen haben die dauernden Beschwerden Ängste und Depressionen zur Folge. Diese wiederum können das Schmerzempfinden noch verstärken – ein Teufelskreis entsteht. Neben der physischen Behandlung des Schmerzes und seiner Ursache kann es deshalb sinnvoll sein, auch den Umgang mit den Schmerzen zu lernen. Dafür kommt beispielsweise eine Verhaltenstherapie infrage.

Nervenschmerzen: Helfen Hausmittel?

Hausmittel allein kommen gegen Nervenschmerzen nicht an. Allerdings empfinden viele Betroffene Kälte oder auch Wärme als wohltuend. Zum Einsatz kommen können etwa:

  • Kühlkompressen, 
  • Heizkissen,
  • warme Bäder

Auch kalte und warme Wechselbäder können hilfreich sein.

Aber Achtung! Besonders, wenn die Schmerzen von Taubheit und Missempfindungen begleitet sind, ist unbedingt darauf zu achten, dass die Temperatur nicht zu hoch oder zu niedrig ist. Sonst besteht Gefahr durch Verbrennungen oder Erfrierungen!

Daneben können Entspannungstechniken und Achtsamkeitstraining helfen, den Schmerz ein Stück weit auszublenden.