Zwangsstörung/OCD: Zwanghaftes Anordnen von Objekten
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Zwangsstörung: Ursachen, Symptome und Behandlung

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 21.06.2023

Haustür abgeschlossen? Herdplatte ausgeschaltet? Unangenehme Gedanken und übertriebene Ängste, die sich nicht unterdrücken lassen, kennt wohl jeder Mensch. Sind diese so stark ausgeprägt, dass Betroffene in ihrem Alltag eingeschränkt sind und ein Leidensdruck besteht, sprechen Fachleute von einer Zwangsstörung. Lesen Sie, wie eine Zwangsstörung entsteht, welche Symptome typisch sind und wie die Behandlung aussehen kann.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufige Fragen zu Zwangsstörungen

Eine Zwangsstörung entwickelt sich meist schleichend: Anfangs halten die Betroffenen ihre Zwänge oft noch für normale Eigenheiten oder Rituale. Doch je häufiger die unangenehmen Gedanken und Impulse auftreten und je mehr Zeit die Zwangshandlungen in Anspruch nehmen, desto belastender werden sie.

Zwangsstörungen lassen sich nicht vollständig heilen. Mithilfe einer kognitiven Verhaltenstherapie, oft in Kombination mit Medikamenten, lässt sich die Erkrankung mittlerweile jedoch gut behandeln.

Zwar gibt es auch die sogenannte zwanghafte oder anankastische Persönlichkeitsstörung, die der Zwangsstörung in vielen Faktoren ähnelt. Fachleute grenzen die beiden Formen jedoch voneinander ab. Während sich die Zwangsstörung durch zwanghafte Gedanken und Handlungen äußert, handelt es sich bei der zwanghaften Persönlichkeitsstörung um tief verwurzelte Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus, Ordnungsliebe und Kontrollbedürfnis.

Was ist eine Zwangsstörung?

Von einer Zwangsstörung (engl.: obsessive-compulsive disorder, OCD) sprechen Fachleute, wenn sich einem Menschen immer wieder konkrete, unangenehme Gedanken aufdrängen oder der Drang besteht, bestimmte Handlungen auszuführen. Häufig treten die wiederkehrenden Zwangsgedanken und -handlungen gemeinsam auf.

  • Zwangsgedanken können intensive Gedanken, Ideen oder Bilder sein,
  • Zwangshandlungen sind bestimmte Aktionen, die auf Außenstehende und auch auf Betroffene selbst übertrieben oder unsinnig erscheinen können.

Nicht immer lassen sich Zwangsgedanken und Zwangshandlungen trennscharf voneinander abgrenzen – etwa, wenn der*die Erkrankte im Kopf immer wieder einen bestimmten Reim wiederholen muss.

Trigger lösen akute Zwangsgedanken und -handlungen aus

Auslöser (Trigger) können verschiedene Reize sein, mit denen zwangserkrankten Personen im Alltag konfrontiert werden. Dabei handelt es sich etwa um

  • Schmutz,
  • Unordnung oder
  • bestimmte Zahlen und Symbole.

Betroffene wissen zwar, dass ihre Gedanken irrational sind, empfinden derlei Trigger jedoch als bedrohlich, was wiederum zu einer unerträglichen Anspannung führt. Diese lässt sich durch das Ausführen von Zwangshandlungen kurzfristig beruhigen. Langfristig führt das Zwangsverhalten jedoch dazu, dass sich die Angst verstärkt: Da die Betroffenen die Zwangshandlungen konsequent ausführen, können sie keine korrigierenden Erfahrungen machen. Sie erleben also nicht, dass nichts Schlimmes passiert, wenn sie die Handlungen unterlassen.

Oft sind zwangserkrankte Menschen stundenlang mit ihren Zwängen beschäftigt, ehe sie davon ablassen können. Kommt es dann zum erneuten Kontakt mit einem Trigger, beginnen die Zwänge von vorn.

Eine Zwangsstörung kann zu einer massiven Belastung werden. Betroffene schränken sich immer weiter ein und ziehen sich zurück, können ihren Beruf nicht mehr wie gewohnt ausüben und/oder geraten in soziale Konflikte. Das kann unter anderem zu einem massiven Verlust des Selbstwertgefühls führen.

Wann entwickeln sich Zwangsstörungen und wie häufig sind sie?

Schon Kinder können eine Zwangsstörung entwickeln. Meist tritt die Störung jedoch in oder nach Abschluss der Pubertät erstmals auf. Bei rund einem Drittel der zwangserkrankten Personen sind die Symptome vor dem 35. Lebensjahr vollständig ausgeprägt. In Deutschland haben etwa 1 bis 3 von 100 Menschen in der Bevölkerung eine Zwangsstörung. Männer und Frauen sind in etwa gleich häufig betroffen. 

Komorbide Störungen

Oft treten Zwangsstörungen zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen auf. Dann sprechen Fachleute von komorbiden Störungen. Häufige komorbide Störungen bei Zwangsstörungen sind:

Darüber hinaus sind Zwangsstörungen bei Erkrankungen des Gehirns (etwa Parkinson, Chorea Huntington oder das Tourette-Syndrom) verbreitet.

Zwangsstörung: Mögliche Ursachen

Die Ursachen von Zwangsstörungen sind noch nicht vollständig und abschließend geklärt. Aktuell gehen Fachleute davon aus, dass an der Entstehung mehrere Einflüsse beteiligt sind.

Genetische Veranlagung

Studien zeigen, dass das Risiko, eine Zwangsstörung zu entwickeln, bei Menschen mit zwangserkrankten Familienangehörigen deutlich erhöht ist. Welche Erbinformationen der Zwangsstörung zugrunde liegen, ist noch nicht hinreichend erforscht. Sicher ist jedoch, dass viele einzelne Abschnitte der Erbinformation einen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko haben.

Neurobiologische Faktoren

Das Verhalten eines Menschen wird von verschiedenen Teilen des Gehirns gesteuert, welche über bestimmte Pfade miteinander kommunizieren:

  • Ein Pfad setzt Handlungen in Gang und hält diese am Laufen.
  • Ein anderer Pfad hemmt Verhaltensweisen und/oder ändert sie.

Bei Menschen mit Zwangsstörungen herrscht offenbar ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Pfaden. Der Pfad, welcher Verhalten initiiert und aufrechterhält, ist übermäßig aktiv. Der hemmende Pfad ist zu schwach, um dagegen anzukommen. Dies könnte erklären, warum es den Betroffenen so schwerfällt, Zwangshandlungen zu unterlassen oder zu stoppen. Ein Ungleichgewicht bestimmter Neurotransmitter, insbesondere Serotonin, wird ebenfalls mit der Entwicklung von Zwangsstörungen in Verbindung gebracht.

Emotionaler Stress

Emotionen wie Angst, Unsicherheit, Kontrollverlust und Selbstzweifel können zur Entwicklung einer Zwangsstörung beitragen. So beginnt die Erkrankung bei mehr als der Hälfte der Betroffenen mit einem belastenden Lebensereignis wie dem Verlust eines nahestehenden Menschen oder in einer emotional anstrengenden Phase (etwa während der Schwangerschaft).

Zwangsstörung: Welche Symptome treten auf?

Fachleute unterscheiden drei Arten von Zwangssymptomen:

  • Zwangsgedanken
  • Zwangsimpulse
  • Zwangshandlungen

Meist sind Zwangsgedanken oder Zwangsimpulse der Grund für Zwangshandlungen: Den Betroffenen kommt es so vor, als würden sie durch zwanghafte Verhaltensweisen eine drohende Gefahr abwenden.

Zwangsgedanken

Zwangsgedanken sind unangenehme und mit Angst verbundene Gedanken, die sich den Betroffenen immer wieder aufdrängen und die sie kaum kontrollieren können:

  • Gedanken an Verunreinigung: Am häufigsten (bei jeder zweiten Zwangsstörung) drehen sich die Zwangsgedanken um Verunreinigung. Zum Beispiel die zwanghafte (und oft mit Angst und Ekel verbundene) Vorstellung, sich beim Kontakt mit Objekten oder anderen Menschen zu beschmutzen oder mit Krankheitserregern zu infizieren.

  • Krankhafte Zweifel: Etwa vier von zehn Menschen mit einer Zwangsstörung haben dauernd unlösbare Zweifel, bestimmte Dinge getan oder unterlassen zu haben (und verspüren oft Angst vor den möglichen Folgen) – so etwa die Frage, ob sie das Autolicht oder die Herdplatte ausgeschaltet haben.

  • Körperliche Zwangsbefürchtungen: Bei etwa einem Drittel der Zwangsstörungen treten Krankheitsbefürchtungen auf – beispielsweise die zwanghafte Befürchtung, die eigene Gesundheit oder die von Angehörigen könne gefährdet sein (Hypochondrie).

  • Übersteigertes Symmetriebedürfnis: Ebenso häufig ist das übersteigerte Bedürfnis nach Symmetrie, sodass die Betroffenen beispielsweise alle möglichen Dinge gedanklich nach eigenen Vorstellungen ordnen.

Zwangshandlungen

Zwangshandlungen dienen meist einem bestimmten Zweck: Die Betroffenen führen sie aus, um sich vor der vermeintlichen Bedrohung zu schützen, um die ihre Zwangsgedanken kreisen oder um das Bedürfnis zu befriedigen, das sich hinter ihren Zwangsgedanken verbirgt. Beispiele:

  • Aus Angst vor Verunreinigung waschen sich Menschen mit Waschzwang ständig die Hände.

  • Menschen mit Kontrollzwang kehren zum Beispiel mehrmals hintereinander wieder in ihre Wohnung zurück, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich die Herdplatte ausgeschaltet haben.

  • Menschen mit Ordnungszwang räumen ständig ihren Schreibtisch oder ihre Wohnung auf, um ihr Bedürfnis nach Symmetrie und Ordnung zu befriedigen. Typisch für den Ordnungszwang sind auch ritualisierte Handlungen: Betroffene haben das Bedürfnis, ein bestimmtes Handlungsmuster immer wieder auf die gleiche Weise zu wiederholen.

Zwangshandlungen können auch zu einer körperlichen Symptomatik führen. Wer sich zum Beispiel ständig wäscht, entwickelt oft Hautprobleme.

Zwangsimpulse

Als Zwangsimpulse bezeichnen Fachleute einen sich aufdrängenden, unwillkürlichen Antrieb zu einer bestimmten, meist sexuellen oder aggressiven Handlung. Typisch ist beispielsweise der Impuls, unkontrollierte sexuelle Handlungen auszuführen oder das eigene geliebte Kind zu verletzen oder zu töten. Aggressive Zwangsimpulse können auch eine gegen sich selbst gerichtete Aggression beinhalten – zum Beispiel den Impuls, von einer Brücke oder einem Hochhaus zu springen.

Betroffene leben in der ständigen Angst, diese Handlung tatsächlich auszuführen – was aber überwiegend nicht geschieht.

Eine Zwangsstörung führt zu einem starken inneren Konflikt: Einerseits empfinden Betroffene einen inneren Widerstand gegen die Zwangsgedanken und -handlungen. Andererseits haben sie das Gefühl, die Gedanken nicht verhindern und die Handlungen nicht unterlassen zu können. Typisch für eine Zwangsstörung ist auch, dass die Betroffenen sich für ihre Zwangsgedanken und -handlungen schämen. Viele versuchen, ihre Störung vor ihrem Umfeld zu verheimlichen.

Wie wird eine Zwangsstörung diagnostiziert?

Wer bei sich Anzeichen einer Zwangsstörung erkennt, kann als erste Anlaufstelle die hausärztliche Praxis aufsuchen. Erhärtet sich der Verdacht, erfolgt von dort eine Überweisung in eine fachärztliche oder psychiatrische Praxis.

Der diagnostische Prozess umfasst in der Regel mehrere Schritte:

Zunächst erfolgt eine ausführliche Befragung (Anamnese), um Informationen über die Symptome, ihre Dauer und Intensität, den Einfluss auf den Alltag sowie über eventuelle frühere Behandlungen zu erhalten. Es ist wichtig, dass der*die Patient*in ehrlich und offen über die eigenen Erfahrungen berichtet.

Der*die behandelnde Arzt*Ärztin wird anschließend die diagnostischen Kriterien für eine Zwangsstörung überprüfen: 

  • Die betroffene Person hat durch die Zwänge einen Leidensdruck. 
  • Die Zwangssymptome nehmen Zeit in Anspruch und beeinträchtigen den Alltag.
  • Die Zwangssymptome treten über einen Zeitraum von mindestens einer Stunde pro Tag und an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen auf.

Im Anschluss werden weitere mögliche Ursachen für die Symptome abgeklärt, so müssen etwa körperliche Erkrankungen oder ein Einfluss von Substanzen ausgeschlossen werden. Dazu kommen körperliche Untersuchungen, Laboruntersuchungen oder bildgebende Verfahren zum Einsatz.

Wie wird eine Zwangsstörung behandelt?

Sowohl Medikamente als auch eine Psychotherapie können dabei helfen, eine Zwangsstörung in den Griff zu bekommen. Auch die Kombination beider Behandlungen ist mitunter sinnvoll.

Welche Psychotherapie hilft bei Zwangsstörungen?

Bei Zwangsstörungen hat sich die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie bewährt. "Kognitiv" bedeutet "die Erkenntnis betreffend". Denn Therapeut*in und Patient*in sprechen zunächst darüber, welche Situationen und Denkmuster das zwanghafte Verhalten auslösen. Im Laufe der kognitiven Verhaltenstherapie wird versucht, diese Denkmuster zu analysieren, zu hinterfragen und zu verändern.

In therapeutischer Begleitung begeben sich Betroffene in Situtationen, die sie normalerweise zu Zwangshandlungen bewegen würden. Nun wird versucht, diese Handlung gezielt zu unterdrücken. Beispiel: Die betroffene Person berührt eine Türklinke, ohne sich anschließend gleich die Hände zu desinfizieren.

Anfangs kann das sehr unangenehm sein. Mit der Zeit lernen zwangserkrankte Menschen jedoch, dass die unangenehmen Gefühle von selbst abklingen.

Vielen Betroffenen fällt es zunächst schwer, die Zwangshandlungen auch im Alltag und ohne therapeutische Hilfe zu unterdrücken. Deshalb ist es oft sinnvoll, bei der Therapie Familienangehörige oder den*die Partner*in mit einzubeziehen. Wichtig ist dabei, dass die Angehörigen das Zwangsverhalten nicht unterstützen, sondern die erkrankte Person in der Bewältigung ihrer Ängste bestärken.

Medikamentöse Behandlung bei Zwangsstörungen

Bestimmte Medikamente gegen Depressionen (Antidepressiva wie Clomipramin und selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, kurz SSRI) haben sich bei einigen Betroffenen auch in der Therapie von Zwangsstörungen bewährt. Warum, ist noch nicht vollständig geklärt. Fest steht, dass diese Mittel die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Gehirn erhöhen.

Zwangsstörung: Verlauf

Bei manchen Betroffenen verschwinden die Zwänge von selbst wieder. Bei einigen werden sie schwächer oder verändern sich. Häufiger kommt es jedoch vor, dass Zwangsstörungen chronisch werden, also dauerhaft bestehen bleiben oder sich verschlimmern.

Dann kann es passieren, dass sich die Betroffenen immer stärker aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen und vereinsamen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Betroffene frühzeitig Hilfe suchen.

Vollständig heilen lässt sich eine Zwangsstörung zwar nicht. Eine Psychotherapie und/oder medikamentöse Behandlung kann den Verlauf einer Zwangserkrankung jedoch sehr günstig beeinflussen. Studien zeigen einen hohen Therapieerfolg: Rund drei Viertel aller Betroffenen finden einen guten Umgang mit der Störung.