Neurose: Wann ist jemand neurotisch?
"Neurose" – der Begriff ist fester Bestandteil der Alltagssprache: Verhält sich jemand ungewöhnlich oder übertrieben, gilt das Verhalten schnell als neurotisch. Aber was ist eigentlich mit Neurose und Zwangsneurose gemeint? Lesen Sie mehr über Definition und Symptome einer Neurose.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen und Antworten zum Thema Neurose
Wer neurotisch ist, hat eine psychische Erkrankung ohne erkennbare körperliche Ursache, wie es beispielsweise bei einer Angststörung der Fall sein kann. Der Realitätsbezug ist bei den Betroffenen jedoch nicht gestört. Fachleute verwenden die Begriffe Neurose und neurotisch allerdings nicht mehr, denn die psychischen Erkrankungen, die man früher darunter zusammenfasste, sind zu verschieden.
Unter dem Begriff Neurose wurden früher verschiedene psychische Störungen zusammengefasst. Beispielsweise Angststörungen ("Angstneurose"), Zwangsstörungen ("Zwangsneurose"), Dysthymien ("neurotische Depression") oder somatoforme Störungen ("Symptomneurose") wie etwa eine Herzneurose, bei der die Betroffenen glauben, an einer Herzerkrankung zu leiden oder einen Herzinfarkt erleiden zu müssen.
Bei einer Psychose ist der Bezug zur Realität gestört. Leidet eine Person mit Psychose beispielsweise unter Halluzinationen, glaubt sie, dass diese wahr sind. Menschen mit Neurosen dagegen sind sich ihres Zustands bewusst. Wer Angst vor Spinnen hat, weiß, dass diese theoretisch unbegründet ist.
Definition: Was ist eine Neurose?
Neurose ist ein Oberbegriff für eine psychische Störung ohne erkennbare körperliche Ursache. Geprägt wurde der Begriff der Neurose von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. In den aktuellen Diagnosesystemen findet die Neurose als Sammelbegriff für verschiedene psychische Störungen allerdings keine Anwendung mehr. Stattdessen teilt man die ursprünglich als Neurosen bezeichneten psychischen Störungen in unterschiedliche Gruppen ein. Dazu zählen zum Beispiel:
- Angststörungen, z. B. soziale Phobie oder spezifische Phobien wie die Flugangst oder die Klaustrophobie
- Zwangsstörungen
- dissoziative Störungen, z. B. multiple Persönlichkeitsstörung, Depersonalisations-Derealisationssyndrom
- Somatoforme Störungen, beispielsweise die Hypochondrie
Was früher als "Charakterneurose" bezeichnet wurde, entspricht heute einer Persönlichkeitsstörung.
Der Begriff Neurose ist veraltet und in der Medizin heute kaum noch gebräuchlich. Einer der Gründe dafür ist, dass die darunter zusammengefassten psychischen Störungen zu verschieden sind und sich zu unterschiedlich äußern.
Neurose: Unterschied zur Psychose
Die Neurose galt früher als Gegenstück zur Psychose. Während eine Psychose sich ganzheitlich auf die Persönlichkeit auswirkt, betrifft die Neurose nur bestimmte Aspekte. Die Psychose galt als die schwerere Störung. Weitere Unterschiede zwischen Psychose und Neurose:
Bei einer Psychose ist der Bezug zur Realität oder zum eigenen Selbst gestört. Zum Beispiel hat die Person Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Die Bandbreite der möglichen Symptome ist groß. Allen Psychosen gemeinsam ist jedoch, dass der Person in der Regel nicht oder nur eingeschränkt bewusst ist, dass sie krank ist. Wenn sie etwa akustische Halluzinationen hat und dabei Stimmen hört, ist sie fest davon überzeugt, die Stimmen seien real.
Ein Mensch mit Neurose ist sich hingegen seines Zustands bewusst. Ein Beispiel ist eine Person mit einer Spinnenphobie: Sie weiß genau, dass ihre Angst vor Spinnen hierzulande völlig unbegründet ist, kann dieses Gefühl jedoch nur schwer in den Griff bekommen.
Symptome einer Neurose: Neurotisches Verhalten
Die Symptome einer Neurose sind sehr vielfältig und abhängig von den Erkrankungen, die unter diesen Begriff fallen. Zum Beispiel:
Somatoforme Störungen (früher: Symptomneurose) sind körperliche Beschwerden, die nicht auf eine körperliche Krankheit zurückzuführen sind und vermutlich seelischer Natur sind. Wer an einer Herzneurose leidet, erlebt beispielsweise Angstzustände mit sehr realen Symptomen wie Atemnot und Herzrasen und fehlinterpretiert diese womöglich als Zeichen eines Herzinfarkts.
Bei einer Phobie stehen Ängste im Vordergrund, die sich auf eine bestimmte Situation, Person oder ein bestimmtes Objekt beziehen – etwa auf Spinnen, Autofahren oder Fahrstühle.
Bei einer generalisierten Angststörung lebt eine Person nahezu in permanenter Sorge um ganz unterschiedliche Themen.
Eine Dysthymie (früher: neurotische Depression) ist eine depressive Verstimmung, die zwar weniger ausgeprägt ist als bei einer Depression, aber dafür kontinuierlich über eine sehr lange Zeit hinweg anhält.
Bei der Depersonalisation empfinden Menschen ihren eigenen Körper als fremd, bei der Derealisation ihre Umwelt.
Bei einer Hypochondrie lebt eine Person in der Angst, an einer ernsten Krankheit zu leiden.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist die langanhaltende Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis, das nicht verarbeitet werden konnte. Bei im Krieg traumatisierten Soldaten sprach man früher von "Kriegsneurosen", heute würde man vermutlich eine PTBS diagnostizieren.
Erkrankungen, die früher zu den Neurosen zählten, sind außerdem oft mit körperlichen Symptomen ohne körperliche Ursache verbunden, zum Beispiel:
- Herzrasen,
- Schweißausbrüchen
- Magen-Darm-Beschwerden
- Gedächtnisprobleme
- Konzentrationsschwierigkeiten
Was ist eine Zwangsneurose?
Typisches Symptom einer Zwangsstörung (früher: Zwangsneurose) ist der starke innere Drang, Handlungen immer wieder auszuführen. Häufig empfindet die betroffene Person diese Handlungen selbst als sinnlos. Mitunter stehen auch Zwangsgedanken im Vordergrund, die sich den Betroffenen immer wieder aufdrängen und sie quälen.
Ursachen: Wie kommt es zu einer Neurose?
Es gibt viele verschiedene Gründe, warum es zu einer neurotischen Störung kommt. Einfluss nehmen können zum Beispiel:
- Persönlichkeitsstruktur
- Stress- und Belastungssituationen
- emotionale Traumata
Ursachen laut Psychoanalyse
Anhänger*innen der Psychoanalyse gehen davon aus, dass eine Neurose auf unbewusste, nicht gelöste Konflikte zurückzuführen ist, die in der Kindheit entstanden sind. Vor allem unterdrückte Ängste und sexuelle Schwierigkeiten spielen dabei eine Rolle. Störungen in der frühkindlichen Entwicklung bleiben nach dieser Ansicht als Komplex im Unbewussten bestehen und haben je nach Art der Störung unterschiedliche neurotische Reaktionen zur Folge.
Ursachen aus Sicht der Lerntheorie
Aus lerntheoretischer Sicht entsteht eine Neurose durch erlernte Muster, die für eine Person in der Vergangenheit einmal nützlich waren, sind in der aktuellen Situation unpassend geworden.
Wie lassen sich Neurosen behandeln?
Welche Behandlung bei einer Neurose infrage kommt, hängt vor allem davon ab, um welche Erkrankung es sich genau handelt.
Darüber hinaus spielt bei der Wahl der Therapie eine Rolle, wie schwer die Erkrankung ist und welche Therapieform die Person bevorzugt.
In der Regel wird eine zu den Neurosen zählende Störung mit
- Psychotherapie und/oder
- Psychopharmaka behandelt.
Es gibt viele unterschiedliche Formen der Psychotherapie. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten für:
- Verhaltenstherapie
- analytische Psychotherapie
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie