Essstörung: Eine Frau fühlt sich nach einer Mahlzeit sichtlich unwohl.
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Essstörungen: Formen, Ursachen und Behandlung

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 10.07.2022

Anorexie, Bulimie, Binge Eating: Neben diesen bekannten Erkrankungen gibt es noch viele weitere Essstörungen. Meist treten sie kombiniert auf. Unbehandelt können Essstörungen fatale Folgen für Psyche und Körper haben. Lesen Sie, welche Essstörungen es gibt, wie sie sich bemerkbar machen und welche Behandlungen infrage kommen.

Häufige Fragen und Antowrten zu Essstörungen

Von einem atypischen Krankheitsbild sprechen Fachleute, wenn eine Essstörung nicht alle formellen diagnostischen Kriterien erfüllt. Ein Beispiel: Bei einer Magersucht liegt kein Untergewicht vor.

Was ist eine Essstörung?

Eine Essstörung ist eine psychische Erkrankung, die sich durch ein gestörtes Essverhalten und eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers auszeichnet. Essstörungen gehen mit einem hohen Leidensdruck einher und bedürfen unbedingt einer Therapie. Ohne professionelle Hilfe kann die Erkrankung ernsthafte Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit haben. Je eher Betroffene ärztlichen Rat einholen, desto besser stehen die Chancen auf eine vollständige Genesung.

Ab wann spricht man von einer Essstörung?

Eine Diät halten, sich überessen, den eigenen Körper kritisieren: Den meisten Menschen dürfte zumindest eine dieser Verhaltensweisen bekannt vorkommen. Oft ist es jedoch schwierig zu erkennen, wo normales Essverhalten aufhört und wo gestörte Verhaltensweisen beginnen, die wiederum in einer Essstörung münden können.

Ein gesundes Essverhalten kennzeichnet sich dadurch, dass

  • Hunger- und Sättigungssignale wahrgenommen und Mahlzeiten entsprechend gestaltet werden,
  • mit Genuss und Freude gegessen wird,
  • das Thema Essen keinen übermäßig großen Raum einnimmt.

Sind diese Kriterien nicht oder nur teilweise erfüllt, sprechen Fachleute von einem gestörten Essverhalten. Kommt es dadurch zu einem hohen Leidensdruck und einer emotionalen, sozialen oder körperlichen Schädigung der betroffenen Person, handelt es sich um eine Essstörung.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Laut aktueller Statistik haben in Deutschland ein bis fünf Prozent der Bevölkerung eine Essstörung. Verlässliche Zahlen sind jedoch schwierig zu ermitteln, da ein Großteil der Erkrankungen vermutlich ohne Diagnose bleibt. Nach aktuellem Stand sind Frauen dreimal häufiger von Essstörungen betroffen als Männer. Fachleute gehen aber von einer hohen Dunkelziffer erkrankter Männer aus.

Welche Essstörungen gibt es?

Fachleute unterscheiden drei Hauptformen von Essstörungen:

Magersucht (Anorexia nervosa)

Magersucht kennzeichnet sich durch ein restriktives Essverhalten: Die Nahrungsaufnahme wird drastisch reduziert, oft auch in Kombination mit exzessivem Sportverhalten (Sportsucht). Betroffene hungern, sodass in vielen Fällen eine starke Gewichtsabnahme erfolgt, die gefährliche körperliche Folgen mit sich bringt. Untergewicht ist allerdings kein bindendes Kriterium für eine Diagnosestellung: Bei der sogenannten atypischen Anorexie etwa befinden sich Erkrankte im Normalgewicht, erfüllen aber alle anderen Merkmale einer Magersucht.

Bulimie (Bulimia nervosa, Ess-Brech-Sucht)

Menschen mit Bulimie leiden an unkontrollierten Essanfällen, gefolgt von einer anschließenden Kompensation: So versuchen Erkrankte, die aufgenommenen Kalorien wieder loszuwerden, etwa durch selbstherbeigeführtes Erbrechen, exzessiven Sport, Fasten oder die Einnahme von Abführmitteln oder Entwässerungstabletten. Häufig sieht man ihnen die Krankheit nicht an, da Bulimie meist mit Normalgewicht einhergeht.

Binge-Eating-Störung (Binge Eating Disorder, Esssucht)

Die Binge-Eating-Störung ist die häufigste diagnostizierte Essstörung. Charakteristisch sind unkontrollierte Essanfälle, allerdings folgen danach keine gewichtsregulierenden Maßnahmen. Während einer solchen Essattacke nehmen Betroffene mitunter bis zu 10.000 Kalorien oder mehr zu sich. Dabei geht es nicht um Genuss oder Freude am Essen. Vielmehr spendet das Essen kurzfristig Trost und hilft dabei, negative Gefühle zu betäuben. Eine häufige Folge ist starkes Übergewicht (Adipositas).

Daneben gibt es noch weitere Formen von Essstörungen, deren Einordnung jedoch nicht klar definiert ist. Die folgenden Essstörungen werden nicht als eigenständige Erkrankungen anerkannt, sondern als komorbide (begleitende) Störungen bezeichnet, die mit anderen psychischen Krankheiten einhergehen.

  • Selektive Essstörung (Selective eating disorder, Avoidant/restrictive food intake disorder; ARFID): Die selektive Essstörung kennzeichnet sich durch eine sehr einseitige Ernährung. Betroffene schließen komplette Lebensmittelgruppen aus ihrer Ernährung aus. In der Folge kommt es zu Nährstoffmangel, der wiederum eine Vielzahl gesundheitlicher Probleme auslösen kann. Die selektive Essstörung beginnt meist schon im Kindesalter, häufig als Reaktion auf eine traumatische Erfahrung.

  • Orthorexie (Orthorexia nervosa): Betroffene entwickeln ein zwanghaft gesundes Ernährungsverhalten, das ihren gesamten Alltag bestimmt. Strenge Regeln sorgen für einen hohen Leidensdruck. Zeitgleich fühlen sich Erkrankte ihren Mitmenschen oft überlegen und versuchen, diese von ihrem gesunden Essverhalten zu überzeugen.

  • Pica-Syndrom: Diese Krankheitsform entwickelt sich meist im Kindesalter oder im Zuge einer Schwangerschaft. Die Erkrankung tritt zudem oft neben Autismus, Schizophrenie oder bei Intelligenzminderung auf. Betroffene ernähren sich von Dingen, die eigentlich nicht zum Verzehr geeignet sind – etwa von Erde, Papier oder Haaren. Das Pica-Syndrom kann zu Magen-Darm-Beschwerden und im schlimmsten Fall zum Darmverschluss oder einer Bleivergiftung führen.

  • Night-Eating-Syndrom (NES, Nacht-Esser-Syndrom): Betroffene spüren ein starkes Verlangen einer nächtlichen Nahrungsaufnahme. Sie essen und trinken zusätzlich mindestens 25 Prozent der Menge, die üblicherweise tagsüber konsumiert wird und können sich nur schwer bremsen. NES ist noch nicht gut erforscht, Fachleute vermuten aber, dass das nächtliche Essen auf Erkrankte eine beruhigende Wirkung hat und beim Einschlafen hilft. Auch kann der nächtliche Heißhunger als Reaktion auf eine starke Restriktion am Tag entstehen.

  • Anorexia athletica (Sportsucht): Eine Sportsucht geht in der Regel nicht nur mit dem Zwang nach exzessiven Sporteinheiten einher, sondern auch mit einem restriktiven Essverhalten. Diese Form der Essstörung tritt vor allem im Leistungssport auf.

Meist liegt eine Mischform vor

In den meisten Fällen überschneiden sich Merkmale verschiedener Essstörungen. Häufig geht auch eine Form in eine andere über. So kann sich eine Magersucht etwa zu einer Ess-Brech-Sucht oder Binge-Eating-Störung entwickeln. Dazu kommt es, da der Körper durch die lange und strenge Restriktion mit der Zeit einen extremen Hunger (Hypororexie) entwickeln kann, der häufig mit Essanfällen einhergeht.

Ursachen einer Essstörung

Essstörungen lassen sich in der Regel nicht auf eine einzige Ursache zurückführen. Vielmehr entstehen sie durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren:

  • Biologische Faktoren: Genetische Disposition und hormonelle Einflüsse können eine Essstörung begünstigen.

  • Familiäre Faktoren: Ist ein Elternteil an einer Essstörung erkrankt, ist das Risiko für das Kind ebenfalls erhöht. Auch wenn die Eltern vor dem Kind den eigenen Körper kritisieren und/oder regelmäßig Diät halten und somit ein problematisches Essverhalten vorleben, kann das ein prägender Faktor sein. Familiäre Streitigkeiten sind ein weiterer möglicher Auslöser. Im Falle einer Scheidung fühlt sich das Kind womöglich verantwortlich und kompensiert dieses Gefühl mit einem restriktiven Essverhalten.

  • Individuelle Faktoren: Neigt eine Person zu einem geringen Selbstwertgefühl, Perfektionismus und einem hohen Leistungsanspruch, kann das eine Essstörung begünstigen. Auch das Bedürfnis nach Kontrolle, eine verminderte Konfliktfähigkeit und traumatische Erfahrungen, etwa sexueller Missbrauch, können ursächlich sein.

  • Sozio-kulturelle Faktoren: Das vorherrschende Schönheitsideal sowie der permanente Vergleich von Ernährung, Gewicht und Aussehen sind in sozialen Netzwerken mitunter sehr präsent. Diese Einflüsse können gerade für Kinder und Jugendliche weitreichende Folgen haben.

Symptome einer Essstörung

Je nach Art der Essstörung kann sich die Erkrankung durch unterschiedliche Symptome äußern:

  • starker Gewichtsverlust oder -zunahme sowie auffällige Gewichtsschwankungen
  • ständiges Gedankenkreisen um das Thema Essen
  • Verlust des natürlichen Hunger- und Sättigungsgefühls
  • Heißhunger
  • heimliches Essen und Horten von Nahrungsmitteln
  • Angst, in der Öffentlichkeit zu essen oder in sozialen Situationen mit außerplanmäßigen Mahlzeiten konfrontiert zu werden
  • Scham und Schuldgefühle nach unkontrollierten Essanfällen, teilweise aber auch nach normalen Mahlzeiten
  • Abwertung des eigenen Körpers, Empfindungen wie Selbsthass und Ekel
  • Dysmorphophobie (Körperschemastörung) als Begleiterkrankung
  • ständige Furcht vor einer Gewichtszunahme
  • Kontrollverhalten (z. B. häufiges Wiegen, Kalorienzählen)

Wie wird eine Essstörung diagnostiziert?

Die Diagnose gestaltet sich oft schwierig, da viele Erkrankte versuchen, ihre Essstörung geheim zu halten. Eine Heilung kann jedoch nur stattfinden, wenn Betroffene Krankheitseinsicht zeigen und zu einer Therapie bereit sind. 

Ist dies der Fall, kann eine erste Anlaufstelle die hausärztliche Praxis sein. Hier findet zunächst eine körperliche Untersuchung statt. Das ist wichtig, damit der*die ArztÄrztin organische Ursachen für mögliche Symptome ausschließen und Schäden erkennen kann, die die Essstörung womöglich schon angerichtet hat. Liegt der Verdacht einer Essstörung nahe, wird die betroffene Person an ein fachärztliche beziehungsweise psychotherapeutische Praxis überwiesen.

Daneben können sich Erkrankte auch an verschiedene Beratungsstellen wenden.

Kontaktadressen finden Sie zum Beispiel hier: Beratung für Betroffene und Angehörige

Wichtig: Weder eine Diagnose noch Unter- oder Übergewicht sind Voraussetzungen, um therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeder Mensch verdient Unterstützung – ein "(nicht) krank genug" gibt es nicht.

Mögliche Folgen einer Essstörung

Essstörungen sind erstzunehmende Erkrankungen. Magersucht ist sogar die psychische Krankheit mit der höchsten Sterberate. Rund 10 Prozent der Betroffenen sterben an den Folgen extremer Unterernährung oder begehen Suizid. Aber auch andere Essstörungsformen können ernste psychische und körperliche Folgen haben.

Mögliche psychische Folgen sind:

Mögliche körperliche Folgen sind:

Wie werden Essstörungen behandelt?

Die Behandlung richtet sich nach Art der Essstörung. Ziel der Therapie ist es grundsätzlich, zu einem gesunden Essverhalten zurückzufinden. Der Weg dorthin kann auf unterschiedliche Weise erfolgen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Als wichtiger Baustein gilt die Psychotherapie. Sie soll essgestörten Personen dabei helfen, die Ursachen für ihre Krankheit aufzuspüren und aufzuarbeiten. Auch eine Verhaltenstherapie oder Selbsthilfegruppen können eine Möglichkeit sein. In einigen Fällen ist die Aufnahme in eine stationäre Klinik sinnvoll. Alternativ kann eine Behandlung in einer Tagesklinik erfolgen.

Je nach Art und Ausprägung der Essstörung ist es wichtig, auch mögliche körperliche Beschwerden ärztlich behandeln zu lassen.

In Deutschland besteht ein Mangel an psychotherapeutischen Angeboten. Viele Erkrankte, die akut Hilfe benötigen, landen deshalb erst einmal auf der Warteliste. Um die Wartezeit zu überbrücken, können Betroffene zunächst auf Online-Therapien wie Selfapy zurückgreifen. Diese ersetzen zwar keine herkömmliche Therapie, können in dringenden Fällen aber eine gute erste Anlaufstelle sein. 

Essstörungen: Verlauf und Prognose

Grundsätzlich gilt: Je eher eine Essstörung erkannt und behandelt wird, desto besser stehen die Chancen auf Heilung.

  • Statistiken zufolge kann jede zweite Essstörung erfolgreich behandelt werden.

  • In 30 Prozent der Fälle verbessert sich der Zustand der Betroffenen, einige krankhafte Verhaltensmuster bleiben jedoch bestehen.

  • 20 Prozent der Erkrankten genesen nicht oder erst nach vielen Jahren, ihre Essstörung nimmt einen langwierigen Verlauf, der bis ins hohe Erwachsenenalter reichen kann.

Als wichtige Voraussetzung für eine Heilung muss der*die Patient*in zu einer Therapie bereit sein. Hilfreich ist hierbei ein stabiles soziales Umfeld.