Interview: Die richtigen Laufschuhe
Gute Laufschuhe sind wichtig – für jeden Läufer. Der Grund: "Der falsche Laufschuh erhöht das Risiko von Laufverletzungen", erklärt Dr. Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln. Wer also mit einem Laufschuh joggt, der nicht richtig passt, kann seinen Bändern und Gelenken langfristig schaden.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Im Gespräch mit Laufschuhexperte Dr. Potthast
Aber wie findet man den richtigen Laufschuh? Was sollte man beim Kauf beachten? Brauchen Frauen zum Beispiel andere Joggingschuhe als Männer? Wie hilfreich können Laufbandanalysen bei der Auswahl sein? Und welches sind die Laufschuhe der Zukunft? Onmeda hat Dr. Potthast zum Thema Laufschuhe befragt.
Dr. Potthast hat Physik und Sportwissenschaften in Bonn und Köln studiert. Seit dem Jahr 2000 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln. Er erforscht unter anderem, wie Sportschuhe, Sportprothesen und Sportböden die Belastungen auf das Muskel-Skelett-System verändern. Für seine wissenschaftliche Arbeiten hat Dr. Potthast mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem den New Investigator Award der International Society of Biomechanics on Sports 2005. Außerdem ist er aktives Mitglied mehrerer internationaler Fachgesellschaften, wie zum Beispiel der Internationalen Gesellschaft für Biomechanik (International Society of Biomechanics).
Onmeda: Herr Dr. Potthast, wenn man in ein Schuhgeschäft geht, dann trifft man auf ein breites Spektrum an Laufschuh-Typen von unterschiedlichen Herstellern. Worin unterscheiden sich Laufschuhe eigentlich?
Dr. Potthast: Unabhängig von der individuellen Auffassung der Hersteller unterscheidet man drei wesentliche Laufschuh-Kategorien: Zum einen werden sogenannte Dämpfungsschuhe (Cushion-Schuhe) angeboten, die die Kräfte beim Aufsetzen des Fußes verringern sollen. Dämpfungsschuhe erkennt man daran, dass der mittlere Teil der Sohle weich gepolstert ist. Zum anderen findet man sogenannte Bewegungskontrollschuhe (Motion-Control-Schuhe). Bewegungskontrollschuhe sollen ein Nach-Innen-Knicken des Fußes kontrollieren, das man als Pronationsbewegung bezeichnet. Zusätzlich bieten viele Hersteller noch sogenannte Neutralschuhe an, die einen Mittelweg zwischen Dämpfungs- und Bewegungskontrollschuhen bilden: Sowohl die Dämpfung als auch die Kontrolle der Pronationsbewegung sind vorhanden, aber geringer ausgeprägt.
"Laufschuhe sollten die natürliche Laufbewegung unterstützen, nicht einschränken."
Onmeda: Entsprechen diese Funktionen, also Dämpfung, Bewegungskontrolle und Bewegungsführung dem aktuellen Stand der sportwissenschaftlichen Forschung?
Dr. Potthast: Nur eingeschränkt. Denn vor allem eine ausgeprägte Dämpfung und eine starke Kontrolle sowie Führung der Fußbewegung, wie man sie in Dämpfungsschuhen und Bewegungskontrollschuhen findet, gehen nach wie vor von der Annahme aus, dass sowohl die Krafteinwirkung beim Aufsetzen des Fußes als auch die Pronationsbewegung schädlich seien. Heute weiß man, dass diese Faktoren keinen Einfluss auf lauftypische Verletzungen haben.
Laufverletzungen
"Der falsche Laufschuh erhöht das Risiko von Laufverletzungen."
Onmeda: Welche Faktoren können das Risiko lauftypischer Verletzungen erhöhen?
Dr. Potthast: Eine zu starke Dämpfung und Kontrolle des Fußes durch einen entsprechenden Laufschuh kann sogar dazu führen, dass Muskeln, Bänder und Sehnen, die als natürliche Stoßdämpfer fungieren, unterfordert und in Folge dessen geschwächt werden. Im Bereich von Fuß und Unterschenkel kann ein entsprechender Laufschuh die natürliche Laufbewegung verändern und zu Fehlbelastungen führen. Der Fuß kann an Stabilität verlieren und Verletzungen, wie zum Beispiel durch ein Umknicken des Fußes, können häufiger auftreten.
Onmeda: Wer sollte dennoch einen besonders dämpfenden oder stabilen Schuh wählen?
Dr. Potthast: Es gibt keinen bestimmten Läufertyp, für den ein Dämpfungsschuh besonders geeignet ist. Ob man sich einen Dämpfungsschuh kauft oder nicht, ist eine Frage des Komforts. Man sollte allerdings bedenken, dass dämpfende Laufschuhe aus orthopädischer Sicht zwar grundsätzlich kein Problem sind, aber durchaus zu einem Problem werden können, wenn die Dämpfungseigenschaften die natürliche Laufbewegung deutlich verändern. Für Laufanfänger gilt: Sie sollten Laufschuhe wählen, die aus einem stabilen Ober- und Mittelsohlenmaterial aufgebaut sind, insbesondere dann, wenn sie übergewichtig sind. Ist ein Laufanfänger normalgewichtig und zeigt zudem keine orthopädischen Auffälligkeiten, dann kann er einen neutralen Laufschuh wählen. Dämpfung und Schutz von neutralen Laufschuhen sind geringer ausgeprägt, als bei Dämpfungsschuhen und Bewegungskontrollschuhen. Sie sind aber vollkommen ausreichend.
Onmeda: Worauf sollten Marathon-Läufer achten?
Dr. Potthast: Durch die Dauerbelastung beim Marathon ermüden Muskeln und Sehnen und die natürlichen Stützfunktionen des Körpers verringern sich. Die Muskeln können weder den Aufprall noch die Führung des Fußes ausreichend kontrollieren. Hier können Laufschuhe sinnvoll sein, die insbesondere im Bereich des Obermaterials besonders stabil sind. So lässt sich Laufverletzungen oder langfristigen Schädigungen an Muskeln, Sehnen und Gelenken vorbeugen.
"Laufverletzungen entstehen in erster Linie durch eine falsche Lauftechnik."
Onmeda: Was sollte man bei orthopädischen Besonderheiten beachten?
Dr. Potthast: Auch für Läufer, die von orthopädischen Extremfällen betroffen sind, wie zum Beispiel einem versteiften großen Zeh, kann ein entsprechend kontrollierender Laufschuh sinnvoll sein. Gleiches gilt auch dann, wenn der Knöchel beim Aufsetzen des Fußes über das natürliche, gesunde "Einknickverhalten" hinaus zu stark nach innen knickt. Dieses Verhalten des Fußes bezeichnet man als Überpronation. In diesem Fall sollte man einen Laufschuh wählen, in den eine spezielle Stütze, eine funktionierende Pronationsstütze, integriert ist, um langfristigen Schäden oder Laufverletzungen vorzubeugen.
Onmeda: Inwiefern hat sich das Risiko von Laufverletzungen in den letzten Jahren verändert?
Dr. Potthast: Wenn man sich die Statistiken zu Laufverletzungen ansieht, dann stellt man fest, dass sich weder das Verletzungsrisiko verändert hat, noch die Regionen, in denen die Verletzungen am Häufigsten auftreten. Aller Laufschuhentwicklung zum Trotz gilt nach wie vor: Sowohl bei Frauen als auch bei Männern ist das Knie am häufigsten betroffen. Danach folgen bei Männern Sprunggelenkverletzungen und bei Frauen Hüftverletzungen. Die Laufschuhentwicklungen scheinen einen relativ geringen Einfluss auf das Verletzungsrisiko auszuüben.
Onmeda: Worin liegen dann die Gründe für Laufverletzungen?
Dr. Potthast: Laufverletzungen entstehen vor allem durch eine falsche Lauftechnik. Dennoch kann ein geeigneter Laufschuh das Verletzungsrisiko verringern.
Laufbandanalyse
"Die Qualität einer Laufbandanalyse hängt von der Qualifikation des Verkäufers ab."
Onmeda: Wie findet man den geeigneten Laufschuh?
Dr. Potthast: Zunächst ist es wichtig, die eigene natürliche Laufbewegung zu kennen. Die vergegenwärtigt man sich zum Beispiel, indem man barfuß über einen weichen Rasen läuft und die eigene natürliche Laufbewegung beobachtet. Im Idealfall lässt man zusätzlich eine Laufanalyse durchführen. Sie wird mit bildgebenden Verfahren aufgezeichnet und von Fachleuten beurteilt. Das Ergebnis liefert ein genaues Bild der Laufbewegung. Der neue Laufschuh sollte diese Laufbewegung möglichst wenig verändern. Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Testet man einen Laufschuh, der das natürliche Nach-Innen-Knicken des Fußes deutlich weniger zulässt, als das beim Barfußlaufen der Fall wäre, dann ist dieser Schuh ungeeignet.
Onmeda: Wo kann man eine Laufbandanalyse durchführen lassen?
Dr. Potthast: Es gibt Schuhgeschäfte, die Laufbandanalysen mit Videoaufzeichnung anbieten. Die Videokamera zeichnet die Laufbewegung in der Regel von hinten oder von der Seite auf. Die Aufzeichnung wird anschließend ausgewertet.
Onmeda: Sind Laufbandanalysen im Schuhgeschäft sinnvoll?
Dr. Potthast: Die Qualität einer Laufbandanalyse hängt weniger von der technischen Ausstattung ab, sondern vielmehr von der fachlichen Qualifikation des jeweiligen Sportschuhverkäufers. Auch sportwissenschaftliche Fakultäten an Universitäten, wie das Institut für Biomechanik und Orthopädie der Sporthochschule Köln, führen Laufbandanalysen durch. Diese können unterschiedlich umfangreich sein: Von einer einfachen Laufbandanalyse bis hin zu einem Ganzkörperscan mit einer komplexen Bewegungsanalyse und Muskelkraftdiagnostik.
Onmeda: Was kostet eine solche Analyse?
Dr. Potthast: Die Untergrenze der Kosten für eine Laufanalyse in einem sportwissenschaftlichen Institut liegt bei etwa 70 Euro für eine einfache Laufbandanalyse. Sie sieht zunächst so ähnlich aus wie eine Laufbandanalyse in einem Schuhgeschäft. Die Laufbewegung wird allerdings aus mehreren Perspektiven aufgezeichnet; also zum Beispiel von hinten und von der Seite. Zudem werden die Analysen von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts durchgeführt. Eine sehr umfangreiche, technisch komplexe Analyse kann mehrere hundert Euro kosten.
Onmeda: Erstatten die Krankenkassen die Kosten für Laufanalysen?
Dr. Potthast.: Bisher noch nicht, auch wenn es bereits Gespräche mit Krankenkassen gab. Die Krankenkassen reagieren bisher zurückhaltend, da sie nur solche Leistungen erstatten dürfen, die sich in umfangreichen wissenschaftlichen Studien zweifelsfrei als wirkungsvoll erwiesen haben. Da es entsprechende Studien im geforderten Umfang bisher noch nicht gibt, fehlt die wissenschaftliche Grundlage.
Onmeda: Ist es sinnvoll, sich als Laufanfänger vorab von einem Orthopäden oder Sportmediziner gezielt untersuchen zu lassen?
Dr. Potthast: Wenn keine Beschwerden bestehen, dann gibt es meiner Meinung nach keinen Grund, vorher zum Orthopäden oder Sportmediziner zu gehen. Ein Arztbesuch ist allerdings notwendig, wenn bereits vor Beginn des Laufens gesundheitliche Probleme entstanden sind oder während des Laufens Beschwerden auftreten, die rund zwei Wochen nach Beginn des Lauftrainings weiterhin bestehen.
Onmeda: Inwiefern sind orthopädische Einlagen in Laufschuhen sinnvoll?
Dr. Potthast: Orthopädische Einlagen in Laufschuhen wirken sich positiv aus. Allerdings weiß man bis heute nicht genau, warum und wie sie ihre positive Wirkung entfalten. Einschränkend ist hier zu sagen, dass sich solche Einlagen nur dann positiv auswirken, wenn sie das Einknicken des Fußes (Pronation) nicht zu stark kontrollieren. Denn das verändert die Fußbewegung beim Laufen: Größere und damit ungünstigere Drehmomente im Knie können entstehen, die das Risiko von Knieverletzungen erhöhen.
Kauftipps
"Bringen Sie Ihren Lieblingsschuh mit."
Onmeda: Worauf sollte man beim Kauf eines Laufschuhs grundsätzlich achten?
Dr. Potthast: Es ist wichtig, sich ausreichend Zeit für den Schuhkauf zu nehmen, nach Möglichkeit sollte man einen Abend einplanen, da der Fuß am Abend bis zu einer halben Nummer größer sein kann, als am Morgen. Ins Schuhgeschäft sollte man zusätzlich die eigenen Laufsocken mitbringen, da sich die im Schuhgeschäft angebotenen Socken unter Umständen hinsichtlich der Dicke unterscheiden. Das verfälscht das Urteil hinsichtlich der Passform.
Onmeda: Woran erkennt man eine qualifizierte Beratung bzw. einen qualifizierten Verkäufer?
Dr. Potthast: Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum passenden Laufschuh ist eine qualifizierte Beratung in einem Sportgeschäft. Einen qualifizierten Verkäufer erkennt man zum Beispiel daran, dass er das Laufverhalten detailliert abfragt und die Empfehlung eines bestimmten Laufschuhs individuell begründen kann. Ich würde insbesondere dann von einer qualifizierten Beratung ausgehen, wenn der Verkäufer darüber hinaus nicht ausschließlich diejenigen Laufschuhe favorisiert, die technisch besonders ausgefeilt sind und über ausgeprägte Dämpfungs- und Stützfunktionen verfügen. Solche Laufschuhe können aus den genannten Gründen die natürliche Laufbewegung einschränken und negativ beeinflussen. Sie entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Laufschuhentwicklung.
Onmeda: Sollte man beim Kauf neuer Laufschuhe seine alten Laufschuhe mitnehmen?
Dr. Potthast: Ja, allerdings nur dann, wenn man sich in einem qualifizierten Fachgeschäft beraten lässt. Anhand des individuellen Abriebs der alten Laufschuhe kann man dort Rückschlüsse ziehen und eine entsprechende Empfehlung für künftige Laufschuhe geben. Man muss bei der Interpretation des alten Laufschuhs allerdings vorsichtig sein, da der Sohlenabrieb in Einzelfällen auch irreführend sein kann. Grundsätzlich gilt: Wenn jemand über einen längeren Zeitraum regelmäßig größere Distanzen gelaufen ist, dann kann eine qualifizierte Fachkraft aus dem individuellen Sohlenabrieb nützliche Schlüsse ziehen.
Onmeda: Was raten Sie konkret?
Falls es einen alten "Lieblingslaufschuh" gibt, dann sollte man den mitbringen und zusätzlich auch ein Paar Laufschuhe, in dem man sich nicht wohl gefühlt hat – wenn man ein solches Paar noch hat.
Onmeda: Haben Sie weitere praktische Tipps für die Wahl des richtigen Laufschuhs?
Dr. Potthast: Natürlich sollten die Laufschuhe an- und ausprobiert werden. Viele Laufgeschäfte bieten zum Beispiel an, die Laufschuhe auf dem Bürgersteig zu testen. Das ist sinnvoll, da die Laufbewegung auf dem Bürgersteig eine andere ist, als die Bewegung auf dem Laufband. Gerade unerfahrene Läufer bewegen sich auf dem Laufband anders als beim Joggen auf Waldweg oder Bürgersteig.
Onmeda: Welche Rolle spielt die Passform des Laufschuhs?
Dr. Potthast: Natürlich sollte man prüfen, ob der Schuh vernünftig sitzt. Vor den Zehen sollte der Schuh ein bis maximal zwei Zentimeter Freiraum lassen. Denn im Gegensatz beispielsweise zu einem Fußballschuh, der an der Fußspitze eng anliegen sollte, muss der Laufschuh im Zehenbereich mehr Platz lassen. Außerdem gilt es darauf zu achten, dass die Gelenke im Laufschuh an der richtigen Stelle sitzen: Wenn also beispielsweise ein Laufschuh ein Gelenk hat, das die Zehenbewegung erleichtet, dann sollten sich die Zehengelenke auch an der Stelle befinden, an der das Gelenk des Schuhs eingebaut ist.
Onmeda: Worauf sollte man in puncto Passform noch achten?
Dr. Potthast: Die geeignete Passform eines Laufschuhs schließt natürlich auch die Fußbreite ein. Der Fuß sollte seitlich mit der Seitenkante der Sohle abschließen. Das findet man heraus, indem man beim Anprobieren einfach den Schuh umdreht und sich mit dem Fuß auf die Sohle stellt. Man muss dann natürlich den rechten Schuh unter den linken Fuß legen und umgekehrt. Ragt der Seitenrand des Fußes deutlich über die Seitenkante des Laufschuhs hinaus, dann sollte man einen anderen Laufschuh wählen.
Onmeda: Welche Tipps können Sie sonst noch geben?
Dr. Potthast: Die Sohle sollte insbesondere im hinteren Teil des Laufschuhs verformbar sein, damit die Hebel während des Fußabklappens nicht zu groß werden können.
Onmeda: Welche Rolle spielt das Körpergewicht bei der Wahl des richtigen Laufschuhs?
Dr. Potthast: Wenn ein Läufer übergewichtig ist, braucht er einen Laufschuh, der vor allem im mittleren Bereich der Sohle etwas stabiler ist. Das Gleiche gilt für Laufanfänger: Sie sollten nicht direkt mit einem leichten, flexiblen Wettkampfschuh einsteigen, auch wenn der Wettkampfschuh zunächst einmal die natürliche Bewegung des Fußes erlaubt. Der Grund: Laufanfänger verweilen nach dem Aufsetzen des Fußes vergleichsweise lange am Boden und weichen zusätzlich stärker zur Seite über den Sohlenrand aus. Das erhöht das Risiko von Fußverletzungen, zum Beispiel durch ein Umknicken des Fußes. Ein etwas stabilerer Schuh verringert das Risiko solcher Fußverletzungen – sowohl bei einem übergewichtigen Läufer als auch bei einem Laufanfänger.
Laufschuhe für Frauen
"Frauen sollten flexiblere, weniger biegesteife Laufschuhe tragen."
Onmeda: Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede bei der Wahl des Laufschuhs? Brauchen Frauen andere Laufschuhe als Männer?
Dr. Potthast: Frauen haben kleinere und schmalere Füße. Außerdem haben Frauen weniger Fuß- und Beinmuskulatur als Männer. Sie sollten deswegen aus meiner Sicht einen etwas flexibleren, weniger biegesteifen Schuh tragen.
Onmeda: Und entsprechen die heutigen Laufschuhe für Frauen diesen Anforderungen an mehr Flexibilität?
Dr. Potthast: Nur teilweise. Die heutigen Unterschiede bei Laufschuhen für Frauen orientieren sich insbesondere an Form und Farbe. Grundsätzlich sind viele Hersteller in der Vergangenheit davon ausgegangen, sie müssten für Frauen stabilere Schuhe bauen, da die Füße von Frauen beim Aufsetzen deutlich stärker nach innen knicken (Pronationsbewegung) als bei Männern. Bei Frauen geht diese Bewegung allerdings auf eine geänderte Hüftstellung zurück, sodass sich die Oberschenkel beim Laufen stärker nach innen bewegen. Das verstärkt die Pronationsbewegung. Ein entsprechend gestützter Laufschuh bringt hier sicherlich nicht das gewünschte Ergebnis, da die eigentliche Ursache nicht im Fuß, sondern weiter oben in der Stellung der Oberschenkel liegt.
Onmeda: Auf was sollten Frauen beim Kauf des passenden Laufschuhs sonst noch achten?
Dr. Potthast: Da Frauen deutlich häufiger als Männer von einer X-Beinstellung betroffen sind, werden Frauen in der Regel stabile Laufschuhe angeboten. Sie sollen der X-Beinstellung entgegenwirken. Wie im Falle der Pronationsbewegung gilt auch hier: Ein stabiler Laufschuh wird die X-Beinstellung nicht beheben, wenn die eigentliche Ursache in einer zu schwach ausgebildeten Oberschenkelmuskulatur liegt. Ein gezieltes Training der Muskulatur ist hier sinnvoller als das Tragen stabiler Laufschuhe.
Kosten
"Ein guter Laufschuh kostet zwischen 100 und 120 Euro."
Onmeda: Was kostet ein guter Laufschuh?
Dr. Potthast: Für einen guten Laufschuh muss man durchschnittlich 100 bis 120 Euro ausgeben. Natürlich ist die Preisskala nach oben offen. Wenn man sich ein neues, aktuelles Modell kauft, dann liegt der Preis für einen Markenlaufschuh bei rund 150 Euro. Im Übrigen kann man auch diese aktuellen Laufschuh-Modelle für einen niedrigeren Preis erwerben, wenn man sich auf Lauf- oder Marathonmessen umschaut. Die Preise liegen dann für vergleichbare Modelle zwischen 100 Euro und 120 Euro, in Ausnahmefällen auch bei rund 80 Euro.
Onmeda: Was spricht gegen den Kauf eines günstigen Laufschuhs, etwa für 20 oder 30 Euro aus dem Supermarkt?
Dr. Potthast: Wir haben schlechte Erfahrungen mit preisgünstigen Laufschuhen aus Supermarktketten gemacht. Diese Schuhe sind in der Regel schlechter verarbeitet. Außerdem haben sie häufig Sohlen, die sich auf Belastung hin verformen und diese Form beibehalten. Oft sind solche preisgünstigen Laufschuhe zudem anatomisch nicht durchdacht und können daher schädlich für Füße, Gelenke und Sehnen sein.
Laufschuhtrend
"Der Trend geht zu sogenannten Barfußschuhen."
Onmeda: Zeichnen sich derzeit neue Laufschuh-Trends ab?
Dr. Potthast: Ja, zusätzlich zu den herkömmlichen Laufschuhen zeichnet sich der Trend zu sogenannten Barfußschuhen ab. Geht man beispielsweise drei Mal pro Woche laufen, kann man eine Trainingseinheit mit einem solchen barfußähnlichen Schuh durchführen. Barfußschuhe trainieren den Fuß und zusätzlich die natürliche Stütz- und Laufbewegung des Körpers.
Onmeda: Was genau ist ein Barfußschuh?
Dr. Potthast: Der herkömmliche Laufschuh schränkt die Bewegungsmöglichkeiten des Fußes ein. Einige Hersteller haben deswegen einen sogenannten Barfußschuh eingeführt, dessen fußähnlich geformte Sohle aus vielen Einzelsegmenten besteht. Das Obermaterial ist zudem weich und elastisch. Der Barfußschuh ermöglicht eine Abrollbewegung, die der natürlichen Abrollbewegung beim Barfußlaufen sehr ähnlich ist. Hintergrund für die Entwicklung dieses Schuhs waren Erkenntnisse von Leichtathletik-Trainern, die feststellten, dass sich ihre Athleten weniger verletzten und bessere Leistungen brachten, wenn sie barfuß trainiert haben. Wir haben diese Erkenntnisse durch eine große Studie bestätigt, bei der wir feststellten, dass die Gruppe, die einen solchen barfußähnlichen Schuh trägt, deutlich stärkere, kräftigere Füße hat und bestimmte Bewegungen besser ausüben konnte – und sich in der Folgezeit sogar seltener verletzt hat.
Onmeda: Wird sich der Barfußschuh in Zukunft durchsetzen?
Dr. Potthast: Ja, meiner Meinung nach ganz eindeutig. Der Trend zu einer natürlicheren Laufbewegung zeichnet sich seit circa fünf Jahren ab. Einige Hersteller zeigen starkes Interesse und lenken auch ihre Laufschuh-Entwicklungen in diese Richtung. Zusätzlich nutzen die Laufschuh-Hersteller vermehrt sogenannte intelligente Materialien in ihren Laufschuhen, wobei die Bezeichnung "intelligent" etwas missverständlich ist. Ich würde diese Materialien eher als adaptive, also sich anpassende, Materialien bezeichnen. Der Schuh passt sich individuell an Laufstil und Laufbewegung des Joggers an. Diese Materialien sollen der Bewegung des Fußes besser folgen als herkömmliche Materialien.
Onmeda: Schützt ein Barfußschuh vor Verletzungen beim Auftreten auf Steine oder Wurzeln?
Dr. Potthast: Der Schutz vor Verletzungen durch vereinzelte Steine, Wurzeln oder andere Unebenheiten war einer der Gründe, einen solchen Barfußschuh zu entwickeln. Er bietet den notwendigen Schutz, den man beim Barfußlaufen nicht hätte und erlaubt dennoch ein Laufen im Barfußstil. Natürlich sind die genannten Schutzfunktionen nicht ganz so ausgeprägt wie bei einem herkömmlichen Laufschuh. Man sollte mit einem Barfußschuh zum Beispiel nicht unbedingt über eine Kieselstein-Strecke laufen.
Onmeda: Gibt es weitere Argumente, die für einen Barfußschuh sprechen?
Dr. Potthast: Der Barfußschuh verringert das Risiko von Verletzungen durch Umknicken. Denn ein herkömmlicher Laufschuh hat im Gegensatz zum Barfußschuh eine ebene Sohle. Tritt man beim Laufen mit einem herkömmlichen Laufschuh beispielsweise versehentlich auf eine Bordsteinkante, dann knickt der ganze Schuh und mit ihm der Fuß um, wobei der Schuh die eigentliche Ursache für das Umknicken ist. Wenn einem das barfuß oder mit einem Barfußschuh passiert, dann umgreift der Fuß die Bordsteinkante stärker und rutscht ab ohne umzuknicken.
Onmeda: Was kostet ein solcher Barfußschuh?
Dr. Potthast: Ein Barfußschuh kostet um die 100 Euro. Auslaufmodelle sind wie bei jedem Laufschuh etwas günstiger.
Onmeda: Unabhängig von der Wahl des richtigen Laufschuhs haben Sie gesagt, dass Probleme und Verletzungen beim Laufen oft durch die falsche Lauftechnik entstehen. Haben Sie praktische Tipps für einen Laufanfänger, wie er solche Probleme vermeiden kann?
Dr. Potthast: Man sollte langsam mit dem Laufen anfangen, also nicht gleich 20 Kilometer in der ersten Einheit zurücklegen. Denn Laufanfänger sind in der Regel etwas schwerer und ihre Muskeln sind schwächer ausgebildet. Ein sanfter Einstieg schont Gelenke und Kreislauf. Darüber hinaus ist das gezielte Trainieren von bestimmten Muskelgruppen insbesondere für Laufanfänger sinnvoll. Hier sollten weniger die Beinmuskeln, sondern eher die Rumpfmuskeln, also Bauch- und Rückenmuskulatur, und die Hüftmuskeln trainiert werden. Es gibt eine ganze Reihe von Kräftigungsübungen für Hüftmuskeln, aber auch für die gesamte Körperstatik und die richtige Körperspannung. Koordinationsübungen aus dem sogenannten Lauf-ABC tragen dazu bei, die Laufbewegung grundsätzlich zu verbessern. Ratsam ist es, solche Übungen immer wieder durchzuführen. In Kombination mit dem richtigen Maß im Hinblick auf Laufstrecke und Laufgeschwindigkeit und dem passenden Laufschuh steht dem dauerhaften Laufvergnügen nichts mehr im Weg.
Herr Dr. Potthast, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führten Thomas Kresser und Dirk Eichenlaub