Grundlagen der Schutzimpfung
Neben hygienischen Maßnahmen gelten Schutzimpfungen als wichtigste Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten. Das Ziel einer Impfung ist es, den menschlichen Organismus gegen bestimmte Krankheitserreger zu immunisieren und so einen Schutz gegen mögliche gefährliche Erreger aufzubauen.
Überblick
Das Immunsystem des menschlichen Organismus reagiert auf eindringende Erreger, indem eine Immunreaktion aktiviert wird und Antikörper gebildet werden. Gleichzeitig bilden sich sogenannte Gedächtniszellen, die sich die Merkmale des Krankheitserregers merken. Dringt der gleiche Erreger später erneut in den Körper ein, erkennen ihn die Gedächtniszellern sofort und können ihn umgehend bekämpfen und unschädlich machen.
Bei der Impfung macht man sich dieses Prinzip zunutze: Dabei werden abgetötete oder abgeschwächte Erregerteile, die selbst keine ernsthafte Erkrankung hervorrufen können, in den Körper geschleust, um die Bildung von Antikörpern und Gedächtniszellen herbeizuführen (aktive Immunisierung). Alternativ können direkt spezifische Antikörper verabreicht werden (passive Immunisierung).
Herdenimmunität
Schutzimpfungen haben nicht nur eine Wirkung auf die geimpften Personen (Individualschutz), sondern können indirekt auch nicht geimpfte Menschen vor einer Erkrankung schützen, da sie die weitere Verbreitung einer Infektionskrankheit stoppen oder bremsen. Man spricht dann auch von einem Kollektiv- oder Populationsschutz, der Herdenimmunität.
Der Grad der Herdenimmunität hängt davon ab, wie viele Personen Träger von Antikörpern gegen eine bestimmte Erkrankung sind – entweder durch eine Impfung oder durch eine natürliche Infektion. Je höher die Herdenimmunität, desto besser sind auch nicht geimpfte Personen vor der Erkrankung geschützt, sodass ein weiteres Ausbreiten verringert oder verhindert werden kann. Bei hohen Impfraten können Erreger in bestimmten Regionen oder sogar weltweit ausgerottet werden.
Körperliche Reaktionen
Mithilfe einer Schutzimpfung werden körperliche Reaktionen ausgelöst, sodass die natürlichen Abwehrprozesse gegen bestimmte Erreger unterstützt werden. Das Immunsystem hat die Aufgabe, den menschlichen Organismus vor Krankheitserregern zu schützen. Dringen Erreger in den Körper ein, reagiert das Immunsystem entsprechend. Zum einen wird eine Immunreaktion aktiviert: Der Erreger wird durch Abwehrstoffe (sog. Antikörper) bekämpft und wenn möglich unschädlich gemacht. Zum anderen bildet das Immunsystem sogenannte Gedächtniszellen, die sich die Merkmale eines Erregers merken und den gleichen Erreger bei erneutem Eindringen direkt bekämpfen können (sog. immunologisches Gedächtnis).
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Aktivierung einer Immunreaktion
Der in den Körper eingedrungene Erreger wird von den Immunzellen als fremd erkannt und durch das Zusammenspiel von unspezifischer und spezifischer Immunantwort bekämpft.
Sobald ein Erreger registriert wird, wird zunächst die sogenannte unspezifische Immunantwort aktiviert. Die unspezifische Immunantwort richtet sich nicht gegen einen speziellen Erreger, sondern ist eine allgemeine körperliche Reaktion auf körperfremde Stoffe und schädliche Mikroorganismen. Der Erreger wird durch bestimmte Zellen der unspezifischen Immunantwort, wie Makrophagen und Granulozyten, aufgenommen und anschließend in Teilstücken den Immunzellen der spezifischen Immunantwort, den T-Zellen, präsentiert.
Nach diesem Schritt folgt die spezifische Immunantwort. Im Gegensatz zur unspezifischen richtet sich die spezifische Immunantwort nicht gegen alle, sondern gegen ganz bestimmte Erreger. Die durch die unspezifische Immunantwort aktivierten T-Zellen regen weitere Zellen der spezifischen Immunantwort, die B-Zellen, zur Produktion von Antikörpern an. Diese Antikörper erkennen spezifisch den eingedrungenen Krankheitserreger, blockieren und markieren ihn, sodass er bekämpft und beseitigt werden kann.
Im Normalfall kann das Immunsystem über Aktivierung der unspezifischen und spezifischen Immunantwort den Krankheitserreger erfolgreich bekämpfen. Jedoch gibt es Erreger, die das Immunsystem umgehen können oder für welche es zu lange dauert, eine spezifische Immunantwort zu entwickeln. Das Immunsystem schafft es dann nicht, den Erreger unter Kontrolle zu bringen und zu bekämpfen. Im Extremfall kann ein solcher Krankheitserreger zum Tod des Patienten führen.
Immunologisches Gedächtnis
Neben der Aktivierung von Antikörpern entwickelt der Körper während einer Immunreaktion gegen einen Erreger ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis. Hierbei entwickelt sich ein Teil der aktivierten T- und B-Zellen zu Gedächtniszellen, die bei erneutem Auftreten desselben Krankheitserregers diesen sofort erkennen und schnell reagieren können. Spezifische Antikörper werden dadurch rascher und verstärkt produziert.
Beim ersten Kontakt mit einem Erreger dauert es vier bis sieben Tage, bis die spezifische Antikörperproduktion und somit die effektive Bekämpfung des Erregers aktiviert wird. Kommt es erneut zum Kontakt mit demselben Erreger, bilden sich unmittelbar und verstärkt spezifische Antikörper. Diese rasche und verstärkte Antikörperproduktion wird durch Gedächtniszellen ermöglicht, die sich beim ersten Kontakt mit dem Antigen gebildet haben. Diese Gedächtniszellen "erinnern" sich an das Antigen und können daher sofort Antikörper bilden und den Erreger unschädlich machen.
Die Schutzimpfung
Um einen Schutz gegen gefährliche Erreger zu erzielen, wird bei einer Schutzimpfung der natürliche immunologische Ablauf des Körpers genutzt. Hierbei lassen sich zwei Formen der Schutzimpfung unterscheiden: die aktive und die passive Immunisierung. Bei der aktiven Immunisierung (Vakzination) wird die Bildung von Antikörpern angeregt, bei der passiven Immunisierung werden diese direkt in den Organismus gebracht. In einigen Fällen kombiniert man auch beide Formen der Immunisierung miteinander (Simultanimpfung), um einen sofortigen und parallel dazu einen langfristigen Schutz aufzubauen.
Aktive Immunisierung (Vakzination)
Bei der aktiven Immunisierung (Impfung) werden abgeschwächte oder abgetötete Erreger oder Teilstücke eines Erregers dem Körper zugeführt, die eine abgeschwächte Form der Erkrankung auslösen sollen (Vakzination), die jedoch in der Regel beschwerdefrei verläuft. Es wird dabei wie bei einer normalen Infektion eine abgeschwächte körpereigene Immunantwort ausgelöst. Das Immunsystem erkennt die Erreger als fremd. Der Organismus reagiert entsprechend durch Bildung von Lymphozyten, welche Antikörper gegen den Erreger produzieren.
Die Erreger können bei der aktiven Immunisierung entweder abgeschwächt (Lebendimpfstoff) oder abgetötet (Totimpfstoff) verabreicht werden. Um Lebendimpfstoffe herzustellen, werden diese zunächst abgeschwächt. Hierfür werden die Erreger in einem speziellen Verfahren vermehrt. Die Erreger in den Lebendimpfstoffen können sich zwar noch vermehren, jedoch kein Vollbild der Erkrankung mehr auslösen. In einigen Fällen kann es zu leichten Krankheitssymptomen kommen, die der Erkrankung ähneln. Totimpfstoffe von Viren werden mithilfe tierischer oder menschlicher Zellkulturen sowie Hühnereiern gezüchtet, die mit den Viren angereichert werden. Anschließend werden die Viren inaktiviert. Sie verlieren dabei ihre Funktion als Krankheitserreger, behalten jedoch ihre Wirkung als Antigene.
Die aktive Immunisierung löst eine Immunreaktion und dadurch die Produktion von spezifischen Antikörpern aus, ohne dass es zum Ausbruch der Erkrankung kommt. Die abgeschwächte Form der Immunreaktion führt jedoch effektiv zur Entwicklung eines immunologischen Gedächtnisses. Die Gedächtniszellen beginnen dann bei der nächsten Begegnung mit demselben Erreger sofort und verstärkt spezifische Antikörper zu bilden.
Der Erreger wird bei der aktiven Immunisierung vom Körper abgetötet, ohne dass es zu einer Erkrankung kommt. Diese Form der Schutzimpfung wirkt nach einigen Tagen bis Wochen und bietet jahrelange, teilweise auch lebenslängliche Immunität gegen einen Krankheitserreger.
Passive Immunisierung
Bei der passiven Immunisierung werden spezifische Antikörper in den Körper gebracht. Meist handelt es sich dabei um Antikörper menschlichen Ursprungs, in seltenen Fällen um tierisch gewonnene Antikörper. Eine passive Impfung erfolgt dann, wenn ein sofortiger Schutz erforderlich ist, zum Beispiel bei Kontakt mit einem Krankheiterreger oder bei einer kurzfristig bevorstehenden Reise. Mithilfe der passiven Immunisierung lassen sich Infektionen mit einem bestimmten Erreger vermeiden oder abschwächen. Die schützende Wirkung tritt dabei je nach Verabreichungsforum sofort oder innerhalb weniger Stunden ein. Die passive Immunisierung gewährleistet allerdings nur einen kurzfristigen Schutz von einigen Wochen bis Monaten gegen einen Erreger, da die Antikörper mit der Zeit vom Körper abgebaut werden. Spezifische Präparate, welche Antikörper mit bestimmten Krankheitserregern enthalten, werden beispielsweise zum Schutz vor Tollwut und Hepatitis A und Hepatitis B eingesetzt.
Wesentliche Impfmethoden
Bei den meisten heute verwendeten Impfstoffen ist es üblich, die Impfung intramuskulär zu verabreichen. Als die beste Impfstelle hierfür gilt grundsätzlich der Deltamuskel am Oberarm – bei Babys, deren Deltamuskel noch zu klein ist, kann man den Impfstoff stattdessen auch in den Oberschenkel spritzen.
Impfstoffe per Injektionen in den Gesäßmuskel zu verabreichen gilt allgemein nicht als empfehlenswert, da die Impfung nicht so gut wirkt und es dort häufiger zu Komplikationen kommt.
Dass von allen Impfstoff-Verabreichungsformen die intramuskuläre Injektion am weitesten verbreitet ist, steht allerdings im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Zellen, die unmittelbar für den Aufbau einer Immunreaktion verantwortlich sind, in höchster Konzentration in der äußersten Schicht der Haut (= Oberhaut bzw. Epidermis) liegen.
Bei Schluckimpfungen nimmt der Körper den Impfstoff über den Magen-Darm-Trakt auf. Zu den Erreger, die über die Schleimhautoberfläche in den Körper eindringen, gehört zum Beispiel der Erreger der Kinderlähmung (Polio). Zur Polio-Schutzimpfung stehen zwei Impfmethoden zur Verfügung – die Schluckimpfung nach Sabin und die Injektionsimpfung nach Salk:
- Bei der Polio-Schluckimpfung kommt ein abgeschwächter Lebendimpfstoff zum Einsatz. Diese Darreichungsform hat den Vorteil, dass sie sehr einfach ist und bei den zu impfenden Personen – besonders bei Kindern – auf große Akzeptanz stößt. Außerdem ist zur Verabreichung kein ausgebildetes Personal nötig. Ein schwerwiegender Nachteil ist jedoch, dass bei 1 von 4,5 Millionen Impfungen eine Impfpoliomyelitis (Lähmungsfall) auftritt.
- Die Polio-Impfung per Spritze erfolgt mit einem Totimpfstoff. Der Impfstoff ist sehr sicher; es kommt zu keinen Nebenwirkungen beziehungsweise Krankheitsfällen. Seit Januar 1998 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Polio-Impfung nur noch per Injektion.
Eine neue Entwicklung ist die Spray-Impfung: Hierbei gelangt der Impfstoff über die Atemwege in den Körper. So steht zum Beispiel neben dem herkömmlichen Impfstoff gegen Grippe (Influenza) ein vergleichbar wirksames Nasenspray zur Grippeimpfung zur Verfügung. Auch bei der Impfung gegen Masern könnte in Zukunft das Spray die Spritze ersetzen, da der eingeatmete Masern-Impfstoff besser wirkt als der per Nadel verabreichte Impfstoff. Außerdem ist die Spray-Impfung eine schnelle und schonende Methode, bei der die, wenn auch geringen, Infektionsrisiken durch verunreinigte Nadeln wegfällt.
Eine weitere Entwicklung sind essbare Impfstoffe aus gentechnisch veränderten Pflanzen (wie z.B. ein Cholera-Impfstoff aus Bananen): Hierbei sollen die Pflanzen direkt einen Impfstoff bilden. Der Vorteil dieses Impfstoffs bestünde in seiner einfachen Verabreichungsform: Er würde einfach durch den Verzehr der Pflanze in den Organismus aufgenommen. Außerdem hätte der Impfstoff eine natürliche und umweltfreundliche "Verpackung".
Grundimmunisierung und Auffrischimpfungen
Um einen vollständigen Impfschutz aufzubauen, bedarf es einer Grundimmunisierung (Basisimpfung). Diese sollte bis zum Ende des 14. Lebensmonats abgeschlossen sein, damit Babys und Kleinkinder schon ausreichend vor bestimmten Erkrankungen geschützt sind. Abhängig vom verabreichten Impfstoff sind mehrere Teilimpfungen nötig, welche in bestimmten Zeitabständen durchgeführt werden.
Impfschutz auffrischen
Während der Schutz einiger Impfungen ein Leben lang anhält, ist bei anderen Impfungen in späteren Jahren eine Auffrischungsimpfung nötig, bei welcher der Impfstoff erneut verabreicht wird. Beispiele für Impfstoffe, die lebenslang Impfauffrischungen erfordern, um einen wirksamen Schutz zu gewährleisten, sind der Impfstoff gegen Tetanus und Diphtherie. Wichtig bei jeder Impfung beziehungsweise Auffrischung ist es, den im Impfkalender angegebenen oder auf dem Beipackzettel vermerkten Mindestabstand zwischen zwei Impfungen nicht zu unterschreiten. Solche zeitlichen Abstände sind für den Impferfolg vor allem bei Impfungen mit einem Lebendimpfstoff sehr wichtig.
Dennoch: Jede Impfung gilt. Auch über mehrere Jahre unterbrochene Grundimmunisierungen muss man nicht neu beginnen! Bei lückenhafter Schutzimpfung ist es jedoch empfehlenswert, den Arzt zur Notwendigkeit einer Impfauffrischung zu befragen. Um herauszufinden, ob Sie oder Ihre Kinder eine Auffrischimpfung benötigen (z.B. eine Masern-, Polio- oder Tetanus-Auffrischung), nehmen Sie am besten zum Arztbesuch den Impfausweis mit. Gegebenenfalls überprüft der Arzt auch den Antikörperspiegel im Blut: Dieser gibt sichere Auskunft darüber,
- ob eine Grundimmunisierung notwendig ist, um den Impfschutz zu gewährleisten, oder
- ob Sie die Impfung nur auffrischen lassen müssen.
Der Zweck von Impfungen besteht darin, einen Immunschutz gegen eine bestimmte Krankheit zu entwickeln, um sich und andere nicht mehr anstecken zu können. Wenn viele Menschen geimpft sind, nützt ihr Impfschutz also auch denjenigen, die nicht geimpft sind (z.B. Babys, die noch zu klein für eine Impfung sind), weil sich die jeweiligen Krankheiten in der Bevölkerung dann kaum noch ausbreiten können: Dies bezeichnet man als Herdenimmunität.
Je mehr Menschen ausreichend geimpft sind, desto höher sind auch die Chancen, die betreffenden Krankheiten vollständig auszurotten. Wer hingegen umgeimpft ist oder seinen Impfschutz nicht auffrischen lässt, ist nicht nur selbst ungeschützt, sondern gefährdet auch andere.
So sterben in Deutschland immer wieder Kinder an einer Gehirnentzündung namens SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis): Dies ist eine stets tödlich endende Spätkomplikation der Masern, die meist erst Jahre nach der Infektion auftritt. Bei einer Maserninfektion in den ersten Lebensjahren scheint das Risiko für diese Komplikation besonders hoch zu sein. Die erste Masernimpfung findet aber frühestens im zwölften Lebensmonat statt.
Dass Babys sich anstecken, kann man demnach nur durch Ausrottung der Masern sicher verhindern. Voraussetzung hierfür ist, dass möglichst viele Menschen einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern haben (sog. Herdenimmunität). Dies ist nur ein Beispiel dafür, weshalb Schutzimpfungen zu den bedeutendsten und wirkungsvollsten vorbeugenden Maßnahmen in der Medizin gehören.
Impfungen sind somit nicht nur in den ersten Lebensmonaten und -jahren von Bedeutung: Vielmehr ist es wichtig, rechtzeitig an eine Auffrischung zu denken, um immer ausreichend geschützt zu sein. Und auch vor Reiseantritt oder bei bestimmten, besonders gefährdeten Personengruppen sollte frühzeitig an eine Impfung gedacht werden.
Impfmöglichkeiten
Zurzeit können Schutzimpfungen gegen folgende Krankheiten durchgeführt werden:
Allgemein:
- Diphtherie
- FSME (Frühsommer-Meningo-Enzephalitis)
- Hirnhautentzündung (Meningitis) und Kehlkopfentzündung durch Haemophilus influenza Typ B
- Hepatitis A
- Hepatitis B
- Human-Papilloma-Virus (Risikofaktor für Gebärmutterhalskrebs)
- Influenza (Grippe)
- Keuchhusten (Pertussis)
- Kinderlähmung (Polio)
- Masern
- Menigokokken-Meningitis (Erreger von Hirnhautentzündung (Meningitis))
- Mumps
- Lungenentzündung (Pneumonie)
- Röteln
- Tollwut
- Tuberkulose
- Windpocken
- Wundstarrkrampf (Tetanus)
Reiseimpfungen:
Kontroverse Diskussion
Nutzen und Risiko der Schutzimpfung werden oft kontrovers diskutiert: Zwar machen uns Impfungen nachweislich gegen viele Erreger immun und schützen uns so vor teils lebensbedrohlichen Krankheiten. Jedoch waren die Standardimpfungen der letzten Jahrzehnte dabei so erfolgreich, dass die Bedrohlichkeit mancher (Kinder-)Krankheiten mehr und mehr aus unserem Bewusstsein verschwunden ist.
Die Impfquoten sind in den letzten Jahren zwar stetig gestiegen. Dennoch gehört Deutschland bei der Verhinderung und Ausmerzung von Infektionskrankheiten im internationalen Vergleich allenfalls zum Mittelfeld. Hinzu kommt, dass die Fortschritte auf dem Gebiet der Ernährung, Hygiene und Medizin zusammen mit den Schutzimpfungen zu einem starken Rückgang der Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffer durch Infektionskrankheiten geführt hat. Infolge dieses Rückgangs nimmt die Öffentlichkeit nicht mehr wahr, welche Gefahren von Infektionserkrankungen ausgehen, während gleichzeitig die sehr seltenen Impfkomplikationen in den Blickpunkt der öffentlichen Diskussion rücken. Daher betrachten viele Menschen Schutzimpfungen trotz der nach wie vor bestehenden Risiken vieler Infektionskrankheiten skeptisch.
Im Internet finden sich zahlreiche Auseinandersetzung zum Thema Schutzimpfung beziehungsweise Impfrisiko. Bei kritischer Betrachtung gelingt es häufig schnell, die dort durch Impfgegner angeführten Argumente zu widerlegen.
Behauptung 1:
"Impfungen verhindern keine Erkrankungen. Für den Rückgang von Erkrankungen sind andere Einflüsse verantwortlich."
Auf den ersten Blick scheint diese Behauptung nicht falsch zu sein, da die Infektionskrankheiten und vor allem die Anzahl schwerer Komplikationen tatsächlich auch ohne Impfung zurückgegangen ist. Das liegt aber an den verbesserten sozioökonomischen Verhältnissen (z.B. bessere Hygiene). Aber entscheidend vermindern oder gar ausrotten kann man Infektionskrankheiten so nicht.
In den USA schwankte die Zahl der Masernerkrankungen zwischen 1920 und 1963 ganz erheblich zwischen 100.000 und 900.000 pro Jahr. Nach Einführung der Masernimpfung sank die Zahl innerhalb von zwei Jahren unter 50.000 und stieg nie mehr über diesen Wert. Im Jahr 1999, also fast 40 Jahre später, traten in den USA nur noch genau 100 Fälle von Masern auf. Dabei handelte es sich ausnahmslos um eingeschleppte Fälle; in den USA selber sind die Masern bereits ausgerottet.
Dass eine solche Entwicklung innerhalb von zwei Jahren nicht durch die Schutzimpfung, sondern durch eine gesellschaftliche Veränderung verursacht worden sein könnte, ist kaum vorstellbar. Auch bei anderen Krankheiten verringerte sich die Zahl der Fälle, sobald entsprechende Impfstoffe zur Verfügung standen.
Ein Vergleich verschiedener europäischer Industriestaaten mit ähnlichen sozialen Standards zeigt, dass in Ländern, in denen sich fast die gesamte Bevölkerung impfen ließ (Finnland und Schweden), die Masern verschwunden sind – in den anderen Ländern (Deutschland, Frankreich und Italien) jedoch nicht.
Behauptung 2:
"Bei einer Epidemie erkranken nachweislich mehr Geimpfte als Ungeimpfte."
Diese Behauptung der Impfgegner ist paradoxerweise sogar richtig, führt aber dennoch in die Irre. Ohne etwas Mathematik geht es hierbei nicht. Ein Beispiel:
Angenommen, in einem Dorf leben 1.000 Einwohner, von denen 20 Menschen nicht geimpft sind. Ein Besucher schleppt die Erreger der Masern ein, woraufhin die 20 Ungeimpften erkranken. Die Schutzimpfung gegen Masern hat eine Erfolgsquote von etwa 95 Prozent. Dies bedeutet: 5 Prozent der 980 Bewohner, die geimpft sind – das entspricht 49 Geimpften – sind nicht gegen Masern immun und erkranken trotz Impfung ebenfalls. Somit gäbe es in dem Dorf 49 Erkrankte unter den Geimpften gegenüber 20 Erkrankten ohne eine Impfung. Wäre aber kein einziger von den 1.000 Einwohnern geimpft worden, wären unter Umständen 1.000 (!) Menschen erkrankt.
Behauptung 3
"Das Durchleben einer Infektion ist natürlicher und sorgt beim Kind oft für einen Entwicklungsschub."
Das in dieser Behauptung verwendete Wort "natürlich" setzen die Impfkritiker hier mit "gut" gleich. Aber: Im Mittelalter betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 35 Jahre – das war damals natürlich. Und zu Goethes Zeiten starb die Hälfte aller Kinder – auch das war natürlich. Die sogenannten Kinderkrankheiten sind sicherlich natürlich – harmlos sind sie aber auf keinen Fall: Die Rate von Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) beträgt bei Masern etwa 1:1.000 bis 1:2.000 – bei geimpften Menschen hingegen nur 1:1.000.000.
Ohne Schutzimpfung gegen Masern würde die Zahl dieser schweren Masern-Komplikation also innerhalb weniger Jahre um ein Mehrhundertfaches steigen. Bei zwei bis drei von zehn Betroffenen hinterlässt die Gehirnentzündung ernste körperliche oder geistige Schäden. In ein bis zwei von zehn Fällen endet sie tödlich.
Behauptung 4:
"Die Wirkung und die Langzeitfolgen von Impfstoffen und Impfungen sind größtenteils völlig unbekannt und überhaupt nicht abzuschätzen. Auch treten sie vielleicht erst nach Jahrzehnten auf."
Auch diese Behauptung der Impfgegner ist ein Einwand, der grundsätzlich richtig ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass Schutzimpfungen zwar möglicherweise mit unbekannten Impfrisiken verbunden sein können – Krankheitsrisiken sind jedoch nachweislich vorhanden und bekannt. Und zur Schutzimpfung sind laut Arzneimittelrecht nur Impfstoffe zugelassen, die nachweislich ihren Zweck erfüllen – also im Körper eine Immunisierung bewirken, die zukünftige Infektionen verhindern oder zumindest in ihrem Verlauf abschwächen kann.
Behauptung 5:
"Aufgrund der zunehmenden Impfungen entwickeln besonders Kinder und Jugendliche in den letzten 30 Jahren immer häufiger allergische Erkrankungen."
Um die Richtigkeit dieser Behauptung zu überprüfen, kann man die Häufigkeit von Allergien in der ehemaligen DDR, in der eine Impfpflicht bestand, mit denen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichen. Dieser Vergleich zeigt: Die durchweg geimpften Kinder und Jugendlichen der Ex-DDR entwickelten erheblich seltener Allergien als die weniger häufig geimpften in der Bundesrepublik. Seit der Wiedervereinigung steigt die Allergiehäufigkeit in den östlichen Bundesländern und bewegt sich zunehmend auf das Niveau der alten Bundesländer zu.