Vitalpilze: Eher riskant statt heilsam
Vitalpilze helfen gegen fast alles, sogar gegen Krebs – jedenfalls, wenn man den Heilsversprechen verschiedener Webseiten glaubt. Doch wie wirksam sind solche Heilpilze tatsächlich?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Vitalpilze: Definition & Wirkung
Ob gegen Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Akne, Diabetes oder Depressionen – im Grunde findet sich gegen jedes Leiden ein passender Heilpilz, wenn man einmal bei Google danach sucht. Viele Erkrankte erhoffen sich damit eine Genesung ohne die klassische Schulmedizin oder weil bisherige Therapien nicht ausreichend anschlagen. Wer Krebs hat und sich anstelle einer Chemotherapie für eine Therapie mit Heilpilzen (sog. Mykotherapie) entscheidet, muss jedoch damit rechnen, dass die Erkrankung fortschreitet.
Was sind Vitalpilze?
Was genau Vitalpilze eigentlich sind, ist nicht festgelegt – der Begriff wurde rein für Marketing-Zwecke erfunden. Unter Vitalpilzen, Heilpilzen oder Medizinalpilzen versteht man jedoch im Allgemeinen Pilzerzeugnisse, die als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden. Erhältlich sind sie zerkleinert, als Pulver oder Extrakt in Kapsel- oder Tablettenform. Häufig handelt es sich dabei um Pilze aus dem Bereich der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) oder aus der ayurvedischen Medizin.
Aus dem asiatischen Raum sind über 100 verschiedene Medizinalpilze bekannt. Die meisten dieser Vitalpilze sind (aufgrund ihres Geschmacks) keine Speisepilze. Beliebte Vitalpilze sind beispielsweise
- der Raupenpilz (Cordyceps sinensis),
- die Schmetterlingstramete (Yun Zhi, Coriolus versicolor),
- der Lackporling (Reishi-Pilze, Ganoderma lucidum) oder auch
- der Speisepilz Shiitake (Lentinus edodes).
Wirkung von Vitalpilzen: Wissensstand lückenhaft
Zwar sagt man Vitalpilzen zahlreichen positive Wirkungen auf die Gesundheit nach, zu den meisten Heilpilzen existieren jedoch bislang keinerlei Studien. Von den Studien, die es überhaupt gibt, sind die meisten im Reagenzglas oder an Tieren durchgeführt worden. Ob sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist ungewiss.
So gibt es zwar Hinweise, dass der im Raupenpilz enthaltene Wirkstoff Cordycepin den Zellstoffwechsel hemmen kann – und so möglicherweise auch das Wachstum von Krebszellen. Unbekannt ist jedoch, ob das auch beim Menschen so ist, ob die Wirkung auch bestehen bleibt, wenn man den Wirkstoff nicht isoliert, sondern als Pilzextrakt zu sich nimmt und welche Mengen an Pilzextrakt man dazu überhaupt einnehmen müsste. Dennoch wird der Pilz als "natürliches Antitumormittel" angepriesen.
Nur ganz vereinzelt gibt es Studien am Menschen, die eine positive Wirkung erahnen lassen. In diesen Fällen wurden allerdings selten ganze Pilzerzeugnisse, sondern meist einzelne Pilzstoffe getestet. Aktuell lässt sich also nicht sicher sagen, ob und inwieweit die Einnahme von Vitalpilzen der Gesundheit zugutekommt beziehungsweise Krankheiten entgegenwirkt.
Bei den erhältlichen Vitalpilz-Produkten ist zudem keineswegs sicher, welchen Pilz sie tatsächlich enthalten. Dadurch lässt sich nicht ausschließen, dass im Produkt auch Pilze mit giftigen Inhaltsstoffen vorkommen können. Bei falscher Lagerung können Vitalpilze zudem von Schimmelpilzen wie Aspergillus befallen sein und dadurch giftige Aflatoxine enthalten. Dies ist besonders häufig beim Raupenpilz der Fall.
Krebs: Chemotherapie oder "natürliche" TCM?
Lautet die Diagnose Krebs, ist der Schock erstmal groß – ebenso oft die Angst vor einer Chemotherapie oder Strahlentherapie, die mit belastenden Nebenwirkungen einhergeht. Manche Betroffene wenden sich dann der vermeintlich sanften Naturmedizin zu. Gerade im Bereich der traditionellen chinesischen Medizin gibt es Hersteller, die das nutzen – und den Eindruck fördern, dass TCM-Mittel aus Pflanzen oder Pilzen bei Krebs wirksamer seien als die klassische westliche Schulmedizin.
Bislang ist jedoch kein Mittel der alternativen oder komplementären Medizin bekannt, das Krebs (als alleinige Therapie) realistisch heilen könnte. In bestimmten Fällen können solche Methoden den Patienten allerdings zu mehr Wohlbefinden während der Krebstherapie verhelfen und dazu beitragen, Nebenwirkungen der eigentlichen Behandlung zu lindern. Betroffene, die solch eine alternative Behandlung bevorzugen, sollten diese jedoch nicht auf eigene Faust beginnen, sondern ihre Wünsche und Bedenken mit dem behandelnden Arzt besprechen.
Geschäft mit der Gesundheit dank geschicktem Marketing
Vitalpilze sind keine Arzneimittel. In Deutschland werden sie zurzeit als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft und unterliegen der Health-Claims-Verordnung. Sie dürfen also nicht mit Gesundheitsaussagen beworben werden, die nicht sicher nachgewiesen sind.
Entsprechend finden sich auf den Produkten selbst auch keine konkreten Gesundheitsaussagen und oft auch keine Anwendungshinweise. Allerdings ist so häufig auch nicht erkennbar, für welchen Zweck sie eigentlich verwendet werden sollen. Nutzer müssen sich also anderweitig informieren.
Diesen Marketing-Nachteil machen viele Hersteller wett, indem sie scheinbar redaktionelle Beiträge zum Beispiel im Internet oder über Influencer im Social-Media-Bereich platzieren. Wer Vitalpilze googelt, stößt quasi sofort auf solche Inhalte. Für Laien ist es nicht immer leicht zu erkennen, welche Informationen vertrauenswürdig sind – oder unseriös.
Unser Rat
Ungesund sind Vitalpilze an sich in der Regel nicht, wenn man einmal von der Frage nach den tatsächlichen Inhalten eines Produkts und dem Schimmelpilz-Risiko absieht. Denn sie enthalten wie andere Pilze auch viele Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe.
Wer aber Vitalpilze vorbeugend oder zur Behandlung regelmäßig einnehmen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Vitalpilze keine Wundermittel sind und eine Einnahme auch schädlich sein kann.
Keinesfalls sollte man deshalb eine bestehende (Krebs-)Therapie abbrechen und sich ausschließlich mit Vitalpilzen behandeln. Das gilt insbesondere, wenn es für die jeweilige Erkrankung Arzneimittel gibt, deren Wirkung und Sicherheit gut untersucht und bewiesen ist.
Betroffene, die Vitalpilze begleitend zur schulmedizinischen Behandlung einsetzen möchten, sollten sicherheitshalber mit dem Arzt dazu Rücksprache halten. Denn Wechselwirkungen sind nicht ausgeschlossen. Reishi-Pilze (Lackporling, Ganoderma lucidum) etwa werden im Internet häufig als Heilmittel gegen Krebs beschrieben. Was dagegen oft nicht dort steht: Durch Reishi wirken die eigentlichen Krebsmedikamente möglicherweise schlechter oder es entstehen stärkere Nebenwirkungen.