Verhaltenstherapie: Bei welchen Störungsbildern hilft sie?
Ob zur Behandlung von Depressionen, Zwangserkrankungen oder Phobien: Die (kognitive) Verhaltenstherapie ist ein allgemein anerkanntes Therapieverfahren, dessen Wirkung wissenschaftlich belegt wurde. Welche Techniken zum Einsatz kommen können und wie eine Sitzung möglicherweise abläuft, lesen Sie hier.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen und Antworten zur Verhaltenstherapie
Psychotherapie ist der Oberbegriff für verschiedene Therapieansätze, darunter Verhaltenstherapie. Diese konzentriert sich auf das Erkennen und Ändern problematischer Verhaltensmuster.
Eine Verhaltenstherapie dauert in der Regel zwischen 20 und 80 Sitzungen, abhängig von der Schwere des Störungsbildes und dem Therapiefortschritt.
Betroffene lernen, negative Denkmuster und die damit verbundenen Gefühle und Verhaltensweisen zu erkennen und durch positivere, konstruktive Alternativen zu ersetzen.
Kognitive Verhaltenstherapie: Was ist das?
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Behandlungsmethoden und basiert auf den Grundlagen der Lerntheorie. Verhaltenstherapeut*innen nehmen an, dass soziales Verhalten sowie Denkmuster im Laufe des Lebens durch Erfahrungen erlernt werden. Entsprechend sollen sich negative Verhaltens- und Denkmuster auch wieder "verlernen" lassen.
Die Verhaltenstherapie verfolgt also einen problemorientierten Ansatz: Ziel ist es, dass Betroffene gemeinsam mit dem*der Therapeut*in:
- konkrete problematische Verhaltensweisen, Gedanken, Gefühle und Reaktionen als solche erkennen
- Lösungen für ihre Probleme finden, indem sie sie durch neue, positive Verhaltens- und Gedankenmuster ersetzen
- die neu erlernten Muster im Alltag umsetzen
Anders als bei anderen psychotherapeutischen Ansätzen, etwa bei der Psychoanalyse, spielt die Vergangenheit der ratsuchenden Person meist nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr liegt der Fokus auf der aktuellen Situation. Jedoch gibt es auch verhaltenstherapeutische Ansätze, die etwa biographische Faktoren berücksichtigen.
Im Fokus der Behandlung steht die "Hilfe zur Selbsthilfe": Ziel ist es, dem*der Patient*in Werkzeuge an die Hand zu geben, die auch nach der Therapie genutzt werden können, um Rückfällen vorzubeugen und langfristig psychisch stabil zu bleiben.
Therapieplatz finden
Die ersten Sitzungen (sogenannte probatorische Sitzungen) einer Verhaltenstherapie dienen Therapeut*in und Patient*in vor allem dazu, sich kennenzulernen, das Vertrauen zu stärken und einen Therapieplan zu entwickeln. Beide Parteien können sich innerhalb von zwei bis vier Therapiestunden entscheiden, ob sie miteinander arbeiten wollen und ob die Therapieziele und die gewählte Behandlungsform für die ratsuchende Person infrage kommen. Ist dies der Fall, stellt der*die Therapeut*in einen entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse.
Wie lange dauert eine Verhaltenstherapie?
Es gibt eine Kurzzeit- und eine Langzeitbehandlung. Im Regelfall umfasst
- eine Kurzzeittherapie für Erwachsene bis zu 24 Sitzungen,
- eine Langzeittherapie umfasst im ersten Schritt bis zu 60 Sitzungen, kann aber auf bis zu 80 Sitzungen verlängert werden.
Eine Sitzung dauert in der Regel 50 Minuten.
Wann ist eine Verhaltenstherapie sinnvoll?
Eine Verhaltenstherapie kann bei verschiedenen psychischen Erkrankungen hilfreich sein. Bei folgenden Störungsbildern hat sich die Therapieform als wirksam erwiesen:
- Angststörungen (generalisierte Angststörung, spezifische Phobien wie Klaustrophobie, Agoraphobie, Flugangst oder Spinnenphobie), Sozialphobie, Panikstörung und Panikattacken sowie posttraumatische Belastungsstörung)
- affektive Störungen, z. B. Depression oder bipolare Störung
- Essstörungen wie Binge-Eating-Störung, Magersucht oder Bulimie
- Zwangsstörungen
- Suchterkrankungen, z. B. Alkoholismus
- sexuelle Funktionsstörungen (etwa Vaginismus)
- ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung)
- psychosomatische Störungen wie Hypochondrie
- Persönlichkeitsstörungen, etwa Borderline- oder ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
Auch ohne eine diagnostizierte psychische Störung kann eine Verhaltenstherapie in verschiedenen Lebenssituationen sinnvoll sein. Mögliche zusätzliche Einsatzgebiete sind:
- chronische Schmerzen sowie psychische Begleit- und Folgeerscheinungen körperlicher Krankheiten
- Schlafstörungen
- zwischenmenschliche Konflikte
- einschneidende Lebensveränderungen wie Trennung/Scheidung, Ruhestand oder Verlust eines geliebten Menschen
- chronischer Stress, Prokrastination und Motivationsprobleme
Verhaltenstherapie bei Kindern
Kinder und Jugendliche können in verschiedenen Situationen von einer Verhaltenstherapie profitieren. Eine KVT empfiehlt sich vor allem, wenn bestimmte Verhaltensweisen den Alltag stark beeinträchtigen und für einen Leidensdruck sorgen.
Neben Angst- und Zwangsstörungen kann eine Verhaltenstherapie bei Kindern auch bei ADHS wirkungsvoll sein.
Weitere Situationen, in denen sich die psychotherapeutische Behandlungsform empfiehlt, sind:
- aggressives und impulsives Verhalten
- Schwierigkeiten, sich an Regeln zu halten (etwa in der Schule)
Ergänzend zur Verhaltenstherapie kann manchmal auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein, etwa bei ADHS, um die Symptome zusätzlich zu lindern.
Verhaltenstherapie: Methoden und Übungen
Der Ablauf einer Verhaltenstherapie wird an die individuellen Bedürfnisse angepasst und kann je nach Erkrankung stark variieren.
Zu Beginn wird der*die Verhaltenstherapeut*in zusammen mit der betroffenen Person daran arbeiten, das eigentliche Problem zu identifizieren. Sie soll erkennen, durch welche negativen Denk- und Verhaltensweisen das Beschwerdebild entstanden ist und wie es aufrechterhalten wird. Fachleute nennen diesen Prozess Verhaltensanalyse.
Die Verhaltenstherapie umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Techniken. Welche Übung zum Einsatz kommt, richtet sich nach dem Beschwerdebild. Oft werden auch verschiedene Methoden miteinander kombiniert.
Reizkonfrontation oder Expositionsbehandlung
Diese Methode kommt häufig bei Angst- und Zwangsstörungen zum Einsatz. Betroffene werden mit ihren Ängsten direkt konfrontiert und müssen diesen so lange standhalten, bis sie spürbar nachlassen.
Häufig arbeiten Fachleute mit einer Angsthierarchie: Man beginnt mit einer Situation, die vergleichsweise wenig Angst auslöst, und steigert sich im Laufe der Therapie. Eine andere Variante ist die Reizüberflutung, das sogenannte flooding, das sich gut mit dem "Sprung ins kalte Wasser" vergleichen lässt: Der*die Patient*in wird dabei direkt mit dem stärksten Angstreiz konfrontiert.
Systematische Desensibilisierung
Im Rahmen dieser Methode erstellt die zu behandelnde Person gemeinsam mit dem*der Therapeut*in eine Rangfolge ihrer Ängste, beginnend mit der mildesten. Dann erlernt der*die Patient*in ein Entspannungsverfahren, oft die Progressive Muskelentspannung.
In entspanntem Zustand stellt er*sie sich den schwächsten angstauslösenden Reiz vor. Nach und nach erfolgt dann eine reale Konfrontation mit der angstauslösenden Situation. Die Methode wird solange wiederholt, bis auch die stärksten Ängste bewältigt sind.
Kognitive Umstrukturierung
Negative Gedanken beziehungsweise Bewertungsmuster erkennen und durch positive ersetzen – das ist das Ziel der kognitiven Umstrukturierung.
Oft hilft Betroffenen bei der kognitiven Umstrukturierung ein Tagebuch, in dem sie ihre Gedanken und Verhaltensweisen festhalten. Dieser Ansatz eignet sich unter anderem zur Behandlung von depressiven Störungen, Angsterkrankungen, Suchterkrankungen und somatoformen Störungen, aber auch zur Bewältigung von Konfliktsituationen.
Training sozialer Kompetenzen
Ein Sozialkompetenztraining kann eingesetzt werden, um den Umgang mit anderen Menschen zu verbessern und zwischenmenschliche Schwierigkeiten zu bewältigen. Typische Anwendungsbereiche sind etwa Angststörungen, Depressionen, Autismus-Spektrum-Störungen, Borderline und weitere Persönlichkeitsstörungen sowie ADHS.
Das Training unterstützt die Betroffenen dabei, selbstbewusster, durchsetzungsfähiger und empathischer in sozialen Situationen zu agieren und kann sowohl im Rahmen einer Einzel- als auch einer Gruppentherapie durchgeführt werden. Wirksame Methoden sind unter anderem Rollenspiele.
Selbstmanagement bzw. Gedankenstopp
Damit Ratsuchende lernen, ihre Probleme eigenständig und aktiv anzugehen, können Übungen zum Selbstmanagement in die Therapie integriert werden. Ein zentraler Bestandteil ist der Gedankenstopp, eine Methode zur Unterbrechung negativer Gedankenspiralen. Dabei lernen die Betroffenen, negative oder belastende Gedanken bewusst zu erkennen und gezielt zu unterbrechen.
Typischerweise wird der Gedankenstopp mit einem klaren, inneren Befehl wie „Stopp!“ oder einer anderen bewussten Handlung eingeleitet. Im nächsten Schritt übt man, die negativen Gedanken durch positivere oder neutrale Alternativen zu ersetzen.
Neben diesen Methoden gibt es noch viele weitere Techniken in der Verhaltenstherapie. Neuere Ansätze berücksichtigen beispielsweise auch die Konzepte der Achtsamkeit. Dabei lernen Betroffene, ihre Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken.
Wie läuft eine Verhaltenstherapie bei Kindern ab?
Da Kinder meist eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne haben, können die Therapiesitzungen kürzer, aber regelmäßiger sein. Die KVT gestaltet sich spielerischer als bei Erwachsenen. Therapieansätze werden an das Entwicklungsniveau und die Bedürfnisse der kleinen Patient*innen angepasst. Zum Einsatz kommen etwa:
- spielerische Übungen
- Rollenspiele
- kreative Methoden wie Zeichnen oder Geschichten erzählen
Zudem werden die Eltern in der Regel stark in die Therapie einbezogen: Sie erhalten Strategien und Anleitungen, um das Kind zu Hause zu unterstützen, beispielsweise durch positive Verstärkung oder durch eine strukturierte Tagesplanung. Manchmal gibt es auch separate Sitzungen mit den Eltern, um deren Erziehungskompetenzen zu stärken und mögliche Konflikte in der Familie anzugehen.
Werden die Kosten bei einer Verhaltenstherapie übernommen?
In der Regel übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine Verhaltenstherapie. Denn die KVT zählt zu den sogenannten Richtlinienverfahren. Das sind anerkannte Verfahren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen wurde.
Voraussetzungen für die Kostenübernahme sind:
- Es muss eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung vorliegen, bei der die Entstehung und der Verlauf der Symptome durch negative Denk- und Verhaltensmuster geprägt sind.
- Die Verhaltenstherapie muss als erfolgversprechend eingestuft werden.
Um die Kostenübernahme zu sichern, ist ein Antrag bei der Krankenkasse notwendig, der durch den*die Therapeut*in gestellt wird. In der Regel umfasst dieser Antrag
- eine Diagnosestellung und
- einen Behandlungsplan.
Genehmigt die Krankenkasse den Antrag, werden die Therapiekosten vollständig übernommen.
Bei privat Versicherten hängt die Kostenübernahme von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Es ist ratsam, vor Therapiebeginn die Versicherungsbedingungen zu prüfen und gegebenenfalls eine Kostenübernahme bei der privaten Krankenversicherung zu beantragen.
Wie wirksam ist eine Verhaltenstherapie?
Die Wirksamkeit der KVT ist für verschiedene Störungsbilder wissenschaftlich belegt. Studien legen nahe, dass rund 70 Prozent der Ratsuchenden deutlich von der Therapie profitieren. Im Gegensatz zu einer medikamentösen Behandlung, die oft ergänzend zum Einsatz kommt, hat die Verhaltenstherapie zudem einen langfristigen Effekt.
Wie erfolgreiche die Form der Psychotherapie im Einzelfall ist, hängt unter anderem von der Art und Ausprägung des Störungsbildes sowie der Beziehung zwischen Therapeut*in und Patient*in ab. Besonders gut lassen sich etwa spezifische Phobien behandeln, wohingegen Suchterkrankungen eine niedrigere Erfolgsquote haben.
Wichtig ist zudem die Bereitschaft der Betroffenen, aktiv mitzuarbeiten. Das gilt etwa für Aufgaben, die sie außerhalb der Therapiestunden allein bewerkstelligen sollen.
Wie erfolgreich sind Verhaltenstherapien bei Kindern?
Verhaltenstherapien bei Kindern, insbesondere bei ADHS, gelten als sehr erfolgreich, wenn sie frühzeitig und kontinuierlich durchgeführt werden. Voraussetzung ist hier, dass die Eltern Teil des Therapieprozesses sind.