Hyperakusis – wenn selbst leise Geräusche zu laut werden
Menschen mit Hyperakusis reagieren besonders empfindlich auf akustische Reize. Sie empfinden selbst leise Alltagsgeräusche als zu laut, unangenehm und in manchen Fällen sogar schmerzhaft. Lesen Sie hier, welche Beschwerden die Geräuschüberempfindlichkeit verursacht und was man dagegen tun kann.
Was ist Hyperakusis?
Hyperakusis ist eine ausgeprägte Überempfindlichkeit des Gehörs gegenüber akustischen Reizen, die bei Erwachsenen ebenso wie bei Kindern auftritt. Während die meisten Menschen bei Lärm eine Unbehaglichkeitsschwelle von etwa 100 Dezibel haben – das ist ungefähr der Geräuschpegel einer Kreissäge – wird diese Grenze bei Personen mit Hyperakusis oft schon bei 50 bis 60 Dezibel erreicht. Dies entspricht in etwa der Lautstärke leiser Radiomusik oder eines normalen Gesprächs. Betroffene empfinden deshalb selbst leise und alltägliche Geräusche wie einen laufenden Automotor, klapperndes Geschirr oder Papiergeraschel als unangenehm laut, zum Teil sogar als schmerzhaft. Faktoren wie Stress oder Angst verstärken häufig die Beschwerden.
Nicht zu verwechseln ist die Hyperakusis mit drei ähnlichen Störungen: Während die Hyperakusis alle Geräusche betrifft, reagieren Menschen mit einer Misophonie lediglich auf ganz bestimmte Klänge überempfindlich, beispielsweise das Quietschen von Kreide auf einer Tafel. Am häufigsten handelt es sich jedoch um eine Reaktion auf Geräusche, die von anderen Menschen verursacht werden, wie zum Beispiel Kaugeräusche. Bei der Phonophonie hingegen haben die Betroffenen Angst vor spezifischen Geräuschen. Beim sogenannten Lautheitsausgleich (Recruitment) wiederum handelt es sich um ein Phänomen, das bei Schwerhörigkeit zu beobachten ist: Während Betroffene leise Töne nur schwer hören, empfinden sie laute Töne schnell als zu laut.
Auch Menschen, die sich in bestimmten Situationen plötzlich durch Hintergrundgeräusche gestört fühlen, die sie sonst kaum wahrnehmen oder sogar als angenehm empfinden (wie beispielsweise leise Radiomusik), leiden nicht an einer Hyperakusis. Hierbei handelt es sich um ein ganz normales Phänomen, das vor allem bei erhöhter Konzentration, Stress oder Müdigkeit auftritt.
Welche Symptome verursacht Hyperakusis?
Charakteristisch für die Hyperakusis ist eine extreme Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen, die meist beide Ohren, manchmal aber auch nur ein Ohr betrifft. Schon leise akustische Reize lösen bei Betroffenen ein Gefühl des Unbehagens oder Schmerzen aus. Bei Gesprächen mit mehreren Gesprächsteilnehmern fällt es ihnen häufig schwer, die einzelnen Worte richtig zu verstehen und dem Gespräch zu folgen. Viele Patienten und Patientinnen mit Hyperakusis leiden gleichzeitig auch an Tinnitus (Ohrgeräuschen), beide Störungen kommen aber auch unabhängig voneinander vor.
Auch körperliche Reaktionen auf Geräusche sind keine Seltenheit. So kommt es bei manchen Menschen zu einer Schreckreaktion mit einer
- Veränderung des Blutdrucks,
- Herzrasen (Tachykardie),
- Schweißausbrüchen und
- Mundtrockenheit.
Bei vielen Betroffenen zeigen sich zudem psychische und emotionale Auswirkungen wie Angst (zum Beispiel vor einer Schädigung des Gehörs und einem Verlust des Hörvermögens), Verärgerung, Anspannung, Konzentrationsschwäche oder Schlafstörungen.
Was verursacht Hyperakusis?
Warum es zu einer Hyperakusis kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Fachleute gehen davon aus, dass die übermäßige Geräuschempfindlichkeit auf eine gestörte Verarbeitung akustischer Reize im Gehirn zurückzuführen ist. Hingegen funktioniert das Gehör selbst bei den meisten Betroffenen ganz normal.
Zu den bekannten Auslösern der Hyperakusis zählen bestimmte Erkrankungen, Verletzungen, aber auch äußere Einflüsse, wie beispielsweise:
- Hörsturz
- Knalltraumata (Schädigung der Sinneszellen im Ohr durch ein kurzes, sehr lautes Geräusch)
- Langfristige Lärmbelastung (zum Beispiel durch Maschinen oder laute Musik)
- Virale oder bakterielle Innenohrinfektionen
- Morbus Menière, eine Erkrankung des Innenohrs
- Lyme-Borreliose
- Lähmung des Gesichtsnervs (Fazialisparese)
- Chirurgische Eingriffe im Bereich des Kopfes/Kiefers
- Neurologische und psychische Krankheitsbilder wie Migräne, Epilepsie, Depression, posttraumatische Belastungsstörung oder Autismus
- Emotionale Ereignisse und Stress
Bei vielen Betroffenen lässt sich jedoch keine eindeutige Ursache für die Hyperakusis finden.
Hyperakusis: Welche Tests sind für die Diagnose wichtig?
Wichtigste Anlaufstelle für Menschen mit einer übermäßigen Geräuschempfindlichkeit ist die Hals-Nasen-Ohren-Praxis (HNO-Praxis). Dort erfasst der Arzt oder die Ärztin die Krankengeschichte (Anamnese). Neben den genauen Symptomen sind vor allem bereits bekannte körperliche und psychische Erkrankungen, besondere emotionale Belastungen sowie vorausgegangene Situationen, in denen die Person starkem Lärm ausgesetzt war, wichtig für die Diagnose.
Durch die nachfolgende HNO-ärztliche Untersuchung, die unter anderem eine Begutachtung des Gehörgangs und des Trommelfells sowie einen Hörtest umfasst, lässt sich feststellen, ob das Gehör beidseitig einwandfrei funktioniert. Bei einer Hyperakusis ist das in der Regel der Fall, da die Störung nicht auf einem Schaden des Hörsystems, sondern einer Fehlverarbeitung akustischer Informationen im Gehirn beruht. Allerdings ist die Unbehaglichkeitsschwelle der Patienten und Patientinnen deutlich niedriger als bei Menschen mit normaler Geräuschempfindlichkeit.
Besteht aufgrund der Krankenvorgeschichte und der Symptome der Verdacht auf Hyperakusis, kommen häufig Fragebögen zum Einsatz, die Aufschluss über das Ausmaß der Geräuschüberempfindlichkeit, die Auswirkungen auf das tägliche Leben sowie den Therapiebedarf der Betroffenen geben.
Unter Umständen sind für die Diagnose der Hyperakusis weitere Untersuchungen erforderlich, um bestimmte Erkrankungen als Auslöser auszuschließen. Dazu zählen zum Beispiel neurologische Tests oder bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT).
Wie sieht die Therapie bei Hyperakusis aus?
Die Behandlung bei Hyperakusis hängt von der zugrunde liegenden Ursache ab: Ist die Empfindlichkeit für Geräusche auf andere Erkrankungen oder auf Verletzungen zurückzuführen, bessert sich bei erfolgreicher Behandlung in der Regel auch die gestörte Geräuschwahrnehmung.
Ist die Ursache für die Hyperakusis nicht bekannt, geht es vor allem darum, den Betroffenen zu einem besseren Umgang mit der Erkrankung zu verhelfen. Dabei steht eine umfassende Aufklärung im Vordergrund. Denn viele Menschen haben große Angst, dass die als unangenehm empfunden Alltagsgeräusche dem Gehör schaden und ihre Hörfähigkeit beeinträchtigen könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall und oft sorgt bereits diese Gewissheit für erhebliche Entlastung. Im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie erlernen Betroffene zudem Alltagsstrategien für einen besseren und gelasseneren Umgang mit der Geräuschüberempfindlichkeit.
Eine weitere Form der Behandlung bei Hyperakusis ist die Geräuschtherapie. Sie hilft Betroffenen, sich langsam wieder an alltägliche Geräusche zu gewöhnen und eine bessere Geräuschtoleranz zu entwickeln. Auch ein sogenannter Noiser (oder Masker) ist für viele Menschen eine wichtige Unterstützung. Dieser kleine Audiostimulator, der auch bei Tinnitus zum Einsatz kommt, wird wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen. Dort erzeugt er ein kontinuierliches, leises Hintergrundrauschen, durch das Betroffene Umgebungsgeräusche als weniger störend empfinden.
Es ist hingegen nicht sinnvoll, die störenden Geräusche dauerhaft durch Kopfhörer oder Ohrstopfen zu dämpfen oder Geräuschen grundsätzlich aus dem Weg zu gehen: Das Gehör wird auf diese Weise noch sensibler gegenüber den akustischen Reizen, wodurch sich die Symptome verstärken können. Zu einer erfolgreichen Hyperakusis-Therapie gehört deshalb auch die langsame Entwöhnung von entsprechenden Hilfsmitteln.
Wie verläuft Hyperakusis?
Wie die Hyperakusis verläuft, hängt vor allem von der Ursache ab: Ist die zugrunde liegende Krankheit behandelbar, verschwindet mit ihr häufig auch die Geräuschüberempfindlichkeit. Bei unbekannter Ursache bleibt die Hyperakusis unter Umständen langfristig bestehen.
Auch wirkt sich die Erkrankung sehr unterschiedlich auf die Lebensqualität aus: Während einige Betroffene relativ gut mit ihrer Geräuschempfindlichkeit leben können, ist sie für andere äußerst belastend und zermürbend. Manche Menschen entwickeln eine regelrechte Angst vor Geräuschen: Um dem Lärm aus dem Weg zu gehen, ziehen sich immer mehr aus ihrem Sozialleben zurück und können ihrer Arbeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen. In diesem Fall ist eine umfassende therapeutische Betreuung besonders wichtig.
Lässt sich einer Hyperakusis vorbeugen?
In vielen Fällen sind die Ursachen einer Hyperakusis nicht bekannt oder sie ist Folge anderer Erkrankungen oder Verletzungen. Daher lässt sich der Geräuschüberempfindlichkeit in der Regel nicht vorbeugen. Es ist jedoch ratsam, sich sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben vor akuter und chronischer Lärmbelastung zu schützen, da diese nicht nur das Gehör schädigen, sondern auch eine Hyperakusis auslösen oder begünstigen kann.