Mann mit Harnverhalt steht im Badezimmer und fasst sich an schmerzenden Unterbauch.
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Harnverhalt: Wenn die Blase nicht entleert werden kann

Von: Dr. rer. nat. Geraldine Nagel (Medizinredakteurin), Jessica Rothberg (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 27.09.2023

Betroffene mit Harnverhalt können trotz eines starken Harndrangs ihre Blase nur unvollständig oder gar nicht entleeren. Bei einem akuten Harnverhalt handelt es sich um einen medizinischen Notfall. Welche Symptome dafürsprechen und was mögliche Ursachen sind, erfahren Sie hier. 

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Was ist ein Harnverhalt?

Von einem Harnverhalt sprechen Fachleute, wenn es trotz eines starken Harndrangs und einer gefüllten Harnblase nicht möglich ist, die Blase durch Wasserlassen zu entleeren. Andere Bezeichnungen für Harnverhalt sind auch Harnverhaltung, Harnretention oder Ischurie. Der Harnverhalt zählt zu den Blasenentleerungsstörungen.

Harnverhalt: Diese Symptome sind Anzeichen

Je nachdem, ob ein akuter oder chronischer Harnverhalt vorliegt, unterscheiden sich die Symptome.

Symptome bei akutem Harnverhalt

Ein akuter Harnverhalt tritt plötzlich auf. In der Regel verursacht der starke Harndrang dabei Schmerzen. Die übermäßige Füllung der Harnblase bewirkt, dass sich die Blasenwand überdehnt. Infolgedessen kann es bei Harnverhalt zu einem starken Druckgefühl und teils heftigen Schmerzen im Unterleib kommen. Die übermäßige Füllung macht sich mitunter auch durch eine Vorwölbung des Unterbauchs bemerkbar.

Ein akuter Harnverhalt ist ein urologischer Notfall, da ein Blasenriss droht. Bei Verdacht eines akuten Harnverhalts sollte rasch ärztlicher Rat eingeholt und der Notruf (112) kontaktiert werden.

Wie äußert sich ein chronischer Harnverhalt?

Bei einem chronischen Harnverhalt bleibt die Blase längere Zeit maximal gefüllt, wodurch der Blasenschließmuskel auf Dauer nicht mehr vollständig schließen kann und letztlich nachgibt. Dann kommt es zur sogenannten Überlaufblase mit Harnträufeln. Fachleute bezeichnen das unwillkürliche Abgehen von Urin als Überlaufinkontinenz.

Daneben sind bei einer chronischen Ischurie weitere Symptome möglich:

  • ungewöhnlich häufige Toilettengänge
  • Harnstrahl bildet sich nur langsam
  • Harnstrahl ist schwach oder unterbrochen bzw. tröpfelnd
  • starker Harndrang, aber nur geringe Urinmenge
  • Harndrang auch nach dem Wasserlassen

Auch ein chronischer Harnverhalt sollte ärztlich abgeklärt und behandelt werden, da neben einer Überlaufblase weitere Komplikationen auftreten können. So kann es beispielsweise zu einem Harnstau in den Harnleitern und Nierenbecken und letztlich zu Schädigungen der Nieren (Nierenstau) kommen.

Harnverhalt: Welche Ursachen kommen infrage?

Die häufigsten Ursachen für einen Harnverhalt sind Harnwegsinfekte wie eine Blasenentzündung (Zystitis) oder Harnröhrenentzündung (Urethritis).

Ein Harnverhalt kann jedoch auch andere Ursachen haben, wie zum Beispiel:

Psychogener Harnverhalt (Paruresis)

Findet sich keine körperliche Ursache, kann ein Harnverhalt auch psychisch bedingt sein. Bei der sogenannten “schüchternen Blase“ (Paruresis) gelingt es Betroffenen nicht, auf öffentlichen Toiletten Wasser zu lassen. Meist steckt dahinter die Angst oder Scham, andere könnten Geräusche der Blasenentleerung hören.

Im Grunde handelt es hierbei um eine soziale Phobie, eine Form der Angststörung. Das Ausmaß der Phobie kann dabei sehr unterschiedlich sein. In manchen Fällen beginnen Betroffene, öffentliche Toiletten möglichst zu meiden oder verzichten sogar weitestgehend auf Unternehmungen mit anderen Menschen. Bereits der Gedanke, möglicherweise auf öffentliche Toiletten zu müssen, stresst Betroffene. Andere versuchen, weniger zu trinken, um seltener zur Toilette zu müssen, und riskieren gesundheitliche Folgen. Mitunter geht eine Paruresis mit starker seelischer Belastung und psychischen Erkrankungen wie Depressionen einher.

Harnverhalt: Hausmittel und Tipps zur Selbsthilfe

Wer gelegentlich Probleme bei der Blasenentleerung hat, etwa durch eine Prostatavergrößerung oder während der Schwangerschaft, kann mit einigen Hausmitteln dem Harnverhalt entgegenwirken. Einige Tipps zur Selbsthilfe sind: 

  • warme Bäder: Ein warmes Bad kann die Blasenmuskulatur entspannen und so die Blasenentleerung fördern.

  • Blasentraining: Um zu vermeiden, dass nur tröpfchenweise Urin abgesetzt wird, kann es hilfreich sein, die Blase zu trainieren. Dabei sollte dem Harndrang nicht gleich nachgegeben, sondern der Urin in der Blase gehalten werden.

  • Verzicht auf entwässernde Lebensmittel: Menschen mit Harnverhalt sollten entwässernde Lebensmittel wie Kaffee, Cola, Gurken oder Spargel bestenfalls nicht konsumieren. 

Wichtig: Ein Harnverhalt sollte immer ärztlich untersucht und behandelt werden. Hausmittel und Tipps sollten nur ergänzend und nach ärztlicher Rücksprache angewendet werden.

Harnverhalt: Ärztliche Behandlung

Der erste Behandlungsschritt ist meist die kontrollierte Entleerung der Harnblase über einen Blasenkatheter. Dabei wird der Urin nach und nach in kleineren Portionen abgelassen. Das lindert mögliche Schmerzen im Unterleib, die infolge der gefüllten Harnblase bei einem Harnverhalt entstehen können.

Die langsame Harnableitung beugt zudem Komplikationen vor, etwa Blutungen der Blasenwand. Je nach Ursache des Harnverhalts kann der Katheter kurzzeitig oder dauerhaft in der Harnröhre verbleiben. Unter Umständen kann auch ein suprapubischer Harnblasenkatheter gelegt werden, bei dem die Blase durch die Bauchdecke punktiert und entleert wird.

Weitere Therapie bei Harnverhalt hängt von der Ursache ab

Die weitere Behandlung richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Einige Beispiele sind: 

  • bakterielle Infektionen: Liegt dem Harnverhalt beispielsweise eine bakterielle Infektion der Harnwege zugrunde, können unter Umständen Antibiotika zum Einsatz kommen.

  • Blasensteine: Sofern sie nicht von selbst abgehen, lassen sich Blasensteine in den meisten Fällen während einer Blasenspiegelung entfernen. Ab einer bestimmten Größe zertrümmern Fachleute sie zuvor mithilfe von Ultraschall. Die zertrümmerten Teilchen werden dann mit dem Urin ausgeschieden. In manchen Fällen kann auch eine Operation notwendig sein.

  • pschychische Ursache: Hat der Harnverhalt psychische Ursachen, kann ein beratendes psychotherapeutisches Gespräch ratsam sein. Mithilfe einer Verhaltenstherapie lässt sich eine Paruresis oft gut behandeln. Zu Beginn erfahren Betroffene unter anderem mehr über die Funktion der Blase und wie sich Stress auf das Wasserlassen auswirken kann.

Ist der Harnverhalt Begleitsymptom einer anderen Grunderkrankung, wie einer neurologischen Erkrankung oder Krebserkrankung, muss diese ebenso gezielt behandelt werden.

Wie lässt sich ein Harnverhalt diagnostizieren?

Bei Verdacht auf einen Harnverhalt stellt die*der Ärztin*Arzt zunächst einige Fragen zu den Beschwerden und zur Krankengeschichte (Anamnese). Im Rahmen einer körperlichen Untersuchung wird dann der Unterleib abgetastet. Bei Männern erfolgt gegebenenfalls auch eine rektale Untersuchung, um die Prostata zu ertasten.

Eine Ultraschalluntersuchung der Harnleiter, Harnblase und Nieren gibt Hinweise auf Ausmaß und mögliche Ursachen des Harnverhalts.

Mit einer Urinuntersuchung lassen sich mögliche Erreger wie Bakterien im Urin bestimmen. Auch eine Blutuntersuchung oder ein Abstrich können angeordnet werden.

Je nach vermuteter Ursache können weitere Untersuchungen notwendig sein, wie:

  • Computertomographie (CT)
  • Magnetresonanztomographie (MRT)
  • neurologische Untersuchungen
  • Blasenspiegelung (Zystoskopie)