Kleptomanie: Pathologisches Stehlen
Kleptomanie wird auch als pathologisches Stehlen bezeichnet und gehört zu den Impulskontrollstörungen. Was für Außenstehende oft schwer nachvollziehbar ist, erweist sich für Betroffene als großes Problem: Die Sucht zu klauen weckt in ihnen nicht nur Schuldgefühle, sondern kann zudem unangenehme Folgen nach sich ziehen – etwa eine Verhaftung.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen
In der Praxis geht man bei Gericht nur in Einzelfällen von einer verminderten Schuldfähigkeit durch Kleptomanie aus (nach § 21 des Strafgesetzbuches). Daher sind mehrfache Verurteilungen keine Seltenheit. Da es sich meist um Wiederholungstaten handelt, steigt das Strafmaß entsprechend im Laufe der Zeit. Zudem behaupten auch einige Kriminelle, an Kleptomanie zu leiden, obwohl sie es nicht tun. Das erschwert die Diagnosestellung und Verurteilung.
Wie oft eine echte Kleptomanie vorkommt, lässt sich nur schätzen. Fachleute vermuten, dass es sich bei 100 Ladendiebstählen höchsten in fünf Fällen um Kleptomanie handelt. In drei von vier Fällen sind Frauen betroffen. Meist beginnt das krankhafte Stehlen vor dem 20. Lebensjahr, in einigen Fällen auch schon bei Kindern.
Ja, Betroffene einer Kleptomanie sind sich bewusst, dass sie regelwidrig handeln. Sie wissen, dass der Diebstahl rechtliche Konsequenzen haben kann, können dem Drang aber trotzdem nicht widerstehen. Auch ist Betroffenen klar, dass ihre Tat keinen Nutzen hat: Menschen mit Kleptomanie stehlen nicht, um sich am geklauten Gegenstand zu bereichern. Vielmehr erfolgt die Wahl des Diebesgut willkürlich.
Was ist Kleptomanie?
Menschen mit Kleptomanie verspüren den Drang, etwas zu stehlen und können diesem Impuls nicht standhalten. Sie entwenden wieder und wieder Dinge ohne erkennbares Motiv oder Nutzen und obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Betroffene sind also nicht in der Lage, ihre Handlungen bewusst zu steuern.
Der Begriff "Kleptomanie" kommt ursprünglich aus dem Griechischen (von griech. kléptein = klauen und manía = Raserei, Wahnsinn). Kleptomanie ist unter anderem unter folgenden Bezeichnungen bekannt:
- pathologisches (krankhaftes) Stehlen
- Stehllust
- triebhaftes Stehlen
- Stehlsucht
Der Begriff Stehlsucht ist allerdings irreführend, da es sich bei Kleptomanie medizinisch gesehen nicht um eine Sucht handelt. So besteht etwa keine körperliche Abhängigkeit. Auch mit einer echten "Manie" – einer Störung, die mit großer Euphorie und Selbstüberschätzung einhergeht – hat die Kleptomanie nichts zu tun. Vielmehr wird Kleptomanie den Impulskontrollstörungen zugeordnet, welche wiederum ins Spektrum der Zwangsstörungen fallen.
Vor der kleptomanischen Handlung baut sich bei Betroffenen ein Druckgefühl auf, das immer größer wird. Nach begangener Tat lässt die aufgestaute Anspannung sofort nach, Erleichterung und Euphorie stellen sich ein. Diese Gefühle weichen kurze Zeit später jedoch Schuldgefühlen, Scham und Selbstzweifeln.
Der zwanghafte Diebstahl kann chronisch ohne große Unterbrechungen verlaufen oder phasenweise auftreten. Zwischen den einzelnen Phasen liegen dann Zeiträume, in denen die Person nicht stiehlt.
Übrigens: Als Gegenteil der Kleptomanie gilt in Fachkreisen die sogenannte Kleptophobie. Das Antonym bezeichnet die unverhältnismäßig starke Angst davor, (unwissentlich) zu klauen oder bestohlen zu werden.
Welche Ursachen führen zu Kleptomanie?
In Fachkreisen der Psychologie gibt es je nach psychotherapeutischer Grundrichtung verschiedene Theorien und Erklärungsmodelle über mögliche Ursachen der Kleptomanie – die genaue Entstehung ist jedoch unklar. In einigen Fachkreisen glaubt man etwa, dass
- das Wissen, etwas Verbotenes zu tun, für einen Nervenkitzel und Lustgewinn sorgt,
- eine masochistische Neigung vorliegt und Betroffene insgeheim und unbewusst auf eine Bestrafung hoffen
- oder verstecke Aggressionen der Auslöser sind.
Auch eine Störung in der Affekt- und Impulskontrolle wird häufig als Grund für Kleptomanie angegeben. Fast die Hälfte der Betroffenen zeigt zusätzlich eine Persönlichkeitsstörung, etwa eine paranoide, schizoide oder Borderline-Störung. Das zwanghafte Stehlen ist vermutlich auf Traumata im Kindesalter zurückzuführen. Ein Zusammenhang zwischen Störungen im Frontalhirn sowie der Serotonintransmission und der Kleptomanie wird ebenfalls in Betracht gezogen.
Komorbidität Essstörung: Gibt es einen Zusammenhang?
Untersuchungen zeigen, dass Betroffene einer Kleptomanie überdurchschnittlich häufig zusätzlich an einer Essstörung leiden. Insbesondere Personen mit Bulimie und Anorexie (Magersucht, Anorexia nervosa) scheinen zum pathologischen Stehlen zu neigen.
Ein Erklärungsmodell geht davon aus, dass sich bei Betroffenen einer Essstörung der Stehlzwang von Lebensmitteln oder Geld zur Beschaffung von Lebensmitteln einstellt, da ein erhöhter Bedarf an Nahrung vorliegt. In diesem Fall wäre die Kleptomanie eine Folge der Essstörung.
Andere Theorien stützen sich auf die Annahme, dass pathologisches Stehlen und Essstörungen aufgrund von ähnlichen Faktoren entstehen. So könnten sowohl bulimische oder anorektische Verhaltensweisen (etwa Hungern mit der Folge einer Gewichtsabnahme) als auch Stehlen zu einem Erfolgserlebnis führen und den Betroffenen kurzfristig ein Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln.
Wie verhalten sich Menschen mit Kleptomanie?
Charakteristisch für Kleptomanie ist der immer stärker werdende Drang, etwas zu stehlen. Irgendwann ist die Anspannung so groß, dass die Betroffenen diesem Impuls nicht mehr widerstehen können – und zugreifen. Dieses Druckgefühl äußert sich oft auch körperlich. Häufige Symptome sind etwa
- starkes Schwitzes (Hyperhidrose)
- innere Unruhe (Nervosität)
- Schwindelgefühle
- Magen-Darm-Beschwerden
- starkes Herzklopfen oder Herzrasen (Tachykardie)
Zu typischen Tatorten zählen Supermärkte oder Selbstbedienungsläden. Während und nach der Tat stellt sich für eine gewisse Zeit Erleichterung ein, bis der Drang zum Stehlen erneut wächst.
In der Regel hat die gestohlene Ware für Betroffene keinen Nutzen. Auch handelt es sich meist um Gegenstände ohne großen materiellen Wert. Die Auswahl erscheint vielmehr wahllos – was man auch daran erkennt, dass das Diebesgut häufig wieder entsorgt oder verschenkt wird. Andere horten die gestohlene Ware oft noch in der Originalverpackung.
Obwohl sie immer wieder starke Schuld- und Schamgefühle verspüren, schaffen es Menschen mit Kleptomanie nicht, das Stehlen zu unterlassen. Sie versuchen, ihre Taten zu verheimlichen. Viele Betroffene fühlen sich zunehmend depressiv, weil sie nicht wissen, wie sie ihr Problem in den Griff bekommen sollen.
Wie wird Kleptomanie diagnostiziert?
Fachleute vermuten, dass sich ein Großteil der Betroffenen aus Scham und Angst scheut, ärztlichen Rat aufzusuchen. Daher bleibt die Erkrankung oft jahrelang unbemerkt. Häufig erfolgt die Diagnose erst, wenn Kleptoman*innen eines Ladendiebstahls überführt werden und entsprechende Auflagen bekommen.
Bei Verdacht auf Kleptomanie kann die hausärztliche Praxis eine erste Anlaufstelle sein. Um andere Erkrankungen auszuschließen, ist eine körperliche Untersuchung wichtig – so könnte wiederholter Diebstahl beispielsweise im Rahmen einer Demenz auftreten, wenn der*die Betroffene schlichtweg vergisst, die Ware zu bezahlen.
Zur weiteren Diagnostik erfolgt eine Überweisung an eine Fachpraxis: Ob tatsächlich eine Kleptomanie vorliegt, kann ein*eine Psycholog*in oder Psychiater*in herausfinden. Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem*der Betroffenen und eventuell Angehörigen können verschiedene psychologische Tests Hinweise auf eine mögliche Kleptomanie geben.
Übrigens: Auch bei einer Depression kann häufiges Stehlen ein mögliches Symptom sein, wenn Betroffene unter sogenanntem Verarmungswahn leiden. Die Person ist dann davon überzeugt, bald kein Geld mehr zu haben. Erkrankungen wie Schizophrenie, Sucht oder Manie können ebenfalls mit Diebstählen verbunden sein. Darüber hinaus kann eine Lebenskrise dazu führen, dass ein Mensch vorübergehend stiehlt.
Wie wird Kleptomanie behandelt?
Über die therapeutischen Erfolge bei Kleptomanie liegen bislang kaum gesicherte Daten vor. Dennoch sollte die psychische Erkrankung unbedingt behandelt werden. Neben einem hohen Leidensdruck kann das pathologische Stehlen auch weitreichende Folgen mit sich bringen.
Gerade, wenn die Zwangsstörung bereits bei (strafmündigen, also mindestens 14-jährigen) Kindern oder Jugendlichen auftritt und Diebstähle auffliegen, kann es bereits früh zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen. Liegt eine Diagnose vor und befindet sich der*die Betroffene in Behandlung, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass von einer Schuldunfähigkeit ausgegangen wird.
Meist kommt eine Verhaltenstherapie zum Einsatz: In der Therapie geht es darum, gezielt "umzulernen". Patient*innen sollen unter anderem lernen, sich selbst besser zu kontrollieren. So ist es empfehlenswert, wenn die Person zunächst nur noch in Begleitung einkauft, etwa mit Angehörigen. Unterstützend können Medikamente zum Einsatz kommen, die auch bei Depressionen eingesetzt werden, etwa selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer wie Paroxetin.
Zu weiteren möglichen Therapien zählen zum Beispiel psychoanalytische Ansätze, die Gestalttherapie oder eine Familientherapie. Auch gibt es mittlerweile in vielen Städten Selbsthilfegruppen für Kleptomanie.
In vielen Fällen leiden Menschen mit Kleptomanie zugleich an einer anderen psychischen Erkrankung, zum Beispiel an einer Depression, einer Essstörung oder einer Angsterkrankung. Daher ist es wichtig, in einer Therapie diese Krankheiten ebenfalls zu behandeln.