Emetophobie: Krankhafte Angst vor dem Erbrechen
Wohl jeder ekelt sich vor Erbrochenem. Bei Menschen, die an einer Emetophobie leiden, ist dieses Gefühl deutlich stärker ausgeprägt: Die Betroffenen haben eine unnatürliche, irrationale Angst vor dem Erbrechen. Welche Folgen die Angststörung haben kann und was Betroffenen hilft, lesen Sie hier.
Emetophobie: Was ist das?
Emetophobie bezeichnet die irrationale, krankhafte Angst vor dem Erbrechen. Die Störung zählt zu den spezifischen isolierten Phobien, was bedeutet, dass eine irrationale Angst vor einer spezifischen, grundsätzlich harmlosen Sache besteht. Diese Furcht muss sich aber nicht ausschließlich auf das eigene Erbrechen beschränken. Die Kriterien für Emetophobie beinhalten
- die Angst davor, selbst zu erbrechen und/oder
- die Angst davor, mitzuerleben, wie sich andere übergeben.
Generell mit der Thematik des Erbrechens konfrontiert zu werden, sei es in Gesprächen, auf Fotos oder in Filmen, kann bei Phobiker*innen eine krankhafte Panik auslösen und Gefühle von Ekel und Abscheu hervorrufen. Das führt bei vielen Betroffenen zu einem hohen Leidensdruck, ihr gesamter Alltag und vor allem ihr Sozialleben leidet unter der Erkrankung.
Abzugrenzen von der Emetophobie ist die sozialphobische Brechangst. Dabei handelt es sich um eine Sozialphobie, bei der die Ängstlichkeit nicht auf den Akt des Erbrechens selbst gerichtet ist, sondern vielmehr auf die Reaktion anderer Menschen auf das eigene Erbrechen. Hier beschränkt sich die Angst vor dem Übergeben meist auf das Erbrechen im öffentlichen Raum.
Wer ist von Emetophobie betroffen?
Fachleuten zufolge entwickelt sich die psychische Störung meist im Kindesalter, wird aber oft erst spät oder gar nicht erkannt, sodass Betroffene bis ins Erwachsenenalter an Emetophobie leiden. Schätzungen ergeben, dass in Deutschland rund sechs bis sieben Prozent der Frauen und zwischen 2 und 3 Prozent der Männer betroffen sind.
Wie entsteht eine Emetophobie?
Bei Emetophobie handelt es sich um eine noch relativ unbekannte und unerforschte Krankheit. Aus diesem Grund wissen Fachleute noch nicht sicher, durch welche Ursachen die Angststörung ausgelöst wird.
Expert*innen vermuten als Auslöser ein traumatisches Erlebnis. Zum Beispiel, dass sie sich in früher Kindheit mit Erbrochenem beschmutzt und die Eltern darauf unwirsch und genervt reagierten haben. Daraus entwickelte sich dann die Empfindung, dass sie, wenn sie sich übergeben, Liebe und Zuneigung verlieren. Auch Erkrankungen wie ein schwerer Magen-Darm-Infekt, bei dem sich ein Kind besonders häufig übergeben musste, kann als Auslöser infrage kommen.
Typische Anzeichen einer Emetophobie
Das Krankheitsbild bei Emetophobie kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Typisch sind folgende Merkmale:
- stark ausgeprägte und lange anhaltende Angst vor dem Erbrechen
- stark ausgeprägte Furcht vor auftretender Übelkeit, da diese möglicherweise zum Erbrechen führt
- Angst vor der Konfrontation mit dem Thema Erbrechen, etwa in Gesprächen oder Medien
- ständige Befürchtung, mit Krankheitserregern in Berührung zu kommen, die wiederum zu Übelkeit und Erbrechen führen können und damit oft ein übertriebenes Hygienebedürfnis
- Hang zur Hypochondrie und besondere Sensibilität für Körperreaktionen wie Unwohlsein oder Bauchschmerzen
- Bewusstsein, dass die verspürte Angst übertrieben ist (gilt nur bei Jugendlichen und Erwachsenen, Kinder haben dieses Bewusstsein meist noch nicht)
- Sicherheitsverhalten: Oft tragen Phobiker*innen Anti-Brechmittel bei sich, die sie einnehmen, sobald sie geringste Zeichen von Übelkeit spüren. Andere Medikamente, in deren Beipackzettel Übelkeit oder Erbrechen als Nebenwirkungen aufgelistet sind, nehmen sie hingegen oft nicht – selbst, wenn diese ärztlich verschrieben wurden.
Mögliche Folgen einer Emetophobie
Betroffene verspüren in der Regel einen hohen Leidensdruck, da ihr Alltag mit Emetophobie von einem permanenten Vermeidungsverhalten bestimmt wird. Aus Angst, mit dem eigenen oder fremden Erbrechen konfrontiert zu werden, nehmen Emetophobiker*innen zum Beispiel nicht an gesellschaftlichen Aktivitäten teil und meiden größere Menschenmengen. Auf Partys, Betriebsfeiern oder in Diskotheken befürchten sie, Betrunkenen zu begegnen, die sich übergeben müssen. Auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie Flugreisen sind häufig mit Panik verbunden.
Viele Betroffene halten sich zudem von kleinen Kindern, Schwangeren und Kranken fern. Mitunter kann die Angststörung sogar einem Kinderwunsch im Wege stehen – nicht nur aufgrund der Schwangerschaftsübelkeit, sondern auch aus Angst vor Situationen, in denen sich das eigene Kind erbricht.
Gestörtes Essverhalten durch Emetophobie
Einige Emetophobiker*innen entwickeln darüber hinaus ein gestörtes Essverhalten. Aus Angst, sich beim Essen den Magen zu verderben und sich in der Folge übergeben zu müssen, vermeiden Betroffene vermeintlich „gefährliche“ Lebensmittel wie Eier, Fleisch und Fisch. Auch Restaurants und sämtliche Orte, an denen Erkrankte keinen Einblick in die Zubereitung der Speisen haben, können Angst auslösen.
Mahlzeiten werden von einer ständigen Angst begleitet, Genuss empfinden Betroffene kaum. Das kann dazu führen, dass Menschen mit Emetophobie ihre Lebensmittelauswahl erheblich einschränken und Portionsgröße und Frequenz der Mahlzeiten so minimieren, dass sie stark an Gewicht verlieren. Daraus entwickelt sich jedoch ein Teufelskreis: Die Angst vor Übelkeit und Erbrechen führt dazu, dass viele Emetophobiker*innen regelrecht hungern – das ruft wiederum Übelkeit und Schwindelgefühle hervor.
Vielen Menschen mit Emetophobie wird daher zunächst die Diagnose "Essstörung" gestellt – etwa Magersucht (Anorexie) oder eine selektive Essstörung, bei der Betroffene zwanghaft nur bestimmte Lebensmittel zu sich nehmen.
Emetophobie kann Panikattacken auslösen
Müssen sich Emetophobiker*innen tatsächlich übergeben oder sind dabei, wenn sich jemand anderes erbricht, nimmt die Angst oft panikartige Zustände an: Es kommt zu Körperreaktionen wie Herzrasen, Beklemmungs- und Unwirklichkeitsgefühlen, Schwindel und Benommenheit.
Eine solche Panikattacke kann aber auch schon auftreten, wenn Betroffene lediglich befürchten, mit dem Erbrechen konfrontiert zu werden. Als phobischer Stimulus (Trigger) kommen etwa Gerüche oder Geräusche infrage, die Erkrankte mit dem Erbrechen verbinden. Für Außenstehende ist es oft nicht klar erkennbar oder nachvollziehbar, warum ein bestimmter Reiz bei Betroffenen einen derartigen Panikzustand auslöst.
Soziale Isolation durch Emetophobie
Ein normales soziales Leben ist für viele Menschen mit Emetophobie kaum möglich. So gelten die Betroffenen häufig als langweilige Stubenhocker. Auch Freundschaften aufrechtzuerhalten, fällt manchen schwer, da sie Verabredungen häufig kurzfristig absagen. Das schulische und berufliche Leben leidet ebenso stark unter dieser psychischen Störung.
Wie wird Emetophobie diagnostiziert?
Bis die Diagnose Emetophobie gestellt wird, vergeht häufig viel Zeit. Das liegt zum einen an der mangelnden Bekanntheit der Erkrankung, sowohl vonseiten der Ärzt*innen als auch der Betroffenen, die die psychische Störung nicht als solche erkennen und daher keinen ärztlichen Rat aufsuchen.
Zum anderen werden zunächst oft Fehldiagnosen gestellt, da es bei der Symptomatik zu zahlreichen Überschneidungen mit anderen Erkrankungen kommt. Dazu zählen etwa
- körperliche Erkrankungen wie Reizdarm oder eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED)
- weitere Angsterkrankungen wie Sozialphobie
- Zwangserkrankungen wie Essstörungen
Da die Emetophobie häufig mit Übelkeit und Unwohlsein einhergeht, konsultieren Betroffene oft zunächst den*die Allgemeinmediziner*in. Sofern körperliche Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden können, folgt dann in der Regel eine Überweisung in eine psychosomatische oder psychologische Praxis.
Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang noch keine geregelten Diagnosekriterien für eine Emetophobie. Mediziner*innen bedienen sich daher zum Beispiel Fragekatalogen, die zur Diagnosestellung anderer Angststörungen entwickelt wurden.
Was hilft bei Emetophobie?
Ist die Diagnose Emetophobie gestellt, lässt sie sich insbesondere mit einer Verhaltenstherapie behandeln – genauer gesagt, mit einer verhaltenstherapeutischen Reizkonfrontation (Konfrontationstherapie). Ähnlich wie Menschen, die ihre Spinnenangst bekämpfen, indem sie eine Spinne in die Hand nehmen, setzen sich die Betroffenen auch hier den Situationen aus, vor denen sie sich fürchten.
Behandlung durch Konfrontation
Beim Konfrontationstraining von Emetophobiker*innen müssen jedoch meist "Ersatzreize" herhalten. Denn Orte, an denen man Menschen beim Übergeben zusehen kann, lassen sich kaum gezielt aufsuchen. Daher setzen Therapeut*innen beispielsweise Videos ein, die entsprechende Szenen enthalten. Um der Angstspirale zu entkommen, sollen Betroffene sich darüber hinaus in Situationen begeben, die sie zuvor gemieden haben: Feiern, eine Fahrt mit der U-Bahn oder ein Essen im Restaurant. Dadurch lernen sie nicht nur, ihre Angst zu überwinden, sondern kehren auch Stück für Stück in ein "normales" soziales Leben zurück.
Als weitere effektive Methode hat sich das sogenannte Biofeedback bewährt: Betroffene erlernen mithilfe von computergestützten Messungen, ihren eigenen Körper besser zu spüren, eine tiefere Atemtechnik zu entwickeln und so die permanente Übelkeit zu lindern. Daneben kann auch ein Austausch mit anderen Betroffenen hilfreich sein, etwa im Rahmen von Selbsthilfegruppen.