Eine Frau kauert ängstlich an einer Wand.
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Psychose – Wenn der Bezug zur Realität verloren geht

Von: Wiebke Posmyk (Medizinjournalistin, Diplom-Pädagogin, M.A. Media Education), Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation)
Letzte Aktualisierung: 07.11.2022

Halluzinationen, Zwangsgedanken, irrationale Ängste: Eine Psychose kann mit verschiedenen Symptomen einhergehen, die zu einem hohen Leidensdruck bei Betroffenen und ihren Angehörigen führen. Wie sehen mögliche Frühwarnzeichen aus? Welche Ursachen sind für eine Psychose verantwortlich und wie lässt sie sich behandeln?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

FAQ: Häufig gestellte Fragen

Eine Psychose ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Oberbegriff für verschiedene psychische Störungen, die mit Realitätsverlust und weiteren Symptomen einhergehen. Schizophrenie ist eine konkrete Erkrankung, die mit psychotischen Beschwerden einhergehen kann. In diesem Fall sprechen Fachleute von einer schizophrenen Psychose.

Einige Symptome kündigen die Psychose schon weit im Vorfeld an. Dazu zählen etwa depressive Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, Angstzustände und Verwirrtheit. Da diese Beschwerden aber auch Anzeichen anderer psychischer Erkrankungen sein können, gestaltet sich die Früherkennung einer Psychose oft schwierig.

Bislang konnte nicht abschließend geklärt werden, wodurch eine nicht-organische (nicht körperlich begründete) Psychose ausgelöst wird. Fachleute gehen von einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus, etwa von einer genetischen Vorbelastung und Traumata in der Kindheit. Starker andauernder Stress kann die Entstehung einer Psychose vermutlich nicht auslösen, aber begünstigen, wenn zusätzliche Merkmale erfüllt sind.

Was ist eine Psychose?

Psychose ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche psychische Störungen. Bei einer Psychose ist der Bezug zur Realität und zum eigenen Selbst gestört. Dies führt zu Beeinträchtigungen, die unter anderem das

  • Denken,
  • Wahrnehmen
  • und die Motorik

betreffen. Der Begriff Psychose wurde vermutlich erstmals 1845 vom Österreicher Ernst von Feuchtersleben verwendet.

Die Psychose zeigt sich nicht durch ein einheitliches Krankheitsbild. Jedoch gibt es charakteristische Symptome, die bei vielen Betroffenen auftreten. Bei einigen kommt es etwa zu Halluzinationen. Sie hören zum Beispiel Stimmen, die es nicht gibt. Andere leiden unter Wahnvorstellungen und fühlen sich verfolgt. Wieder andere können keinen klaren Gedanken fassen oder haben mehrere Gedanken zur gleichen Zeit. Kurz: Die Bandbreite der möglichen Symptome ist groß.

Menschen mit Psychose ist meist nicht bewusst, dass sie krank sind. Wahnvorstellungen oder Halluzinationen wie Stimmenhören erscheinen während einer Psychose absolut real. Je nach Ausmaß der Psychose kann sie das Leben eines Menschen erheblich verändern. Manchen fällt es schwer, allein ihren Alltag zu bewältigen. Hinzu kommt, dass Psychotiker*innen von Außenstehenden oft als beängstigend wahrgenommen und ausgegrenzt werden.

Häufigkeit und Vorkommen

Da es so viele unterschiedliche psychotische Störungen gibt, fehlen genaue Angaben zur Häufigkeit. An der zu den Psychosen gehörenden Schizophrenie erkranken nach aktuellem Forschungsstand beispielsweise 0,7 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens. Oft entstehen Psychosen zwischen der Pubertät und dem 35. Lebensjahr. Sie können aber auch in höherem Lebensalter vorkommen. Psychosen bei Kindern sind relativ selten.

Psychose: Die Ursachen sind vielfältig

Fachleute unterscheiden bei den Ursachen einer Psychose vor allem zwischen

  • nicht-organisch und
  • organisch bedingten Psychosen.

Nicht-organisch bedingte Psychosen

Bei einer nicht-organisch bedingten Psychose lässt sich keine direkte körperliche Ursache für die Erkrankung feststellen. Die genaue Entstehung ist ungeklärt.

Fachleute gehen davon aus, dass mehrere Faktoren zusammentreffen müssen, damit eine nicht-organische Psychose ausbricht. Je nach Störungsbild erhöhen zum Beispiel Infekte, Traumata und Umwelteinflüsse das Risiko. Zudem spielt eine genetische Komponente eine Rolle: Manche Personen sind besonders anfällig für eine nicht-organisch bedingte Psychose.

Zu den nicht-organisch bedingten Psychosen zählen etwa

  • schizophrene Psychosen,
  • affektive Psychosen im Rahmen von Manie oder Depression und
  • schizoaffektive Psychosen (Kombination von Symptomen der schizophrenen und der affektiven Psychose).

Bei einer affektiven und schizoaffektiven Psychose kommt es neben psychotischen Symptomen zu einer krankhaften Veränderung der Affektivität, also der Stimmung beziehungsweise den Emotionen der betroffenen Person.

Organisch bedingte Psychosen

Hinter einer organisch bedingten Psychose verbirgt sich immer eine eindeutige körperlich begründbare Ursache.

Mögliche Ursachen sind zum Beispiel die Einnahme von Drogen (Psychostimulanzien) wie LSD, Cannabis (Cannabis-Psychose), Kokain oder Alkohol (Alkoholdelir) sowie Nebenwirkungen von Medikamenten, etwa von Kortikosteroiden oder Levodopa.

Auch organische Erkrankungen und körperliche Veränderungen können eine Psychose begünstigen:

Diese Symptome können auf eine Psychose hinweisen

Grundsätzlich unterscheiden Fachleute im Rahmen einer Psychose zwischen

  • Plussymptomen (Positivsymptomen), bei denen das normale Erleben übersteigert ist, sowie
  • Minussymptomen, bei denen bestimmte Vorgänge eingeschränkt sind, etwa die Fähigkeit, Freude zu empfinden.

Die "klassische" Psychose gibt es nicht. Eine Psychose kann je nach Krankheitsbild unterschiedliche Symptome zeigen. Nicht immer treten alle der möglichen Symptome auf, zudem sind die Beschwerden unterschiedlich schwer ausgeprägt. Jedoch gibt es einige Merkmale, die bei Psychosen häufig auftreten.

Halluzinationen

Halluzinationen sind Wahrnehmungsstörungen. Erkrankte nehmen Dinge wahr, die in der Realität nicht vorhanden sind. Dabei können alle Sinne betroffen sein, etwa Geruch, Gehör oder Geschmack. Betroffene…

  • hören Stimmen, die Befehle geben oder Situationen kommentieren.
  • nehmen (meist unangenehme) Gerüche oder Geschmäcker wahr, die objektiv nicht existieren.
  • sehen Menschen, Lichtblitze oder Gegenstände, die nicht vorhanden sind.
  • haben das Gefühl, elektrischer Strom würde durch ihren Körper fließen.

Inhaltliche Denkstörungen

Inhaltliche Denkstörungen können sich auf verschiedene Weise äußern:

  • Überwertige Ideen: Von überwertigen oder fixen Ideen spreche Fachleute, wenn das Denken und Handeln immer wieder um eine bestimmte Überzeugung kreisen. Die Glaubenssätze der Betroffenen sind emotional stark besetzt, meist negativ. Der Übergang zur Wahnvorstellung ist dabei fließend.
  • Wahnvorstellungen: Die Vorstellungen und Überzeugungen der Betroffenen weichen stark von der Realität ab und Situationen werden falsch interpretiert. Im Gegensatz zur überwertigen Idee ist die Person so im Wahn gefangen, dass sie sich nicht vom Gegenteil überzeugen lässt. Betroffene fühlen sich etwa verfolgt oder leiden unter ständigem Misstrauen, dass ihr Umfeld sie beobachtet oder manipuliert.
  • Zwangsgedanken: Erkrankte leiden unter immer wiederkehrenden, sich aufdrängenden Gedanken, die teilweise aggressiv oder obszön sind. Betroffene befürchten etwa, sie könnten andere Personen körperlich angreifen.

Formale Denkstörungen

Tritt im Rahmen einer Psychose eine formale Denkstörung auf, ist etwa der Ablauf der Gedanken beeinträchtigt; die Person wirkt zum Beispiel unkonzentriert oder verwirrt. Der Wortschatz ist eingeschränkt, das Denken ist verlangsamt und nur auf wenige Themen bezogen. Betroffene erfinden neue Wortkombinationen und Begriffe (Neologismen), gesprochene Sätze erscheinen zusammenhangslos. Gedanken reißen plötzlich ab und die Umwelt scheint nicht real (Derealisation).

Ich-Störungen

Betroffene einer Psychose können nicht mehr oder nur schwer zwischen sich und der Umwelt unterscheiden. So empfindet sich die Person etwa als fremd, beispielsweise hat sie das Gefühl, sie existiere schlichtweg nicht oder ihr Arm gehöre nicht zu ihr (Depersonalisation). Mitunter sind Erkrankte überzeugt, Gedanken lesen zu können oder sie glauben, dass ihre Gedanken von einer äußeren Macht geraubt werden (Gedankenentzug).

Weitere Anzeichen einer akuten Psychose

Viele Psychotiker*innen ziehen sich mehr und mehr von der Außenwelt zurück. Oft treten zudem Stimmungsschwankungen auf. Manche Betroffene leiden unter Ängsten oder Depressionen. Häufig können sie ihren Alltag ohne fremde Hilfe nicht mehr bewältigen. Antrieb und Konzentrationsfähigkeit können eingeschränkt sein. Auch psychomotorische Symptome wie starke Unruhezustände oder vorübergehende körperliche Bewegungslosigkeit sind möglich.

Mögliche Frühwarnzeichen einer Psychose

Der organisch bedingten Psychose gehen in der Regel keine Frühsymptome voraus, vielmehr tritt sie plötzlich in Erscheinung. Eine nicht-organisch bedingten Psychose wie die schizophrene Psychose kündigen sich jedoch meist durch unspezifische Frühsymptome an (Prodromalsymptome). Schon Monate oder Jahre vor dem eigentlichen Krankheitsausbruch können diese Frühsymptome in Erscheinung treten.

Häufig ist die Symptomatik allerdings so unspezifisch, dass Betroffene und Angehörige sie nicht als mögliche Anzeichen für eine spätere Psychose deuten. Zu möglichen Frühsymptomen zählen beispielsweise:

  • sozialer Rückzug, z. B. brechen Betroffene den Kontakt zu Freund*innen und Familie ab
  • Probleme bei der Bewältigung des Alltags, etwa im Beruf
  • Unruhe, Angstzustände, Depressionen
  • mangelnde Lebensfreude
  • Schlafstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Verlust des Antriebs und der Leistungsfähigkeit

Wichtig: Derartige Symptome können auf eine Psychose hinweisen, aber auch Zeichen einer anderen Erkrankung sein oder infolge psychischer Belastung auftreten.

Wie wird eine Psychose behandelt?

Je früher eine Psychose behandelt wird, desto besser. Mithilfe einer frühzeitigen Therapie lässt sich der Verlauf meist günstig beeinflussen.

Die Therapie einer Psychose hängt vor allem davon ab,

  • ob es sich um eine organisch oder um eine nicht-organisch bedingte Form der Psychose handelt und
  • wie schwer die Symptome ausgeprägt sind.

Während in leichten Fällen eine ambulante Therapie oder der Aufenthalt in einer Tagesklinik ausreichend ist, müssen Personen mit starken Symptomen stationär aufgenommen werden.

Die Behandlung ist häufig eine Herausforderung für Ärzt*innen und Angehörige. Oft glauben Betroffene nicht, dass sie krank sind und verweigern die Zusammenarbeit.

Behandlung von nicht-organisch bedingten Psychosen

Bei nicht-organisch bedingten Psychosen wie der Schizophrenie besteht die Behandlung meist aus mehreren Komponenten. In der Regel erhalten Patient*innen Medikamente zur Behandlung von psychischen Erkrankungen (Psychopharmaka) sowie eine Psychotherapie und/oder eine Soziotherapie.

Soziotherapie und Angehörigenarbeit

Während die Psychotherapie unter anderem dazu dient, mögliche Einflussfaktoren herauszufinden, soll die Soziotherapie dabei helfen, den Alltag besser zu bewältigen. Ein wichtiger Faktor, der entscheidend zur Besserung der Symptome einer Psychose beiträgt, ist ein stabiles soziales Netzwerk. Daher kann sogenannte Angehörigenarbeit ebenfalls ein wichtiger Teil der Behandlung sein: Dabei lernen nahestehende Angehörige etwa, wie sie mit einem erkrankten Familienmitglied umgehen.

Medikamentöse Therapie einer Psychose

Medikamente aus der Gruppe der Antipsychotika (Neuroleptika), darunter etwa Benzodiazepine, beeinflussen den psychischen Zustand der Betroffenen und können einige der typischen Symptome reduzieren, so zum Beispiel Halluzinationen. Meist müssen diese Medikamente über mehrere Jahre oder dauerhaft eingenommen werden, um einen Rückfall zu verhindern. Je nach Krankheitsbild können auch andere Medikamente zum Einsatz kommen, zum Beispiel Antidepressiva.

Behandlung von organisch bedingten Psychosen

Bei einer organisch bedingten Psychose, also einer Psychose, bei der eine äußere Ursache feststellbar ist, liegt der Fokus darauf, den Auslöser zu beheben. Ist zum Beispiel ein Gehirntumor für die Psychose verantwortlich, wird es das Ziel sein, diesen entsprechend zu behandeln.

Gelingt es, die Ursache zu beseitigen, bildet sich eine akute körperlich bedingte Psychose häufig ohne Folgen zurück. Mithilfe von Psychopharmaka können die Beschwerden vorübergehend gelindert werden.

Krankheitsverlauf und Prognose einer Psychose

Der Verlauf einer Psychose hängt in erster Linie davon ab, ob es sich um eine organisch bedingte oder nicht-organisch bedingte Form handelt.

Abhängig von der Ursache der Erkrankung und Ausprägung der Symptome kann der Verlauf einer Psychose unterschiedlich sein:

  • In manchen Fällen tritt nur ein einmaliger Schub auf.
  • Bei anderen Betroffenen tritt die Psychose phasenhaft auf: Sie erleben immer wieder psychotische Schübe. Zwischen den Schüben sind sie weitgehend beschwerdefrei.
  • Es kann aber auch vorkommen, dass die Symptome nicht mehr vollständig zurückgehen und dauerhaft bestehen bleiben.

Grundsätzlich gilt: Je eher die Störung diagnostiziert und therapiert wird, desto größer ist die Chance auf vollständige Heilung. Wichtig ist zudem ein stabiles soziales und berufliches Umfeld, das den Betroffenen eine geordnete Struktur und Sicherheit bietet. Stress, Überforderung und unbeständige Beziehungen können den Krankheitsverlauf einer Psychose dagegen verschlechtern.

Kann man einer Psychose vorbeugen?

Einer nicht organisch bedingten Psychose lässt sich nach aktuellem Wissensstand nicht vorbeugen. Das Risiko, eine organisch bedingte Psychose zu entwickeln, lässt dagegen senken, indem

  • keine Drogen konsumiert werden,
  • körperliche und psychische Grunderkrankungen, die als mögliche Auslöser einer Psychose bekannt sind, konsequent behandelt werden.

Grundsätzlich ist es hilfreich, mögliche Warnzeichen einer Psychose zu kennen, sodass bei ersten Anzeichen ärztlicher Rat gesucht und eine Diagnose gestellt werden kann. Menschen, die entsprechende Symptome bei sich oder Angehörigen feststellen und befürchten, an einer Psychose zu erkranken, können darüber hinaus sogenannte Sprechstunden für Früherkennung besuchen. Hier wird das Psychoserisiko der betroffenen Person ermittelt und im Bedarfsfall über Behandlungsmöglichkeiten informiert.