Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs: Steigt das Risiko?
Dass der Mensch sich bei Tieren mit Krankheiten anstecken kann, ist nichts Neues. Doch seit einiger Zeit scheinen Ausbrüche von Krankheiten tierischen Ursprungs zuzunehmen: wie etwa Ebola, Vogelgrippe oder Covid-19. Stimmt das? Und wie lässt sich das Risiko senken?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs: Steigt das Risiko?
Infektionskrankheiten, die zwischen Mensch und (Wirbel-)Tier übertragbar sind, heißen Zoonosen. Dazu zählen viele altbekannte Erkrankungen. Eine der bekanntesten Zoonosen ist die Tollwut. Noch heute sterben daran weltweit jedes Jahr rund 60.000 Menschen – meist infolge eines Hundebisses.
Daneben passiert es immer wieder, dass Infektionskrankheiten, deren Erreger ursprünglich von Tieren stammen, beim Menschen neu aufkommen. Entweder weil sich eine unter Menschen schon vorhandene Krankheit plötzlich stärker ausbreitet. Oder weil ein neuer Erreger auf den Menschen überspringt.
Solche neuen Krankheitserreger werden aber nur dann zu einem ernsthaften Problem, wenn sie sich an ihren neuen Wirt anpassen und nicht nur von Tier zu Mensch, sondern vor allem leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sind.
Video: Covid-19 & Co. – nehmen Krankheiten tierischen Ursprungs zu?
Wenn einem Erreger die Anpassung an den Menschen gelingt, kann er allerdings besonders gesundheitsschädlich sein und/oder sich massiv ausbreiten. Beispiele hierfür sind:
- Spanische Grippe (möglicher Ursprung: Vögel)
- Ebola (möglicher Ursprung: Flughunde oder Fledermäuse)
- HIV/AIDS (möglicher Ursprung: Affen)
- Covid-19 (möglicher Ursprung: Fledermäuse)
Etwa 60 Prozent aller Infektionskrankheiten des Menschen sind tierischen Ursprungs. Bei den neu aufkommenden Infektionskrankheiten sind es sogar mehr als drei Viertel. Oft gelangen die tierischen Erreger auf indirektem Weg zum Menschen – beispielsweise über Lebensmittel.
Warum steigt das Risiko?
Eine Zeit lang schien es, als hätten wir Krankheitserreger weitgehend im Griff: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Infektionskrankheiten zumindest in den industrialisierten Ländern deutlich rückläufig. Zu den wichtigsten Gründe hierfür zählten:
- Impfungen,
- neue Mittel gegen Bakterien und Viren,
- bessere hygienische Verhältnisse und
- mehr Sicherheit bei Bluttransfusionen.
Doch die letzten paar Jahrzehnte haben uns eines Besseren belehrt: von der Diagnose der neuartigen Infektionskrankheit AIDS über die Ebola-Epidemien in Westafrika, die Ausbrüche von Vogelgrippe und die Ausbreitung des West-Nil-Fiebers in Europa bis hin zur aktuellen Corona-Pandemie. Das legt den Schluss nahe, dass zukünftig öfter mit neu aufkommenden Zoonosen zu rechnen ist.
Ein steigendes Risiko für Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs sehen Fachleute schon seit Längerem. Ein Hauptgrund dafür ist das Bevölkerungswachstum: Heute leben über 6 Milliarden mehr Menschen auf der Erde als im Jahr 1900.
In der Folge dringt der Mensch immer weiter in die Lebensräume von Wildtieren vor. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er mit den Tieren (oder deren Ausscheidungen) in Berührung kommt und sich dabei Erreger einfängt.
Zudem ist mit der Weltbevölkerung die Anzahl der Nutztiere gestiegen, die ebenfalls an der Verbreitung neu aufkommender Infektionskrankheiten beteiligt sein können. Und auch wild lebende Tiere wie Ratten, die sich in der Umgebung des Menschen ansiedeln, kommen als Krankheitsüberträger infrage.
Hinzu kommen noch viele weitere Veränderungen, die eine Übertragung und/oder Weiterverbreitung von Krankheitserregern einfach machen – etwa in unserer Lebensweise, Nahrungsmittelproduktion oder Ernährungsweise. Hier ein paar Beispiele:
- industrielle Landwirtschaft mit ihrer Massentierhaltung
- Märkte, auf denen lebende und tote (Wild-)Tiere auf engstem Raum verkauft, geschlachtet und zubereitet werden
- Nutzung von Wildtieren als wichtigste Nahrungsquelle für tierisches Eiweiß, wie in vielen Regionen der Erde üblich (z. B. Buschfleisch in Afrika)
- Haltung von exotischen Tieren
- Entstehung großer Städte mit sehr hoher Bevölkerungsdichte
- steigende Mobilität
- zunehmender internationaler Handel
- unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika (z. B. in der Tiermast), wodurch bakterielle Erreger resistent werden können und somit schwerer zu bekämpfen sind
Ein weiterer wichtiger Risikofaktor ist der Klimawandel. Denn wenn die Temperaturen weiter steigen, können sich manche Erreger und deren Überträger (wie z. B. Mücken) leichter und weiter ausbreiten.
All dies macht deutlich, wie eng die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt miteinander verknüpft sind.
Wie lässt sich das Risiko mindern?
Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Für das Auftreten und die Verbreitung von Infektionskrankheiten ist in erster Linie der Mensch verantwortlich. Genauer: die fehlende Nachhaltigkeit im menschlichen Handeln.
Vor allem die Art und Weise, wie wir Nahrungsmittel produzieren, mit Tieren umgehen und die Umwelt verändern, sowie unser Konsumverhalten sorgen dafür, dass Krankheitserreger eher vom Tier auf den Menschen überspringen können.
Um das Risiko für neu aufkommende Krankheiten tierischen Ursprungs zu senken, muss der Mensch also schleunigst sein Verhalten ändern – und zwar weltweit. Dabei sind wir alle gefragt – Regierungen, Unternehmen und auch die "normale" Bevölkerung. Genauer gesagt sollten wir zukünftig beispielsweise:
- eiweißreiche Nahrungsmittel nachhaltiger erzeugen bzw. neue Eiweißquellen erschließen
- natürliche Ressourcen nachhaltiger nutzen
- die Landwirtschaft nachhaltiger intensivieren
- die Nutzung/Ausbeutung von Wildtieren eindämmen
- unser Konsumverhalten überdenken (z. B. regionaler einkaufen, nachhaltiger reisen)
- dem Klimawandel gegensteuern
Bei der Planung und Umsetzung der nötigen Veränderungen ist medizinisches, tiermedizinisches und ökologisches Fachwissen gefragt: Ein solcher One-Health-Ansatz ist am besten geeignet, um die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt dauerhaft zu verbessern und so beispielsweise der Übertragung von Krankheitserregern entgegenzuwirken.