Walker-Warburg-Syndrom
Das Walker-Warburg-Syndrom (WWS) ist eine seltene Erbkrankheit, bei der es zu schwerwiegenden Entwicklungsstörungen der Augen und des Gehirns kommt. Dabei handelt es sich vor allem um die sogenannte Lissenzephalie – eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die bei Neugeborenen körperliche und geistige Behinderungen verursacht.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Überblick
Eine Lissenzephalie (griech. von lissos = glatt) zeichnet sich dadurch aus, dass die Hirnrinde der Erkrankten glatt statt gefurcht ist. Die Kinder sind dadurch schwerstbehindert und bleiben lebenslang auf dem Stand eines Säuglings stehen. Die Lebenserwartung mit Walker-Warburg-Syndrom beträgt in der Regel einige Monate, in Einzelfällen auch über ein Jahr.
Die Fehlentwicklung des Gehirns ruft schwerwiegende Symptome hervor, die bereits direkt nach der Geburt sichtbar werden. Betroffene Kinder kommen häufig mit einem sogenannten Hydrocephalus – umgangssprachlich "Wasserkopf" genannt – zur Welt. Viele haben Schwierigkeiten beim Atmen und müssen künstlich beatmet werden. Zu diesen Symptomen kommen weitere Fehlbildungen, vor allem der Augen. Auch Lippen-Kiefer-Gaumenspalten treten beim Walker-Warburg-Syndrom häufig auf.
Das Walker-Warburg-Syndrom stellt der Kinderarzt bereits kurz nach der Geburt fest. Die Symptome können einen ersten Hinweis darauf geben, dass das Gehirn nicht richtig entwickelt ist. Um den Verdacht zu bestätigen, kommen bildgebende Untersuchungsmethoden wie eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz. Zusätzlich kann eine Genanalyse aus dem Blut des Kindes die Diagnose beim Walker-Warburg-Syndrom sichern.
Sind bereits Fälle von Walker-Warburg-Syndrom in der Familie bekannt, können Schwangere beim Frauenarzt testen lassen, ob die Erbkrankheit beim Kind vorliegt. Für die vorgeburtliche Untersuchung (Pränataldiagnostik) benötigt der Arzt Zellen des Kindes, die er zum Beispiel durch eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) gewinnt. Anhand dieser Zellen lässt sich untersuchen, ob das Erbgut (die DNA) beim ungeborenen Kind verändert ist.
Eine Therapie für das Walker-Warburg-Syndrom gibt es nicht. Zwar ist die Erkrankung nicht heilbar – manche Symptome lassen sich jedoch lindern.
Bislang gibt es keine Möglichkeit, dem Walker-Warburg-Syndrom vorzubeugen. Paare, in deren Familie diese Erbkrankheit bereits aufgetreten ist, können sich bei Kinderwunschgenetisch beraten lassen.
Definition
Das Walker-Warburg-Syndrom (kurz WWS) ist eine Erbkrankheit und gehört zu den sogenannten kongenitalen Muskeldystrophien (= angeborene Muskelfunktionsstörungen). Gleichzeitig ist das Walker-Warburg-Syndrom mit einer Entwicklungsstörung von Gehirn und Augen verbunden. Ein Kennzeichen der Erkrankung ist die sogenannte Lissenzephalie. Lissenzephalien (griech. von lissos = glatt) zeichnen sich durch eine gestörte Entwicklung des Gehirns aus – dadurch erscheint die Hirnrinde der betroffenen Kinder glatt anstatt gefurcht.
Viele am Walker-Warburg-Syndrom erkrankte Kinder werden bereits tot geboren oder sterben in den ersten Lebenswochen. Einige der Lebendgeborenen benötigen sofort nach der Geburt eine künstliche Beatmung. Oft kommen die betroffenen Kinder mit einem Hydrocephalus („Wasserkopf“) zur Welt – einer Abflussstörung der Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit.
Häufig treten Lippen-Kiefer-Gaumenspalten auf. Weitere Symptome sind schwere Störungen der Augen und Fehlbildungen des Kleinhirns.
Häufigkeit
Das Walker-Warburg-Syndrom ist eine sehr seltene Erbkrankheit. Nur etwa eines von circa 30.000 bis 50.000 Neugeborenen leidet daran. Je nach Literaturquelle wird die Häufigkeit sogar noch seltener angegeben.
Ursachen – veränderte Gene
Das Walker-Warburg-Syndroms (WWS) entsteht durch Veränderungen im Erbgut (der DNA). Es handelt sich um eine autosomal-rezessive Erbkrankheit.
- Autosomal: Die Genveränderung befindet sich nicht auf einem der beiden Geschlechtschromosomen, sondern auf einem der restlichen 44 Chromosomen.
- Rezessiv: Die Genveränderung führt nur dann zu einer Erkrankung, wenn das Kind die Veranlagung von beiden Elternteilen, also sowohl von der Mutter als auch vom Vater geerbt hat. Erbt ein Kind die Erbanlage nur von einem Elternteil, bricht die Erbkrankheit nicht aus.
Die Ursache für das Walker-Warburg-Syndrom ist eine Mutation in einem von mehreren Genen. Die betroffenen Gene liegen dabei auf verschiedenen Chromosomen. Bisher bekannte Gene sind:
- POMT1
- POMT2
- ISPD
- FKTN
- FKRP
- LARGE
- POMGNT1
Diese Gene spielen eine wichtige Rolle: Sie dienen dazu, ein spezielles Eiweiß (Protein) herzustellen, dessen Aufgabe es ist, ein anderes Eiweiß namens Alpha-Dystroglykan zu modifizieren, also abzuwandeln. Nur wenn Alpha-Dystroglykan durch eine sogenannte Glykosylierung modifiziert wird, ist es auch funktionsfähig.
- Glykosylierung: Der Begriff Glykosylierung beschreibt einen chemischen Ablauf, dem manche Proteine ihm Rahmen eines Reaktionsweges unterzogen werden. Bei einer Glykosylierung bindet ein Zuckerrest an einen Asparaginrest des Proteins. Proteine bestehen aus einer Kette von Aminosäuren – Asparagin kann eine davon sein.
Alpha-Dystroglykan dient dazu, das Cytoskelett, also das strukturgebende Gerüst innerhalb einer Zelle, mit den Eiweißen der gelartigen Substanz zu verbinden, die sich zwischen den Zellen befindet (der extrazellulären Matrix). Insbesondere für Muskelfaserzellen und Nervenzellen ist Alpha-Dystroglykan wichtig:
- Muskeln: Hier hilft Alpha-Dystroglykan dabei, die Muskelfaserzellen zu stabilisieren und schützt dadurch die strukturelle Integrität des Muskelgewebes.
- Nervenzellen: Während der frühen Gehirnentwicklung beim Embryo unterstützt Alpha-Dystroglykan die Nervenzellen (Neuronen) bei ihrer "Wanderung" (sog. neuronale Migration) in Richtung der grauen Substanz, die in der Hirnrinde liegt.
Beim Walker-Warburg-Syndrom kann Alpha-Dystroglykan durch die genetischen Veränderungen jedoch nicht mehr glykosyliert werden und dadurch seine Funktion nicht mehr erfüllen. Das hat Folgen:
- Muskeln: Die Stabilität des Muskels ist nicht mehr gewährleistet, da die Muskelfaserzellen nicht mit der extrazellulären Matrix verankert sind. Das schwächt die Muskelfaserzellen bzw. beeinträchtigt die Muskelfunktion und damit auf Dauer auch den Muskel an sich. Bei den Betroffenen kommt es zu einer Muskeldegeneration, der Muskeltonus wirkt oft schlaff.
- Gehirn: Im Verlauf der embryonalen Gehirnentwicklung hat das fehlerhafte Alpha-Dystroglykan weitreichende Auswirkungen: Während der Nervenzellwanderung in Richtung graue Substanz stoppen die Nervenzellen normalerweise in ihrer Bewegung, sobald sie ihren Zielort in der Hirnrinde erreicht haben. Da das fehlerhafte Alpha-Dystroglykan jedoch seine Aufgabe als "Wanderhilfe" nicht erfüllen kann, bewegen sich einige Nervenzellen über die Hirnoberfläche hinaus in die umgebende Flüssigkeit. Man nimmt an, dass dies die Ursache für die Lissenzephalie bzw. für die geringe Furchung der Hirnrinde ist.
Symptome
Das Walker-Warburg-Syndrom (WWS) verursacht zahlreiche Symptome. Grundsätzlich gilt, dass die Kinder aufgrund der Lissenzephalie im Entwicklungsstadium eines Säuglings stehen bleiben, also nicht laufen und sprechen können und gefüttert werden müssen.
Des Weiteren können beim Walker-Warburg-Syndrom folgende Symptome auftreten:
- Kleinhirnverkleinerung
- Muskelerkrankungen in Form von Muskelschwäche
- Hydrocephalus ("Wasserkopf"), also eine Vergrößerung der flüssigkeitsgefüllten Hirnventrikel
- Atmungsprobleme bereits kurz nach der Geburt
- Störungen der Augenentwicklung
- Hörprobleme
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
- flüssigkeitsgefüllter Sack am Hinterkopf (Enzephalozele)
- Fütterungs- bzw. Essstörungen
- epileptische Anfälle
- schwere geistige Beeinträchtigungen
- Lungenentzündungen (durch die Schwierigkeiten, die betroffenen Kinder bei der Nahrungsaufnahme haben, verschlucken sie sich leicht – dabei gerät Nahrung in die Atemwege, was zu einer Lungenentzündung führen kann, der sog. Aspirationspneumonie)
Diagnose
Meist stellt ein Kinderarzt beim Walker-Warburg-Syndrom (WWS) die Diagnose. In der Regel zeigen sich schon in den ersten Tagen nach der Geburt typische Symptome einer Entwicklungsstörung des Gehirns. Mithilfe von bildgebenden Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) kann der Arzt den Verdacht "Walker-Warburg-Syndrom" bestätigen. Eine genetische Untersuchung des kindlichen Bluts sichert die Diagnose der Erbkrankheit.
Vorgeburtliche Diagnose
Beim Walker-Warburg-Syndrom ist eine vorgeburtliche Diagnose (Pränataldiagnostik) möglich, zum Beispiel mittels einer Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) und einer anschließenden genetischen Bestimmung. Auch eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) kann Hinweise auf eine Entwicklungsstörung des Gehirns liefern. Da jedoch auch gesunde Ungeborene bis in die späte Schwangerschaft eine glatte Gehirnoberfläche haben, sind Ultraschalluntersuchungen hierbei nur bedingt aussagekräftig.
Therapie
Gegen die Erbkrankheit Walker-Warburg-Syndrom (WWS) gibt es keine ursächliche Therapie. Es lassen sich allenfalls bestimmte Symptome behandeln und mildern. Im Falle epileptischer Anfälle etwa können Mittel gegen Epilepsie helfen (Antiepileptika). Bei einem Hydrocephalus ("Wasserkopf") kann ein operativ eingesetzter Shunt den Hirndruck verringern.
Beim Walker-Warburg-Syndrom besteht die Therapie vor allem in einer intensiven und liebevollen Betreuung der Kinder durch die Eltern oder Pflegepersonen. Selbsthilfegruppen können den Angehörigen eine wichtige Hilfestellung beim Umgang mit dem Krankheitsbild geben.
Verlauf
Das Walker-Warburg-Syndrom (WWS) nimmt in der Regel einen schweren Verlauf: Viele der betroffenen Kinder kommen tot auf die Welt. Einige Lebendgeborene benötigen sofort nach der Geburt eine künstliche Beatmung.
Ist das Walker-Warburg-Syndrom stark ausgeprägt, sterben die Kinder in der Regel in den ersten Lebensmonaten. In Einzelfällen werden sie älter als ein Jahr.
Vorbeugen
Einem Walker-Warburg-Syndrom (WWS) kann man nicht grundsätzlich vorbeugen. Die vorgeburtliche Diagnostik (Pränataldiagnostik) bei Risikoschwangerschaften oder familiären Auffälligkeiten kann aber dazu beitragen, dass die Erbkrankheit frühzeitig erkannt wird.