Serotoninsyndrom: Wenn Serotonin krank macht
Viele Antidepressiva sollen aus dem Stimmungstief helfen, indem sie die Serotoninkonzentration im Gehirn erhöhen. Ein Zuviel dieses Botenstoffs kann jedoch zu einem Serotoninsyndrom führen. Dieses Krankheitsbild ist zwar sehr selten, aber potenziell lebensgefährlich. Es entsteht vor allem, wenn ähnlich wirkende Medikamente miteinander kombiniert werden.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Serotoninsyndrom: Wenn Serotonin krank macht
Erhöhte Körpertemperatur, motorische Störungen, zunehmende Verwirrtheit: Wenn solche Symptome nach der Einnahme von Antidepressiva auftreten, könnte ein Serotoninsyndrom dahinterstecken.
Was ist ein Serotoninsyndrom?
Bei einem Serotoninsyndrom (auch: serotonerges Syndrom) ist die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Gehirn stark erhöht. Auslöser sind sogenannte serotonerg wirkende Medikamente: Sie beeinflussen den Serotoninspiegel im zentralen Nervensystem. Dazu zählen insbesondere bestimmte Antidepressiva, aber auch einige andere Wirkstoffgruppen.
Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) ist ein Botenstoff und Hormon. Es ist an zahlreichen Körperfunktionen beteiligt. So beeinflusst es zum Beispiel die Darmtätigkeit, den Appetit, die Körpertemperatur und den Schlaf-Wach-Rhythmus. Und auch die Stimmung: Depressionen gehen mit einem Serotoninmangel im Gehirn einher. Das ist der Grund, warum viele Antidepressiva die Serotoninkonzentration beeinflussen.
Ein Serotoninsyndrom tritt zum Beispiel auf, wenn
- eine Person absichtlich oder versehentlich sehr hohe Dosen eines Antidepressivums eingenommen hat,
- der Arzt die Dosis eines Antidepressivums erhöht hat oder wenn
- verschiedene serotonerg wirkendeArzneimittel miteinander kombiniert werden.
Diese Symptome weisen auf ein Serotoninsyndrom hin
Die ersten Symptome eines Serotoninsyndroms zeigen sich innerhalb von 24 Stunden nach der Medikamenteneinnahme. Je nach Schwere des Syndroms sind die Beschwerden unterschiedlich stark ausgeprägt.
Mögliche Symptome eines Serotoninsyndroms sind:
- eine erhöhte Körpertemperatur (Hyperthermie), Schüttelfrost, Schwitzen
- motorische Störungen, z.B.
- Muskelsteifheit
- krampfartige Muskelzuckungen
- erhöhte Muskelspannung
- Zittern
- übersteigerte Reflexe
- Angst, Unruhe, Verwirrtheit
- Aufmerksamkeits- und Orientierungsstörungen, getrübtes Bewusstsein
- Durchfall, Übelkeit, Erbrechen
- schneller Puls, Herzrasen
- Bluthochdruck, starke Blutdruckschwankungen
- Kopfschmerzen
- Schwindel
In schweren Fällen ist das Serotoninsyndrom lebensbedrohlich. Symptome eines solchen schweren Verlaufs sind
- eine sehr hohe Körpertemperatur
- Krämpfe
- Delirium bis hin zum Koma
- Gerinnungsstörungen
- Nierenprobleme bis hin zum Nierenversagen
- Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zum Herzversagen
Gut zu wissen: Wenn die Medikamente vom behandelnden Arzt verschrieben werden und der Patient sie nach Vorschrift einnimmt, ist die Wahrscheinlichkeit für ein Serotoninsyndrom sehr gering. Rechtzeitig erkannt kann es in der Regel gut behandelt werden, indem man die Medikamente unverzüglich absetzt. Wichtig ist daher, mögliche Symptome ernst zu nehmen – und im Zweifel den Arzt aufzusuchen.
Ursachen: So entsteht ein Serotoninsyndrom
Botenstoffe (Neurotransmitterstoffe) wie Serotonin, Adrenalin, Acetylcholin oder Glutamat spielen bei der Übertragung von Reizen eine wichtige Rolle. Ob eine rote Ampel, ein feiner Geruch oder das Klingeln des Telefons: Sobald der Mensch einen Reiz wahrnimmt, werden zahlreiche Nervenzellen aktiv. Die Reize werden als elektrische Impulse von Nervenzelle zu Nervenzelle an ihren Zielort weitergeleitet.
Allerdings kann ein Impuls nicht ohne weiteres von Zelle zu Zelle gelangen. Der Grund: Jeweils zwischen zwei benachbarten Nervenzellen befindet sich ein kleiner Spalt – der sogenannte präsynaptische Spalt. Diesen kann der elektrische Impuls ohne Hilfe nicht überwinden.
Hier kommen die Neurotransmitterstoffe ins Spiel: Sie werden von der Endigung der erregten Nervenzelle ausgeschüttet. Anschließend docken sie an eine Kontaktstelle (Synapse) der benachbarten Nervenzelle an und überbrücken so den präsynaptischen Spalt. Nun kann die Information von einer Zelle zur nächsten gelangen. Anschließend nimmt die ausschüttende Nervenzelle das Serotonin wieder auf oder es wird im Körper abgebaut.
Serotonin ist also für den menschlichen Körper unverzichtbar. Wenn sich jedoch durch entsprechende Medikamente zu viel Serotonin zwischen den Nervenzellen befindet, werden deren Kontaktstellen regelrecht mit Impulsen überschwemmt und übererregt – ein Serotoninsyndrom entsteht.
Welche Medikamente können das Serotoninsyndrom auslösen?
Auslöser des Serotoninsyndroms sind sogenannte serotonerg wirkende Arzneimittel. Diese Medikamente verändern den Serotoninspiegel durch unterschiedliche Wirkmechanismen. Einige verhindern zum Beispiel, dass Serotonin zu schnell wieder in eine Nervenzelle aufgenommen wird und länger im Spalt zwischen den Nervenzellen verbleibt. Andere hemmen den Abbau von Serotonin. Und wieder andere sorgen dafür, dass die Zellen mehr Serotonin freisetzen.
Zu serotonerg wirkenden Medikamenten zählen Antidepressiva wie
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), z.B. Paroxetin, Citalopram oder Fluoxetin
- Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), z.B. Venlafaxin oder Duloxetin und
- MAO-Hemmer, z.B. Moclobemid oder Tranylcypromin
Trizyklische Antidepressiva wie Imipramin und Clomipramin beeinflussen ebenfalls den Serotoninspiegel.
Aber auch Arznei- und Rauschmittel anderer Wirkstoffgruppen wirken serotonerg, zum Beispiel
Vor allem Kombinationen können problematisch sein
Für sich allein genommen stellen serotonerg wirkende Medikamente meist kein Problem dar. In hohen Dosen oder bei einer Dosiserhöhung kann es zwar zu einem Serotoninsyndrom kommen, meist ist dieses dann jedoch nur schwach ausgeprägt und nicht lebensbedrohlich.
Schwere Verläufe sind vielmehr auf die Kombination mehrerer Medikamente zurückzuführen. Manche Kombinationen stellen kein großes Risiko dar. Andere schon: Dazu zählt vor allem die gleichzeitige oder zeitnahe Einnahme vonSSRI/SSNI und einem MAO-Hemmer. Diese Wirkstoffgruppen sollten nicht miteinander kombiniert werden. Auch das zu den trizyklischen Antidepressiva zählende Clomipramin verträgt sich nicht mit einem MAO-Hemmer.
Das Risiko einer zeitgleichen Einnahme von SSRI und SSNI mit Migränemedikamenten aus der Gruppe der Triptane wurde in der Vergangenheit hingegen überbewertet. Mittlerweile gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Serotoninsyndroms bei dieser Medikamentenkombination sehr gering ist.
Bei gleichzeitiger Einnahme mehrerer serotonerg wirkender Mittel sollten Arzt und Patient besonders aufmerksam sein.
Wie wird ein Serotoninsyndrom behandelt?
Wichtigste Maßnahme bei einem Serotoninsyndrom: Der Patient darf die auslösenden Medikamente keinesfalls weiter einnehmen. Zudem ist es wichtig, dass der Arzt den Patienten überwacht und versucht, die Symptome zu lindern. Bei Angst, Unruhe oder motorischer Erregung verschreibt der Arzt zum Beispiel Medikamente aus der Gruppe der Benzodiazepine.
In mittelschweren und schweren Fällen ist eine intensivmedizinische Behandlung und Überwachung notwendig. Gegebenenfalls wird der Arzt dann auch Medikamente einsetzen, die die Serotoninrezeptoren der Nervenzellen blockieren.