Psychose – Wenn der Bezug zur Realität verloren geht
Halluzinationen, Zwangsgedanken, irrationale Ängste: Eine Psychose kann mit verschiedenen Symptomen einhergehen, die zu einem hohen Leidensdruck bei Betroffenen und ihren Angehörigen führen. Wie sehen mögliche Frühwarnzeichen aus? Welche Ursachen sind für eine Psychose verantwortlich und wie lässt sie sich behandeln?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufig gestellte Fragen & Antworten zur Psychose
Eine Psychose ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Oberbegriff für verschiedene psychische Störungen, die sich unter anderem durch Realitätsverlust äußern. Schizophrenie ist dagegen eine konkrete Erkrankung. Geht sie mit psychotischen Beschwerden einher, sprechen Fachleute von einer schizophrenen Psychose.
Eine Psychose kündigt sich mitunter schon weit im Voraus an. Typische Warnzeichen sind depressive Verstimmungen in Kombination mit Konzentrationsstörungen, Angstzuständen und Verwirrtheit. Da diese Beschwerden aber auch Anzeichen anderer psychischer Erkrankungen sein können, gestaltet sich die Früherkennung einer Psychose oft schwierig.
Starker andauernder Stress kann die Entstehung einer Psychose vermutlich nicht auslösen, aber begünstigen, wenn zusätzliche Merkmale erfüllt sind.
Was ist eine Psychose?
Psychose ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche psychische Störungen, bei denen der Bezug zur Realität und zum eigenen Selbst gestört ist. Dies führt zu Beeinträchtigungen, die unter anderem das
- Denken,
- Wahrnehmen
- und die Motorik betreffen.
Eine Psychose zeigt sich nicht durch ein einheitliches Krankheitsbild. Jedoch gibt es charakteristische Symptome, die bei vielen Betroffenen auftreten.
Je nach Ausmaß der Psychose kann sie das Leben eines Menschen erheblich beeinträchtigen. Manchen fällt es schwer, allein ihren Alltag zu bewältigen. Hinzu kommt, dass sie von Außenstehenden oft als beängstigend wahrgenommen und ausgegrenzt werden.
Häufigkeit und Vorkommen
Da es so viele unterschiedliche psychotische Störungen gibt, fehlen genaue Angaben zur Häufigkeit. An der zu den Psychosen gehörenden Schizophrenie erkranken nach aktuellem Forschungsstand beispielsweise 0,7 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens. Oft entstehen Psychosen zwischen der Pubertät und dem 35. Lebensjahr. Sie können aber auch in höherem Lebensalter vorkommen. Psychosen bei Kindern sind relativ selten.
Psychose: Die Ursachen sind vielfältig
Fachleute unterscheiden bei den Ursachen vor allem zwischen
- nicht-organisch und
- organisch bedingten Psychosen.
Nicht-organisch bedingte Psychosen
Bei einer nicht-organisch bedingten Psychose lässt sich keine direkte körperliche Ursache für die Erkrankung feststellen. Die genaue Entstehung ist ungeklärt.
Fachleute gehen davon aus, dass mehrere Faktoren zusammentreffen müssen, damit eine nicht-organische Psychose ausbricht. Je nach Störungsbild scheinen zum Beispiel Infekte, Traumata und Umwelteinflüsse das Risiko zu erhöhen. Zudem spielt eine genetische Komponente eine Rolle.
Zu den nicht-organisch bedingten Psychosen zählen etwa:
- schizophrene Psychosen
- affektive Psychosen im Rahmen von Manie oder Depression
- schizoaffektive Psychosen (Kombination von Symptomen der schizophrenen und der affektiven Psychose)
Bei einer affektiven und schizoaffektiven Psychose kommt es neben psychotischen Symptomen zu einer krankhaften Veränderung der Affektivität, also der Stimmung beziehungsweise den Emotionen der betroffenen Person.
Organisch bedingte Psychosen
Hinter einer körperlich bedingten Psychose verbirgt sich immer eine eindeutige körperlich begründbare Ursache.
Mögliche Ursachen sind zum Beispiel die Einnahme von Drogen (Psychostimulanzien) wie LSD, Cannabis (Cannabis-Psychose), Kokain oder Alkohol (Alkoholdelir) sowie Nebenwirkungen von Medikamenten, etwa von Kortikosteroiden oder Levodopa.
Auch organische Erkrankungen und körperliche Veränderungen können die psychische Störung begünstigen:
- Gehirntumoren
- Epilepsie
- Stoffwechselstörungen (z. B. Morbus Addison)
- Verletzungen/Infektionen am Gehirn (z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Gehirnhautentzündung)
- Multiple Sklerose
- Parkinson
- Vergiftungen
- Wochenbettdepression aufgrund hormoneller Veränderungen nach der Geburt
Wie lässt sich eine Psychose erkennen?
Grundsätzlich unterscheiden Fachleute im Rahmen einer Psychose zwischen:
Plussymptomen (Positivsymptomen), bei denen das normale Erleben übersteigert ist
Minussymptomen, bei denen bestimmte Vorgänge eingeschränkt sind (etwa die Fähigkeit, Freude zu empfinden)
Die "klassische" Psychose gibt es nicht. Je nach Krankheitsbild können verschiedene Symptome im Vordergrund stehen. Nicht immer treten alle der möglichen Beschwerden auf, zudem sind sie unterschiedlich schwer ausgeprägt.
Jedoch gibt es einige Merkmale, die vergleichsweise häufig auftreten:
Halluzinationen (Wahrnehmungsstörungen): Erkrankte nehmen Dinge wahr, die in der Realität nicht vorhanden sind. Dabei können alle körperlichen Sinne betroffen sein, etwa Geruch, Gehör oder Geschmack.
inhaltliche Denkstörungen: Typisch sind etwa starre Glaubenssätze, Wahnvorstellungen (z. B. Verfolgungswahn) sowie Zwangsgedanken.
formale Denkstörungen: Der gedankliche Ablauf ist beeinträchtigt, der Wortschatz eingeschränkt und das Denken verlangsamt. Gedanken reißen plötzlich ab und die Umwelt scheint nicht real (Derealisation).
Ich-Störungen: Betroffene können nicht mehr oder nur schwer zwischen sich und der Umwelt unterscheiden (Depersonalisation). Mitunter sind Erkrankte überzeugt, Gedanken lesen zu können oder sie glauben, dass ihre Gedanken von einer äußeren Macht geraubt werden (Gedankenentzug).
Weitere Anzeichen einer akuten Psychose
Viele Erkrankte ziehen sich mehr und mehr von der Außenwelt zurück. Oft treten zudem starke Stimmungsschwankungen auf. Manche Betroffene leiden unter Ängsten oder Depressionen. Häufig können sie ihren Alltag ohne fremde Hilfe nicht mehr bewältigen. Antrieb und Konzentrationsfähigkeit können eingeschränkt sein, weshalb viele Erkrankte zeitweise nicht mehr arbeitsfähig sind. Auch psychomotorische Symptome wie starke Unruhezustände oder vorübergehende körperliche Bewegungslosigkeit sind möglich.
Mögliche Frühwarnzeichen einer Psychose
Der körperlich bedingten Psychose gehen in der Regel keine Frühsymptome voraus, vielmehr tritt sie plötzlich in Erscheinung. Die nicht-organisch bedingte Krankheitsform wie die schizophrene Psychose kündigt sich jedoch meist durch Frühsymptome an. Diese können schon Monate oder Jahre vor dem eigentlichen Krankheitsausbruch in Erscheinung treten.
Häufig ist die Symptomatik allerdings so unspezifisch, dass Betroffene und Angehörige sie nicht als mögliche Anzeichen für eine spätere Psychose deuten. Zu möglichen Frühsymptomen zählen beispielsweise:
- sozialer Rückzug, z. B. brechen Betroffene den Kontakt zu Freund*innen und Familie ab
- Probleme bei der Bewältigung des Alltags, etwa im Beruf
- Unruhe, Angstzustände, Depressionen
- mangelnde Lebensfreude
- Schlafstörungen
- Konzentrationsstörungen
- Verlust des Antriebs und der Leistungsfähigkeit
Wichtig: Derartige Symptome können auch Zeichen einer anderen Erkrankung sein oder infolge psychischer Belastung auftreten. Wer über einen längeren Zeitraum einen Leidensdruck verspürt, sollte nicht zögern, ärztlichen Rat einzuholen.
Wie wird eine Psychose diagnostiziert?
Menschen mit Psychose ist meist nicht bewusst, dass sie krank sind. Viele Erkrankte scheuen sich daher, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Entsprechend schwierig gestaltet sich oft die Diagnosestellung.
Zunächst erhebt die*der Ärztin*Arzt die Krankheitsgeschichte (Anamnese). Auch die klinische Beobachtung vor Ort ist oft aufschlussreich. Hier lassen sich etwa Anzeichen einer veränderten Wahrnehmung oder Denkweise erkennen:
- Hört oder sieht die Person Dinge, die andere nicht wahrnehmen?
- Wirkt die Gedankenführung unlogisch oder desorganisiert?
- Gibt es auffällige Veränderungen im Verhalten, z. B. extreme Erregung oder Rückzug?
Differentialdiagnosen und Ausschluss körperlicher Ursachen
Um sicherzugehen, dass den Symptomen keine anderen Erkrankungen zugrunde liegen, werden unter Umständen Differentialdiagnosen gestellt, z. B.:
- schwere Depressionen mit psychotischen Merkmalen
- bipolare Störung mit psychotischen Episoden
- Demenz
Zusätzlich erfolgt eine körperliche Untersuchung, um zu ermitteln, ob die Psychose organische Ursachen hat. Zum Einsatz kommen etwa neurologische Tests, Blutuntersuchungen sowie bildgebende Verfahren wie ein CT oder MRT.
Wie wird eine Psychose behandelt?
Mithilfe einer frühzeitigen Therapie lässt sich der Verlauf meist positiv beeinflussen.
Die Behandlung hängt vor allem davon ab,
- ob es sich um eine organisch oder um eine nicht-organisch bedingte Erkrankungsform handelt und
- wie schwer die Symptome ausgeprägt sind.
Während in leichten Fällen eine ambulante Therapie oder der Aufenthalt in einer Tagesklinik ausreichen, müssen Personen mit starken Symptomen stationär aufgenommen werden.
Die Behandlung ist häufig eine Herausforderung für Ärzt*innen und Angehörige. Oft glauben Betroffene nicht, dass sie krank sind und verweigern die Zusammenarbeit.
Behandlung von nicht-organisch bedingten Psychosen
Hier besteht die Behandlung meist aus mehreren Komponenten. In der Regel erhalten Patient*innen Medikamente zur Behandlung von psychischen Erkrankungen (Psychopharmaka) sowie eine Psychotherapie und/oder eine Soziotherapie.
Die Soziotherapie soll Betroffenen dabei helfen, den Alltag besser zu bewältigen. Ein wichtiger Faktor, der entscheidend zur Besserung der Symptome beiträgt, ist ein stabiles soziales Netzwerk. Daher kann sogenannte Angehörigenarbeit ebenfalls ein wichtiger Teil der Behandlung sein: Dabei lernen nahestehende Angehörige etwa, wie sie mit einem erkrankten Familienmitglied umgehen.
Medikamentöse Therapie einer Psychose
Medikamente aus der Gruppe der Antipsychotika (Neuroleptika), darunter etwa Benzodiazepine, beeinflussen den psychischen Zustand der Betroffenen und können einige der typischen Symptome reduzieren, so zum Beispiel Halluzinationen. Meist müssen diese Medikamente über mehrere Jahre oder dauerhaft eingenommen werden, um einen Rückfall zu verhindern. Je nach Krankheitsbild können auch andere Medikamente zum Einsatz kommen, beispielsweise Antidepressiva.
Behandlung von organisch bedingten Psychosen
Hier liegt der Fokus darauf, den Auslöser zu beheben. Ist zum Beispiel ein Gehirntumor verantwortlich, ist es das Ziel, diesen entsprechend zu behandeln.
Gelingt es, die Ursache zu beseitigen, bildet sich eine akute körperlich bedingte Psychose häufig ohne Folgen zurück. Mithilfe von Psychopharmaka können die Beschwerden vorübergehend gelindert werden.
Krankheitsverlauf und Prognose einer Psychose
Der Verlauf einer Psychose hängt in erster Linie davon ab, ob es sich um eine organisch bedingte oder nicht-organisch bedingte Form handelt. Auch die Ausprägung der Symptome spielt eine entscheidende Rolle.
- In manchen Fällen kommt es nur zu einem einmaligen Schub.
- Bei anderen Betroffenen tritt die Psychose phasenhaft auf: Sie erleben immer wieder psychotische Schübe. Zwischen den Schüben sind sie weitgehend beschwerdefrei.
- Es kann aber auch vorkommen, dass die Symptome nicht mehr vollständig zurückgehen und dauerhaft bestehen bleiben.
Grundsätzlich gilt: Je früher die Störung diagnostiziert und therapiert wird, desto größer ist die Chance auf vollständige Heilung. Wichtig ist zudem ein stabiles soziales und berufliches Umfeld, das den Betroffenen eine geordnete Struktur und Sicherheit bietet. Stress, Überforderung und unbeständige Beziehungen können den Krankheitsverlauf dagegen verschlechtern.
Kann man einer Psychose vorbeugen?
Einer nicht organisch bedingten Psychose lässt sich nach aktuellem Wissensstand nicht vorbeugen. Allerdings lässt sich das Erkrankungsrisiko senken, indem
- keine Drogen konsumiert werden und
- körperliche und psychische Grunderkrankungen, die als mögliche Auslöser bekannt sind, konsequent behandelt werden.
Grundsätzlich ist es hilfreich, mögliche psychotische Warnzeichen zu kennen, sodass frühzeitig ärztlicher Rat gesucht und eine Diagnose gestellt werden kann. Menschen, die entsprechende Symptome bei sich oder Angehörigen feststellen, können darüber hinaus sogenannte Sprechstunden für Früherkennung besuchen. Hier wird das individuelle Risiko der Person ermittelt und im Bedarfsfall über Behandlungsmöglichkeiten informiert.