Psychopath oder Soziopath: Was ist der Unterschied?
Rücksichtslosigkeit, Gewaltbereitschaft, ein Mangel an Empathie: All das ist typisch für Menschen mit Psychopathie und Soziopathie. Doch wie genau unterscheiden sich die beiden Formen der dissozialen Persönlichkeitsstörung? Und wie lassen sie sich zum Narzissmus abgrenzen?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen
Jein: Bei einer Person mit Psychopathie liegt immer auch eine Soziopathie vor. Andersherum ist das nicht der Fall. Zwar werden beide Erkrankungen demselben Krankheitsbild – der sogenannten dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörung – zugeordnet. Die Psychopathie ist jedoch eine besonders schwere Form dieser Störung.
Ein Kennzeichen der dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörung (ASPD) ist die Neigung zu aggressivem Verhalten und Gewalttätigkeit. In Kombination mit einem Mangel an Mitgefühl kann dies zu selbst- und fremdgefährdenden Verhalten führen. Betroffene geraten zudem häufig mit dem Gesetz in Konflikt. Rund 70 Prozent aller Gefängisinsass*innen zeigen dissoziale Persönlichkeitszüge.
Narzissmus bezeichnet zunächst eine Persönlichkeitsstruktur. Nur wenn diese besonders stark ausgeprägt ist, wird eine sogenannte narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Psychopathie und Soziopathie werden dagegen dem Krankheitsbild der dissozialen Persönlichkeitsstörungen zugeordnet. Beide Formen gehen unter anderem mit einem Mangel an Empathie einher – dieser ist bei Psychopath*innen jedoch stärker ausgeprägt.
Psychopath vs. Soziopath: Überblick
Im Alltag werden die Begriffe "Soziopath" und "Psychopath" oft synonym verwendet. Beide Erkrankungen fallen unter die dissoziale oder auch antisoziale Persönlichkeitsstörung (ASPD). Die Charakteristika einer Soziopathie ähneln denen der Psychopathie zwar in vielerlei Hinsicht. Was die Symptomatik betrifft, gibt es jedoch Abstufungen. Psychopath*innen und Soziopath*innen unterscheiden sich vor allem in
- ihrer Fähigkeit zu fühlen und
- ihrem Verhältnis zu Mitmenschen.
Beide Erkrankungsformen zeichnen sich durch einen Mangel an Empathie aus. Allerdings ist dieser Mangel bei Psychopath*innen weitaus stärker ausgeprägt als bei Soziopath*innen.
Menschen mit Psychopathie beschreibt der österreichische Psychologe Werner Stangl als gefühlskalt, aber charmant und manipulativ genug, um oberflächliche Beziehungen aufzubauen. Sie sind daher oft gut in die Gesellschaft integriert und erfolgreich im Beruf.
Soziopath*innen hingegen sind zu Gefühlen zwar fähig, aber nicht dazu in der Lage, diese zu kontrollieren. Aufgrund ihrer Impulsivität und Aggressivität gelingt es ihnen nicht oder nur schwer, Bindungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten.
Schätzungen zufolge sind rund 3 bis 7 Prozent der Männer und 1 bis 2 Prozent der Frauen von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung betroffen.
Wie entsteht eine dissoziale Persönlichkeitsstörung?
Warum und wie genau sich Störungen wie Psychopathie und Soziopathie entwickeln, ist bislang nicht abschließend geklärt. Forschende vermuten, dass verschiedene Einflüsse eine Rolle spielen, unter anderem
- die erbliche Veranlagung,
- der Einfluss des familiären und sozialen Umfelds/Lernerfahrungen,
- ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern (Botenstoffen) und
- Funktionsstörungen im Vorderhirn.
So zeigte eine Studie, dass das Striatum – ein Teil des Vorderhirns – bei Betroffenen deutlich verändert ist. Diese Gehirnregion beeinflusst nicht nur das Sozialverhalten, sondern auch die Fähigkeit zur Impulskontrolle.
Zudem können einige Erkrankungen im Kindesalter die Entwicklung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung begünstigen – etwa ADHS. Wichtig ist aber auch, mögliche andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen von der Psychopathie und Soziopathie abzugrenzen. So fällt es etwa Menschen mit Autismus ebenfalls schwer, Empathie zu empfinden.
Soziopath & "hochfunktionaler" Soziopath
Die Soziopathie wird dem Krankheitsbild der sogenannten dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörungen zugeordnet. Die Betroffenen
- haben auffallend wenig Einfühlungsvermögen (Empathie),
- missachten soziale Regeln und Verpflichtungen,
- sind nicht dazu in der Lage, längerfristige Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten,
- sind reizbar, lassen sich leicht aus der Fassung bringen und werden schnell aggressiv,
- neigen zu Gewalt,
- haben kaum Schuldbewusstsein und lernen nicht aus Bestrafung.
Meist zeigen sich erste Züge einer Soziopathie bereits in der Kindheit oder in der frühen Jugend.
"Hochfunktionaler" Soziopath: Was heißt das?
"Ich bin kein Psychopath. Ich bin ein hochfunktionaler Soziopath!" stellt der Detektiv Sherlock Holmes in der bekannten BBC-Serie mehrfach genervt klar. Warum Sherlock kein Psychopath sein kann, ist offenkundig: Er ist zwar arrogant, unhöflich und unbeholfen im Umgang mit Mitmenschen. Aber er ist auch zu tiefen Gefühlen fähig, zum Beispiel für seinen Freund und Kollegen Watson.
Eine klinische Definition der hochfunktionalen Soziopathie gibt es nicht, sie wurde zusammen mit der Filmfigur Sherlock Holmes erschaffen. Gemeint ist vermutlich, dass dessen soziale Kompetenzen ausreichen, um nicht "am Rande der Gesellschaft leben" zu müssen, wie es für Soziopath*innen eigentlich typisch ist.
Woran erkennt man Psychopathen?
Um Psychopathie zu diagnostizieren, berufen sich Fachleute auf einen Test – eine Psychopathie-Checkliste, die 1990 von von dem kanadischen Kriminalpsychologen Robert D. Hare entwickelt wurde. Seitdem wurde sie mehrmals aktualisiert. Der Checkliste zufolge lässt sich eine Person mit Psychopathie anhand folgender Eigenschaften erkennen.
Die betroffene Person
- nutzt ihre Mitmenschen aus und ist berechnend.
- ist sprachgewandt und kann andere durch oberflächlichen Charme für sich gewinnen.
- neigt zu einem übersteigerten Selbstwertgefühl und zur Selbstüberschätzung.
- lügt, betrügt und manipuliert.
- ist gefühlskalt, nur zu oberflächlichen Gefühlen fähig und empfindet kaum oder keine Empathie.
- ist sich keiner Schuld bewusst.
- ist nicht dazu bereit und fähig, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
- handelt impulsiv und kann ihr Verhalten nicht immer ausreichend kontrollieren.
- ist ständig gelangweilt und hat permanent das Bedürfnis nach aufregenden Erlebnissen.
- verfolgt keine realistischen, langfristigen Lebensziele.
- führt kaum langfristige Beziehungen, sondern stürzt sich typischerweise in kurzfristige sexuelle Abenteuer.
Wichtig: Auch Menschen ohne Persönlichkeitsstörung können einzelne dieser Eigenschaften aufweisen. Psychopathie wird erst diagnostiziert, wenn die meisten dieser Merkmale in einer bestimmten Ausprägung vorhanden sind.
Unterschied zwischen Psychopath, Soziopath & Narzisst
Narzissmus wird im Alltag oft mit Psychopathie und Soziopathie auf eine Stufe gestellt und etwa als Schimpfwort für rücksichtslose und gefühlskalte Menschen verwendet. Aus psychologischer Sicht ist das falsch. Hinter Soziopathie/Psychopathie und krankhaftem Narzissmus verbergen sich zwei unterschiedliche Störungen.
Während Psychopathie und Soziopathie dem Krankheitsbild der dissozialen Persönlichkeitsstörung zugeordnet wird, ist Narzissmus zunächst nur eine Persönlichkeitseigenschaft. Typische Anzeichen sind unter anderem
- übertriebene Eitelkeit,
- Selbstbewunderung,
- Selbstüberschätzung,
- Überlegenheitsgefühle und
- Aufmerksamkeitssuche.
Im Alltag zeigen sich narzisstische Persönlichkeitsstörungen oft durch besondere Selbstinszenierung und -vermarktung sowie eine starke Erfolgsorientierung. Eigenschaften, die im Beruf hilfreich sein können, in zwischenmenschlichen Beziehungen jedoch oft zu Schwierigkeiten führen.
Als krankhaft gilt Narzissmus erst, wenn die Charakteristika sehr stark ausgeprägt sind und bei der betroffenen Person ein Leidensdruck besteht. Dann wird die sogenannte narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert.
Zwischen der dissozialen und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung gibt es durchaus Gemeinsamkeiten: Die Unfähigkeit zur Empathie kann ebenfalls ein Merkmal von Narzissmus sein. Auch verhalten sich Narzisst*innen typischerweise rücksichtslos und manipulativ. Wie Psychopath*innen neigen sie zu einem ausbeuterischen Beziehungsstil, also dazu, ihre Mitmenschen auszunutzen.
Es gibt aber zwei Merkmale, die bei Menschen mit Psychopathie in der Regel deutlich stärker ausgeprägt sind als bei krankhaftem Narzissmus:
- ihr Mangel an Empathie beziehungsweise ihre Unfähigkeit, Mitgefühl zu zeigen
- ihre Gewissenlosigkeit
Wichtig: Online finden sich zahlreiche Selbsttests zu diesen Krankheitsbildern. Derlei Tests können möglicherweise eine Tendenz aufzeigen, ersetzen aber keine ärztliche Diagnose.