Psychopath: Merkmale der dissozialen Persönlichkeitsstörung
Unberechenbar, impulsiv, unempathisch: Diese und weitere Merkmale zeichnen eine Psychopathie aus. Die schwere psychische Erkrankung kann für das Umfeld Betroffener zur Gefahr werden: Psychopath*innen neigen zu Gewalt und Aggression. Woran sich die Erkrankung erkennen lässt, welche Ursachen in Frage kommen und wie eine Behandlung aussehen kann.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen
Menschen mit Psychopathie können auf den ersten Blick ungemein charmant, selbstsicher und freundlich wirken. Krankhafte Züge zeigen sich meist erst nach längerem Kontakt zu der betroffenen Person, wenn sich gewisse Muster abbilden. Typische erste Anzeichen sind etwa Lügen und ein rücksichtloses Verhalten. In einigen Fällen suchen sich Psychopath*innen eine konkrete Zielperson, die sie systematisch manipulieren.
Nicht alle Menschen mit Psychopathie werden straffällig. Ihr Hang zu Gewalt und verantwortungslosem Handeln in Kombination mit fehlender Reue erhöht jedoch das Risiko für eine kriminelle Laufbahn. So wird bei 50 bis 80 Prozent der straffällig gewordenen Inhaftierten in Deutschland eine entsprechende Störung diagnostiziert.
Schätzungen zufolge leben rund 5 bis 10 Prozent aller Menschen mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Hierunter fallen jedoch auch Soziopath*innen. Rein von Psychopathie sind vermutlich etwa 1,5 bis 3,7 Prozent betroffen. Insgesamt wird die psychische Störung häufiger bei Männern als bei Frauen diagnostiziert.
Psychopathie ist eine schwere psychische Erkrankung, die der dissozialen Persönlichkeitsstörung zugeordnet wird. Narzissmus ist zunächst nur ein Persönlichkeitsmerkmal. Erst, wenn dieses stark ausgeprägt ist, wird die Diagnose narzisstische Persönlichkeitsstörung gestellt. Narzissmus zeichnet sich – anders als Psychopathie – durch den Drang nach Bewunderung, eine unangemessen heftige Reaktion auf Kritik und ein zerbrechliches Selbstwertgefühl aus.
Was ist ein Psychopath?
Der Begriff "Psychopath" wird alltagssprachlich häufig als Schimpfwort verwendet und kann mit vielen Assoziationen verbunden sein. So ist für die einen etwa "Hannibal Lecter" aus dem Film "Das Schweigen der Lämmer" der Prototyp eines Psychopathen.
In der Realität handelt es sich bei Psychopathie um eine schwere und ernsthafte psychische Erkrankung, die in professionelle Behandlung gehört.
Von Psychopathie zur Persönlichkeitsstörung
Der Begriff "Psychopath" hatte früher einen stark wertenden Charakter und wurde mit der Zeit durch die sogenannte dissoziale (auch: antisoziale) Persönlichkeitsstörung abgelöst. So lautet auch die offizielle Diagnosestellung anhand des internationalen Diagnose-Klassifikationssystem ICD 10 nicht "Psychopathie", sondern "Dissoziale Persönlichkeitsstörung".
Eine Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch
- tief verwurzelte,
- überdauernde und
- von der Norm stark abweichende
Verhaltens- und Erlebnisweisen aus. Je nachdem, welche Merkmale vorherrschen, unterscheiden Fachleute zwischen verschiedenen Formen von Persönlichkeitsstörungen.
Übrigens: Auch die Soziopathie ist eine Unterform der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Beide Krankheitsbilder zeichnen sich durch einen Mangel an Empathie aus. Die Psychopathie gilt jedoch als schwerste Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung.
Typische Merkmale: Die "Psychopathie-Checkliste"
Der US-amerikanische Psychologe Robert Hare hat erforscht, welche Merkmale eine psychopathische Person ausmachen, und anhand dessen einen Test in Form der sogenannten Psychopathologie-Checkliste (PCL) entwickelt. Mit dieser lässt sich ermitteln, inwieweit ein Mensch psychopathische Tendenzen aufweist.
Der Test findet insbesondere Anwendung, wenn es um die Prognose von Straftäter*innen geht. Kriminelle, auf die die Merkmale in hohem Maße zutreffen, werden häufig zu Wiederholungstäter*innen, was auch eine Therapie erschwert.
Folgende Kriterien sprechen für eine dissoziale Störung in Form einer Psychopathie:
- Hang zu Impulsivität und Kontrollverlust
- Rücksichtlosigkeit, fehlendes Mitgefühl (Empathie) und emotionale Kälte
- Manipulatives Verhalten und notorisches Lügen
- Mangel an Scham, Reue oder Schuldgefühlen
- fehlendes Verantwortungsbewusstsein
- deutlich übersteigertes Selbstwertgefühl
- Unfähigkeit, sich an soziale Werte und Normen anzupassen
- Hang zu Dominanz, Gewalt und Aggression
- Hang zur kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung statt langfristigen Zielen und Zukunftsplanung
Erste Tendenzen zeigen sich meist schon im Kindes- und Jugendalter – etwa durch ständiges Lügen, ein gestörtes Sozialverhalten oder fehlendes Mitgefühl.
Psychopathie bei Frauen
In Fachkreisen wird kritisiert, dass sich die Checkliste auf Frauen nicht gleichermaßen anwenden lässt wie auf Männer. Dies könnte auch ein Grund sein, weshalb aktuellen Zahlen zufolge mehr Männer mit der Störung diagnostiziert werden. Laut Psycholog*innen zeigt sich die Erkrankung beim weiblichen Geschlecht weniger offensiv. Vielmehr nutzen Frauen ihr Beziehungsumfeld und suchen sich Partner*innen mit hohem Einkommen – und das eher durch verbale und emotionale Gewalt als durch körperliche Aggression.
Persönlichkeitstypen begünstigen Psychopathie
Menschen mit bestimmten Persönlichkeitstypen sind Fachleuten zufolge eher gefährdet, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Dazu zählen vor allem der
- abenteuerliche Persönlichkeitstyp und der
- hyperthymische Persönlichkeitstyp.
Parallelen zur Psychopathie finden sich beim abenteuerlichen Stil etwa im starken Bedürfnis nach Nervenkitzel. Psychopath*innen langweilen sich schnell, fühlen sich innerlich getrieben und brauchen "etwas Neues". Das Gefühl von Angst ist ihnen häufig fremd, weshalb sie sich in Gefahrensituationen begeben und Regeln missachten. Die Angst vor Konsequenzen bleibt aus. Der hyperthymische Persönlichkeitstyp zeichnet sich unter anderem durch Impulsivität und das Ausbleiben von (negativen) Emotionen aus.
Erfolg kann ebenfalls Merkmal sein
Zwar ist Psychopathie mit einer hohen Kriminalitätsrate verbunden. So beteiligen sich Betroffene etwa überdurchschnittlich oft an körperlichen Auseinandersetzungen und Überfällen oder häufen Schulden an.
Allerdings kann die dissoziale Störung auch ein Karriereantrieb sein. Denn obwohl Psychopath*innen zu Gewalt neigen und soziale Normen verachten, wissen sie oft genau, welches Verhalten gesellschaftlich anerkannt ist. So spielen sie bestimmte Gefühle glaubhaft vor. Zudem überzeugen sie zunächst oft durch eine charmante, charismatische Art, Sprachgewandtheit und einen Sinn für Humor – ähnlich, wie es auch bei Narzisstinnen*Narzissten der Fall ist.
Auch ihren Mangel an Empathie und Emotionen wissen viele Psychopath*innen für sich zu nutzen. So sind sie dadurch etwa besonders rational und fokussiert. Durch diese Eigenschaft in Verbindung mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein erreichen Betroffene häufig einen hohen beruflichen Posten. In diesem Punkt grenzt sich die Psychopathie von der Soziopathie ab, bei der Betroffene zwar zu Gefühlen imstande sind, diese aber nicht kontrollieren können und entsprechend anecken.
Psychopathie und Beziehungen
Betroffene sind nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, Emotionen wie Liebe zu empfinden. Da sie jedoch immer auf der Suche nach Abenteuern sind – auch nach erotischen –, nutzen sie ihren Charme, um von sich zu überzeugen und sexuell aktiv zu sein.
Gehen Psychopathinnen*Psychopathen eine Beziehung ein, ist diese meist nur von kurzer Dauer. Für den*die Partner*in gestaltet sich die Kennenlernphase typischerweise als "zu schön, um wahr zu sein", was aber schnell umschlägt. Das gilt nicht nur für romantische Liebesbeziehungen, sondern für sämtliche tiefergehende soziale Bindungen.
Psychopathie: Welche Ursachen sind möglich?
Bislang sind die genauen Ursachen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung nicht vollständig geklärt. Fachleute sind der Meinung, dass es sich um eine multifaktorielle Störung handelt, die Erkrankung also durch mehrere Faktoren beeinflusst wird.
Genetische Disposition: Psychopathische Persönlichkeitseigenschaften können genetisch bedingt sein. Bei Zwillingsstudien konnte etwa belegt werden, dass die Erkrankung bei eineiigen Zwillingen deutlich öfter bei beiden Geschwistern auftritt als bei zweieiigen Zwillingen.
Strukturelle Hirnveränderungen: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Psychopathie auch neurologische Wurzeln hat. Neurowissenschaftlern*Neurowissenschaftlerinnen zufolge lassen sich etwa Auffälligkeiten in der Hirnregion erkennen, die für die Emotionen verantwortlich ist (die Verbindung zwischen dem präfrontalen Kortex und der Amygdala). Dies könnte unter anderem den Mangel an Empathie Betroffener erklären.
Soziale Faktoren: Weitere Risikofaktoren lassen sich auf das soziale Umfeld der betroffenen Person zurückführen. Dazu zählen etwa frühkindliche Erfahrungen wie Vernachlässigung, körperliche oder seelische Gewalt, ein Mangel an Zuwendung oder fehlende Erziehungsmaßstäbe.
Wie wird Psychopathie behandelt?
Die Behandlung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gestaltet sich meist schwierig, da Betroffenen die Krankheitseinsicht fehlt. Diese ist jedoch Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Zu einem Leidensdruck kommt es in der Regel nicht bei der erkrankten Person selbst, sondern bei ihrem Umfeld. Entsprechend sind es meist Angehörige, die Betroffenen zu einer Therapie raten – allerdings oft ohne Erfolg.
In einigen Fällen suchen Psychopath*innen erst dann psychologischen Rat auf, wenn ihr selbstzerstörerisches Verhalten zu nachhaltigen negativen Konsequenzen führt – etwa zu finanziellen Problemen oder einer Verurteilung aufgrund von Straftaten.
Im besten Fall wird die psychische Erkrankung bereits im Kindesalter erkannt. Fällt Eltern eine ungewöhnliche Entwicklung auf, kann die hausärztliche Praxis eine erste Anlaufstelle sein.
Warnzeichen sind zum Beispiel:
- Ständiges Lügen
- Aggressivität und Wutausbrüche
- Fehlende Sozialkompetenz
Ist die betroffene Person zu einer Behandlung bereit, bietet sich eine Kombination aus der Einnahme von Psychopharmaka und einer Verhaltenstherapie an. Hier werden unter anderem Übungen zur Impuls- und Affektkontrolle durchgeführt. Empathie ist nach aktuellem Wissensstand zwar erlernbar, bei Psychopathinnen*Psychopathen konnten hier bislang jedoch kaum Erfolge erzielt werden.
Aussicht und Prognose
Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung ist nicht heilbar. Da Betroffenen die Krankheitseinsicht fehlt, sind sie in der Regel nicht zu einer Therapie bereit. Entsprechend schlecht ist die Prognose. Am besten stehen die Chancen, wenn die Störung bereits im Kindesalter erkannt und therapiert wird.