Angst vor dem Telefonieren: Was steckt hinter der Telefonphobie?
Einen Friseurtermin vereinbaren oder einfach nur eine Pizza bestellen: Was für viele Menschen alltäglich ist, sorgt bei anderen für Panik. Der Griff zum Telefonhörer ist mit Ängsten verbunden – vor allem Jugendliche sind betroffen. Doch wie kommt es zur Telefonphobie? Und wie können Betroffene ihre Angst vor dem Telefonieren überwinden?
Was ist eine Telefonphobie?
Unangenehme Telefongespräche hinter sich zu bringen, kann belastend und lästig sein. Wenn der Griff zum Hörer aber irrationale Ängste oder sogar Panik auslöst, kann das zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führen.
Zwar handelt es sich offiziell nicht um eine Erkrankung: Das Phänomen wurde klinisch noch nicht erfasst, weshalb es auch keinen medizinischen Fachbegriff gibt. Fachleuten zufolge kann die Angst vor dem Telefonieren, die sich immer mehr häuft, aber am ehesten einer Angststörung zugeordnet werden. Angststörungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Angst vor etwas – zum Beispiel vor Spinnen oder Aufzügen – irrational und objektiv nicht begründet ist. Dennoch können Betroffene ihre negativen Gefühle nicht kontrollieren.
Die Angst vor dem Telefonieren tritt vor allem bei Jugendlichen auf. Laut JIM-Studie 2018 (JIM: Jugend, Information, Medien) sind rund 30 Prozent der 12- bis 19-jährigen Deutschen betroffen.
Die Telefonangst kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Einigen bereitet der Gedanke an ein Telefonat lediglich ein unangenehmes Magenziehen, andere verfallen schon beim bloßen Gedanken daran in Panik und vermeiden daher sämtliche Telefongespräche. Betroffene haben in der Regel gleichermaßen Angst davor,
- jemanden anzurufen
- als auch angerufen zu werden.
Als besonders unangenehm werden oft Anrufe mit unbekannter oder unterdrückter Nummer wahrgenommen. Auch vor anderen zu telefonieren, kann ein ungutes Gefühl, etwa Scham, auslösen.
Expert*innen sind sich einig, dass die zunehmende Telefonphobie mit der Digitalisierung zusammenhängt. Deshalb spricht man von der Telefonphobie mitunter auch als Generationenproblem. Dabei bringt ein Telefonat viele Vorteile mit sich:
- Zeitgewinn
- Weniger Missverständnisse
- Soziale Interaktion
Dass Telefonieren zur extremen Stresssituation wird, kann vor allem im beruflichen Kontext zum Problem werden. Wer etwa im Kundenservice arbeitet, kann Telefongesprächen kaum aus dem Weg gehen. Vor allem das Telefonieren mit Fremden wird häufig als belastend empfunden.
Wie äußert sich eine Telefonphobie?
Menschen, die Angst vor dem Telefonieren haben, befürchten, sich während des Gesprächs zu verhaspeln, zu blamieren und womöglich vom Gegenüber abgewertet zu werden. Ein eingehender Anruf kann sich für Betroffene anfühlen wie ein Angriff. Sie reagieren mit körperlichen Symptomen, die auch für andere Angststörungen und mitunter auch eine Panikattacke typisch sind:
- Herzrasen (Tachykardie) und Herzklopfen
- Atemnot (Dyspnoe)
- Schweißausbrüche und schwitzige Hände
- Zittern
- Erröten
- Einnässen (Enuresis)
Um dem zu entgehen, setzen Betroffene häufig auf Vermeidungsstrategien: Sie gehen gar nicht erst ans Telefon, lassen Anrufe direkt auf die Mailbox umleiten oder verschicken Text- oder Sprachnachrichten. Dass sich inzwischen auch Vieles ohne ein Telefonat erledigen lässt, machen sich Menschen mit Telefonphobie zu Nutze – auch, wenn das häufig Umwege und einen Zeitverlust bedeutet.
Was steckt hinter der Telefonangst?
Da es sich bei der Telefonangst um ein relativ neues Phänomen handelt, stehen wissenschaftliche Forschungen noch am Anfang. Daher gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse, welche Ursachen hinter der Angst vor dem Telefonieren stecken. Fachleute vermuten aber, dass es sich bei dem Leiden um eine Form der sozialen Angst handelt. Bei einigen Betroffenen beschränkt sich die Angst vor sozialer Interaktion nicht auf Telefonate, sondern auf sämtliche Situationen des sozialen Handelns.
Expert*innen zufolge können folgende Faktoren die Angst vor dem Telefonieren verstärken:
Betroffene haben das Telefonieren verlernt
Durchschnittlich zweieinhalb Stunden verbringen Deutsche täglich mit ihrem Smartphone, Jugendliche kommen sogar auf rund fünf Stunden. Einen Großteil dieser Zeit widmen Handynutzer*innen der Kommunikation mit anderen Menschen: Sie tauschen sich etwa über Messengerdienste wie WhatsApp oder auf Social-Media-Kanälen wie Facebook oder Instagram aus. Telefonieren nimmt dagegen einen zunehmend geringen Stellenwert ein. Das bestätigt die JIM-Studie 2018: Nur noch jede*r fünfte Jugendliche nutzt das Smartphone zum Telefonieren.
Auch Dienstleistungen können inzwischen oft gebucht werden, ohne, dass ein Telefonat nötig ist: Arzttermine lassen sich online vereinbaren, auch der Lieferservice funktioniert längst per Mausklick oder App.
Die Wiederholung einer Tätigkeit vermittelt Sicherheit, die vielen jungen Menschen bei Telefongesprächen zu fehlen scheint. Denn auch, wenn es sich beim Telefonieren um eine alltägliche Banalität zu handeln scheint, sind dabei gewisse Kompetenzen gefragt, etwa
- Flexibilität
- soziale Intelligenz
- die Fähigkeit, ein Anliegen auf den Punkt zu bringen,
- und Zuhören.
Wem es hier an Übung fehlt, fühlt sich mit schriftlicher Kommunikation womöglich weniger angreifbar.
Fehlen von nonverbalem Feedback
Anders als bei einem persönlichen Gespräch, sitzt der*die Gesprächspartner*in nicht gegenüber. Ein Lächeln, ein Kopfnicken oder ein wohlwollender Blick können während eines Gespräches Sicherheit geben. Beim Telefonieren fehlt dieses nonverbale Feedback. Einzig der Tonfall lässt Rückschlüsse auf die Haltung des Gegenübers zu – und hier wiederum gibt es viel Spielraum für Interpretationen.
Mögliches Symptom einer Sozialphobie
Personen, die Angst vor dem Telefonieren haben, malen sich häufig die schlimmsten Szenarien aus und fürchten sich vor Ablehnung und einem negativen Feedback durch den*die Gesprächspartner*in. Das kann ein Hinweis auf eine Sozialphobie sein – also die Angst vor jeglicher sozialen Interaktion mit anderen Menschen.
Telefonphobie: Diese Tipps können helfen
Bei einer starken Telefonphobie kann es helfen, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Dazu wird geraten, wenn Betroffene
- einen hohen Leidensdruck verspüren,
- sich im Alltag eingeschränkt fühlen,
- das Gefühl haben, ihre Angst nimmt mit der Zeit zu.
Eine Verhaltenstherapie oder Psychotherapie können dabei helfen, die Telefonphobie und die zugrundeliegenden Ursachen aufzuarbeiten. Zusätzlich können folgende Tipps hilfreich sein:
Telefonieren neu erlernen
Übung macht den Meister: Betroffene können versuchen, das Telefonieren Schritt für Schritt neu zu erlernen, indem sie sich kleine Ziele setzen. Das kann bedeuten, dass sie erst einmal vertraute Personen anrufen und weniger unangenehme Telefonate hinter sich bringen. Merken Menschen mit Telefonphobie, dass ihre Befürchtungen sich nicht bewahrheiten, können sie sich langsam steigern und so ihre Angst womöglich überwinden.
Spickzettel sind erlaubt
Um sich die Aufregung vor einem Telefonat zu nehmen, kann ein Notizzettel helfen: Legen Sie sich einen Einstiegssatz zurecht und halten Sie Ihre Ziele fest. So versäumen Sie nicht, alles anzusprechen – auch, wenn Sie mal die Nerven verlieren sollten. Auch Formulierungen für potenzielle „Worst Case“-Situationen können die Angst im Vorfeld abschwächen.
Beispiel: „Da bin ich gerade überfragt, aber ich werde mich informieren und das für Sie herausfinden.“
Wenn Sie Angst haben, sich zu verhaspeln, kann es außerdem helfen, in kurzen Sätzen zu sprechen. Sollten Sie etwas nicht verstanden haben, trauen Sie sich ruhig, nachzufragen. Wer stetig an seiner Gesprächstechnik arbeitet, wird schon bald mehr Selbstvertrauen fassen.
Der Angst auf den Grund gehen
Wenn Sie herausfinden, wovor Sie sich explizit fürchten, können Sie gezielter dagegen vorgehen und an Ihrer Telefonphobie arbeiten. Kontraproduktiv ist es dagegen, auf Vermeidungsstrategien wie Textnachrichten auszuweichen oder jemand anderen für sich telefonieren zu lassen und so die Konfrontation zu meiden. Wer seine Telefonphobie erfolgreich hinter sich lässt, wird sich vermutlich auch in anderen Lebenslagen selbstsicherer fühlen.
Versuchen, ruhig zu bleiben
Sprechen Sie langsam und versuchen Sie, am Ende eines Satzes eine Sprechpause zu machen und auszuatmen. Wenn Sie entspannt wirken, hat das auch eine positive Auswirkung auf Ihre*n Gesprächspartner*in und die gesamte Atmosphäre während des Telefonats.
Sorgen Sie zudem für Ruhe: Achten Sie darauf, dass Sie ungestört sind, eine gute Verbindung haben und Sie sich ganz auf das Telefonat konzentrieren können. Womöglich hilft Ihnen auch eine Entspannungstechnik wie Meditation, um im Vorfeld zur Ruhe zu kommen.
Offen mit der Angst umgehen
Die Angst vor dem Telefonieren ist häufig mit Scham besetzt. Dabei sollte die Telefonphobie kein Tabuthema sein: Umfragen zufolge ist fast jede*r Dritte der 12- bis 19-jährigen Deutschen betroffen. Ein Austausch mit anderen Betroffen kann helfen!