Paranoide Persönlichkeitsstörung
Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung sind übertrieben misstrauisch. Sie fühlen sich grundlos von anderen bedroht. Viele reagieren sehr empfindlich, wenn sie zurückgewiesen werden. Andere versuchen beharrlich, ihre eigenen, starren Überzeugungen beim Gegenüber durchzusetzen. Lesen Sie, woran man eine paranoide Persönlichkeitsstörung erkennt, wie man sie behandelt und was sie von einer psychotischen "Paranoia" unterscheidet.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Paranoide Persönlichkeitsstörung
Von hundert Menschen hat Schätzungen zufolge einer eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen fühlen sich permanent von anderen herabgesetzt, ungerecht behandelt, ausgenutzt oder bedroht – obwohl es dafür objektiv gesehen keinen Grund gibt.
Paranoide Persönlichkeiten neigen dazu, unbedeutende oder sogar freundliche Handlungen ihrer Mitmenschen als persönliche Anfeindung oder gar Verschwörung gegen ihre Person zu deuten. Zum Beispiel fassen sie einen aufrichtig gemeinten Glückwunsch als Ironie auf und glauben, dass das Gegenüber sie in Wahrheit verachtet oder verspottet. Und der gut gemeinte Rat eines Kollegen ist in ihren Augen die herablassende Kritik eines Besserwissers – oder gar die Falle eines Feindes, der man nicht auf den Leim gehen sollte. Paranoide Persönlichkeiten sind also sehr misstrauisch und gehen lieber auf Distanz, als enge Bindungen einzugehen. Sie wittern hinter den Taten anderer leicht eine Verschwörung und beziehen vieles in unangemessener Weise auf sich. Auch reagieren sie schnell grundlos eifersüchtig.
Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung haben sehr starre, festgelegte Ansichten, von denen sie nicht abweichen. Sie pochen in unangemessener Weise auf ihre (vermeintlichen) Rechte und zeigen sich dabei oft äußerst beharrlich und selbstbewusst. Entsprechend reagieren sie oft mit Zorn und Streitsucht. Es gibt aber auch Betroffene, die sich eher resigniert zurückziehen.
Auf Außenstehende wirken paranoide Persönlichkeiten oft überheblich und selbstbezogen, gefühllos und ohne Sinn für Humor. In Wahrheit sind die Betroffenen jedoch sehr empfindlich. Sie fühlen sich häufig zurückgewiesen und verletzt. Fühlen sie sich gekränkt, können sie sehr nachtragend sein.
Paranoide Persönlichkeitsstörung: Symptome im Überblick
Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung
- reagieren überempfindlich, z. B. auf Kritik, Rückschläge oder Zurückweisung
- fühlen sich ungerecht behandelt, beleidigt, bedroht oder ausgenutzt und tragen dies dauerhaft nach
- sind unangemessen misstrauisch; interpretieren neutrale oder gut gemeinte Handlungen zu ihren Ungunsten
- sind streitsüchtig; haben sehr starre Meinungen, auf die sie beharren; einige neigen zu Fanatismus
- neigen zu grundloser Eifersucht; haben kaum enge Kontakte
Nicht alle dieser Symptome sind bei jedem Betroffenen gleichermaßen ausgeprägt. Manche Ärzte und Psychologen unterscheiden zwischen zwei Typen der paranoiden Persönlichkeitsstörung:
- Bei der fanatischen Persönlichkeit stehen die starren Überzeugungen im Vordergrund, an denen sie um jeden Preis festhält.
- Die querulatorische Persönlichkeit fühlt sich permanent im Unrecht und kämpft ständig dagegen an.
Wann spricht man von einer paranoiden Persönlichkeitsstörung?
Starkes Misstrauen oder Überempfindlichkeit bedeuten nicht automatisch, dass eine paranoide Persönlichkeitsstörung vorliegt. Um eine Persönlichkeitsstörung könnte es sich handeln, wenn diese Merkmale
- schon seit der Kindheit/Jugend permanent bestehen und nicht etwa plötzlich oder phasenweise auftreten und
- so stark ausgeprägt sind, dass die Person und/oder sein Umfeld darunter leiden.
Charakteristisch für eine Persönlichkeitsstörung ist, dass sich die ungünstigen Persönlichkeitsmerkmale bereits in der Kindheit entwickeln und bis ins Erwachsenenalter festigen. Sie bleiben konstant bestehen und sind nur in einem engen Rahmen veränderbar.
Leiden paranoide Persönlichkeiten unter Schizophrenie?
Das Wort "paranoid" verbinden viele mit einer Psychose wie der Schizophrenie. Typisch für eine paranoide Schizophrenie sind Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Die Betroffenen glauben etwa, beobachtet oder verfolgt zu werden – zum Beispiel von Außerirdischen oder von Mitgliedern eines Geheimdienstes.
Eine paranoide Persönlichkeitsstörung ist jedoch nicht dasselbe wie eine wahnhafte Psychose. Paranoide Persönlichkeiten fühlen sich zwar ebenfalls häufig grundlos bedroht und beziehen vieles auf sich. Im Gegensatz zur Schizophrenie handelt es sich jedoch nicht um ausgeprägte Wahnvorstellungen, sondern um eine Art Vorstufe davon (sog. überwertige Idee). Zudem sind die Symptome bei einer paranoiden Persönlichkeitsstörung permanent und schon seit der Kindheit vorhanden, während die paranoide Schizophrenie meist in Episoden auftritt.
Paranoide Persönlichkeitsstörung: Ursachen
Eine paranoide Persönlichkeitsstörung hat nicht eine einzelne Ursache. Vielmehr lösen mehrere Faktoren im Zusammenspiel die Störung aus.
Welche individuellen Persönlichkeitsmerkmale ein Mensch entwickelt, hängt von verschiedenen Einflüssen ab. Dazu zählen vor allem
- Veranlagung: Das "grundlegende Temperament", also ob eine Person z. B. eher introvertiert oder eher kontaktfreudig ist, ist erblich bedingt.
- Äußere Faktoren in der Kindheit und Jugend: Dazu zählen z. B. die Erziehung, die Atmosphäre im Elternhaus, das soziale Umfeld oder traumatische Situationen.
Welche Faktoren genau eine paranoide Persönlichkeitsstörung auslösen, ist nicht abschließend geklärt. Es gibt Hinweise darauf, dass viele Personen mit paranoider Persönlichkeitsstörung in einem Elternhaus aufwachsen, in dem eine feindselige, vernachlässigende Atmosphäre herrscht.
Paranoide Persönlichkeitsstörung: Diagnose
Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung suchen eher selten einen Psychotherapeuten auf. Sie bemerken nicht, dass ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen unangemessen sind. Stattdessen sehen sie das Problem bei ihren Mitmenschen, die ihnen etwas Böses wollen. Dennoch begeben sich die Betroffenen manchmal in Behandlung, zum Beispiel aufgrund von Problemen am Arbeitsplatz oder nach einer Anzeige bei der Polizei, wenn die Beamten erkennen, dass die Person unter einer Störung leidet. Auch kann es sein, dass sie auf Initiative des Partners/der Partnerin kommen, weil sie immer wieder grundlos eifersüchtig reagieren.
Im Laufe der therapeutischen Sitzungen werden mögliche Anzeichen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung deutlich. Der Patient/Klient ist zum Beispiel übertrieben misstrauisch und reagiert sehr empfindlich, wenn er kritisiert wird. Die Schilderungen von nahestehenden Personen können dem Psychotherapeuten wichtige Hinweise auf eine mögliche paranoide Persönlichkeitsstörung geben.
Verschiedene psychologische Tests können die Diagnose erleichtern. Dazu gehört zum Beispiel ein standardisiertes strukturiertes Interview (SKID): Dieses gibt Aufschluss darüber, welche Persönlichkeitsmerkmale besonders stark ausgeprägt sind.
Paranoide Persönlichkeitsstörung oder eine andere Erkrankung?
Viele Merkmale einer paranoiden Persönlichkeitsstörung können auch im Rahmen anderer Erkrankungen auftreten. Wichtig ist daher, dass der Psychologe/Arzt andere mögliche Ursachen ausschließen kann, so zum Beispiel eine paranoide Form der Schizophrenie. Auch kann es sein, dass paranoide Persönlichkeiten zugleich Merkmale anderer Persönlichkeitsstörungen aufweisen. So gibt es zum Beispiel häufig Überschneidungen mit der schizoiden Persönlichkeitsstörung. Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung wirken unnahbar, gefühllos und distanziert.
Paranoide Persönlichkeitsstörung: Therapie & Verlauf
Die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen sind relativ konstant. Wie andere Persönlichkeitsstörungen auch ist die paranoide Form daher nur in gewissen Grenzen veränderbar. In höherem Alter werden die Symptome häufig etwas schwächer.
Wenn sich paranoide Persönlichkeiten in Psychotherapie begeben, entwickeln viele dem Therapeuten gegenüber ein starkes Misstrauen, was die Behandlung deutlich erschwert. Auch reagieren sie rasch überempfindlich, wenn sie im Rahmen der Therapie kritisiert werden. Entsprechend wird der Psychotherapeut sehr behutsam und verständnisvoll vorgehen, um Stück für Stück das Vertrauen des Patienten zu gewinnen.
Ziel der Psychotherapie ist es weniger, die ungünstigen Persönlichkeitsmerkmale gravierend zu verändern. Vielmehr soll der Patient lernen, die Hintergründe zu verstehen und besser mit der Störung zu leben – etwa, indem er seine sozialen Kompetenzen verbessert und erkennt, wann Misstrauen unangemessen ist. Zur Behandlung kommen verschiedene Verfahren infrage, zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine Gesprächstherapie. In manchen Fällen können unterstützend Medikamente zum Einsatz kommen.
Paranoide Persönlichkeitsstörung: Fallbeispiel
Ein anonymisiertes Fallbeispiel aus der Praxis, zur Verfügung gestellt von unserem Experten Dr. Bernhard Riecke:
Eine Frau, Mitte dreißig, wird von der Polizei in die Psychiatrie eingeliefert, weil sie die Polizisten verbal und tätlich angegriffen hatte.
Bei der Anamnese – durch Fremdanamnese der Mutter ergänzt – wird deutlich, dass Frau F. schon immer auffällig gewesen sei. Bereits in der Schulzeit hätte sie zwar durchschnittliche bis gute Leistungen gezeigt, sei aber immer durch renitentes und streitsüchtiges Verhalten aufgefallen. Auch besonders wohlmeinende Lehrer wären letztlich immer von ihr enttäuscht worden, weil sie gegenüber jedem freundlichem Verhalten misstrauisch gewesen sei und und es als scheinheilig missdeutet hätte.
In ihrem Wunschberuf der Kfz-Mechatronikerin wäre das erste Lehrjahr einigermaßen ohne große Probleme verlaufen, weil sie als einzige Frau in der Männertruppe eine Art Narrenfreiheit genossen hätte.
Dann habe sich der alte Mechanismus aber wieder stärker in den Vordergrund gedrängt. Sie habe auf sachliche Kritik übermäßig gekränkt reagiert, hätte ihren Vorgesetzten deswegen beleidigt und ihren Groll gegen ihn nicht vergessen.
Freundliche Schlichtungsversuche der Kollegen hätte sie völlig fehlgedeutet. Sie habe diese einerseits als Komplott gegen sie empfunden, sie andererseits auch teilweise als "Anmache" missdeutet.
Im zweiten Ausbildungsjahr habe sie dann die gesamte Belegschaft gegen sich gehabt und behauptet, es sei eine großangelegte Verschwörung gegen sie im Gange. Nachdem sie mehrere Tage nicht mehr bei der Arbeit erschienen sei, wäre das Beschäftigungsverhältnis nach mehreren Abmahnungen gelöst worden. Seitdem lebe sie von verschiedenen Unterstützungsformen.
Beziehungen zu Männern hielten stets nur wenige Wochen, weil sie immer unterstellte, dass der Betreffende fremdgegangen war und merkwürdige "Beweise" dafür anführte. Beim Joggen auf einem Rad/Fußweg fiel anderen Spaziergängern auf, dass sie heftig schrie, nachdem ein Radfahrer sie überholt hatte. Sie behauptete, der Radfahrer habe sie sexuell belästigt (an die Brust gefasst), als er an ihr vorbei fuhr.
Während der Anzeige bei der Polizei wurde sie ausfällig, nachdem die Beamtin ihr klarmachte, dass selbst ein geübter Stuntman das Kunststück nicht fertig brächte, ihr beim Überholen an die Brust zu fassen. Als sie sehr laut wurde, kamen zwei Kollegen hinzu, die sie auch sofort beleidigte und die Beamtin unvermittelt ins Gesicht schlug – was schließlich zur Einweisung führte.