Von Stinknase bis Fischgeruch: 6 kuriose medizinische Phänomene
Haben Sie schon einmal von Menschen gehört, die trotz gründlicher Hygiene nach faulem Fisch riechen? Oder von Personen, die betrunken sind, ohne auch nur einen Tropfen Alkohol zu sich genommen zu haben? Solche Phänomene gibt es wirklich. 6 Beispiele.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Von Stinknase bis Fischgeruch: 6 kuriose medizinische Phänomene
Was sich für Außenstehende bisweilen bizarr, skurril oder sogar lustig anhört, bedeutet für die Betroffenen jedoch einen hohen Leidensdruck. Zum Glück kommen die meisten der folgenden Erkrankungen und Syndrome nur selten vor.
1. Eigenbrauersyndrom: Die Brauerei im Darm
USA, März 2014: Ein 46-jähriger Mann wird wegen seiner auffälligen Fahrweise von der Polizei angehalten. Er beteuert, keinerlei Alkohol getrunken zu haben und verweigert den Atem-Alkoholtest. Die Polizisten glauben ihm nicht und veranlassen eine Blutuntersuchung. Das Ergebnis: Im Blut befinden sich rund zwei Promille Alkohol.
Der Festgenommene kann sich den Alkoholgehalt im Blut beim besten Willen nicht erklären – schließlich weiß er, dass er keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hat. Wie kann es sein, dass er trotzdem betrunken ist?
Die Antwort bekommt er nach einer ärztlichen Untersuchung durch einen Spezialisten. In seinem Darm weist der Arzt bestimmte Hefepilze in großer Zahl nach. Die Pilze wandeln Kohlenhydrate aus der Nahrung um. Dabei entsteht unter anderem Alkohol. Dieses sehr seltene Phänomen, bei dem im Inneren des Körpers Alkohol produziert wird, nennt man Eigenbrauer-Syndrom (Auto-Brewery Syndrome) oder auch Darmfermentations-Syndrom (Gut Fermentation Syndrome). Die genauen Ursachen sind bislang unbekannt, eine Besiedlung mit Pilzen scheint jedoch eine wichtige Rolle zu spielen.
2. Stinknase: Faulig, aasig, eklig
Eine stinkende Nase? Ja, die gibt es wirklich. Von der Stinknase geht ein übler, fauliger Geruch aus, den die Erkrankten selbst nicht wahrnehmen. Die Mitmenschen umso mehr: Sie können das Riechorgan schon aus einem Meter Abstand wahrnehmen.
Eine Stinknase entsteht durch Keime, die sich in der Nase ansiedeln. Dazu kommt es, wenn die Nasenschleimhaut chronisch entzündet ist und sich dauerhaft zurückgebildet hat (sog. Rhinitis atrophicans). Durch den Schleimhautrückgang trocknet die Nase im Inneren aus und es entstehen nach und nach Krusten und Borken in der Nasenhöhle. Für Keime ein idealer Nährboden: Durch Zersetzungsprozesse bildet sich in der Nase ein übelriechender Belag.
Die Ursache einer Stinknase bleibt oft unbekannt. Sie kann aber auch durch äußere Einflüsse begünstigt werden, etwa durch Nasen-OPs, Missbrauch von Nasensprays oder eine Strahlenbehandlung im Bereich der Nase. Gut zu wissen: Hierzulande ist die Stinknase selten. In Osteuropa und Indien kommt sie etwas häufiger vor.
3. Cotard-Syndrom: The walking dead
Das Cotard-Syndrom ist ein sehr seltenes psychisches Phänomen. Es handelt sich dabei um eine schwere Form des sogenannten nihilistischen Wahns: Betroffene sind beispielsweise davon überzeugt, nicht zu existieren, tot zu sein oder innerlich zu verwesen.
Manche Personen glauben, bestimmte Organe verloren zu haben, zum Beispiel den Magen oder das Gehirn. Andere erleben ihren Körper als verfault. Wieder andere denken, ihre Gefühle oder ihr Verstand sei nicht real. Im Extremfall glauben die Betroffenen, es gebe sie (und evtl. auch die ganze Welt) schlichtweg gar nicht.
Das Cotard-Syndrom kann zum Beispiel ein Anzeichen für eine schwere wahnhafte Depression sein. Im Rahmen von Schizophrenie oder körperlich bedingten Psychosen tritt es ebenfalls auf.
4. Trimethylaminurie: Es riecht nach Fisch
Ein eigentümlicher Geruch geht vom eigenen Körper aus. Es riecht nach verdorbenem Fisch. Permanent. Menschen, die am Fischgeruch-Syndrom leiden, fehlt ein bestimmtes Enzym: die Trimethylaminoxidase.
Wenn der Körper Nährstoffe abbaut, entsteht unter anderem das übelriechende Gas Trimethylamin. Normalerweise baut die Leber dieses mithilfe der Trimethylaminoxidase zu einer geruchlosen Substanz (Trimethylamin-N-Oxid) ab. Ohne das Enzym ist dies nicht möglich. Fehlt es, wird das geruchsintensive Trimethylamin vermehrt über Urin, Schweiß und Atemluft ausgeschieden. Ärzte sprechen von einer Trimethylaminurie.
Meist ist der seltene Enzym-Defekt, der das Fischgeruch-Syndrom auslöst, angeboren. Die Enzyme sind dann entweder nicht in ausreichender Menge vorhanden oder sie fehlen komplett. Gefährlich ist die Erkrankung zwar nicht – aber äußerst belastend für die Betroffenen und ihr Umfeld.
Wie stark der Geruch ist, kann sehr unterschiedlich sein. Manchmal erinnert er weniger an alten Fisch, sondern eher an Mundgeruch, starke Schweißausdünstung oder gar den Gestank von Fäkalien. Je weniger Trimethylamin der Körper herstellt, umso schwächer ist der Geruch. Daher müssen Patienten Nahrungsmittel meiden, deren Inhaltsstoffe zu Trimethylamin abgebaut werden. Dazu zählen zum Beispiel Eier, Innereien und Gemüsesorten wie Kohl und Hülsenfrüchte.
5. Trichotillomanie: Zum Haareraufen
Manchen Personen ist es zum Haareraufen – im wahrsten Sinne des Wortes. Menschen mit Trichotillomanie (auch: Haarrupfsucht) verspüren immer wieder den Drang, sich Haare ausreißen zu müssen. Auch wenn es weh tut, auch, wenn sichtbar Haare verloren gehen: Der Impuls ist so groß, dass die Betroffenen ihm kaum widerstehen können. Nicht nur am Kopf, auch an anderen Körperstellen muss das eine oder andere Haar weichen. Auch kommt es vor, dass die Haare nach dem Ausreißen zerteilt, zerkaut oder gegessen werden (sog. Trichophagie).
Der Drang zum Ausreißen ist besonders ausgeprägt, wenn sich die Patienten unter Druck und starker innerer Anspannung fühlen. Nach dem Ausrupfen verspüren sie eine kurzfristige Entspannung. In vielen Fällen beginnt die Erkrankung in der Pubertät.
Die Trichotillomanie ist eine psychische Erkrankung und zählt zu den sogenannten Impulskontrollstörungen. Zur Behandlung eignet sich eine Verhaltenstherapie. Mithilfe des Therapeuten lernen die Betroffenen Schritt für Schritt, dem inneren Drang standzuhalten.
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6. Mondscheinkrankheit: Lebenslanges Sonnenverbot
Sonnenlicht ist für Personen, die an der sehr seltenen Mondscheinkrankheit (Xeroderma pigmentosum) leiden, tabu. Sind sie der Sonne ausgesetzt, reagiert ihre Haut schon nach kurzer Zeit mit schweren Sonnenbränden und vorzeitiger Alterung. Auch können sich auf der Haut und in anderen Organen bösartige Tumoren bilden. Bei Mondlicht können sich die Betroffenen problemlos draußen aufhalten – daher spricht man umgangssprachlich auch von Mondscheinkindern.
Ursache der Mondscheinkrankheit ein erblich bedingter Gendefekt, durch den bestimmte Reparaturenzyme fehlen. In der Folge reagiert die Haut schon im Kindesalter gegen ultraviolette Strahlung überempfindlich.
Heilbar ist die Mondscheinkrankheit bislang nicht. Den Betroffenen bleibt nur, das Sonnenlicht so gut es geht zu meiden und regelmäßige Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung wahrzunehmen.
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