Bakteriengenetik
Bakterien besitzen ähnliche, aber nicht vollkommen gleiche genetische Eigenschaften wie menschliche Zellen.
Kernäquivalent (Nukleoid)
In menschlichen Zellen liegt das Erbmaterial, die DNA, im Zellkern vor und wird durch die Kernmembran vom umgebenden Zytoplasma der Zelle abgegrenzt. Die DNA der Bakterien befindet sich dagegen ohne Membranbegrenzungen direkt im Zytoplasma der bakteriellen Zelle: Die doppelsträngige Bakterien-DNA liegt als sogenanntes Kernäquivalent (Nukleoid) vor – in dieser Struktur liegt die DNA stark spiralisiert und verknäuelt vor. Auf diese Weise lässt sich Platz sparen. Im Unterschied zu menschlichen Zellen, in denen das Erbgut auf verschiedenen Chromosomen verteilt ist, ist das Erbmaterial der Bakterien als ein einziges ringförmiges Molekül organisiert und wird auch Bakterienchromosom genannt.
Aufbau der DNA
Das Bakterienchromosom, also das ringförmige DNA-Molekül der Bakterien, besteht wie die DNA der menschlichen Zellen aus zwei sich zueinander ergänzenden (komplementären) DNA-Strängen, die aus kleineren Untereinheiten, den Nukleotiden, zusammengesetzt sind.
Die Grundstruktur eines Nukleotids besteht aus Monosacchariden (Einfachzuckern), Phosphorsäure und einer von vier Nukleinbasen. Diese vier Basen sind:
- Adenin (A)
- Thymin (T)
- Cytosin (C)
- Guanin (G)
Zur Vereinfachung verwendet man in der Literatur nur die Abkürzungen der vier Basen (A, T, C und G), um den genetischen Code eines Lebewesens zu beschreiben. Die spezifische Abfolge dieser vier verschiedenen Basen codiert die genetische Information für die Synthese von Proteinen.
Dieses Prinzip der Informationscodierung ist bei den Zellen aller Lebewesen einschließlich des Menschen gleich und wird deswegen universeller Code genannt. Durch Wasserstoffbrückenbindungen lagern sich entweder die Basen Adenin und Thymin oder die Basen Cytosin und Guanin zusammen. Aus diesen Basenpaaren entsteht die typische Strickleiterstruktur der DNA.
Das Erbgut des Bakteriums Escherichia coli ist, wie bei vielen anderen Bakterienarten, vollständig sequenziert. Es besteht aus insgesamt aus 4,6 Millionen Basenpaaren und trägt die genetische Information für die Synthese von 4.288 verschiedenen Proteinen. Zum Vergleich: Das Genom des Menschen besteht aus circa 3.080 Millionen Basenpaaren und 20.000 bis 25.000 Genen.
Der Quotient aus der Anzahl der Basenpaare Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin ist bei jeder Bakterienart konstant und kann benutzt werden, um eine Systematik der Bakterien aufzustellen.
Plasmide
Viele Bakterien besitzen außer dem ringförmigen Bakterienchromosom, welches das eigentliche Erbgut des Bakteriums darstellt, ein oder mehrere zusätzliche ringförmige DNA-Moleküle in der Zelle, die sogenannten Plasmide.
Plasmide sind deutlich kleiner als das Kernäquivalent (Nukleoid). Einige sehr kleine Plasmide tragen nur 800 Basenpaare, während die größten bis zu 300.000 Basenpaare groß sind. Auf einem Bakterienchromosom finden sich dagegen mehrere Millionen Basenpaare.
Je nach Größe kommen Plasmide meist in ein bis zwei Kopien vor oder im Fall von sehr kleinen Plasmiden in 10 bis 100 Kopien, in Ausnahmefällen sogar in bis zu 1.000 Kopien. Sie sind vom Kernäquivalent des Bakteriums in jeder Hinsicht völlig unabhängig. Für die Funktion und Reproduktion der Zelle sind Plasmide nicht zwingend notwendig und werden bei der Zellteilung eher zufällig auf die Tochterzellen verteilt. Für die Medizin sind besonders Virulenzplasmide und Resistenzplasmide von Bedeutung.
Virulenzplasmide enthalten genetische Informationen, die für die krankmachenden Eigenschaften eines Bakteriums verantwortlich sind. Dazu gehören zum Beispiel:
- Gifte (Toxine)
- Substanzen, die rote Blutkörperchen schädigen (Hämolysine)
- besondere Zellwandstrukturen, die den Bakterien eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber Antibiotika verleihen
Manche Bakterien erwerben im Laufe ihres Lebenszyklus eine Resistenz gegenüber Antibiotika. Solche erworbenen Resistenzen sind selten im Kernäquivalent codiert, sondern meist auf Resistenzplasmiden. Sind Bakterien durch die genetische Information auf einem Plasmid gegen mehrere Substanzen resistent, spricht man von einem Mehrfachresistenzplasmid.
DNA-Replikation (DNA-Verdoppelung)
Bakterien vermehren sich durch Zweiteilung. Für diesen Vorgang muss die DNA des Kernäquivalents identisch verdoppelt (repliziert) und zu gleichen Teilen an die Tochterzellen weitergegeben werden.
Um mit der DNA-Replikation beginnen zu können, muss sich das hochverdichtete DNA-Knäuel des Kernäquivalents zuerst an einer Stelle entspiralisieren. An dieser Stelle kann die doppelsträngige Bakterien-DNA nun entlang ihrer Basenpaare reißverschlussartig in zwei Einzelstränge auseinanderweichen und so Platz für ein spezielles Enzym machen: die DNA-Polymerase.
Die DNA-Polymerase setzt sich jeweils auf die beiden aufgetrennten, einzelnen DNA-Stränge und beginnt diese entlangzuwandern. Die DNA-Polymerase erkennt die einzelnen Basen und fügt entsprechend der Basenabfolge komplementäre (gegensätzliche) Nukleotide an den Einzelstrang hinzu, also zum Beispiel ein T an ein A oder ein C an ein G. Auf diese Weise entsteht ein neuer DNA-Doppelstrang.
Die DNA-Replikation beginnt dabei bei Bakterien immer an einem bestimmten Punkt, dem sogenannten "origin of replication" (kurz: ori). Zum Schluss liegen zwei identische Doppelstränge vor, die bei der Zellteilung auf die Tochterzellen verteilt werden können. In den Tochterzellen befindet sich also immer ein DNA-Doppelstrang, der zur einen Hälfte aus dem Originalstrang der "Mutterzelle" und zur anderen Hälfte aus dem neu replizierten Einzelstrang besteht.
Transkription
Die DNA der Bakterien trägt die genetische Information zur Herstellung von Proteinen (Eiweißen). Diese Proteine herzustellen ist für das Bakterium lebensnotwendig. Proteine sind notwendig zur Erhaltung der Zellstruktur, bei Stoffwechselprozessen und vielen anderen Abläufen in der Zelle.
Um aus der genetischen Information der Bakterien-DNA Proteine herstellen zu können, sind mehrere Schritte notwendig. Der Bauplan für ein bestimmtes Protein ist in einem Gen codiert, also einem spezifischen Abschnitt der DNA beziehungsweise in der Abfolge der Basen A, T, C und G in diesem Abschnitt. Der erste Schritt zur Synthese eines Proteins aus einem Gen ist die Transkription, das heißt die Umschrift in ein Botenmolekül: die mRNA (Abk. für messenger ribonucleic acid).
Die mRNA ist im Prinzip genauso aufgebaut wie DNA, enthält aber anstelle der Base Thymin (T) die Base Uracil (U), die aber genauso mit Adenin (A) ein Basenpaar bilden kann. Für den Vorgang der Transkription lagert sich ein bestimmtes Enzym, die RNA-Polymerase, an die DNA an. Die RNA-Polymerase erkennt bestimmte Startpunkte in der DNA-Sequenz und beginnt ab dort, die DNA-Sequenz in ein mRNA-Molekül umzuschreiben. Erreicht sie das Ende des Gens, bricht die RNA-Polymerase die Transkription ab und setzt das entstandene mRNA-Molekül frei.
Translation
Der zweite Schritt vom Gen zum Protein nach der Transkription ist die Translation, also die Übersetzung der mRNA-Abschrift eines Gens in die Aminosäurensequenz des späteren Proteins.
Die Übersetzung der mRNA in ein Protein erfolgt mithilfe von Ribosomen. Ribosomen sind Komplexe aus Proteinen und RNA, die sich entlang der mRNA-Sequenz bewegen, die darin enthaltene genetische Information in Aminosäuren übersetzen und diese zu einer Kette verknüpfen.
Eine Aminosäure wird dabei durch jeweils drei Basen codiert: das sogenannte Basentriplett oder Codon. Da es insgesamt vier Basen (A, T, C, G) gibt, sind insgesamt 4³, also 64 verschiedene Kombinationen beziehungsweise Codons möglich. Drei dieser Codons codieren dabei sogenannte Stopp-Codons, an denen die Translation abbricht. Die restlichen 61 Codons codieren für Aminosäuren, zum Teil auch für dieselben. Auf diese Weise können insgesamt 20 verschiedene Aminosäuren entstehen.
Zur Translation wird außerdem die transfer-RNA (tRNA) benötigt. Die tRNA kooperiert mit dem Ribosom auf der mRNA und liefert die zum Codon passenden Aminosäuren an: Auf der einen Seite transportiert die tRNA ein zum Codon komplementäres Anticodon. Auf seiner anderen Seite ist die tRNA mit der Aminosäure beladen, zum Codon der mRNA passt. Im Ribosom bindet die tRNA an eine spezielle Bindestelle im Ribosom. Durch das Ribosom vermittelt, kann nun die Peptidbindung zur vorausgegangenen Aminosäure geknüpft werden. Dieser Prozess wird so lange fortgesetzt, bis das Ribosom ein Stopp-Codon abliest, abbricht und die fertige Aminosäurenkette (das Protein) freigibt.
Die Vorgänge der Transkription und Translation werden auch unter dem Begriff Proteinbiosynthese zusammengefasst.
Genregulation
Proteine (Eiweiße) haben ganz verschiedene Funktionen in einer bakteriellen Zelle. Ihre Herstellung wird daher auch in unterschiedlichen Mengen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten benötigt – Gene müssen also nicht ständig abgelesen werden. Der Bedarf hängt dabei unter anderem vom Zellzyklus und den gegebenen Lebensbedingungen ab. Zur Regulation der Proteinbiosynthese existieren in der Bakterienzelle deshalb Mechanismen zum Ein- oder Ausschalten der Produktion beziehungsweise zur Genregulation.
Der genetische Code für die jeweiligen Proteine, die für einen bestimmten Stoffwechselschritt oder eine Umweltsituation benötigt werden, liegt auf der DNA meist direkte hintereinander in einem sogenannten Operon. Ein Operon ist eine Funktionseinheit der Bakterien-DNA, die zusammenhängend transkribiert wird und in der Regel aus mehreren Genen besteht, die für funktionell zusammengehörende Proteine codieren. Die DNA eines Operons ist durch typische Strukturen gekennzeichnet:
- Promotor
- Operator
- Terminator
Der Promotor liegt immer vor einem Gen und bewirkt durch die Interaktion mit der RNA-Polymerase den Start der Transkription. Der Operator ist ein Bereich kurz vor dem Promotor oder innerhalb des Promotors. Sowohl an den Promotor also auch an den Operator können Regulatorproteine binden und dadurch zum Beispiel die Transkription des Gens verhindern oder auch aktivieren. Der Terminator liegt am Ende eines Gens oder Operons und beendet die Transkription durch die RNA-Polymerase.
Wie häufig ein Gen oder Operon abgelesen wird, hängt unter anderem von den nachfolgenden Regulationsmechanismen ab, die allesamt auf der Transkriptionsebene stattfinden:
- Repression
- Induktion
- Effektoren
Repression
Um die Repression eines Gens zu bewirken, also die Transkription eines Gens zu unterdrücken, können sogenannte Repressorproteine an den Operator eines Gens binden. Repressorproteine behindern die RNA-Polymerase bei der Transkription eines Gens, indem sie das Anheften der RNA-Polymerase an die DNA und damit ein Ablesen unmöglich machen.
Induktion
Um die Induktion (Aktivierung) der Transkription eines Gens oder Operons zu bewirken, können sogenannte Aktivatorproteine vor dem Promotor des Gens an die DNA binden. Aktivatorproteine ermöglichen oder erleichtern auf diese Weise das Anheften der RNA-Polymerase an die DNA und starten dadurch die Transkription.
Effektoren
Effektoren sind kleine Signalmoleküle, die an Aktivator- oder Repressorproteine binden und diese dadurch in ihrer Funktion aktivieren oder inaktivieren können.
Mutationen
Durch äußere Einflüsse oder auch spontan können sich DNA-Sequenzen verändern und der betroffenen bakteriellen Zelle veränderte Eigenschaften verleihen. Diese Mutationen verlaufen ungerichtet. Ob die betreffende Zelle mit einer Mutation eine neue Eigenschaft erworben hat, die ein besseres Überleben ermöglicht, wird durch Selektion entschieden.
Die Häufigkeit einer spontanen Mutation bezeichnet man als Mutationsrate. Diese kann von Gen zu Gen variieren und liegt durchschnittlich bei 10-6 bis 10-8, also bei ein zu einer Million bis eins zu 100 Millionen.
Wissenschaftler unterscheiden verschiedene Formen der Mutation:
- Punktmutationen: Veränderungen in einzelnen Nukleotiden
- Frameshift-Mutationen / Leseraster-Mutationen: Durch den Verlust (Deletion) oder das Einfügen (Insertion) einzelner Nukleotide verschiebt sich das Leseraster bei der Transkription und es können andere Aminosäuren entstehen.
- Verlust (Deletion), Umkehrung (Inversion) oder Einfügung (Insertion) ganzer Genabschnitte
Für die Medizin spielen Mutationsvorgänge bei Bakterien eine besondere Rolle, weil dadurch Bakterien entstehen können, die durch die genetischen Veränderungen neue Eigenschaften erworben haben – beispielsweise die Resistenz gegenüber einem Antibiotikum.
Neben Mutationen im Kernäquivalent können Mutationen auch in Plasmiden auftreten. Im Extremfall kann es sogar zum Verlust aller Plasmide kommen. Diese Eigenschaft kann, wie jede andere Mutation auch, weitervererbt werden. Zellen ohne Plasmide können sich schneller vermehren, da sie für die Replikation der Plasmide keine Energie aufbringen müssen, und dadurch unter Umständen einen Selektionsvorteil gewinnen.
Mutagene
Mutationen treten normalerweise spontan auf. Es gibt aber bestimmte äußere Faktoren, die eine Mutation auslösen oder diese begünstigen können. Solche Faktoren werden Mutagene genannt und können direkt mit der DNA reagieren oder indirekt durch zellinterne Reaktionsprodukte Mutationen auslösen.
Mutagene Faktoren sind zum Beispiel:
- UV-Strahlung
- ionisierende Strahlung
- zahlreiche chemische Substanzen
Parasexualität
Durch sexuelle Vermehrung wird die genetische Variabilität einer Art gewährleistet. Bakterien vermehren sich jedoch nicht geschlechtlich, sondern durch Zweiteilung. An die Tochterzellen werden jeweils Kopien der Ursprungs-DNA weitergegeben. Durch bestimmte Mechanismen, die man unter dem Begriff Parasexualität zusammenfasst, ist es Bakterien aber möglich, Erbgut an verschiedene bakterielle Partnerzellen weiterzugeben.
Bei diesen Mechanismen wird DNA von einer Spenderzelle (Donorzelle) in eine Empfängerzelle (Rezeptorzelle) weitergegeben. Sofern es sich bei der DNA nicht um ein Plasmid handelt, muss die empfangene DNA in die DNA der Empfängerzelle eingebaut werden, da diese sonst bei der nächsten Zellteilung nicht an die Tochterzellen weitergegeben werden kann und die genetische Information verlorengeht.
Transformation
Manche Bakterienarten besitzen die Fähigkeit freie, außerhalb der Zelle vorliegende DNA in die eigene Zelle aufzunehmen. Diese Fähigkeit wird natürliche Kompetenz genannt und ist Voraussetzung für die Transformierbarkeit von Bakterien.
Die fremde DNA wird in die DNA des aufnehmenden Bakteriums eingebaut (Rekombination) und kann nun bei Zellteilungen weitergegeben werden. Alle Tochterzellen dieses Bakteriums besitzen dadurch die neu aufgenommene DNA einschließlich der dort codierten Eigenschaften.
Den Mechanismus der Transformation machen Forscher sich in der Gentechnologie zunutze, um erwünschte DNA-Abschnitte, die zuvor in Plasmide eingebaut wurden, in Bakterien einzubringen.
Transduktion
Transduktion ist die Übertragung bakterieller DNA durch Bakteriophagen. Bakteriophagen sind Viren, die auf Bakterien spezialisiert sind. Normalerweise infizieren sie Bakterien und bauen ihre DNA in die DNA der befallenen Bakterien ein. Die eingebaute Phagen-DNA wird dann im Bakterium über die zelleigenen Replikationsmechanismen vermehrt, welche die Bauanleitung für die Einzelteile der Phagen-Hülle enthält, die nun vom Bakterium hergestellt werden. Die Einzelteile der Bakteriophagen setzen sich in der Zelle selbst zusammen und die vermehrte Phagen-DNA wird in die Phagen-Hüllen verpackt. Die Zellhülle des Bakteriums löst sich auf (Lyse) und die neuen Bakteriophagen werden freigesetzt und können neue Bakterien infizieren.
Bei diesem Vorgang kann es passieren, dass fälschlicherweise Teile der bakteriellen DNA anstelle der ganzen oder von Teilen der Phagen-DNA in die Phagen-Hülle verpackt werden. Dieser "falsch bepackte" Bakteriophage ist defekt und wird bei der nächsten bakteriellen Zelle, die er infiziert, zwar die DNA in das Bakterium abgeben können – neue Phagen werden jedoch nicht mehr produziert und das Bakterium kann auch nicht zerstört werden. Die neue DNA kann so in das Kernäquivalent integriert werden.
Konjugation
Als Konjugation bezeichnet man den DNA-Austausch eines Spender-Bakteriums (Donor) mit einem Empfänger-Bakterium (Rezeptor) durch einen direkten Zell-Zell-Kontakt. Für diesen Zweck bilden die Bakterien eine Zellplasmabrücke (Konjugationsbrücke) in Form von sogenannten Pili aus.