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Karzinoid (neuroendokriner Tumor)

Von: Onmeda-Redaktion
Letzte Aktualisierung: 28.10.2021

Ein Karzinoid – auch neuroendokriner Tumor oder neuroendokrines Karzinom genannt – ist ein sehr seltener Tumor, der sich aus hormonbildenden Zellen entwickelt und häufig selbst Hormone oder Botenstoffe bildet. Da Karzinoide sehr langsam wachsen, bleiben sie häufig viele Jahre unentdeckt. Rechtzeitig erkannt sind sie meist vollständig heilbar.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Überblick

Hormon- und botenstoffbildende Zellen, die sich außerhalb von Hormondrüsen befinden, fassen Ärzte auch unter der Bezeichnung APUD-System (Amine-Precurser-Uptake and Decarboxilation) zusammen. Daher findet man manchmal auch den älteren Begriff APUDom, stellvertretend für das Karzinoid.

Die Ursache für ein Karzinoid ist weitgehend unbekannt. Da die hormonbildenden Zellen (sog. endokrine Zellen), aus denen ein Karzinoid entsteht, nahezu überall im Körper vorkommen, können alle möglichen Organe betroffen sein.

Da das Karzinoid selten vorkommt, gibt es entsprechend wenige Daten im Vergleich zu anderen Krebsarten. Dies erschwert zusätzlich die Forschung nach den Karzinoid-Ursachen.

Meistens bildet sich ein neuroendokriner Tumor im Magen-Darm-Trakt, zum Beispiel im

Deshalb bezeichnet man neuroendokrine Tumoren auch als GEP-Tumoren, wobei GEP für gastroenteropankreatische Tumoren (= Magen-Darm-Bauchspeicheldrüsen-Tumoren) steht. Nur jedes zehnte Karzinoid tritt in anderen Organen (z.B. in der Lunge oder im Thymus) auf.

Ein Karzinoid kann vielfältige Symptome verursachen. Zum einen rufen groß gewachsene Tumoren beziehungsweise Tochtergeschwulste (Metastasen) je nach Lage verschiedene Beschwerden hervor, wenn sie umliegende Organe verdrängen. Zum anderen kann ein Karzinoid Hormone freisetzen, die je nach Art des Hormons unterschiedliche Auswirkungen haben. Möglich sind zum Beispiel:

Durch einen neuroendokrinen Tumor kann es auch zum Karzinoid-Syndrom kommen, wenn der Tumor zu viel vom Botenstoff Serotonin bildet. Häufig verursacht ein Appendix-Karzinoid (ein neuroendokriner Tumor des Wurmfortsatzes) das Syndrom, das gekennzeichnet ist durch:

Bei einem Karzinoid umfasst die Diagnostik vor allem bildgebende Verfahren, wie Ultraschalluntersuchung (Sonographie), Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT). Die gegen ein neuroendokrines Karzinom eingesetzte Therapie besteht in erster Linie darin, das Karzinoid operativ zu entfernen. Hat ein neuroendokriner Tumor bereits in andere Organe gestreut (d.h. Metastasen gebildet), kommen neben der Operation weitere Behandlungsverfahren, wie die Chemotherapie, zum Einsatz. Rechtzeitig entdeckte und angemessen behandelte neuroendokrine Karzinome haben in vielen Fällen eine gute Prognose.

Definition

Ein Karzinoid – auch neuroendokriner Tumor (NET) oder neuroendokrines Karzinom genannt – ist eine bösartige Neubildung von Gewebe ("karzinoid" bedeutet wörtlich "krebsähnlich"), die sich aus neuroendokrinen Zellen entwickelt.

Neuroendokrine Zellen gehören ihrem Ursprung nach zum Nervensystem und schütten Botenstoffe des Nervensystems oder Hormone aus. Da sie nahezu im gesamten Körper verteilt sind, kann ein Karzinoid in verschiedenen Organen auftreten. Besonders häufig betrifft ein neuroendokrines Karzinom

  • den Dünndarm,
  • den Wurmfortsatz (Appendix),
  • die Bauchspeicheldrüse (Pankreas),
  • den Magen und den
  • Dickdarm: Hier finden sich rund 90 Prozent aller Karzinoide.

Daher tragen neuroendokrine Tumoren entsprechend den Organen, in denen sie sich am häufigsten entwickeln, auch die Bezeichnung GEP-Tumoren (= gastroenteropankreatische Tumoren bzw. Magen-Darm-Bauchspeicheldrüsen-Tumoren). In den restlichen 10 Prozent der Fälle tritt ein Karzinoid in anderen Organen, wie der Lunge oder dem Thymus, auf.

Einige Beispiele für neuroendokrine Zellen, die von ihnen gebildeten Hormone beziehungsweise Botenstoffe und das zugehörige Karzinoid sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:

ZellartHormon/BotenstoffKarzinoid
B-Zellen der BauchspeicheldrüseInsulinInsulinom
A-Zellen der BauchspeicheldrüseGlukagonGlukagonom
D1-Zellen der BauchspeicheldrüseVIP (vasoaktives intestinales Polypeptid)VIPom
D-Zellen der BauchspeicheldrüseGastrinGastrinom
Zellen des Wurmfortsatzes (Appendix)SerotoninAppendix-Karzinoid

Häufigkeit

Das Karzinoid (neuroendokriner Tumor) ist nicht weit verbreitet: Mit 0,5 bis 1 neuen Fällen pro Jahr und pro 100.000 Einwohner sind Karzinoide sehr selten. In Deutschland findet sich jährlich bei 400 bis 800 Menschen ein solches neuroendokrines Karzinom. Das Karzinoid tritt überwiegend bei Menschen im höheren Lebensalter auf, wobei Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sind.

Ursachen

Wodurch ein Karzinoid (neuroendokriner Tumor, neuroendokrines Karzinom) verursacht wird, ist weitgehend unbekannt.

Da neuroendokrine Tumoren sehr selten auftreten, sind mögliche Zusammenhänge mit Umwelteinflüssen, Viren oder erblichen Faktoren nur schwer aufzudecken.

Symptome

Anfangs verursacht ein Karzinoid (neuroendokriner Tumor) oft keine Symptome: Etwa jedes zweite Karzinoid bildet keine Hormone, die sich im Labor nachweisen lassen oder durch die es zu Beschwerden kommt. Bei einem solchen neuroendokrinen Tumor treten die ersten Symptome erst dann auf, wenn er durch sein Wachstum beziehungsweise seine Ausbreitung im Körper benachbarte Gewebe oder Organe verdrängt.

Wie die von einem solchen Karzinoid hervorgerufenen Symptome im Einzelnen aussehen, hängt zum einen von seiner Lage ab: Ein großes neuroendokrines Karzinom im Bauchraum ist mit Beschwerden wie:

Ein neuroendokriner Tumor im Brustraum (im Bereich der Lunge) kann sich durch Symptome bemerkmar machen wie:

Ein funktionell aktiver neuroendokriner Tumor dagegen setzt in größerer Menge Hormone oder hormonähnliche Botenstoffe ins Blut frei. Je nachdem, welche Hormone das sind, löst das Karzinoid unterschiedliche Symptome aus: Bei überschießender Insulinproduktion tritt häufig Unterzuckerung (Hypoglykämie) auf, was sich bei Betroffenen durch blasse, schweißige Haut und Zittrigkeit äußert. Fällt der Blutzucker stark ab, kann es auch zur Ohnmacht kommen.

Produziert das Karzinoid hingegen vermehrt Gastrin, entstehen Symptome wie Sodbrennen und wiederholt Magengeschwüre und Dünndarmgeschwüre (Zollinger-Ellison-Syndrom). Bildet der neuroendokrine Tumor das Hormon VIP (vasointestinales Peptid), entsteht chronischer Durchfall (Verner-Morrison-Syndrom).

Ein Karzinoid, das sich im mittleren Abschnitt des Dünndarms befindet, setzt häufig Botenstoffe des Nervensystems (wie Serotonin) frei. Ein solcher neuroendokriner Tumor führt – vor allem wenn er bereits in die Leber oder in andere Organe gestreut hat – zum sogenannten Karzinoid-Syndrom. Typische Symptome hierfür sind:

  • anfallsartig auftretende Rötung des Gesichts (sog. Flush), die sich auch auf Hals und Brustausschnitt ausdehnen kann,
  • Herzrasen,
  • Schweißausbrüche,
  • Atembeschwerden,
  • krampfartige Bauchschmerzen und
  • Durchfall.

Die Symptome des Karzinoid-Syndroms können einzeln oder gemeinsam auftreten.

Diagnose

Bei einem Karzinoid (neuroendokriner Tumor, neuroendokrines Karzinom) erfolgt die Diagnose oft recht spät, da hinweisende Symptome zunächst häufig fehlen. Bildet das Karzinoid Hormone oder Botenstoffe im Übermaß, können die daraus entstehenden Beschwerden allerdings früher zur Verdachtsdiagnose führen. Einige der Stoffe oder ihre Abbauprodukte kann der Arzt dann mithilfe von Blut- und Urinuntersuchungen nachweisen. Neuroendokrine Tumoren, die keine Hormone produzieren, sondern häufig einen speziellen Tumormarker (Chromogranin A) ab. Chromogranin A lässt sich im Blut nachweisen.

Bei Verdacht auf ein Karzinoid kommen zur Diagnose folgende bildgebende Verfahren zum Einsatz:

  • Ultraschalluntersuchung (Sonographie),
  • Magen-Darm-Spiegelung (Endoskopie),
  • Computertomographie (CT) und
  • Magnetresonanztomographie (MRT).

Bei einem Karzinoid, welches das Hormon Gastrin bildet (sog. Gastrinom), ist zur Diagnostik außerdem die sogenannte Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie geeignet: Auf der Zelloberfläche von Gastrinomen befinden sich Bindungsstellen für den Botenstoff Somatostatin. Durch die Untersuchung kann der Arzt Zellen eines solchen neuroendokrinen Tumors im gesamten Körper auffinden.

Therapie

Bei einem Karzinoid (neuroendokriner Tumor, neuroendokrines Karzinom) umfasst die Therapie meist eine Operation. Da ein Karzinoid oftmals sehr langsam wächst, bestehen gute Aussichten auf eine vollständige Heilung, wenn es sich durch eine Operation entfernen lässt. Wenn es nicht gelingt, ein neuroendokrines Karzinom durch eine operative Therapie vollständig zu entfernen, kann der Chirurg den Tumor oft zumindest verkleinern.

Auch wenn ein Karzinoid bereits Tochtergeschwulste (Metastasen) ausgebildet hat, ist eine operative Therapie in einigen Fällen möglich. Meist kommt hierbei jedoch eine Chemotherapie zum Einsatz. Dazu erhalten Sie je nach Art Ihres Tumors verschiedene Medikamente (sog. Zytostatika) über die Venen.

Zur Karzinoid-Therapie eignet sich außerdem eine sogenannte Immuntherapie mit Interferon-alpha: Dies soll das Immunsystem dazu anregen, seine Abwehr gegen das Tumorgewebe zu richten. Ärzte setzen zudem zur Karzinoid-Therapie sogenannte Somatostatinanaloga ein. Es handelt sich dabei um Wirkstoffe, welche dem körpereigenen Hormon Somatostatin ähneln. Sie hemmen die übermäßige Hormonausschüttung der Karzinoid-Zellen und lindern so häufig die Symptome.

Bei einem Karzinoid, das vermehrt Tochtergeschwulste in der Leberbildet, kann die Therapie darin bestehen, die versorgenden Blutgefäße des Tumors künstlich zu verstopfen. Dabei schneidet der Arzt die Tochtergeschwulste durch eine spezielle Embolisationstechnik (Embolus = Pfropf, Fremdkörper in der Blutbahn) von der Blutversorgung ab, sodass sie nicht mehr weiterwachsen können. Wenn ein neuroendokriner Tumor Metastasen in den Knochen bildet, kann zur Therapie außerdem eine Bestrahlung erfolgen, um die Schmerzen zu lindern.

Verlauf

Bei einem Karzinoid (neuroendokriner Tumor) hängt der Verlauf von der Art des Tumors, seiner Lage sowie dem Stadium ab, in dem es entdeckt wird. Meistens wachsen Karzinoide sehr langsam, was sich günstig auf die Prognose auswirkt. Karzinoide des Wurmfortsatzes (Appendix) etwa neigen kaum dazu, Metastasen zu bilden. Kann der Arzt ein Appendix-Karzinom vollständig entfernen, bestehen meist gute Heilungschancen. Aber auch bei anderen Karzinoid-Arten oder bei bereits bestehenden Metastasen lässt sich der Krankheitsverlauf oft längere Zeit gut durch Medikamente kontrollieren.

Prognose

Beim Karzinoid (neuroendokriner Tumor) hängen Verlauf und Prognose davon ab, in welchem Stadium die Diagnose erfolgt: Wenn das Karzinoid zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestreut, das heißt keine Tochtergeschwulste gebildet hat, kann eine Operation die Betroffenen in vielen Fällen vollständig heilen. Hat sich ein neuroendokrines Karzinom bereits in andere Organe ausgebreitet (metastasiert), bestehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die das Fortschreiten der Erkrankung oft viele Jahre hinauszögern können.

Komplikationen

Ein unbehandeltes Karzinoid (neuroendokriner Tumor) kann im weiteren Verlauf zu verschiedenen Komplikationen führen. So kann es sich über die Lymph- und Blutgefäße im Körper ausbreiten und Tochtergeschwulste (Metastasen) bilden. Davon sind in erster Linie die Leber und die Knochen betroffen. Mitunter finden sich auch Absiedelungen in der Augenhöhle, im Herzmuskel und bei Frauen in der Brust.

Große Karzinoide beziehungsweise Tochtergeschwulste verdrängen das umliegende Gewebe und können lebensbedrohliche Folgen haben: So kann zum Beispiel ein Karzinoid im Darm zu einem vollständigen Darmverschluss (Ileus) führen, der eine sofortige Behandlung erfordert.

Wenn ein Karzinoid in größeren Mengen Hormone freisetzt, sind weitere Komplikationen möglich, da die Hormone mitunter sehr belastende Symptome hervorrufen: Wenn beispielsweise ein neuroendokriner Tumor Gastrin bildet, können Magengeschwüre entstehen. Diese können im weiteren Verlauf in die Bauchhöhle durchbrechen oder zu schwerwiegenden Blutungen führen.

Vorbeugen

Einem Karzinoid (neuroendokriner Tumor) können Sie nicht vorbeugen. Auch allgemein empfohlene Früherkennungsmaßnahmen stehen nicht zur Verfügung.

Onmeda-Lesetipps:

Linktipps:

  • www.net-shg.de Bundesorganisation Selbsthilfe NeuroEndokrine Tumoren e.V.
  • www.karzinoid.info Netzwerk Neuroendokrine Tumoren (NeT) - Überregionale Selbsthilfegruppe im Dachverband des Netzwerks Erlangen
  • Ratgeber für Patienten (hrg. v. Netzwerk Neuroendokrine Tumoren)