Hypochondrie: Ursachen, Symptome und Therapie
Brustkrebs, Tumor, Herzinfarkt: Menschen mit Hypochondrie glauben, schwer krank zu sein, obwohl sie es gar nicht sind. Ihre Angst schränkt Betroffene in ihrem Alltag stark ein und sorgt für einen hohen Leidensdruck. Woran sich eine hypochondrische Störung erkennen lässt und welche Therapie helfen kann.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Zusammenfassung
Definition: Hypochondrie ist eine somatoforme Störung, die sich durch starke Krankheitsangst auszeichnet: Betroffene sind überzeugt, schwer krank zu sein, obwohl sie eigentlich gesund sind.
Symptome: Menschen mit Hypochondrie nehmen ständig wechselnde körperliche Symptome wahr – etwa Herzrasen, ein erhöhter Puls oder Schwindel. Sie suchen zahlreiche ärztliche Praxen auf und sind trotz fehlendem Befund überzeugt, krank zu sein. Die Störung schränkt Erkrankte stark im Alltag ein und sorgt für hohen Leidensdruck.
Therapie: Die somatoforme Störung lässt sich gut mithilfe einer Verhaltenstherapie behandeln – zum Teil in Kombination mit Medikamenten. In schweren Fällen kann ein stationärer Aufenthalt sinnvoll sein.
Diagnose: Suchen Betroffene trotz unauffälliger Befunde unverhältnismäßig oft ärztlichen Rat auf, kann das auf eine hypochondrische Störung hindeuten.
Verlauf: Wichtige Voraussetzung für eine Besserung ist die Einsicht, nicht körperlich krank zu sein. Unbehandelt kann Hypochondrie chronisch werden.
Hypochondrie: Was ist das?
Ein Druck im Magen, hin und wieder Kopfschmerzen, nächtliches Schwitzen: Derlei Beschwerden können zahlreiche Ursachen haben. Oft sind sie harmlos und gehen vorüber. Wenn nicht, kann es sinnvoll sein, ärztlichen Rat einzuholen. Gibt es von fachlicher Seite Entwarnung, sind die meisten Menschen beruhigt.
Bei Personen, die an Hypochondrie (auch: hypochondrische Störung, Krankheitsangst oder Gesundheitsangst) leiden, ist dies anders: Sie sind davon überzeugt, ernsthaft körperlich krank zu sein, obwohl es keinen medizinischen Hinweis dafür gibt. Auch wenn mehrere Ärzt*innen eine organische Ursache ausschließen konnten, fühlen sie sich nicht beruhigt. Sie glauben, dass etwas übersehen wurde und drängen auf weitere Untersuchungen.
Viele Hypochonder*innen fühlen sich durch die ständige Krankheitsangst stark in ihrem Alltag eingeschränkt. So kann etwa ihre berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Auch soziale Beziehungen zu anderen Menschen können leiden. Weisen nahestehende Personen darauf hin, dass es sich möglicherweise um eine psychische Erkrankung handelt, fühlen sich die Betroffenen meist nicht ernst genommen.
Hypochondrie zählt zu den somatoformen Störungen
Die Hypochondrie ist eine Form der somatoformen Störung. Typisch für somatoforme Störungen ist, dass Erkrankte körperliche Beschwerden verspüren, ohne dass sich eine organische Ursache finden lässt. Im Gegensatz zu Personen mit anderen somatoformen Störungen ordnen Hypochonder*innen ihre Symptome meist einer konkreten Krankheit zu. So glauben Sie etwa, an Krebs oder einer Nervenerkrankung wie Multipler Sklerose erkrankt zu sein.
Hypochondrie kann
- als eigenständige psychische Störung auftreten oder
- Teil einer anderen Erkrankung, etwa einer Angststörung, sein.
Die somatoforme Störung kann zudem unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Während einige Betroffene lediglich unter einem ausgeprägten Gesundheitswahn leiden, der sich durch ein extremes, vermeintlich gesundheitsbewusstes Verhalten (zum Beispiel der Essstörung Orthorexie) äußert, verfallen andere in eine lähmende Krankheitsangst, die bis zur Todesangst führen kann. Von einer Störung im klinischen Sinne sprechen Fachleute, wenn durch die Symptomatik ein Leidensdruck entsteht.
Cyberchondrie: Digitale Hypochondrie
Cyberchondrie – die Wortkombination aus "Cyber" und "Hypochondrie", auch Morbus Google genannt – bezieht sich auf Menschen, deren Krankheitsangst insbesondere durch Internetrecherchen ausgelöst oder verstärkt wird. Im Netz stehen zahlreiche Informationen über diverse Erkrankungen zur Verfügung, doch nur wenige davon sind fachlich korrekt. Entsprechend hoch ist die Gefahr, dass Betroffene in ihrer Überzeugung, krank zu sein, bestärkt werden.
Häufigkeit
Schätzungen zufolge leiden etwa drei bis vier von 100 Personen an einer hypochondrischen Störung. Fachleute gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Übrigens: Bekannte Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Charlie Chaplin, Harald Schmidt und Woody Alan sollen ebenfalls Hypochonder gewesen sein.
Hypochondrie: Welche Symptome sind typisch?
Menschen mit hypochondrischer Störung sind überzeugt davon, ernsthaft erkrankt zu sein, obwohl eine körperliche Krankheit ausgeschlossen wurde. Sie spüren immer wieder in ihren Körper hinein und nehmen verschiedene körperliche Symptome wahr. Diese variieren oft und betreffen diverse Körperbereiche. Häufig decken sich diese Beschwerden mit jenen einer Person im nahen Umfeld, die unter einer bestimmten Erkrankung leidet.
Typische Symptome sind zum Beispiel:
- starkes Herzklopfen oder Herzrasen (Tachykardie)
- einen erhöhten Puls
- übermäßiges Schwitzen
- Zittern (Tremor)
- Kopfschmerzen
- lokale Schmerzen in einem oder mehreren Körperteilen
- Schwindel und Übelkeit
Derlei körperliche Symptome werden als Beweis für eine ernste Erkrankung gesehen. Um sicherzugehen, überprüfen viele Betroffene permanent ihre Vitalfunktionen. Sie messen etwa
- Puls,
- Blutdruck und
- Körpertemperatur.
Anders als häufig angenommen simulieren Hypochonder*innen der Krankheitsangststörung nicht: Sie nehmen die beschriebene Symptomatik tatsächlich wahr. Grund hierfür ist mitunter, dass sie im Allgemeinen sensibler auf körperliche Reize reagieren.
Zusätzlich schonen sich Personen mit Hypochondrie aus Sorge um ihre Gesundheit und vermindern dadurch ihre körperliche Belastbarkeit. So kann es passieren, dass schon kleinere Anforderungen zu körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Atemnot und Herzstolpern führen – was wiederum dazu führt, dass sich die Betroffenen bestätigt fühlen, krank zu sein.
Neben physischen Symptomen berichten Hypochonder*innen auch oft von psychischen Beschwerden wie
Typisch: Der Ärztemarathon
Menschen mit Hypochondrie suchen unverhältnismäßig oft ärztlichen Rat auf. Unauffällige medizinische Befunde werden infrage gestellt. Statt beruhigt zu sein, suchen Betroffene immer wieder neue Ärzt*innen auf.
In einigen Fällen unterziehen sich Hypochonder*innen sogar risikoreichen operativen Eingriffen, von denen sie sich Hinweise auf die Ursache ihrer Beschwerden erhoffen.
Hypochondrie führt zu hohem Leidensdruck
Eine hypochondrische Störung schränkt Erkrankte in ihrem Alltag stark ein. Zum einen lässt der gedankliche Fokus auf die vermeintliche Krankheit kaum Raum für anderes. So leidet etwa die berufliche oder schulische Leistung.
Auch sozial ziehen sich Erkrankte meist zurück. Sie befürchten etwa eine Verschlimmerung ihrer Symptome, wenn sie das Haus verlassen oder glauben, in der Notaufnahme zu landen. Zudem fühlen sich Menschen mit hypochondrischer Störung von ihrem Umfeld häufig nicht ernst genommen, was zu Konflikten in sozialen Beziehungen führen kann.
Hypochondrie: Was sind die Ursachen?
Die genauen Ursachen der somatoformen Störung sind nicht bekannt. Fachleute gehen jedoch davon aus, dass Hypochondrie im Zusammenspiel mehrerer Faktoren entsteht. Zum einen haben Betroffene in der Vergangenheit oft negative Erfahrungen mit Krankheiten gemacht – etwa, weil sie selbst bereits ernsthaft erkrankt waren, oder eine nahestehende Person an einer Krankheit leidet oder sogar daran gestorben ist.
Zudem spielt eine Rolle, wie die Eltern mit Krankheit und Beschwerden umgegangen sind. Auch genetische Faktoren scheinen die Krankheitsangst zu beeinflussen.
Weitere Risikofaktoren:
ein gesteigertes Erregungsniveau: Schon bevor die ersten Anzeichen der Störung auftreten, zeigen viele spätere Betroffene eine hohe psycho-physiologische Reaktivität. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie auf Reize besonders schnell mit erhöhtem Herzschlag reagieren.
eine besonders niedrige Wahrnehmungsschwelle für körperliche Reize: Sie können beispielsweise ihren Puls leichter spüren als andere. Nicht zuletzt neigen (spätere) Hypochonder*innen zum Katastrophendenken. Sie bewerten Ereignisse oft extrem negativ. Betroffene sind zudem meist ängstliche Menschen und neigen eher zu Angsterkrankungen als andere Personen.
psychische Belastungen oder Stress können eine hypochondrische Störung ebenfalls begünstigen.
Wie wird Hypochondrie diagnostiziert?
Schätzungen zufolge wird nur ein Bruchteil der Fälle diagnostiziert. Grund hierfür sind mitunter häufige Wechsel der ärztlichen Praxis.
Kommt es jedoch wiederholt zu unauffälligen Untersuchungsbefunden und unverhältnismäßig häufigen Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten, kann dies ein erster Hinweis auf Hypochondrie sein. Häufig berichten Erkrankte von immer wechselnden oder vielen unterschiedlichen Beschwerden. Auch psychische Begleitsymptome wie Unruhe, Erschöpfung oder Angst können auf die somatoforme Störung hinweisen.
Grundsätzlich ist ein besonders behutsames Vorgehen gefragt. Werden Betroffene mit der Verdachtsdiagnose Hypochondrie konfrontiert, fühlen sich diese oft nicht ernst genommen. Wichtig ist, den hohen Leidensdruck der somatoformen Störung anzuerkennen.
Vor der Diagnosestellung muss sichergestellt werden, dass nicht doch eine körperliche Ursache hinter den Beschwerden steckt. Oft haben die Betroffenen schon viele ärztliche Untersuchungen in anderen Praxen hinter sich. Im Zweifel ist es jedoch wichtig, den*die Patient*in nochmals gründlich zu untersuchen. Das gilt insbesondere, wenn seit der letzten Untersuchung weitere Symptome hinzugekommen sind.
Es gibt psychische Erkrankungen, die mit einer ähnlichen Symptomatik einhergehen können wie eine hypochondrische Störung. Dazu zählen zum Beispiel andere somatoforme Störungen, Depressionen oder Angststörungen.
Hypochondrie: Welche Therapie hilft?
Bis sich Menschen mit einer hypochondrischen Störung in eine Therapie begeben, vergeht oft viel Zeit – denn sie sind überzeugt davon, körperlich krank zu sein. Meist haben die Betroffenen schon einen langen Leidensweg hinter sich, wenn sie sich schließlich in Behandlung begeben.
Eine Hypochondrie wird in der Regel psychotherapeutisch behandelt. Ergänzend können Antidepressiva zum Einsatz kommen.
Verhaltenstherapie bei somatoformen Störungen
Insbesondere die Verhaltenstherapie gilt bei der Behandlung einer Hypochondrie als erfolgversprechend. Die Wirksamkeit dieser Therapieform ist am besten untersucht und erwiesen.
Ziel der Therapie ist es nicht, körperliche Beschwerden zu beseitigen. Vielmehr kann es darum gehen, die Erkrankung zu verstehen, den Fokus von den physischen Beschwerden wegzulenken und mögliche Beeinträchtigungen im Lebensalltag zu verringern.
So lernen Menschen mit einer hypochondrischen Störung in einer Verhaltenstherapie zum Beispiel,
- wie ihre Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühle sich gegenseitig beeinflussen und wie eine Hypochondrie entstehen kann,
- wie ängstliche Selbstbeobachtung und Schonhaltung die Beschwerden verstärken,
- unter welchen Bedingungen sich die individuelle Symptomatik verändert,
- mit welchen Situationen (z. B. Konflikte in der Familie oder eine hohe Arbeitsbelastung) diese Veränderungen in Verbindung stehen und
- wie sie negative Denkmuster erkennen und dauerhaft verändern können.
Zusätzlich lernen Erkrankte, ihre bisherigen Bewertungen von körperlichen Beschwerden kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet zum Beispiel zu erkennen, dass ein schnell schlagendes Herz nicht unbedingt auf eine Krankheit hinweisen muss, sondern dass es andere, harmlose Erklärungen dafür geben kann – etwa Angst, Stress oder körperliche Anstrengung.
Auch Konfrontationsübungen können im Rahmen der Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen. Dabei gilt es, sich den eigenen Ängsten und Befürchtungen zu stellen – und beispielsweise auszuhalten, nicht mehr ständig die hausärztliche Praxis zu wechseln. In schweren Fällen kann ein stationärer Klinikaufenthalt sinnvoll sein.
Was kann das Umfeld tun?
Für Außenstehende ist eine hypochondrische Störung oft schwer nachvollziehbar. Vermeintlich gut gemeinte Tipps, sich "nicht so viele Gedanken zu machen" sind jedoch nicht förderlich. Vielmehr sollte man Betroffene ernst nehmen, ihnen zuhören und Unterstützung anbieten. Ein aufgeklärtes Umfeld kann sich positiv auf den Heilungsprozess auswirken. Deshalb ist es sinnvoll, auch nahestehende Personen in die Therapie einzubeziehen.
Ergänzende Therapiemöglichkeiten
Manche Personen mit einer hypochondrischen Störung empfinden Entspannungsverfahren als hilfreich. Durch gezielte Entspannung können sie körperliche und seelische Anspannung abbauen. Bewährte Techniken sind zum Beispiel
Körperliche Bewegung kann sich ebenfalls positiv auf den Erkrankungsverlauf auswirken.
Eine weitere Methode ist das sogenannte Biofeedback. Bei dieser Technik werden Körperfunktionen wie Herzschlag oder Blutdruck durch Lautsprecher oder Bildschirm sicht- und hörbar gemacht. So können Betroffene lernen, wie ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen die Körperfunktionen beeinflussen.
Ist der Leidensdruck sehr hoch, können ergänzend zur Psychotherapie Medikamente hilfreich sein. So werden zum Beispiel Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer verschrieben.
Hypochondrie: Verlauf und Prognose
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Therapie ist die Einsicht, an einer psychischen – und nicht etwa einer körperlichen – Erkrankung zu leiden. Dies zu glauben, fällt vielen Betroffenen jedoch schwer. Daher haben Erkrankte oft einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie sich in psychologische Behandlung begeben.
Unbehandelt nimmt eine hypochondrische Störung meist einen chronischen Verlauf. Das bedeutet: Die Erkrankung bleibt über einen langen Zeitraum hinweg bestehen. Die Beschwerden können dabei in ihrer Intensität schwanken. Mithilfe einer Psychotherapie ist es jedoch gut möglich, eine hypochondrische Störung in den Griff zu bekommen.