Hochsensibilität (HSP): Starke Reaktionen auf Sinnesreize
Verkehrsgeräusche, Essensgerüche, Stimmen: Wir sind permanent Reizen ausgesetzt. Doch nicht alle Menschen nehmen ihre Umwelt gleichermaßen intensiv wahr. Hochsensible Personen reagieren stärker auf Reize. Das lässt den Alltag zu einer echten Herausforderung werden. Welche Anzeichen deuten auf Hochsensibilität hin und wie können Betroffene einer Reizüberflutung entgegenwirken?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität (HSP = highly sensitive person) bedeutet, bestimmte Reize von außen und innen deutlicher und stärker wahrzunehmen. Betroffene sind schneller als andere Menschen reizüberflutet und benötigen mehr Zeit, um die Reize zu verarbeiten. Schätzungsweise 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen.
Hochsensibilität ist keine Erkrankung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Das Konzept geht auf die US-amerikanische Psychologin Elaine N. Aron zurück, die 1997 eine Forschungsarbeit zum Thema veröffentlichte und das Phänomen damit in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. Hochsensibilität wird manchmal auch als Hypersensitivität oder Hypersensibilität bezeichnet.
Welche Anzeichen sprechen für Hochsensibilität?
Hochsensible Menschen merken selber oft erst spät, dass sie von Hochsensibilität betroffen sind, auch wenn sie oft schon immer das Gefühl haben, irgendwie anders zu sein. Sie denken oft, dass sie nicht mit Stress umgehen können und empfinden sich als zu ängstlich oder sozial schwierig.
Fachleuten zufolge deuten vier Hinweise darauf, dass es sich um Hochsensibilität handeln könnte:
- Verhaltenshemmung/Rückzug
- tiefere Verarbeitung von sensorischen Informationen
- Sensitivität auf Stimuli (äußere Reize)
- emotionale/physiologische Reaktivität
Jeder Mensch reagiert anders auf Reize. Was der eine kaum bemerkt, ist für einen anderen Menschen bereits deutlich zu spüren. Hochsensibilität kann zu verschiedenen positiven und negativen Aspekten führen. Folgende Merkmale, Wesenszüge und körperliche Symptome kommen häufig bei hochsensiblen Menschen vor:
- erhöhte Schmerzempfindlichkeit
- emotionale Erregbarkeit und ausgeprägtes Mitgefühl (Empathie)
- Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis)
- schnelle Überanstrengung und Erschöpfung bei vielen Terminen, Multitasking, aber auch bei Feiern oder Reisen
- Introversion
- Gereiztheit bei Hunger
- Konzentrationsschwäche
- Herzrasen (Tachykardie) und Luftnot (Dyspnoe)
- Kreislaufprobleme
- Schlafstörungen
- Magen-Darm-Beschwerden, etwa Verdauungsstörungen
Außerdem sind viele hochsensible Menschen ...
- ruhig und nachdenklich, was auf andere oft mürrisch oder traurig wirkt,
- sehr emotional und einfühlsam, da sie Gefühle ihres Gegenübers sehr gut wahrnehmen,
- sehr gründlich und gewissenhaft, etwa wenn es um die Arbeit geht,
- schreckhaft, wachsam und intuitiv.
Wenn hochsensible Menschen Traumata erlebt haben, beispielsweise durch eine schwierige Kindheit, können zusätzlich psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Neurosen auftreten.
Ursachen für Hochsensibilität
Hochsensibilität wird nach aktuellen Erkenntnissen vererbt. Bereits Babys und Kinder zeigen sich oft ängstlich und schreckhaft. Babys schreien häufig bei zu vielen Reizen oder haben Schlafprobleme.
Das Gehirn hochsensibler Menschen verarbeitete in Untersuchungen Reize anders als bei solchen, die nicht hochsensibel sind. So sollen die sogenannten Spiegelneuronen bei Menschen mit Hochsensibilität deutlich aktiver sein. Fachleuten zufolge übernehmen Spiegelneuronen eine zentrale Rolle bei Empathie und Lernvorgängen.
Grundsätzlich steigt die Sensibilität mit zunehmendem Alter und durch bestimmte Lebensereignisse. Entsprechend kann sich die Reizverarbeitung eines Menschen mit der Zeit verstärken.
Woher weiß ich, ob ich hochsensibel bin?
Wie bei vielen Gebieten in der Psychologie handelt es sich bei Hochsensibilität um ein Spektrum. Das bedeutet, dass sich Persönlichkeiten nicht eindeutig in "hochsensibel" und "nicht hochsensibel" einteilen lassen. Vielmehr gibt es zahlreiche Graustufen und unterschiedliche Ausprägungen des Merkmals.
Da Hochsensibilität keine Erkrankung oder Störung ist, gibt es auch kein Diagnoseverfahren im klassischen Sinne. Wer für sich in Betracht zieht, hochsensibel zu sein, sollte sich selbst beobachten und schauen, ob es auf ihn*sie zutreffen könnte. Es existieren unterschiedliche Tests, um herauszufinden, ob man hochsensibel ist.
Leben mit Hochsensibilität
Eine hohe Sensibilität muss im Alltag keine Einschränkung sein – vorausgesetzt, Betroffene sind sich dieses Wesenszuges bewusst. Wichtig ist, die eigene Persönlichkeit zu akzeptieren und sich nicht an gesellschaftlichen Idealvorstellungen zu orientieren. Wer seine Bedürfnisse und Grenzen kennt und annimmt, kann gut für sich sorgen. Viele hochsensible Menschen benötigen etwa mehr Ruhe und Zeit alleine als andere. Das kann in einer Partnerschaft problematisch sein, durch eine offene Kommunikation jedoch gelöst werden.
Ein guter Umgang mit sich selbst bedeutet, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Unter- und Überforderung zu finden. Denn ein sozialer Rückzug sollte nicht die Lösung sein.
Tipps für Hochsensible, wenn Überreizung spürbar ist
- klare Grenzen für sich selbst ziehen: Nicht emotional auf die Probleme anderer eingehen, wenn man nicht selbst involviert ist
- Pausen machen, eine auslaugende Situation, wenn nötig, verlassen
- Augen schließen, tief und ruhig durchatmen
- bewegen, an die frische Luft gehen
- bewusst die Muskulatur im Körper entspannen, Entspannungstechniken lernen
- bewusste Rückzugsorte schaffen und aufsuchen