Magersucht: Ursachen, Symptome und Behandlung der Essstörung
Magersucht ist eine psychische Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen für Seele und Körper: Die Betroffenen essen so wenig, dass sie krankhaft abmagern – im schlimmsten Fall endet die Essstörung tödlich. Darum ist es wichtig, dass Anorexie so früh wie möglich behandelt wird. Hier erfahren Sie, an welchen Symptomen man eine Magersucht erkennt, durch welche Ursachen sie entsteht und wie die Therapie aussehen kann.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Was ist Magersucht?
Magersucht (Anorexia nervosa, Anorexie) ist eine Essstörung, bei der Betroffene ihre Nahrungsaufnahme stark einschränken. Dadurch wollen sie eine drastische Gewichtsabnahme bewirken. In vielen Fällen geht Magersucht mit starkem Untergewicht einher, das lebensbedrohliche körperliche Folgen haben kann. Zudem besteht bei der Erkrankung ein hoher psychischer Leidensdruck.
Wer ist betroffen?
Meist beginnt die Magersucht in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter (Adoleszenz). Die Mehrheit der Betroffenen ist zwischen 15 und 35 Jahre alt. Es können aber auch Kinder an einer Anorexie erkranken.
Angaben zur Prävalenz variieren stark und können Fachleuten zufolge ungenau sein, da von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Aktuellen Studien zufolge entwickeln in Deutschland rund 1,1 Prozent der Frauen und 0,3 Prozent der Männer im Laufe ihres Lebens eine Magersucht.
Übrigens: Anorexia bedeutet Appetitverlust oder Appetitverminderung. Das ist aber irreführend: Ein Mangel an Appetit ist nicht die Ursache der Magersucht.
Typische Symptome einer Magersucht
Eine Magersucht beginnt, lange bevor sie für Außenstehende sichtbar wird. Die ersten Symptome sind psychischer Natur. Es handelt sich um Gedanken und Gefühle, die nur die Erkrankten selbst bemerken:
- Ihre Gedanken kreisen um das Thema Abnehmen und Essen.
- Sie haben eine irrationale Angst vor dem Zunehmen, mehrere Gewichtskontrollen am Tag sind nicht unüblich.
- Ihr seelisches Befinden hängt stark von ihrem Gewicht ab.
- Schon geringe Gewichtszunahmen können psychische Krisen auslösen, bis hin zur Depression.
Das Umfeld wird in der Regel erst auf die Erkrankung aufmerksam, wenn sie schon zu offenkundigen körperlichen Veränderungen geführt hat – oder wenn die Betroffenen durch ihr unnormales Essverhalten auffallen. Folgende Warnsignale können für eine Anorexie sprechen:
- selbst auferlegte, strenge Ernährungsregeln, etwa der Verzicht auf bestimmte Lebensmittelgruppen (z. B. Kohlenhydrate)
- akribisches Abwiegen von Lebensmitteln und Kalorienzählen
- auffallend großes Interesse für Lebensmittel, Rezepte und Diäten
- stunden- oder tagelanges Fasten
- Bewegungsdrang und exzessives Sporttreiben
- Essrituale (z. B. extrem langsames Essen, Nahrungsmittel in sehr kleine Stücke zerschneiden)
Zugleich schlägt sich die Erkrankung auch auf das geistige und seelische Befinden der Betroffenen nieder. Sie fühlen sich reizbar oder auch gleichgültig bis depressiv. Ihre Denk- und Verhaltensmuster werden immer zwanghafter und kontrollierter. Spontanität hingegen fällt Menschen mit Magersucht oft schwer.
Hungergefühl als Rausch
Betroffene empfinden extremen Hunger mitunter als berauschend. Ein knurrender Magen gilt als Erfolgserlebnis und bestandene Willensleistung. Zeitgleich versuchen Erkrankte, ihr Hungergefühl zu bekämpfen – indem sie etwa große Mengen Wasser trinken oder durch sogenanntes Volumenessen. Das bedeutet, dass möglichst große Nahrungsmengen mit geringer Energiedichte auf dem Speiseplan stehen, zum Beispiel Gemüse, Obst, Suppen und Vollkornprodukte. So setzt ein Sättigungseffekt ein, allerdings ohne viele Kalorien aufgenommen zu haben.
Soziale Isolation kann auf Magersucht hindeuten
Viele Erkrankte versuchen, ihr Untergewicht und ihr gestörtes Essverhalten vor anderen zu verbergen. Deshalb ziehen sich die Betroffenen häufig aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld zurück. Beispielsweise meiden sie Zusammenkünfte, bei denen normalerweise gegessen wird – etwa gemeinsame Mahlzeiten und Feste. Auch ein körperliches Vermeidungsverhalten in Beziehungen ist typisch. Betroffene distanzieren sich emotional von dem*der Partner*in und verspüren wenig sexuelle Lust.
Körperlich sichtbare Anzeichen einer Magersucht sind zum Beispiel:
- rapide Gewichtsabnahme in kurzer Zeit
- Untergewicht
- Mangelerscheinungen wie trockene Haut und Haarausfall
- flaumartige Behaarung (Lanugobehaarung) an Körperstellen wie Armen und Beinen
Je länger die Magersucht besteht und je ausgeprägter das Untergewicht ist, umso großer ist das Risiko für riskante gesundheitliche Folgen. Da es den Betroffenen meist an bestimmten Mineralstoffen mangelt, gerät ihr Elektrolythaushalt aus dem Gleichgewicht. Das wiederum kann sich in Herzrhythmusstörungen äußern. Außerdem wirkt sich die Unterversorgung auf den Hormonhaushalt aus. Mögliche Folgen sind:
- Zyklusstörungen: Ausbleiben der Regelblutung (Amenorrhö), was zu Unfruchtbarkeit führen kann
- Osteopenie und Osteoporose (verminderte Knochendichte)
- Schilddrüsenunterfunktion
- Störungen im Zuckerstoffwechsel
- ständiges Frieren
- Störungen der Wundheilung
Komorbide Störungen
Häufig geht eine Magersucht auch mit Symptomen anderer Essstörungen einher. Fachleuten zufolge liegt in den meisten Fällen eine Mischform vor, die verschiedenen Essstörungen lassen sich also nicht immer klar voneinander abgrenzen.
Mögliche komorbide Störungen sind:
- Bulimie (Bulimia nervosa),
- Sportsucht (Anorexia athletica),
- Orthorexie (eine zwanghaft gesunde Ernährweise)
- und Dysmorphophobie (Körperschemastörung)
Magersucht: Ursachen
Eine Magersucht lässt sich nie auf eine einzige Ursache zurückführen. Sie entsteht durch das Zusammenwirken verschiedener Einflüsse. Zu den möglichen Risikofaktoren zählen:
- bestimmte Erbanlagen
- geringes Selbstwertgefühl
- Schwierigkeiten im Umgang mit eigenen Gefühlen
- Unsicherheit in zwischenmenschlichen Beziehungen (unsichere Bindungsmuster)
- Störungen im Belohnungssystem des Gehirns
- starke Verdauungsprobleme im Säuglings- und Kleinkindalter
- bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit, Perfektionismus)
- Ausdauersport und Sportarten, die mit bestimmten ästhetischen Idealen verknüpft sind (z. B. Turnen, Tanzen und Bodybuilding)
- häufige Konfrontation mit dem gängigen Schlankheitsideal (z. B. durch soziale Medien und Castingshows)
In westlichen Industrieländern gilt eine schlanke Figur als schön. Kein Wunder, dass viele Menschen den Wunsch haben, ebenfalls schlank zu sein. Dieser Wunsch mündet aber bei den wenigsten in eine Magersucht. Das Schlankheitsideal ist also nur ein Risikofaktor von vielen.
Pubertät: Alterstypische Veränderungen als auslösender Faktor
Magersucht entwickelt sich in den meisten Fällen während der Pubertät. In dieser Entwicklungsphase verändert sich der Körper sehr stark. Die Veränderungen gehen mit neuartigen Gefühlen und Bedürfnissen einher, die die Heranwachsenden häufig verunsichern und überfordern. In welcher Weise sie mit der Überforderung umgehen, hängt von ihrer Persönlichkeit und ihren psychischen Ressourcen ab. Mit Ressourcen sind unter anderem die Strategien gemeint, die jeder Mensch im Zuge seiner Entwicklung für die Bewältigung von Konflikten und beunruhigenden Gefühlen erlernt – etwa von den Eltern.
Welche psychischen Vorgänge hinter einer Magersucht stecken, ist aber von Mensch zu Mensch verschieden. Sie zu ergründen ist der erste Schritt in der Behandlung der Erkrankung.
Wie wird Magersucht diagnostiziert?
Eine erste Anlaufstelle bei Verdacht auf Anorexia nervosa kann die hausärztliche Praxis sein. Hier finden ein ausführliches Anamnesegespräch sowie eine gründliche körperliche Untersuchung statt. Letztere ist wichtig, um – im Falle von Untergewicht oder einer starken Gewichtsabnahme – mögliche körperliche Ursachen auszuschließen. Erhärtet sich der Verdacht auf Magersucht, erfolgt eine Überweisung zu einem*einer Facharzt*Fachärztin. Optionen sind etwa eine psychosomatische Klinik oder ein*e Psychotherapeut*in.
Für Magersucht gelten folgende Diagnosekriterien:
- Der Body-Mass-Index (BMI) beträgt 17,5 oder weniger. Das entspricht einem Körpergewicht von mindestens 15 Prozent unter dem bei der Körpergröße zu erwartendem Wert.
- Das Untergewicht wurde von dem*der Erkrankten selbst und absichtlich herbeigeführt.
- Betroffene empfinden sich trotz Untergewicht als zu dick und haben große Angst vor einer Gewichtszunahme.
- Störungen des Stoffwechsels und Veränderungen der Schilddrüsenhormone sowie des Wachstums- und Kortisonspiegels
- Bei Frauen: Ausbleiben der Menstruation (Amenorrhoe)
- Bei Männern: Libido- und Potenzverlust
- Falls die Magersucht während oder vor der Pubertät auftritt: Beeinträchtigung der pubertären Entwicklung, z. B. fehlende Brustentwicklung (bei Frauen) oder Wachstumsstopp
Atypische Anorexie
Liegt kein Untergewicht vor, andere Kriterien sind aber erfüllt, kann die Diagnose atypische Anorexie gestellt werden. Ein Normal- oder Übergewicht bedeutet nicht, dass die Magersucht weniger gefährlich ist: Nimmt etwa eine stark übergewichtige Person innerhalb kurzer Zeit sehr viel ab, kann dieses Verhalten mit Unterernährung und entsprechenden körperlichen Folgen einhergehen. Betroffene trauen sich teilweise nicht, professionellen Rat einzuholen. Sie befürchten, aufgrund des fehlenden Untergewichts nicht ernstgenommen zu werden. Ein „krank genug“ gibt es jedoch nicht. Der Leidensdruck lässt sich nicht an der Zahl auf der Waage festmachen.
Magersucht: Therapie
Der erste Schritt der Therapie besteht darin, die gefährlichen Folgen des Untergewichts unter Kontrolle zu bringen. Wenn keine akute Lebensgefahr besteht, wird der*die Ärzt*in die Gewichtszunahme nicht erzwingen, sondern versuchen, gemeinsam mit dem*der Erkrankten einen Ernährungsplan zu erarbeiten. Menschen mit Magersucht haben häufig ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmtheit. Daher hilft es ihnen, wenn sie die Möglichkeit erhalten, selbstständig zuzunehmen.
Bei akuter Lebensgefahr kann das unter Umständen zu lange dauern. In diesem Fall ist eine Ernährung über eine Magensonde erforderlich. Diese wird entweder durch die Nase oder durch eine kleine Öffnung in der Bauchwand in den Magen eingeführt.
Welche therapeutischen Behandlungsformen gibt es?
Langfristig hat die Therapie nur Erfolg, wenn sie an den Ursachen der Erkrankung ansetzt. Deshalb benötigen Erkrankte so schnell wie möglich psychotherapeutische Hilfe. Je eher die Psychotherapie beginnt, umso geringer ist das Risiko, dass sich die krankmachenden Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen "chronifizieren", also dauerhaft festigen.
Es gibt verschiedene psychotherapeutische Verfahren, die bei einer Magersucht helfen können. Bewährt haben sich bislang vor allem die
- kognitive Verhaltenstherapie
- und psychodynamische Verfahren.
Grundsätzlich geht es in der Therapie darum, die seelischen Konflikte und zwischenmenschlichen Probleme zu ergründen, die zur Entstehung der Erkrankung geführt oder beigetragen haben könnten. Zugleich erarbeitet der*die Therapeut*in gemeinsam mit dem*der Erkrankten Möglichkeiten, auf gesündere Weise mit den Gefühlen und Konflikten umzugehen.
Therapie bei Magersucht: Stationär oder ambulant?
Je nach Schwere der Erkrankung kann die Therapie entweder ambulant oder stationär stattfinden.
- Ambulant heißt: Die oder der Betroffene wohnt weiterhin zu Hause, geht aber regelmäßig zur ärztlichen Praxis und zu den Therapiestunden.
- Stationär bedeutet: Die Behandlung findet im Rahmen eines Klinikaufenthaltes statt.
- In manchen Fällen ist eine Tagesklinik eine gute Alternative: Der*die Betroffene wird dort tagsüber betreut und verbringt die Nächte zu Hause.
Anorexie ist auch für Angehörige des*der Betroffenen belastend. Häufig wissen Familienmitglieder und Freund*innen nicht, wie sie mit der Erkrankung umgehen sollen. Sozialer Rückhalt ist jedoch eine wichtige Komponente auf dem Weg der Heilung. Vor allem für magersüchtige Kinder und Jugendliche kann daher auch eine familienbasierte Therapie hilfreich sein.
Kontaktadressen finden Sie zum Beispiel hier: Beratung für Betroffene und Angehörige
Magersucht: Verlauf und Prognose
Magersucht ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Viele Betroffenen erkranken im Verlauf ihrer Erkrankung an einer Depression, die aufgrund der Suizidalität ebenfalls lebensbedrohliche Folgen haben kann. Die Sterblichkeitsrate bei Anorexia nervosa ist hoch, sie liegt zwischen zehn und 15 Prozent. Auch die Rückfallrate ist alarmierend: Bei rund einem Drittel aller anorektischen Patient*innen tritt die Magersucht erneut auf.
Deshalb ist es sehr wichtig, dass Erkrankte rasch professionelle Hilfe bekommen. Die besten Heilungschancen bestehen bei Menschen, die in einem jungen Alter an Magersucht erkranken und eine frühzeitige Behandlung erhalten.