Dysmorphophobie: Wahrnehmungsstörung des eigenen Aussehens
Wer unter Dysmorphophobie leidet, nimmt das eigene Aussehen anders wahr als das Umfeld. Betroffene fixieren sich stark auf vermeintliche Makel und Entstellungen, was zu einem hohen Leidensdruck und erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen kann. Welche Anzeichen auf eine Körperdysmorphie hindeuten und was Erkrankten hilft.
FAQ: Häufige Fragen zu Dysmorphophobie
Insbesondere verhaltenstherapeutische Ansätze erweisen sich in vielen Fällen als erfolgreich. Obwohl die Störung in der Regel langfristig bestehen bleibt, lernen Betroffene, negative Denkmuster und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem eigenen Aussehen zu erkennen und zu ändern. Das kann ihren Leidensdruck deutlich reduzieren.
Dysmorphophobie kann Menschen jeden Geschlechts, Alters oder Hintergrunds betreffen. Laut Statisik erkranken Frauen jedoch häufiger als Männer. Lediglich die muskeldysmorphe Störung kommt beim männlichen Geschlecht häufiger vor.
Fachleute sprechen auch von "Snapchat Dysmorphophobie": Sie befürchten, dass die Körperbildstörung durch sogenannte Beauty-Filter in sozialen Netzwerken wie Snapchat oder Instagram noch verstärkt wird. Die digitalen Effekte können Bilder so verändern, dass ein vermeintliches Schönheitsideal erfüllt wird. Betroffene könnten sich daran gewöhnen, ihr Aussehen nur durch Filter zu betrachten und Schwierigkeiten haben, ihr reales Aussehen zu akzeptieren.
Dysmorphophobie ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern wird als eigenständige psychische Störung betrachtet. Dennoch können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder -störungen das Risiko für die Entwicklung von Dysmorphophobie erhöhen oder deren Symptome verstärken. Darunter fallen etwa ein zwanghafter oder ängstlicher Persönlichkeitsstil.
Was ist Dysmorphophobie?
Die Dysmorphophobie zählt aus medizinischer Sicht zu den sogenannten hypochondrischen Störungen. Dieser Gruppe der psychischen Erkrankungen werden alle Krankheitskomplexe zugeordnet, die mit einer Körperwahrnehmungsstörung einhergehen.
Im Fokus stehen bei Dysmorphophobie sowohl das Aussehen als auch Faktoren wie der Körpergeruch. Die Betroffenen befürchten, nicht attraktiv genug zu sein – und bewerten sich selbst als hässlich oder entstellt.
Aus diesem Grund trägt die Erkrankung auch die Namen
- Entstellungssyndrom,
- Körperbildstörung,
- Body dysmorphic disorder (BDD) und
- körperdysmorphe Störung (KDS).
Menschen mit Dysmorphophobie sind stark auf ihre wahrgenommenen Makel fixiert und beschäftigen sich teils so sehr damit, dass die Störung wahnhafte Züge annimmt. Maßgeblich ist dabei auch die Befürchtung, von anderen Personen aus dem Umfeld für die empfundenen Entstellungen verurteilt zu werden. Objektiv betrachtet besteht in der Regel kein Grund für die übermäßige Sorge.
Mögliche Begleiterkrankungen
Bei Menschen mit einer Körperbildstörung treten häufig Begleiterkrankungen auf. Diese Komorbiditäten können die psychische Gesundheit weiter beeinträchtigen und die Symptome der Dysmorphophobie verstärken. Häufige Begleiterkrankungen sind etwa:
Depression oder depressive Verstimmungen: Die anhaltenden negativen Gedanken über das eigene Aussehen und die wahrgenommenen Defekte können zu Gefühlen von Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit und Niedergeschlagenheit führen.
Sozialphobie: Aufgrund der negativen Selbstbewertung und der intensiven Selbstbeobachtung können Menschen mit Dysmorphophobie eine soziale Angststörung entwickeln. Sie fürchten sich vor sozialen Situationen, in denen ihr Aussehen ihrer Überzeugung nach abgewertet werden könnte.
Angststörungen: Häufig treten zusätzlich zur Körperbildstörung zum Beispiel eine generalisierte Angststörung oder Panikstörung auf.
Zwangsstörung (OCD): Menschen mit Dysmorphophobie können zwanghaftes Verhalten zeigen, wie ständiges Überprüfen des Aussehens im Spiegel, exzessives Schminken oder das Verstecken vermeintlicher Defekte.
Essstörungen: Der Fokus auf das Aussehen und die Körperbildprobleme können zu Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie führen.
Muskeldysmorphie: Unterform der Dysmorphophobie
Von einer Muskeldysmorphie (auch Muskelsucht oder Bigorexie) sprechen Fachleute, wenn sich die veränderte Wahrnehmung der betroffenen Person insbesondere auf die Muskulatur fokussiert. Bei dieser Unterform der Dysmorphophobie sind Erkrankte davon überzeugt, zu schmächtig zu sein. Deshalb betreiben sie mitunter immensen Aufwand, um ein subjektives Ideal an Muskelmasse zu erreichen. Die Muskeldysmorphie ist zum Beispiel unter Kraftsportler*innen im Bodybuilding verbreitet und geht besonders häufig mit einer Sportsucht oder auch einer Essstörung wie Orthorexie einher.
Symptome bei Dysmorphophobie
Eine körperdysmorphe Störung kann plötzlich auftreten oder schleichend entstehen. Die Symptome von Dysmorphophobie beginnen oft in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. In dieser Zeit sind Menschen besonders sensibel für Körperbildprobleme und sozialen Druck.
Die verzerrte Körperwahrnehmung der Betroffenen ist in ihrem Ausmaß nicht mit "gewöhnlicher" Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zu vergleichen. Erkrankte Menschen beschäftigen sich mitunter mehrere Stunden täglich mit ihren vermeintlichen Makeln.
Die veränderte Körperwahrnehmung betrifft dabei besonders häufig den Kopf und/oder das Gesicht, muss aber nicht auf einzelne Körperteile beschränkt sein. In einigen Fällen umfasst sie das gesamte Aussehen.
Typische Bereiche, die im Zusammenhang mit Dysmorphophobie bemängelt werden, sind zum Beispiel:
- Haarausfall und/oder Dichte der Haare
- Größe der Ohren
- Doppelkinn
- Größe der Brüste
- Form der Hüften oder Beine
- Körpersilhouette beziehungsweise Übergewicht
- unangenehmer Körpergeruch
- zu geringe Muskelmasse (bei der muskeldysmorphen Störung)
Entsprechende Körpermerkmale werden subjektiv als Entstellungen wahrgenommen, obwohl aus medizinischer Sicht keine Begründung dafür vorliegt. Meist bestehen die Makel gar nicht oder nur gering ausgeprägt. Für die Betroffenen sind sie allerdings real und mit maßgeblichen Auswirkungen auf das tägliche Leben verbunden.
Als Folge kann sich die folgende dysmorphophobe Symptomatik entwickeln:
- selbstabwertende Gedanken und Scham
- zwanghaftes Styling und Betrachten im Spiegel
- Rituale, mit denen der Zustand des Merkmals regelmäßig auf die gleiche Weise überprüft wird (etwa das Aufnehmen von Fotos und Videos)
- für das Umfeld auffällige Fixierung auf objektiv nicht oder kaum nachvollziehbare Makel
- Rückversicherungen zum eigenen Aussehen bei Vertrauenspersonen
- strenges Einhalten von Diäten
- häufige Schönheitsoperationen, die allerdings keine Zufriedenheit schaffen
- extremes Sporttreiben
- selbstverletzendes Verhalten
- Missbrauch von Anabolika
Darüber hinaus ziehen sich Betroffene mitunter aus dem sozialen Leben zurück und scheuen partnerschaftliche Beziehungen.
Ursachen: Was eine körperdysmorphe Störung auslöst
Der genaue Entstehungsmechanismus bei Dysmorphophobie ist bislang noch unklar. Fachleute vermuten jedoch, dass eine Kombination von genetischen, neurochemischen, psychologischen und Umweltfaktoren für die teils massiven Veränderungen in der Wahrnehmung verantwortlich ist:
negative Erfahrungen in der Kindheit: Mögliche Auslöser sind ein überbehütetes Familienleben ebenso wie Vernachlässigung, Missbrauch oder ein starker Fokus der Eltern auf die eigene Optik oder auf das Aussehen ihrer Kinder. Auch Mobbing ist eine etwaige Ursache.
Störung der Körperrepräsentation innerhalb der eigenen Psyche: Beispielsweise könnte ein Ungleichgewicht im Serotonin-Haushalt zur Entstehung der Dysmorphophobie beitragen.
bestimmte Persönlichkeitsmerkmale: Die Neigung zu Perfektionismus, ein geringes Selbstwertgefühl sowie eine hohe Empfindlichkeit für Ablehnung oder kritische Bewertungen können das Risiko für die Entwicklung von Dysmorphophobie erhöhen.
Beeinflussung durch Social Media: Der regelmäßige Vergleich mit einem scheinbaren Idealbild auf Social-Media-Plattformen kann das Verhältnis zum eigenen Körper nachhaltig verändern.
Dysmorphophobie erkennen: Wie erfolgt die Diagnose?
Die Diagnose der Dysmorphophobie kann auch für erfahrene Fachleute eine Herausforderung sein – viele Menschen haben einen langen Leidensweg hinter sich, bis der Befund steht und eine individuell angepasste Behandlung beginnen kann.
Zwei Faktoren erschweren die Identifikation der Wahrnehmungsstörung maßgeblich:
- Zum einen ist eine gewisse Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ein weit verbreitetes Phänomen und kein zwingender Hinweis auf eine Erkrankung.
- Zum anderen sind die Betroffenen häufig so in ihren Ängsten und der Überzeugung von der eigenen Entstellung gefangen, dass es für sie kaum infrage kommt, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Häufig fällt eine körperdysmorphe Störung erst auf, wenn Erkrankte regelmäßig wegen scheinbar gravierender Makel ärztliche Termine vereinbaren oder häufig Beratungen wegen geplanter Schönheitsoperationen aufsuchen. Schätzungen beziffern die Zahl der Betroffenen auf etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung. Wegen der Schwierigkeiten bei der Diagnose ist allerdings eine höhere Dunkelziffer möglich.
Der Verdacht auf Dysmorphophobie steht im Raum, wenn sich eine extreme Fixierung auf individuell wahrgenommene Makel bemerkbar macht und mit einem hohen Leidensdruck einhergeht. Dann gilt es zu überprüfen, ob
- eine Beeinträchtigung im alltäglichen Leben vorhanden ist, zum Beispiel in partnerschaftlichen Beziehungen oder im Arbeitsleben.
- sich auftretende Beschwerden von Depressionen, Essstörungen oder psychotischen Erkrankungen abgrenzen lassen.
- Hinweise auf Drogen- oder Substanzmissbrauch vorliegen.
- sich die veränderte Wahrnehmung auch in zwanghaftem Verhalten niederschlägt.
Der*die Arzt*Ärztin wird eine körperliche Untersuchung durchführen und Fragen rund um mögliche Symptome stellen. Um Vertrauen zu schaffen und langfristig zu einer Beruhigung beizutragen, ist es gleichzeitig wichtig, Befürchtungen ernst zu nehmen. Haben Erkrankte beispielsweise Sorge, an Haarausfall zu leiden, sollte die Diagnose darauf ebenfalls eingehen.
Therapie bei einer körperdysmorphen Störung
Ist es gelungen, die Dysmorphophobie zu diagnostizieren, ist ein wichtiger Schritt getan. Dann bestehen verschiedene Optionen, die maßgeblich zu einer Linderung der Belastung beitragen können. Idealerweise werden mehrere Empfehlungen kombiniert, unter anderem:
kognitive Verhaltenstherapie, die nicht nur den Umgang mit der Erkrankung an sich aufgreift, sondern auch den Umgang mit Social Media und dem eigenen Selbstwert
die Einnahme von Antidepressiva; insbesondere sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zeigen bei der körperdysmorphen Störung Erfolge
Techniken, die dabei unterstützen, Entspannung und Erholung zu finden (zum Beispiel progressive Muskelentspannung oder Yoga)
Maßnahmen, um Achtsamkeit zu erlernen und eine positive Körperwahrnehmung zu verstärken (beispielsweise über geführte Meditationen oder ein Achtsamkeitstagebuch)
Zusätzlich machen viele Betroffene positive Erfahrungen in Selbsthilfegruppen. Der Austausch mit Menschen, die einen ähnlichen Leidensweg hinter sich haben, kann die Therapie unterstützen und das Bewusstsein für die Erkrankung stärken. Grundsätzlich gilt: Je früher die individuelle Behandlung beginnt, desto besser stehen die Chancen auf ein weitgehend beschwerdefreies Leben.