Beckenschiefstand
Eine verkrümmte Wirbelsäule, unterschiedlich lange Beine, verspannte Muskeln – ein Beckenschiefstand kann viele Ursachen haben. Einfache Übungen und Physiotherapie können die Beschwerden lindern oder beseitigen. Welche Symptome kann ein Beckenschiefstand hervorrufen?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Beckenschiefstand
Das Becken verbindet die Wirbelsäule mit den Beinen. Es besteht aus den beiden Hüftbeinen und dem Kreuzbein, die zusammen den Beckengürtel bilden. Wenn wir gerade stehen, befindet sich das Becken in einer annähernd waagerechten Position. Gerät es in Schieflage, spricht man von einem Beckenschiefstand.
Ein leichter Beckenschiefstand ist nicht ungewöhnlich und bereitet selten Probleme. Wie viele Menschen unter einem Beckenschiefstand leiden, ist nicht genau bekannt. Schätzungen zufolge weisen etwa 2 von 3 Menschen in den westlichen Industrienationen einen Beckenschiefstand auf – in den meisten Fällen ohne Beschwerden.
Beckenschiefstand bei Kindern und Jugendlichen
Junge Menschen haben besonders häufig ein schiefes Becken, da sie sich noch im Wachstum befinden. Die Knochen des Menschen wachsen nicht immer gleich schnell. Wächst ein Bein schneller als das andere, führt das vorübergehend zu einem Beckenschiefstand. Meist gleichen sich die unterschiedlichen Beinlängen im Lauf des Wachstums wieder aus.
Beckenschiefstand: Ursachen
Zu den Hauptursachen für einen Beckenschiefstand zählen
- eine unterschiedlich stark ausgeprägte Muskulatur (sog. Muskeldysbalance),
- verspannte Rückenmuskeln und
- unterschiedlich lange Beine.
Die linke und rechte Körperhälfte eines Menschen erscheinen nur auf den ersten Blick identisch. Fast jeder Mensch hat eine bevorzugte, besser trainierte Seite. Bis zu einem gewissen Maß ist es daher normal, dass die Muskeln auf einer Seite besser ausgebildet sind als auf der anderen.
Wer jedoch
- im Alltag viel und lange sitzen muss,
- sich in der Freizeit wenig bewegt
- und beim Sport oder im Alltag vor allem eine Körperseite belastet,
trainiert sein Muskelsystem ungleichmäßig oder nur mangelhaft. Auf Dauer können sich dann sogenannte Muskeldysbalancen entwickeln. Also muskuläre Ungleichgewichte, die unter Umständen Haltungsschwächen wie beispielweise einen Beckenschiefstand hervorrufen.
Darüber hinaus können Bewegungsmangel und Fehlhaltungen zu Muskelverspannungen führen. Insbesondere Menschen, die viel oder falsch vor dem Computer oder im Auto sitzen, haben häufig mit verspannten Rückenmuskeln zu kämpfen. Bei Muskelverspannungen ist der Spannungszustand im Muskel (Muskeltonus) erhöht. Dadurch verkürzt sich der Muskel und fühlt sich hart an.
Wenn sich die Rücken- und Gesäßmuskeln auf einer Körperhälfte stärker verspannen und verkürzen als auf der anderen, kann das einen Beckenschiefstand zur Folge haben. Löst sich die Verspannung, kehrt das Becken meist wieder in seine ursprüngliche Position zurück.
Eine weitere mögliche Ursache für einen Beckenschiefstand sind Beinlängendifferenzen – wenn also ein Bein um einige Millimeter oder sogar Zentimeter kürzer als das andere ist. Die wenigsten Menschen haben exakt gleich lange Beine. Da es sich hierbei jedoch meist nur um wenige Millimeter handelt, kann der Körper diese Differenz problemlos korrigieren. Ein leichter Beckenschiefstand ist keine Seltenheit und führt nur selten zu Symptomen.
Je größer der Längenunterschied jedoch ist, desto mehr wirkt er sich auf die Wirbelsäule und das Becken aus. Um den Beckenschiefstand auszugleichen und um Beschwerden zu vermeiden, können spezielle Schuheinlagen helfen.
Eine angeborene Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) kann ebenfalls für einen Beckenschiefstand verantwortlich sein. Umgekehrt kann ein Beckenschiefstand auch Auslöser einer Skoliose sein.
- Muskulär bedingter Beckenschiefstand = funktioneller Beckenschiefstand
- Beckenschiefstand durch unterschiedlich lange Beine = struktureller (anatomischer) Beckenschiefstand
Beckenschiefstand: Symptome
Steht das Becken schief, versucht der Rücken das auszugleichen. Während ein geringer Beckenschiefstand meist nicht zu Problemen führt, muss sich die Wirbelsäule bei einem größeren Beckenschiefstand stärker verkrümmen, um die Fehlhaltung auszugleichen und den Körper aufrecht zu halten. Fachsprachlich nennt man diese seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule Skoliose.
Ein Beckenschiefstand und eine damit verbundene Skoliose verursachen zunächst meist keine Schmerzen. Erst mit der Zeit kann es vor allem nach längerem Sitzen oder Stehen im unteren Rücken zu Beschwerden kommen.
Neben den typischen Rückenschmerzen kann ein Beckenschiefstand auch mit
einhergehen. Manchmal schmerzen auch die Fußgelenke.
Bei einem stark ausgeprägten Beckenschiefstand muss sich die Wirbelsäule dauerhaft verkrümmen. Dadurch nutzt sie sich verstärkt ab. Dieser vorzeitige Verschleiß führt dazu, dass die mit dem Beckenschiefstand verbundenen Symptome mit der Zeit zunehmen (z. B. Rückenschmerzen).
Beckenschiefstand: Diagnose
Um einen Beckenschiefstand festzustellen, bedarf es meist keiner aufwändigen Diagnose. Einen deutlichen Beckenschiefstand lässt sich häufig schon durch Abtasten der Beckenknochen und der Wirbelsäule erkennen.
Gewöhnlich betrachtet man dafür zudem das Becken der Betroffenen von hinten im Stehen und vergleicht die Höhen der äußeren Beckenknochen miteinander.
Um den Schiefstand genauer zu beurteilen, kann eine Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen folgen – das heißt von vorne und von der Seite. Auf Röntgenbildern der Beine im Stehen lässt sich zudem erkennen, ob unterschiedlich lange Beine die Ursache sind.
Mittels einer sogenannten 3D-Wirbelsäulenmessung, also indem der Körper mit Lichtstrahlen vermessen wird, lässt sich der Beckenschiefstand exakt ermitteln. Dabei projiziert der Arzt oder die Ärztin mit einem Lichtprojektor zunächst mehrere parallele Messlinien auf den Rücken. Eine Kamera erfasst den Verlauf der Linien und gibt die Daten an einen Computer weiter, der sie anschließend auswertet. So ergibt sich auf dem Computer ein genaues dreidimensionales Bild der Wirbelsäule und des Beckens.
Weil die 3D-Wirbelsäulenmessung ohne Röntgenstrahlung auskommt, lässt sich die Messung beliebig oft wiederholen, was vor allem bei Kindern hilfreich ist. Die Kosten für die Untersuchung betragen zwischen 100 und 150 Euro – sie werden von den gesetzlichen Krankenkassen bislang nicht übernommen.
Beckenschiefstand: Therapie
Bei einem geringen Beckenschiefstand ist oft keine Therapie notwendig, weil der Körper eine leicht schiefe Position des Beckens problemlos ausgleichen kann. In bestimmten Fällen sollte ein schiefes Becken jedoch behandelt werden. Zum Beispiel wenn der Beckenschiefstand Beschwerden verursacht oder sich die Wirbelsäule deswegen stark verkrümmt.
Welche Behandlung im Einzelfall am besten geeignet ist, hängt von Ursache und Ausmaß der Fehlstellung sowie dem Alter der Betroffenen ab. Stecken zum Beispiel Muskeldysbalancen und/oder Muskelverspannungen hinter dem Beckenschiefstand, helfen häufig schon physiotherapeutische Übungen.
Wer im Alltag oder im Sport vor allem eine Körperhälfte belastet, trainiert auch seine Muskulatur nur einseitig und begünstigt damit einen Beckenschiefstand. Darüber hinaus führt beispielsweise dauerhaftes Sitzen (am Arbeitsplatz wie auch daheim) zu Rückenschmerzen und Haltungsschäden, was wiederum einen Beckenschiefstand zur Folge haben kann.
Die gute Nachricht: Mit speziellen Übungen zur Kräftigung Ihres Rückens lässt sich eine Muskeldysbalance ausgleichen und somit eine aufrechte symmetrische Haltung fördern.
Da ein Beckenschiefstand häufig mit Muskelverspannungen einhergeht, können auch Entspannungstechniken Teil der Behandlung sein. Dazu zählen zum Beispiel progressive Muskelentspannung oder auch Yoga.
Beinlängendifferenzen
Lässt sich der Beckenschiefstand auf unterschiedliche Beinlängen zurückführen, verordnen Ärztinnen und Ärzte meist eine Sohlenerhöhung beziehungsweise spezielle Einlagen für die Schuhe:
- Beinlängendifferenzen von bis zu einem Zentimeter lassen sich gut mit einer Ferseneinlage ausgleichen.
- Bei einem Unterschied von bis zu drei Zentimetern sollte man zusätzlich den Absatz oder die komplette Schuhsohle erhöhen lassen.
Eine Operation kommt bei einer Beinlängendifferenz und einem daraus resultierenden Beckenschiefstand nur selten infrage – etwa
- wenn ein Bein mehr als drei Zentimeter kürzer ist als das andere oder
- wenn aus ästhetischen Gründen eine deutliche Sohlenerhöhung nicht infrage kommt.
Eine operative Beinverlängerung ist eine langwierige Behandlung. Je nach Ausmaß kann sie mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Bei dieser Methode bohrt man den Knochen an, sodass eine Art künstliche Wachstumsfuge entsteht. Anschließend fixiert man das Bein mit einem Gestell, das den Knochen minimal auseinanderzieht. Im Laufe der Zeit wächst der Knochen nach und die Prozedur kann wiederholt werden.
Beckenschiefstand: Verlauf
Wie sich ein Beckenschiefstand entwickelt hängt vor allem von Ursache und Ausmaß der Fehlstellung ab. Aber auch das Alter des Betroffenen beeinflusst den Heilungsverlauf. Bei Kindern und Jugendlichen etwa reguliert sich der Beckenschiefstand meist im Lauf des Wachstums von selbst.
Bei Erwachsenen hängt der Behandlungsverlauf hauptsächlich von der Ursache ab. Steckt eine echte Beinlängendifferenz hinter dem Beckenschiefstand, kommt meist eine Ferseneinlage oder eine Sohlenerhöhung zum Einsatz. Manchmal verursacht jedoch gerade diese Behandlungsmethode zunächst Probleme, da sich der Körper an die ungewohnte Belastung gewöhnen muss. Im weiteren Verlauf wird der Orthopäde oder die Orthopädin die Einlage daher unter Umständen noch anpassen müssen.
Sind muskuläre Probleme für den Beckenschiefstand verantwortlich, etwa Verspannungen oder Dysbalancen, lässt sich die Fehlstellung in der Regel gut behandeln. Sobald sich die Verspannungen lösen oder die Muskeldysbalancen ausgeglichen werden, kehrt das schiefe Becken wieder in seine ursprüngliche waagerechte Position zurück.
Beckenschiefstand: Vorbeugen
Am besten beugen Sie einem Beckenschiefstand vor, indem Sie Ihren Rücken mit regelmäßiger Bewegung stärken und so für eine aufrechte Haltung sorgen. Vor allem, wenn Sie im Alltag oft und lange vor dem Computer sitzen, sollten Sie einseitige Haltungen möglichst vermeiden. Versuchen Sie, dynamisch zu sitzen und richten Sie sich immer wieder mal gerade auf.
Insbesondere wer tagsüber viel Zeit sitzend verbringt, sollte seine Muskeln nicht vernachlässigen, sondern diese trainieren. Dazu müssen Sie nicht gleich im Fitnessstudio Gewichte stemmen. Oft reicht es schon aus, wenn Sie sich im Alltag etwas mehr bewegen. Nehmen Sie zum Beispiel die Treppe statt des Aufzugs, gehen Sie regelmäßig spazieren und fahren Sie häufiger mit dem Fahrrad.
Achten Sie auch darauf, dass Sie im Alltag hin und wieder zur Ruhe kommen. Wenn Sie permanent unter Strom stehen und von einem Termin zum anderen hetzen, kann sich das nachteilig auf Ihre Gesundheit auswirken. Muskelverspannungen, Rückenschmerzen und ein Beckenschiefstand können die Folgen sein.