Aplastische Anämie: Symptome, Behandlung, Lebenserwartung
Die aplastische Anämie ist eine sehr seltene Funktionsstörung des Knochenmarks. Dabei bildet das Knochenmark zu wenig oder gar keine Blutzellen mehr. Eine aplastische Anämie kann in jedem Lebensalter auftreten. Die Ursachen sind häufig unbekannt. Unbehandelt verläuft die aplastische Anämie in bis zu 70 Prozent der Fälle tödlich. Dank moderner Behandlungen sind die Überlebenschancen in den letzten Jahren jedoch deutlich gestiegen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Aplastische Anämie: Symptome, Behandlung, Lebenserwartung
Das Knochenmark ist die Produktionsstätte nahezu aller Blutzellen. Sind sie herangereift, gelangen sie ins Blut. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Blutzellen: Erythrozyten (rote Blutkörperchen), Leukozyten (weiße Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen).
Es gibt verschiedene Krankheiten, die zu einer Störung der Blutbildung führen können. Dazu zählen zum Beispiel die Sichelzellanämie, Leukämien oder das myelodysplastische Syndrom. Die aplastische Anämie gehört ebenfalls dazu.
Die genaue Krankheitsentstehung ist uneinheitlich und bis heute nicht endgültig geklärt. In vielen Fällen greifen bei einer aplastische Anämie bestimmte Zellen des eigenen Immunsystems aus verschiedenen – häufig unbekannten – Gründen das Knochenmark an und schränken so die Blutneubildung ein. Je nach Schweregrad der Erkrankung ist die Zellproduktion im Knochenmark vermindert (hypoplastisch) oder aber sie fehlt komplett (aplastisch).
Anders als bei anderen Anämien, wie beispielsweise bei der Eisenmangelanämie, bei der es “nur” zu einem Mangel an roten Blutkörperchen kommt, sind bei der aplastischen Anämie mindestens zwei der drei Zellreihen vermindert. Das heißt insbesondere im fortgeschrittenen Stadium leiden viele Betroffene häufig sowohl unter einem Mangel an roten Blutkörperchen (Anämie) als auch einem Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukopenie) und unter einem Mangel an Blutplättchen (Thrombopenie).
Ärzte unterteilen die Krankheit anhand der Blutwerte in
- moderate aplastische Anämie (nSAA, “non-severe AA”),
- schwere aplastische Anämie (SAA, “severe AA”) und
- sehr schwere aplastische Anämie (vSAA, “very severe AA”).
Diese Klassifikation ist von entscheidender Bedeutung für die Behandlung und die Überlebenschance der Patienten. Darüber hinaus darf die Funktionsstörung des Knochenmarks nicht auf eine vorausgegangene Strahlen- oder Chemotherapie zurückzuführen sein.
Symptome
Die verminderte Anzahl der Zellen im Blut führt bei den Patienten zu unterschiedlichen Beschwerden – je nachdem, welche Zellgruppen wie stark betroffen sind. Die typischen Symptome einer aplastischen Anämie können daher einzeln, aber auch in Kombination auftreten.
Symptome einer Anämie (Mangel an roten Blutkörperchen)
- Blässe
- Schwäche (insb. bei körperlicher Belastung)
- Müdigkeit
- Kurzatmigkeit bis hin zu Herzrasen
Symptome einer Leukopenie (Mangel an weißen Blutkörperchen)
- verstärkte Infektanfälligkeit
- Fieber
- Pilzerkrankungen (Mykosen)
Symptome einer Thrombopenie (Mangel an Blutplättchen)
- Zahnfleischbluten, Nasenbluten
- Blutergüsse
- Petechien (kleine punktförmige Einblutungen in der Haut)
Ursachen
Aplastische Anämien können bereits angeboren sein (z.B. Fanconi-Anämie oder Blackfan-Diamond-Syndrom) oder erst im Laufe des Lebens durch verschiedene Ursachen erworben werden.
In mehr als 70 Prozent der Fälle können Ärzte keine genaue Ursache für eine aplastische Anämie feststellen. In der Fachsprache nennt man dies “idiopathisch”. Experten vermuten, dass sich das Immunsystem aus unbekannten Gründen fälschlicherweise gegen die eigenen Blutstammzellen im Knochenmark richtet.
In etwa 10 bis 20 Prozent der Fälle stecken Medikamente wie Chloramphenicol oder Phenylbutazon oder giftige (toxische) Stoffe wie Benzol hinter der Erkrankung. Seltener kommt auch eine vorherige Virusinfektion (z.B. mit Hepatitisviren oder Parvovirus B19) als Ursache infrage.
Behandlung
Eine aplastische Anämie verläuft ohne Behandlung fast immer tödlich. Da es sich dabei um eine sehr seltene Erkrankung handelt, ist es ratsam, sich hinsichtlich der Therapiemöglichkeiten von einem Facharzt für Hämatologie und Onkologie beraten zu lassen, der sich auf das Gebiet der aplastischen Anämie spezialisiert hat.
Noch vor einigen Jahrzehnten gab es für die Patienten kaum eine Aussicht auf Heilung oder langfristige Besserung. Heute jedoch gibt es verschiedene Verfahren, die die Überlebenschancen deutlich steigern.
Zur Behandlung stehen vorrangig zwei Therapiemaßnahmen zur Verfügung:
- die immunsuppressive Therapie (medikamentös)
- und die Stammzelltransplantation.
Sollte der Patient jünger als 50 Jahre alt sein und einen passenden Knochenmarkspender in der Familie haben (HLA-identer Geschwisterspender), so ist die sogenannte allogene Stammzelltransplantation die Therapie der ersten Wahl. Patienten, die jünger als 18 Jahre alt sind, kommt auch eine Stammzelltransplantation eines nicht verwandten HLA-identen Spenders (Fremdspenders) infrage, wenn sie keinen HLA-identen Familienspender besitzen.
Bei der immunsuppressive Therapie wird das eigene Immunsystem mithilfe verschiedener Wirkstoffe geschwächt. Zum Einsatz kommen vor allem Antithymozytenglobulin, Ciclosporin A und Prednisolon.
Es dauert etwa zwei bis vier Monate, bis sich durch die immunsuppressive Therapie die Blutwerte wieder verbessern – bei manchen Patienten auch sechs Monate. Bei etwa jedem dritten Patienten kommt es nach erfolgreicher Therapie zu einem Rückfall der aplastischen Anämie.
Unabhängig von der gewählten Therapieform sollte jeder Patient eine sogenannte unterstützende (supportive) Therapie erhalten, zum Beispiel Bluttransfusionen oder eine Infektionsprophylaxe.