Angststörung: Ursachen, Symptome und Therapie
Ob Spinnenphobie oder Panik vor Menschenmengen: Eine Angststörung kann sehr belastend sein. Ein wichtiger Schritt aus der Angst ist, sich ihr zu stellen. Mithilfe einer geeigneten Therapie lässt sich eine Angststörung oft gut in den Griff bekommen. Lesen Sie, welche Formen von Angststörungen es gibt und wie sie sich behandeln lassen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen zu Angststörungen
Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Schätzungen zufolge haben innerhalb eines Jahres 15 von 100 Menschen eine Angststörung. Frauen erhalten die Diagnose deutlich häufiger als Männer. Das kann jedoch auch daran liegen, dass Frauen eher dazu neigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
In den meisten Fällen verstärken sich Angsterkrankungen, wenn sie nicht behandelt werden. Denn Betroffene neigen dazu, die Angst auslösenden Situationen zu vermeiden, wodurch sich ihre Furcht wiederum verstärkt. Mithilfe einer Psychotherapie lernen Erkrankte, ihre Ängste schrittweise abzubauen.
Die Grenzen zwischen "normaler" und krankhafter Angst sind fließend. Eine Angststörung könnte möglicherweise vorliegen, wenn die betroffene Person sich den Großteil des Tages mit ihrer Angst beschäftigt, ihre Lebensqualität durch die Angst eingeschränkt ist oder sie die Angstgefühle mit Medikamenten, Alkohol oder Drogen bekämpft. In diesen Fällen sollten Betroffene ärztlichen Rat einholen.
Was ist eine Angststörung?
Angst ist eine sinnvolle Emotion, denn sie kann uns vor Gefahren bewahren – etwa, indem wir eine bedrohliche Situation meiden oder vor etwas flüchten. Hätten unsere Vorfahren beim Anblick eines wilden Tieres nicht die Flucht ergriffen, hätte sie das vermutlich das Leben gekostet. Und auch heutzutage hält uns Angst häufig davon ab, ein zu hohes Risiko einzugehen. Angst ist also ganz normal und sogar (über-)lebenswichtig.
Bei Menschen mit einer Angststörung ist die Angst jedoch unangemessen stark und steht in keinem Verhältnis zur Situation. Es gibt also keinen objektiven Grund für die Furcht der betroffenen Person. Dennoch kann sie ihre Angstgefühle kaum oder gar nicht kontrollieren.
Formen von Angststörungen
Es gibt verschiedene Formen von Angststörungen. Diese sechs sind besonders verbreitet:
Generalisierte Angststörung (GAS): Bei der generalisierten Angststörung stehen unbestimmte (sog. frei flottierende) Ängste und Gefühle der Anspannung im Vordergrund. Die Angst kann sich auf verschiedene Lebensumstände oder Alltagssituationen beziehen. So machen sich Betroffene zum Beispiel übertriebene Sorgen, ihren Angehörigen könne etwas zustoßen. Mitunter können Erkrankte ihre Ängste gar nicht genau benennen.
Spezifische (isolierte) Phobie: Hierzu zählen Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen wie vor Spinnen (Arachnophobie), dem Fliegen (Flugangst), Erbrechen (Emetophobie), weiten Plätzen (Agoraphobie) oder geschlossenen Räumen (Klaustrophobie). Solche Ängste sind weit verbreitet. Sie werden jedoch erst dann als krankhaft angesehen, wenn sie den Tagesablauf, die üblichen sozialen Aktivitäten oder Beziehungen beeinträchtigen und Leidensdruck verursachen.
Soziale Phobie: Menschen mit einer sozialen Phobie haben eine übertriebene Angst vor sozialen Situationen. Sie befürchten, negativ bewertet zu werden und auf Ablehnung zu stoßen. Diese Form der Angsterkrankung geht weit über eine normale Schüchternheit hinaus und tritt häufig in Verbindung mit niedrigem Selbstwertgefühl auf. Typische Angstsituationen sind etwa Vorstellungsgespräche, öffentliche Auftritte, aber auch Smalltalk, bloßer Blickkontakt oder Essen in der Öffentlichkeit können bereits Ängste auslösen. Einige Menschen haben zudem eine Telefonphobie.
Panikstörung: Charakteristisch für eine Panikstörung sind plötzlich auftretende Panikattacken, die mit einem starken Angstgefühl und körperlichen Reaktionen verbunden sind.
Zwangsstörung (OCD, obsessive-compulsive disorder): Betroffene haben wiederkehrende, belastende Gedanken, die durch zwanghafte Handlungen gelindert werden können. Diese sind oft übermäßig ritualisiert und können den Alltag stark beeinträchtigen.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Eine PTBS kann als Reaktion auf extrem belastende oder traumatische Ereignisse entstehen. Betroffene leiden oft unter Flashbacks und meiden Situationen, die an das Trauma erinnern.
Darüber hinaus gibt es Mischformen, die sich nicht exakt zuordnen lassen. Mitunter wird eine Angsterkrankung auch von Depressionen begleitet.
Welche Symptome sprechen für eine Angststörung?
Eine Angststörung kann sich durch viele verschiedene Symptome äußern, die teilweise sehr unspezifisch sind. Die Erkrankung betrifft nämlich nicht nur das seelische Erleben, sondern auch den Körper.
Für eine Angsterkrankung sprechen folgende Kernsymptome:
- unverhältnismäßig starke Angst, die objektiv unbegründet ist
- Vermeidungsverhalten, das den Alltag beeinträchtigt (z. B. Schwierigkeiten, dem Job nachzugehen, Konflikte in Beziehungen, soziale Isolation)
- Angst vor der Angst und Katastrophendenken
- körperliche Symptome
Die Symptome können je nach Form der Angststörung variieren und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Körperliche Symptome einer Angststörung
Grundsätzlich kann jede Form der Angststörung zu körperlichen Reaktionen führen. Besonders davon betroffen sind Menschen mit einer Panikstörung, wenn es zu einer akuten Panikattacke kommt. Aber auch Phobien können zu starken körperlichen Symptomen führen – sowohl, wenn die betroffene Person dem auslösenden Faktor ausgesetzt ist, als auch bei dem bloßen Gedanken daran. Charakteristische körperliche Symptome einer Angststörung sind:
- starke innere Anspannung, die mit Zittern, Muskelverspannungen und Rastlosigkeit einhergehen kann
- übermäßige Wachsamkeit, die sich durch Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen bemerkbar macht
- Schweißausbrüche
- Mundtrockenheit
- Schwindel und Übelkeit
- plötzlicher Harndrang
- Kribbeln und Taubheitsgefühle (Hypästhesie)
- Unwirklichkeitsgefühle (Depersonalisation)
- Erröten und Sprachschwierigkeiten wie Stottern (vor allem bei einer Sozialphobie)
- Herzrasen (Tachykardie), Brustschmerzen und Atemnot (vor allem bei einer Panikstörung)
Betroffene einer Angsterkrankung wissen in der Regel, dass ihre Angstgefühle unbegründet sind, können sich aber kaum dagegen wehren. Deshalb versuchen sie, die Angst auslösenden Situationen zu vermeiden. Dieses Vermeidungsverhalten verstärkt ihre Furcht allerdings nur und Betroffene geraten in einen Teufelskreis.
Wie wird eine Angststörung behandelt?
Eine Angststörung sollte behandelt werden, wenn sie die betroffene Person im Alltag einschränkt und für Leidensdruck sorgt. In den meisten Fällen lässt sich eine Angststörung gut therapieren. Je früher die Behandlung erfolgt, desto größer ist die Chance auf Heilung.
Zur Behandlung von Angststörungen ist vor allem eine Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie, geeignet. In einigen Fällen kann zusätzlich die Einnahme von Medikamenten sinnvoll sein.
Die Behandlung richtet sich zum einen danach, um welche Angststörung es sich handelt und wie ausgeprägt diese ist. Auch ist entscheidend, ob die Angst im Vordergrund steht oder ob sie als Begleiterscheinung einer anderen psychischen Erkrankung (z. B. Depression) auftritt. Zum anderen sind die individuellen Wünsche und Vorlieben des*der Patient*in von Bedeutung.
Kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen
Grundannahme der kognitiven Verhaltenstherapie ist, dass sich Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen gegenseitig beeinflussen. Das bedeutet konkret: Wie eine Person etwas bewertet, hängt unter anderem davon ab, welche Erfahrungen sie in der Vergangenheit gemacht hat. Bestimmte Ereignisse oder Erfahrungen können dazu führen, dass ein Mensch fehlerhafte beziehungsweise für ihn ungünstige Überzeugungen entwickelt.
In der kognitiven Therapie soll die betroffene Person lernen, welche ihrer Denkabläufe und Verhaltensweisen dazu führen, dass die Angst aufrechterhalten wird.
Im sogenannten Expositionsverfahren begibt sich der*die Patient*in unter therapeutischer Anleitung in die gefürchtete Situation – meist zunächst in der Vorstellung und später real. Ziel ist es, die Situation so lange auszuhalten, bis die Angstgefühle spürbar nachlassen. So kann die Person erkennen, dass ihre Angst unbegründet ist.
Psychodynamische Verfahren
Weitere Therapieformen, die zur Behandlung einer Angststörung angewendet werden können, sind psychodynamische Verfahren. Dazu zählen
- die analytische Psychotherapie und
- die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.
Beide Verfahren beruhen auf einem psychoanalytischen Ansatz: Alles, was ein Mensch denkt, fühlt oder tut, wird durch unbewusste Erfahrungen beeinflusst. So können vor allem innere, meist unbewusste Konflikte hinter starken Ängsten stehen, die zum Beispiel in der Kindheit entstanden sind. Im Zuge der Behandlung decken Therapeut*in und Angstpatient*in in Gesprächen zunächst den zugrunde liegenden Konflikt auf, um ihn anschließend zu bearbeiten.
Medikamentöse Behandlung bei Angststörungen
Zusätzlich zu einer Psychotherapie können auch Medikamente zum Einsatz kommen. Meist handelt es sich um Antidepressiva:
- selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Sertralin, Paroxetin, Escitalopram und Citalopram sowie
- Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Venlafaxin
Antidepressiva greifen in den Hirnstoffwechsel ein und sorgen dafür, dass bestimmte Botenstoffe wieder ins Gleichgewicht kommen. Denn bei vielen Betroffenen lässt sich eine Dysbalance der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin beobachten. Bis Antidepressiva ihre volle Wirkung entfalten, dauert es mindestens zwei Wochen.
Ist die Angst so stark, dass sie eine Psychotherapie erschwert, können sogenannte Anxiolytika verschrieben werden. Dabei handelt es sich um Benzodiazepine, die sofort angstlösend wirken. Wegen ihres Abhängigkeitspotenzials sind sie jedoch nur vorübergehend geeignet.
Neben den SSRI und SNRI setzen Fachleute zur Behandlung von Angstzuständen auch auf
- MAO-Hemmer wie Moclobemid und
- trizyklische Antidepressiva wie Clomipramin.
Entspannung und Sport zur Unterstützung
Angst ist nicht nur mit starkem psychischem Stress verbunden, sie führt auch zu körperlicher Anspannung. Gezielte Entspannungsübungen steigern das persönliche Wohlbefinden und tragen dazu bei, das Angstniveau zu senken. Gut geeignet sind zum Beispiel
- die progessive Muskelentspannung nach Jacobson,
- die angewandte Entspannung (Applied Relaxation) oder
- autogenes Training.
Mit diesen Methoden allein lässt sich eine Angsterkrankung zwar nicht heilen. Jedoch können sie die Symptome deutlich lindern und die Behandlung unterstützen. Denn die Muskeln bilden sogenannte Myokine, die nicht nur das Immunsystem, sondern auch die Psyche stabilisieren.
Auch körperliche Aktivität kann sich bei einer Angststörung positiv auswirken. Wichtig ist, sich regelmäßig zu bewegen – am besten an der frischen Luft.
Wie wird eine Angststörung diagnostiziert?
Häufig vergeht viel Zeit, bis eine Angststörung diagnostiziert wird. Das hat verschiedene Gründe:
Äußert sich die Angststörung vor allem durch körperliche Symptome, vermuten Betroffene oft eine körperliche Ursache und bringen ihre Beschwerden nicht mit einer psychischen Erkrankung in Verbindung.
Eine Angststörung kann das Leben so sehr einschränken, dass Betroffene sich scheuen, eine ärztliche Praxis aufzusuchen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die erkrankte Person eine Agoraphobie hat und das Haus vor Angst nicht verlassen kann.
Nicht zuletzt schämen sich viele Betroffene für ihre Ängste und es fällt ihnen schwer, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das betrifft vor allem Männer.
Erste Anlaufstelle kann die hausärztliche Praxis sein. Von hier erfolgt in der Regel eine Überweisung an eine Praxis für Psychiatrie oder Psychotherapie. Hier findet zunächst ein ausführliches Gespräch statt. Der*die behandelnde Arzt*Ärztin wird zum Beispiel wissen wollen,
- seit wann die Beschwerden bestehen,
- in welchen Situationen die Angst auftritt,
- wie stark die Angst ist,
- ob die Ängste plötzlich oder schleichend aufgetreten sind,
- welche körperlichen Symptome die Angst begleiten und
- ob weitere Beschwerden bestehen.
Andere Erkrankungen ausschließen
Bestimmte körperliche Erkrankungen können mit Symptomen einhergehen, die denen einer Angststörung ähneln. Zu solchen Krankheiten zählen zum Beispiel
- Schilddrüsenüberfunktion,
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
- einige neurologische Erkrankungen oder
- bestimmte Lungenerkrankungen.
Auch einige Medikamente können Beschwerden hervorrufen, die an eine Angststörung erinnern. Um auszuschließen, dass die Angstsymptome auf eine körperliche Ursache zurückzuführen sind, sollte daher auch eine umfassende körperliche Untersuchung stattfinden.
Als wichtiges diagnostisches Hilfsmittel werden häufig sogenannte Angsttagebücher eingesetzt. Betroffene halten im Tagebuch über einen längeren Zeitraum fest, wie oft, in welchen Situationen und wie stark die Angst aufgetreten ist. Das Angsttagebuch erleichtert nicht nur die Diagnose, sondern hilft auch dabei, einen individuellen Behandlungsplan aufzustellen.
Angststörung: Was sind die Ursachen?
Es gibt verschiedene Theorien und Erklärungsansätze über die Ursachen einer Angststörung. Aus lerntheoretischer Sicht entwickelt sich eine Angst durch ungünstige Lernprozesse. Aus psychodynamischer Sicht können innere Konflikte hinter einer starken Angst stehen.
Welche Faktoren begünstigen eine Angststörung?
Fachleute gehen davon aus, dass viele verschiedene Faktoren im Zusammenspiel die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung erhöhen, so zum Beispiel:
psychosoziale Faktoren: Traumatische Ereignisse in der Kindheit, aber auch in der aktuellen Lebenssituation können eine Angststörung begünstigen. Dazu zählen zum Beispiel der Tod eines Elternteils, Scheidung der Eltern, sexueller Missbrauch, eine lebensbedrohliche Erkrankung oder der Verlust des Arbeitsplatzes.
ungünstiger Erziehungsstil: Möglicherweise spielen bestimmte Erziehungsstile bei der Entstehung mancher Angststörungen eine Rolle, so etwa in Form von Überbehütung oder Abweisung.
neurobiologische Aspekte: Bei Menschen mit einer Angststörung weisen einige Hirnregionen Besonderheiten auf. Zudem vermutet man, dass sich bestimmte Botenstoffe wie Serotonin, Noradrenalin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) bei Angstpatient*innen im Ungleichgewicht befinden. Auch scheint bei Betroffenen das vegetative Nervensystem sehr leicht erregbar zu sein, wodurch sich Angstsymptome besonders schnell ausbilden können.
genetische Faktoren: Fachleute vermuten, dass genetische Einflüsse an der Entstehung einer Angststörung beteiligt sind. So kommen Angststörungen in einigen Familien gehäuft vor.
Angststörung: Verlauf und Prognose
Wie sich eine Angststörung entwickelt, ist unter anderem davon abhängig,
- um welche Form der Angststörung es sich handelt,
- wie lange die Störung schon besteht,
- wie ausgeprägt die Angst ist und
- ob die Person in Behandlung ist.
Unbehandelt entwickeln sich Angststörungen häufig chronisch über viele Jahre hinweg. Betroffene zeigen oft ein besonders ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, das immer stärker wird.
Oft ist es nicht die Angst selbst, die für Betroffene besonders belastend ist, sondern die damit verbundenen Folgen. Je nach Form und Ausprägung kann eine Angststörung das Leben eines Menschen stark beeinträchtigen. Manche Betroffene können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Andere fliegen nicht mehr in den Urlaub, weil sie Flugangst haben. Und wieder andere haben kaum soziale Kontakte und verlassen nur noch selten das Haus. Depressionen, Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch können mögliche Folgen sein.
Lässt sich einer Angststörung vorbeugen?
Einer Angsterkrankung kann man nicht direkt vorbeugen, da sich die ursächlichen Faktoren kaum beeinflussen lassen. Wichtig ist aber, bei ersten Anzeichen frühzeitig zu reagieren.