Amyothrophe Lateralsklerose (ALS): Lebenserwartung bei der Krankheit
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Erkrankung des Nervensystems. Sie verläuft bei jedem Menschen anders, führt aber in der Regel zu Lähmungen sowie Sprach-, Schluck- und Atemproblemen. Obwohl es keine Heilung gibt, können bestimmte Therapien den Krankheitsverlauf verlangsamen und die Lebenserwartung leicht erhöhen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
FAQ: Häufige Fragen und Antworten zu Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Die genauen Ursachen der ALS sind wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass sowohl genetische Veranlagung als auch Umweltbelastungen sowie Risikofaktoren wie körperliche Arbeit oder intensiver Sport eine Rolle spielen.
Die für ALS typischen Muskelzuckungen (Faszikulationen) sind unwillkürliche, sichtbare Zuckungen unter der Haut. Sie können an Armen, Beinen, Händen, Schultern, der Zunge oder im Gesicht auftreten.
Nein, ALS kann bisher nicht gestoppt oder geheilt werden. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
Die Nervenkrankheit hat das Endstadium erreicht, wenn die motorischen Funktionen fast vollständig verloren sind. Betroffene haben dann oft starke Bewegungseinschränkungen, Schluckstörungen und schwere Atemprobleme.
Was ist amyotrophe Lateralsklerose (ALS) für eine Krankheit?
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine sogenannte Motoneuronerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft, also das Gehirn und das Rückenmark. Sie führt dort zu einer Schädigung und schließlich zum Verlust bestimmter Nervenzellen, die für die Steuerung der Skelettmuskeln zuständig sind. Da die Muskeln folglich keine Reize vom Nervensystem mehr erhalten, werden sie immer schwächer und bilden sich zurück.
Typischerweise beginnt ALS in einer Muskelgruppe und breitet sich innerhalb weniger Wochen oder Monate auf umliegende Bereiche aus. Bei einigen Betroffenen lässt zunächst die Ausdauer nach. Dies kann sich in alltäglichen Aktivitäten bemerkbar machen, die plötzlich mehr Anstrengung erfordern. Andere haben häufiger Muskelkrämpfe oder verspüren ein Gefühl von Steifheit in bestimmten Muskeln. Manche bemerken eher Probleme beim Sprechen oder Schlucken.
Hinweis: Jährlich erhalten in Deutschland rund 2.000 Menschen die Diagnose ALS, meist im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt bei 56 bis 58 Jahren. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen.
Das sind häufige Frühsymptome der ALS
Die Symptome einer ALS können je nach betroffenem Muskelbereich variieren und sind anfangs oft unspezifisch. Mögliche erste Anzeichen sind:
Verlust an Ausdauer und ein Gefühl der Kraftlosigkeit
Muskelschwäche und Muskelschwund in den Extremitäten (Atrophie)
Muskelkrämpfe und unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen)
verminderte Feinmotorik und Geschicklichkeit, besonders in den Händen
Steifheit in den Muskeln (Spastik), vor allem in den Beinen
schnellere Ermüdung der Muskulatur
Bei etwa 30 bis 40 Prozent der Patient*innen beginnt eine ALS zudem mit Sprech- und Schluckstörungen wie Heiserkeit oder eine näselnde Stimme sowie Schluck- und Kauprobleme (bulbäre Symptome).
ALS: Verlauf der Amyotrophen Lateralsklerose
Wie stark eine ALS das Lebensniveau einschränkt, hängt davon ab, welche Muskeln zuerst betroffen sind und wie sich der Krankheitsverlauf entwickelt.
Meist beginnt die Krankheit in den Händen, Armen, Füßen oder Beinen. Seltener treten zu Beginn Störungen der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf. Diese entwickeln sich bei vielen Betroffenen erst im späteren Verlauf.
Mit der Zeit verlieren die Muskeln nicht nur an Kraft und Beweglichkeit, sondern auch an Masse – besonders sichtbar ist dies häufig zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Muskelschwund kann auch Schmerzen verursachen, etwa beim Greifen, da der knöcherne Stützapparat stärker belastet wird.
Im späteren Verlauf können auch pseudobulbäre Affektreaktionen auftreten, die sich in unkontrolliertem Lachen oder Weinen äußern. Diese Symptome entstehen durch eine Schädigung der Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind.
So zeigt sich ALS im Endstadium
Fast alle motorischen Funktionen sind im Endstadium der ALS eingeschränkt. Betroffene sind in der Regel auf einen Rollstuhl angewiesen oder vollständig bettlägerig. Häufig kommen Schluckstörungen (Dysphagie) hinzu, die die Nahrungsaufnahme erschweren.
Eine geschwächte Atemmuskulatur ist in diesem Stadium meist besonders ausgeprägt und hat häufig
Kopfschmerzen durch Sauerstoffmangel,
Schlafstörungen mit Atemaussetzer (Schlafapnoe) oder
gehäufte Infekte zur Folge.
Auch die Kommunikation wird zunehmend schwieriger, da die Sprechmuskulatur betroffen ist. Während das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten in der Regel erhalten bleiben, können leichte kognitive Störungen, psychische Veränderungen (wie Depressionen oder Angstzustände) und seltener Demenz auftreten.
Die Herzmuskulatur, die Blasen- und Darmkontrolle sowie die Augenmuskulatur sind meist nicht betroffen.
ALS: Lebenserwartung nach einer Diagnose
ALS gilt derzeit als unheilbar. Der fortschreitende Verlust von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark schränkt die Lebenserwartung durch zunehmende Lähmungen und lebenswichtige Funktionsstörungen ein.
Ein prominentes Beispiel für die Auswirkungen der ALS ist der Physiker Stephen Hawking.
Sein Krankheitsverlauf war jedoch ungewöhnlich, denn Hawking lebte mehr als 50 Jahre mit der Krankheit.
Prognose und Lebenszeit bei ALS
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit ALS nach der Diagnose beträgt derzeit etwa drei bis fünf Jahre. Nur 10 bis 20 von 100 Patient*innen leben länger als 10 Jahre mit ALS. Bei einem kleinen Teil führt die Erkrankung innerhalb eines Jahres zum Tod.
Es gibt jedoch medizinische Ansätze, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Unterstützende Maßnahmen wie nicht-invasive Beatmungsgeräte und eine angepasste Ernährung können in einigen Fällen die Lebenserwartung um Monate oder Jahre verlängern. Auch eingesetzte Medikamente, wie zum Beispiel Riluzol, können sich mitunter positiv auf die Lebensdauer auswirken.
Die Prognose für einzelne Patient*innen kann dennoch stark variieren und hängt von individuellen Faktoren ab.
ALS: Ursachen und Risikofaktoren der Amyotrophen Lateralsklerose
Die für ALS typischen Beschwerden entstehen dadurch, dass bestimmte Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark absterben. Diese Nervenzellen steuern die Muskelbewegungen und werden Motoneurone (lat. motor = Beweger) genannt. Deshalb zählt ALS zu den Motoneuronerkrankungen.
Normalerweise leiten Motoneurone Impulse vom Gehirn und Rückenmark zu den Muskeln des Körpers. Die oberen Motoneurone im Gehirn initiieren bewusste Bewegungen und steuern die Körperhaltung. Sie übertragen ihre Signale an die unteren Motoneurone im Rückenmark, die diese direkt an die Muskeln weiterleiten. Mit ALS funktionieren diese Prozesse nicht mehr richtig.
Fachleute unterscheiden verschiedene Formen der Erkrankung, die unterschiedliche Ursachen haben können. Dazu zählen:
- familiäre ALS (FALS): In manchen Fällen liegt eine genetische Veranlagung vor. Bestimmte Genmutationen werden dann innerhalb von Familien weitergegeben. Die C9orf72-Mutation ist die häufigste Ursache für FALS.
sporadische ALS: Die meisten ALS-Fälle treten ohne familiäre Häufung auf. Vermutet werden Autoimmunerkrankungen, sportliche Überlastung und Giftstoffe in der Nahrung. Dies ist bisher allerdings wissenschaftlich nicht bestätigt.
genetische Faktoren ohne familiäre Vorgeschichte: Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass auch bei Betroffenen ohne bekannte familiäre Vorgeschichte genetische Veränderungen eine Rolle spielen. Bei mindestens 5 Prozent aller Patient*innen ohne bekannte familiärer ALS konnten genetische Veränderungen nachgewiesen werden.
Risikofaktoren für die Entwicklung einer ALS
Darüber hinaus gibt es weitere Risikofaktoren für ALS, die in der Forschung diskutiert werden:
Umweltfaktoren: Fachleute vermuten, dass ein Zusammenspiel von genetischen Risikofaktoren und Umweltfaktoren zur Entstehung der Krankheit beiträgt.
schwere körperliche Arbeit: Aktuelle Studien untersuchen, ob Menschen mit körperlich anstrengenden Berufen wie Steinmetze oder Holzfäller ein erhöhtes ALS-Risiko haben. Die Forschung dazu ist noch nicht abgeschlossen.
intensiver Sport: Häufiger und anstrengender Freizeitsport, insbesondere Aktivitäten mit hoher Intensität wie Kraftsport, wurde als möglicher Risikofaktor identifiziert. Auch Leistungssportarten wie Fußball, American Football und Langlaufski wurden in diesem Zusammenhang untersucht.
Geschlecht und Alter: Männer haben ein höheres Risiko, an ALS zu erkranken. Warum das so ist, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Forschende vermuten, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im Stoffwechsel eine Rolle spielen.
Hinweis: Die genauen Mechanismen, die zum Absterben der Nervenzellen führen, sind noch unklar und werden weiter erforscht. Ein Problem der ALS-Forschung ist, dass Medikamente und Tests die Blut-Hirn-Schranke nur schwer überwinden. Diese Schutzbarriere filtert schädliche Stoffe, verhindert aber auch, dass potenzielle Wirkstoffe ins Nervensystem gelangen.
ALS-Diagnose: So wird Amyotrophe Lateralsklerose festgestellt
Zur Diagnostik einer ALS wird zunächst eine umfassende ärztliche Untersuchung der Beschwerden durchgeführt (Anamnese). Einzelne Befunde reichen jedoch oft nicht für eine Diagnose aus. Wichtig ist es, auch andere Nervenerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose) auszuschließen, die ähnliche Symptome verursachen können.
Deshalb kommen meist weitere Tests und Verfahren infrage, wie beispielsweise:
Elektromyographie (EMG): Feine Nadelelektroden messen die elektrischen Signale der Muskeln und zeigen Abweichungen von der normalen Muskelaktivität an. Sie werden durch die Haut in den zu untersuchenden Muskel eingeführt. Das Einführen kann leicht schmerzhaft sein, ist aber in der Regel gut erträglich.
Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT): Diese bildgebenden Verfahren können Veränderungen in der Hirnrinde feststellen. Insbesondere mit der MRT lassen sich die komplexen Strukturen des zentralen Nervensystems in höherer Detailauflösung darstellen.
Liquorpunktion: Dabei wird eine Probe des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis) entnommen. Dies geschieht meist im Bereich der Lendenwirbelsäule unterhalb des Rückenmarks. So lassen sich Erkrankungen des Zentralnervensystems wie Entzündungen, Infektionen, Blutungen, Tumoren oder andere neurologische Störungen diagnostizieren oder ausschließen.
Blutuntersuchung: Zur Abklärung möglicher genetischer oder entzündlicher Ursachen kann im Rahmen der klinischen Untersuchung eine Blutuntersuchung durchgeführt werden. Darüber hinaus zeigen neuere Forschungen, dass die Messung von Neurofilamenten (Bausteine der Nervenzellen, die zur Stabilisierung der Zellstruktur beitragen) im Blut bei der Diagnose von ALS helfen kann.
Zusätzlich kann es bei der ALS-Diagnose nötig sein, eine Gewebeprobe aus einem Muskel (Muskelbiopsie) zu entnehmen und zu untersuchen. Wenn in dieser Probe ein Rückgang der Muskelfasern festgestellt wird, der auf Nervenschäden hindeutet, unterstützt das den Verdacht auf die Erkrankung.
Leben mit ALS: Behandlung und Therapie
Eine Heilung der Amyotrophen Lateralsklerose durch Therapien ist nicht möglich. Es gibt jedoch in Deutschland zugelassene Medikamente, die das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen können:
Riluzol: Dieses Medikament wirkt der Schädigung der Nervenzellen entgegen. Es wird relativ gut vertragen, hat aber einige Nebenwirkungen. Zu den häufigsten gehören Kraftlosigkeit und Übelkeit. Da es auch die Leberwerte erhöhen kann, ist es vor allem zu Beginn der Behandlung wichtig, die Blutwerte regelmäßig zu kontrollieren und auf mögliche Anzeichen einer Lebererkrankung zu achten.
Tofersen: Dieses Antisense-Oligonukleotid wird in Deutschland seit 2023 zur Behandlung von Erwachsenen mit ALS eingesetzt. Es soll vor allem die Symptome lindern, indem es die Produktion des Proteins SOD1 hemmt, das Nervenzellen schädigen kann. Häufige Nebenwirkungen sind Rücken-, Kopf- und Muskelschmerzen.
ALS: Behandlung der Beschwerden
Neben Medikamenten können auch folgende Maßnahmen dazu beitragen, die Mobilität und Selbstständigkeit von Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten:
Physiotherapie: Durch physiotherapeutische Übungen wird die Restfunktion der Muskulatur gefördert und dem typischen Muskelschwund entgegengewirkt.
Ergotherapie: Bei der Ergotherapie lernen Betroffene, ihre noch intakten Muskeln so einzusetzen, dass sie den Verlust der betroffenen Muskulatur ausgleichen können.
Atemgymnastik: Im späteren Verlauf führt ALS häufig zu einer Schwächung der Atemmuskulatur, wodurch Schleim nicht mehr richtig abgehustet werden kann. Um Lungenentzündungen (Pneumonien) vorzubeugen, werden oft Atemgymnastik, Klopfmassagen und eine frühzeitige Behandlung von Atemwegsinfekten (z. B. mit Antibiotika) empfohlen.
Atemhilfen: Wenn die Atemmuskulatur ausfällt, kann das ohne unterstützende Maßnahmen lebensbedrohlich werden. Mobile Beatmungsgeräte für zu Hause können eine erschwerte Atmung unterstützen.
Magensonde: Führt die ALS zu einer fortschreitenden Lähmung der am Schlucken beteiligten Muskeln, kann eine Ernährung über eine Sonde notwendig sein. Dadurch wird sichergestellt, dass die Nahrung direkt in den Magen gelangt, was das Risiko verringert, dass sie ungewollt in die Atemwege gerät und dadurch Komplikationen wie Lungenentzündungen auslöst werden. Eine Ernährung über eine Sonde verhindert außerdem einen starken Gewichtsverlust.
Oft ist auch eine psychotherapeutische Unterstützung der Patient*innen mit ALS sinnvoll. Eine umfassende Betreuung hilft nicht nur, die emotionale Belastung zu bewältigen, sondern unterstützt auch bei den kognitiven und psychischen Herausforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen.