Ein Arzt untersucht die Nieren einer Patientin mit Ultraschall.
© Getty Images

Akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz)

Von: Onmeda-Redaktion, Dr. rer. nat. Geraldine Nagel (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 17.12.2021

Akutes Nierenversagen führt in der Regel dazu, dass der Körper keinen Harn (Urin) mehr produziert. Die Betroffenen scheiden dann keinen oder wenig Urin aus. Aber nicht immer macht sich ein akutes Nierenversagen durch eine verminderte Urinausscheidung bemerkbar: Manche Betroffene müssen normal Wasserlassen oder scheiden mehr Urin aus als sonst.

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Akutes Nierenversagen

Was ist akutes Nierenversagen?

Der Begriff akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) beschreibt eine vorübergehende, akut auftretende, unzureichende oder völlig ausgefallene Nierenfunktion. Die Nieren können dann das Blut nicht mehr ausreichend reinigen. Dadurch reichern sich im Blut immer mehr Schadstoffe beziehungsweise Abbauprodukte an, die im Stoffwechsel anfallen.

Sammeln sich als Folge des akuten Nierenversagens zu viele Abbauprodukte im Körper an, hat das vielfältige Auswirkungen auf den Organismus und kann zum Beispiel zu Ödemen oder Bluthochdruck führen.

Akutes Nierenversagen ist keine eigenständige Erkrankung. Vielmehr entsteht es als Folge schwerer Grunderkrankungen, wie

Abzugrenzen vom akuten Nierenversagen ist das chronische Nierenversagen. Darunter versteht maneine irreversible, also dauerhafte und durch eine Behandlung nicht mehr rückgängig zu machende Abnahme der Nierenfunktion.

Akutes Nierenversagen: Ursachen

Akutes Nierenversagen kann verschiedene Ursachen haben. Allen gemeinsam ist, dass sie die Nierenfunktion beeinträchtigen. Es kommt zu einer Abnahme des sogenannten Glomerulumfiltrats, also der in den Nieren gebildeten Urinvorstufe, und somit zu einer Nierenschwäche (Niereninsuffizienz).

Akutes Nierenversagen teilt man je nach Ursache in folgende Kategorien ein:

  • prärenales akutes Nierenversagen,
  • (intra)renales akutes Nierenversagen oder
  • postrenales akutes Nierenversagen.

Prärenales akutes Nierenversagen

Bei akutem Nierenversagen handelt es sich in 60 Prozent der Fälle um ein prärenales akutes Nierenversagen. Hierbei entsteht das Nierenversagen "vor" der Niere, also im Kreislaufsystem. Ursachen sind beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine Blutvergiftung (Sepsis) oder Wasser- und Elektrolytverluste (z.B. durch Erbrechen, Durchfall). Dies führt zu einer mangelhaften Durchblutung der Niere. Um die Durchblutung zu verbessern, bremsen die Nieren den Flüssigkeitsverlust – es wird weniger Urin produziert. Allerdings können die Nieren ihrer Filterfunktion so auf Dauer nicht gerecht werden. Die Folge: Schadstoffe und Abbauprodukte des Stoffwechsels reichern sich im Blut an.

(Intra)renales akutes Nierenversagen

Bei (intra)renalem akuten Nierenversagen entsteht das Nierenversagen innerhalb der Niere: Das Nierengewebe selbst kann aufgrund von Durchblutungsstörungen oder Giftstoffen (z.B. Medikamente) geschädigt und so in seiner Funktion gestört sein. Ungefähr 35 Prozent der Fälle von akutem Nierenversagen fallen in diese Untergruppe.

Postrenales akutes Nierenversagen

Dieses Nierenversagen entsteht "hinter" der Niere (etwa in Nierenbecken, Harnleiter, Blase oder Harnröhre). Ursache sind meist Behinderungen im Urinfluss durch verengte Harnwege, zum Beispiel durch Nieren-, Harn- oder Blasensteine sowie Tumore oder eine Prostatavergrößerung. Der dabei entstehende Urinstau schädigt das Nierengewebe. Akutes Nierenversagen ist in circa 5 Prozent der Fälle postrenal bedingt.

Akutes Nierenversagen: Symptome

Akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) verläuft in drei Phasen, die jeweils mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen. In der Regel zeichnet sich akutes Nierenversagen jedoch nichtdurch typische Symptome aus. Meist stehen eher die Beschwerden der Grunderkrankung im Vordergrund.

Initialphase

Während der Initialphase schränkt die Grunderkrankung die Nierenfunktion zunehmend ein. Noch herrschen allerdings die Symptome der Grunderkrankung vor, von einem akuten Nierenversagen ist noch nichts zu spüren.

Phase des manifesten Nierenversagens

Die Filterfunktion der Nieren ist nun so weit gesunken, dass in den meisten Fällen die Harnausscheidung sinkt:

  • Bei einer Oligurie fällt die tägliche Harnmenge unter 500 Milliliter (0,5 Liter),
  • bei einer Anurie sind es sogar weniger als 100 Milliliter (0,1 Liter) täglich.

Etwa einer von drei Betroffenen scheidet muss jedoch ganz normal Wasserlassen oder scheidet vermehrt Urin aus. In jedem Fall häufen sich Schadstoffe aus Stoffwechselprozessen im Blut an. Stellvertretend hierfür misst man den Kreatininwert im Blut. Kreatinin ist das Abbauprodukt des Muskelproteins Kreatin. Der Wert steigt erst dann an, wenn mehr als die Hälfte der Nierenfunktion eingeschränkt ist.

Die eingeschränkte Nierenfunktion kann in dieser Phase folgende Auswirkungen haben:

Diuretische oder polyurische Phase

In dieser Phase kommt es zu einer übermäßigen Harnausscheidung (Diurese) von über zwei Litern pro Tag (Polyurie). Daher droht dem Körper ein zu starker Verlust von Wasser und Elektrolyten.

Heilungsphase

Bei vielen Patienten erholt sich die Nierenfunktion nach einigen Wochen bis Monaten wieder vollständig. Die Harnmenge normalisiert sich auf 1 bis 1,5 Liter pro Tag. In manchen Fällen kann die Nierenfunktion jedoch dauerhaft eingeschränkt bleiben. Mediziner sprechen dann von einer chronischen Niereninsuffizienz.

Bei Intensivpatienten nimmt akutes Nierenversagen aufgrund der Schwere der Grunderkrankung häufig einen wesentlich ungünstigeren Verlauf, in dem sich die klassischen Phasen nicht erkennen lassen. Darüber hinaus wird die Behandlung oftmals durch weitere Vorerkrankungen erschwert, sodass bei sechs von zehn Intensivpatienten das akute Nierenversagen tödlich endet.

Urämie (Harnvergiftung)

Ein akutes Nierenversagen kann zu einer sogenannten Urämie führen. Darunter verstehen Mediziner eine Harnvergiftung, die auftritt, wenn sich der Urin beispielsweise durch ein Hindernis in den Harnwegen zurückstaut. Symptome einer Urämie können sein:

Akutes Nierenversagen: Diagnose

Um bei akutem Nierenversagen (akuter Niereninsuffizienz) eine Diagnose zu stellen, benötigt der Arzt Informationen über Vorerkrankungen und eingenommene Medikamente. Darüber hinaus kann die ausgeschiedene Urinmenge einen entscheidenden Hinweis liefern. Liegt die tägliche Urinmenge über einen Zeitraum von mindestens sechs Stunden unter 0,5 Millilitern pro Kilogramm Körpergewicht, handelt es sich laut Definition um ein akutes Nierenversagen.

Außerdem kann eine Blutuntersuchung zur Diagnose eines akuten Nierenversagens beitragen: Erhöhte Kreatinin- und Harnstoff-Werte sind beispielsweise typische Zeichen für eine Nierenschädigung. Daher lässt sich mit diesen Werten auch eine ungefähre Aussage zum Ausmaß der Nierenschädigung machen.

Bei Verdacht auf ein akutes Nierenversagen führt der Arzt häufig eine Ultraschalluntersuchung durch. Damit kann er Lage, Größe und Beschaffenheit der Nieren beurteilen und möglicherweise einen Harnrückstau erkennen. Außerdem kann der Arzt Verschlüsse in den Harnwegen mittels Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) erkennen. Eine Gewebeprobe (Nierenbiopsie) kann Aufschluss über verändertes Nierengewebe geben und eignet sich somit vor allem bei Verdacht auf bestimmte Formen des intrarenalen akuten Nierenversagens.

Akutes Nierenversagen: Stadieneinteilung

Akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) lässt sich je nach Schwere der Erkrankung in unterschiedliche Stadien einteilen. Bei der Zuordnung der Patienten in die Stadieneins bis drei achtet der Arzt vor allem auf zwei Messwerte:

  • auf den Anstieg des Kreatinins im Blutserum und
  • darauf, wie viel Urin der Betroffene ausscheidet.

Tabelle: Stadien der akuten Nierenschädigung nach KDIGO*

StadiumSerum-KreatininUrinmenge
1
  • Anstieg der Kreatinin-Werte um 0,3 mg/dl (innerhalb von 48 Stunden) oder
  • 1,5- bis 1,9-facher Anstieg (innerhalb von 7 Tagen)
weniger als 0,5 ml pro kg Körpergewicht für 6 bis 12 Stunden
2
  • 2- bis 2,9-facher Kreatinin-Anstieg
weniger als 0,5 ml pro kg Körpergewicht für 12 Stunden oder länger
3
  • mindestens 3-facher Anstieg oder
  • Anstieg auf mindestens 4 mg/dl oder
  • Beginn einer Nierenersatztherapie oder
  • wenn bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) unter 35 ml/min/1,73 m² sinkt
weniger als 100 ml für 12 Stunden oder länger (Anurie)

*) = Kidney Disease: Improving Global Outcomes

Akutes Nierenversagen: Therapie

Akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) erfordert umgehend eine Therapieim Krankenhaus. Oberstes Ziel ist es, die eigentliche Ursache des Nierenversagens zu erkennen und zu behandeln, um die natürliche Filterfunktion der Nieren wiederherzustellen. Gleichzeitig versucht man, die Beschwerden zu lindern und möglichen Komplikationen der Nierenfunktionsstörung entgegenzuwirken.

Gut zu wissen: Akutes Nierenversagen tritt meist nur vorübergehend auf. Sobald der Arzt die zugrundeliegende Erkrankung behandelt hat, arbeiten die Nieren in der Regel wieder normal.

Die Ursachen behandeln

Liegt ein prärenales akutes Nierenversagen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Infektionskrankheiten vor, ist das Ziel der Therapie, dass die Niere wieder ausreichend durchblutet wird. Dazu erhält der Betroffene Medikamente und Infusionen, die den Kreislauf normalisieren.

Bei renalem akuten Nierenversagen, also Veränderungen im Nierengewebe, muss die Ursache der Schädigung beseitigt werden. Hat ein Medikament das akute Nierenversagen ausgelöst, muss dieses abgesetzt werden. Manchmal verschreibt der Arzt zusätzlich ein Gegenmittel.

Bei postrenalem akuten Nierenversagen, also Störungen in den Harnwegen, versuchen die behandelnden Ärzte, die Harnabflussbehinderung (z.B. Harnsteine) zu beseitigen.

Konservative Therapie

Oft kann akutes Nierenversagen mit einer konservativen Therapie – also mit Medikamenten behandelt werden. Im Mittelpunkt steht dabei stets der Ausgleich des Flüssigkeitshaushalts. Wenn die Flüssigkeitsaufnahme auf normalem Wege durch die Grunderkrankung (z.B. Durchfall, Erbrechen) behindert wird, erfolgt die Flüssigkeitsgabe mit Infusionen über eine Vene. Auch die Konzentration der Elektrolyte (z.B. Kalium, Calcium, Natrium, Phosphat) sollte auf einem normalen Niveau gehalten werden, damit es nicht zu Komplikationen kommt.

Je nachdem, ob die Personen vermehrt oder weniger Urin bilden, ist es wichtig, dass sie nicht zu viel beziehungsweise ausreichend trinken. Manchmal sind Infusionen notwendig, um große Wasserverluste auszugleichen. Scheidet der Patient keinen Urin mehr aus, können entwässernde Medikamente (Diuretika) helfen.

Dialyse

Reicht eine konservative Therapie nicht aus, muss die Nierenfunktion vorübergehend mit technischen Hilfsmitteln aufrechterhalten werden (Dialyse). Das Prinzip dieser auch Nierenersatz-Therapie genannten Behandlung: Das Blut fließt über einen Katheter, der sich in einer Vene (meistens der Armvene oder seltener der Oberschenkelvene) befindet, über Schläuche und Pumpen in ein System von halbdurchlässigen Membranen. Auf der anderen Seite dieser Membranen strömt eine salzhaltige, genau dosierte Flüssigkeit (Dialysat) dem Blut entgegen. Über die Membran gelangen die aus dem Blut auszuscheidenden Substanzen in die Salzlösung und werden über diese entfernt. Nach Passieren des Membransystems gelangt das so gereinigte Blut wieder in den Körper des Patienten.

Diese Art der "Blutwäsche" mittels halbdurchlässiger (semipermeabler) Membranen und dem Dialysat wird als extrakorporale (außerhalb des Körpers ablaufende) Dialyse bezeichnet. Die extrakorporale Dialyse muss so lange erfolgen, bis die eigenen Nieren wieder ausreichend arbeiten.

In besonders schweren Fällen und wenn sich die Nieren dauerhaft nicht wieder erholen, kann eine Nierentransplantation nötig sein.

Akutes Nierenversagen: Verlauf

Die Grunderkrankung, die für das akute Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) verantwortlich ist, bestimmt auch dessen Verlauf und Prognose. Bei prärenalem und postrenalem akuten Nierenversagen kann die rechtzeitige Beseitigung der Ursache die Nierenfunktion meist vollkommen wiederherstellen.

Wird ein akutes Nierenversagen rechtzeitig behandelt und werden die Ursachen beseitigt, ist die langfristige Prognose gut. In den meisten Fällen arbeiten die Nieren dann wieder normal und Betroffene haben keine weiteren Beschwerden.

Ein akutes Nierenversagen, das durch eine Schädigung der Nieren bedingt ist (sog. renales akutes Nierenversagen), nimmt häufig einen ungünstigen Verlauf und geht in ein chronisches Nierenversagen über.

Akutes Nierenversagen: Vorbeugen

Wer akutes Nierenversagen (akute Niereninsuffizienz) vermeiden möchten, kann bis zu einem gewissen Maß vorbeugen: Bestehende Nierenerkrankungen oder mögliche Ursachen wie Bluthochdruck sollte man rechtzeitig behandeln lassen. Die dauerhafte Einnahme von Medikamenten sollte man außerdem immer genau mit dem Hausarzt besprechen. Er kann – sollte die Nierenfunktion bereits leicht eingeschränkt sein – geeignete Medikamente in nierenschonender Dosierung verordnen und die Nierenfunktion regelmäßig kontrollieren, um eine Verschlechterung frühzeitig zu erkennen.