Sprachentwicklung
Schon das ungeborene Kind reagiert im Mutterbauch auf die Stimme seiner Mutter – und lernt den Sprachklang seiner Muttersprache kennen. Säuglinge schreien in einem Tonfall, der je nach Ursprungsland unterschiedlich ist. Die Sprachentwicklung beginnt also bereits im Mutterbauch.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Allgemeines
Für verschiedene Bedürfnisse verfügen Säuglinge außerdem über verschiedene Arten zu weinen. Nach und nach versuchen sie dann, auch auf andere Art mit ihrer Umwelt Kontakt aufzunehmen: Über Blubbern, Brabbeln, Glucksen und Quieken. Aus diesen ersten Lauten werden mit der Zeit Silben und Töne – besonders gut und gerne ahmen Kleinkinder zunächst Tierstimmen nach.
Neben der Sprachentwicklung wird automatisch das Sprachverständnis geschult. Kleinkinder verstehen schon früh viel mehr, als sie selber äußern können, haben also einen größeren passiven als aktiven Wortschatz.
Die meisten Eltern reagieren auf das Brabbeln und Lallen eines Säuglings automatisch mit der sogenannten Babysprache (auch: Ammensprache), und das ist gut so! Keine Sorge: Um sich mit Ihrem Baby zu unterhalten, können Sie sich ruhig zum Clown machen. Babys lieben es, wenn sie merken, dass ihr Gegenüber sie "versteht" und entsprechend reagiert, und sie werden versuchen, ihrerseits das Gehörte zu wiederholen.
Wenn Sie Ihrem Baby den Alltag erklären – das gilt auch später im Kleinkindalter –, sollten Sie aber richtig mit Ihrem Kind sprechen.
Besonders schön für Kleinkinder ist es außerdem, die gleichen Bilder und Geschichten immer und immer wieder anzusehen und zu hören, auch wenn es Ihnen dabei mit der Zeit langweilig wird. Doch durch die Wiederholung wird die Sprachentwicklung gefördert.
Wie kann ich mein Kind bei der Sprachentwicklung unterstützen?
Ganz einfach:
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind!
- Schauen Sie gemeinsam Bilderbücher an und kommentieren Sie die Bilder in einfachen Worten, oder denken Sie sich eigene Geschichten aus.
- Kommentieren Sie alles, was Sie tun, so alltäglich es Ihnen auch erscheinen mag ("Jetzt creme ich dich ein.", "Wir gehen spazieren.").
- Sprechen Sie schon mit Ihrem Säugling, als könne er antworten ("Hast du Hunger? Ich mache dir etwas zu essen.").
- Korrigieren Sie Sprachanfänger nicht! Geben Sie zu verstehen, dass Sie Ihr Kind verstanden haben, und wiederholen Sie das Gesagte in der korrekten Form ("Mama Bot esst." "Ja, ich habe ein Brot gegessen". / "Bu aben." "Möchtest du das Buch haben?") – aber vermeiden Sie es, das Kind für falsch Gesagtes zu rügen beziehungsweise ihm zu vermitteln, dass es falsch spricht. Das kann dazu führen, dass es sich scheut, in ihrer Gegenwart zu sprechen.
- Hören Sie zu! Lassen Sie Ihrem Kind Zeit, auch wenn es sich schwer tut, einen vollständigen Satz auszusprechen. Sprechen Sie Sätze nicht für das Kind zu Ende, wenn es Ihnen nicht schnell genug geht.
- Machen Sie sich über Fehler nicht lustig.
Sprachverständnis
Das Sprachverständnis von Kindern wächst in den ersten Lebensmonaten insbesondere durch Beobachten und Begreifen. Babys beobachten Ihre Bezugspersonen ganz genau – wenn die Eltern ihre Handlungen außerdem kommentieren, trägt das wesentlich zum Sprachverständnis bei.
Aber auch der eigene Umgang mit Dingen fördert das Sprachverständnis: Säuglinge befühlen Gegenstände nicht nur mit den Fingern, sondern stecken eine Zeit lang alles, was sie finden können, in den Mund. Weniger, weil sie etwas zum Kauen brauchen, weil sie beispielsweise zahnen, sondern vielmehr, um die Oberfläche und Beschaffenheit von Gegenständen mit allen Sinnen zu erkunden.
Wie Dinge aussehen, sich anfühlen und nicht zuletzt riechen, bildet eine wesentliche Grundlage dafür, dass Babys Dinge verstehen – was wiederum dem Spracherwerb zugutekommt.
Dennoch dauert es eine Weile, bis Kleinkinder die Welt um sich herum begreifen. Kinder unter vier Jahren sind zum Beispiel meist kaum in der Lage, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Vor allem bewegte Bilder im Fernsehen oder auf DVD erscheinen ihnen oft als äußerst real. In abgeschwächter Form gilt das auch für Hörspiele.
Tipp
- Wenn Ihr Kind beim Vorlesen einer Geschichte unkonzentriert wird, kann das ein Hinweis dafür sein, dass es der Geschichte nicht folgen kann.
- Nicht jedes Kind reagiert gleich auf Geschichten. Was dem Nachbarskind gefällt oder was es sich ohne Probleme anhören kann, spricht Ihr Kind möglicherweise überhaupt nicht an oder ängstigt es sogar zutiefst. Achten Sie auf die Signale Ihres Kindes.
- Es ist ratsam, jedes neue Hörspiel und auch neue Filme entweder zuerst ohne das Kind oder zumindest gemeinsam mit ihm zu erleben. Nicht selten äußern kleine Kinder recht eindeutig den Wunsch, die Vorführung abzubrechen, wenn sie ihnen zu viel Angst macht.
Kinder unter vier Jahren bevorzugen meist Bildergeschichten oder Geschichten mit wenig Text. Beim Vorlesen empfiehlt es sich, möglichst lange bei jedem Bild zu verweilen, vom Kind alles bezeichnen zu lassen und alle Fragen zu beantworten. Das erhöht die Sprachkompetenz Ihres Kindes.
Im zweiten Lebensjahr ist das Sprachverständnis des Kindes so weit fortgeschritten, dass es einfache Aufträge verstehen und ausführen kann ("Gib mir den Baustein").
Spracherwerb
Schon im Mutterleib lernen Säuglinge den Klang der Muttersprache kennen, was sich bereits in der Tonlage des Schreiens widerspiegelt. Bis zur korrekten Sprache ist es von dort aber noch ein langer Weg. Nicht zuletzt müssen Babys im ersten Lebensjahr die Muskeln trainieren, die nötig sind, um verständliche Worte zu formulieren.
Das tun Säuglinge in der sogenannten präverbalen Phase, während der sie Laute zu imitieren versuchen (Vorsilbenalter). Vokale sind dabei besonders beliebt. Etwa mit einem halben Jahr beginnen Babys, erste Silben zu bilden (Silbenalter) – häufig in Form von immer wieder gelalltem "lalala" oder "dadada".
Zum Ende des ersten Lebensjahres beginnen einige Kinder schon, erste einfache Wörter zu bilden ("Mama", "Papa", "Auto", …).
Im zweiten Lebensjahr beginnen Kinder, Zwei-Wort-Sätze zu bilden ("Papa da", Mama essen").
Tierstimmen und Laute
Zwar besteht der aktive Wortschatz der meisten Kinder mit etwa zwei Jahren aus nur etwa zehn Worten. Doch nicht nur der passive Wortschatz ist weitaus größer, sodass die Kinder sehr viel mehr verstehen, als sie in Worte fassen können. Darüber hinaus beherrschen sie oft schon eine Reihe von Lautmalereien, die sie vorgesagten Dingen oder Lebewesen ohne Schwierigkeiten zuordnen können.
Auf die Frage "Welches Tier mach wauwau?" werden viele Zweijährige womöglich die Antwort schuldig bleiben. Dagegen werden sie die Frage "Wie macht der Hund?" oft schon mit "wauwau" beantworten. Die Katze macht "miau", Frosch und Ente machen "quak", der Elefant macht "törö", der Esel "i-ah", das Auto "brumm" und die Kuh macht "muh". Wenn Sie auf das Bild eines Hundes, einer Katze und so weiter in einem Bilderbuch zeigen, wird Ihr Kind in diesem Alter vermutlich auch das richtige Geräusch dazu machen. Es kann also ein Bild mit dem richtigen Begriff (den Sie nennen) und dem richtigen Geräusch (dass es selber machen kann) verbinden.
Tipp
Kindern macht dieses einfache Frage-Antwort-Spiel oft einen Riesenspaß. Mehrmals am Tag, jeden Tag, wochenlang. Es scheint ihnen nie langweilig zu werden, denn Geräusche zu imitieren fällt ihnen deutlich leichter, als konkrete Dinge beim Namen zu nennen. Das Spiel macht es ihnen möglich, auf spielerische Art mit den Großen verbal zu kommunizieren, wozu sie ansonsten nur sehr eingeschränkt in der Lage sind. Das macht sie stolz und fördert nicht zuletzt die Sprachmotorik.
Probieren Sie einmal eine Variation des Spiels aus: Fragen Sie "Wie macht der Hund?" und antworten Sie dann selber "miau" – Sie werden erstaunt sein, wie schnell Ihr Kind Sie korrigieren wird.
Zweisprachigkeit
Zärtliche Koseworte, Kinderlieder und Reime, die spontan-spielerische Erstkommunikation mit Säuglingen – all dies wirkt in der eigenen Muttersprache emotional besonders echt. Doch was tun, wenn die Eltern unterschiedliche Muttersprachen haben oder das Kind in einem Land aufwächst, das nicht das Geburtsland der Eltern ist?
Demnach kann die sogenannte Erstsprache auch aus zwei Sprachen bestehen. Kinder, die mit dieser "muttersprachlichen Zweisprachigkeit" groß werden, haben meist keine Probleme, beide Sprachen auseinanderzuhalten. Vorausgesetzt, das Prinzip "eine Person – eine Sprache" wird eingehalten: Mutter und Vater sollten jeweils nur in ihrer eigenen Muttersprache mit dem Kind sprechen.
In den ersten Lebensjahren können sich beide Sprachen gelegentlich überlagern. Auch wenn Ihr Kind Sie in der anderen Sprache anspricht, sollten Sie immer in Ihrer eigenen Muttersprache antworten. So lernt es mit der Zeit, die Sprachen zu trennen.
Einige Kinder, die zweisprachig aufwachsen, zeigen auch einen verzögerten Spracherwerb. Sie werden dann als Late Talker bezeichnet. Bis zum dritten Geburtstag ist dieser "Rückstand" jedoch in der Regel aufgeholt und es besteht keine Sprachentwicklungsstörung.
Übersicht Spracherwerb & Sprachverständnis
Übersicht Spracherwerb / Sprachverständnis
Sprachentwicklungsstörungen (SES)
Es gibt unterschiedliche Formen von Sprachentwicklungsstörungen (SES) beziehungsweise Spracherwerbsstörungen. Sie unterscheiden sich darin, ob das Kind
- gar nicht spricht (Alalie),
- zeitlich verzögert zu sprechen beginnt (Sprachentwicklungsverzögerung) oder
- fehlerhaft (im Verhältnis zu Gleichaltrigen) spricht.
Außerdem unterscheidet man primäre und sekundäre Sprachentwicklungsstörungen.
Primäre Sprachentwicklungsstörungen
Bei primären Sprachentwicklungsstörungen ist nur der Spracherwerb beeinträchtigt, die weitere Entwicklung des Kindes verläuft normal. Sie werden auch als spezifische Spracherwerbsstörung (SSES) bezeichnet. Eine SSES kann erst ab etwa drei Jahren diagnostiziert werden. Bis zum dritten Geburtstag sollten Kinder auf einem etwa gleichen Stand sein, was die sprachliche Entwicklung betrifft. Wie sie dorthin gelangen, ist aber individuell sehr unterschiedlich. So gibt es beispielsweise die sogenannten Late Talker. Late Talker haben im Alter von 24 Monaten, also mit zwei Jahren, nur einen aktiven Wortschatz von etwa 50 Wörtern. Die meisten Late Talker holen diesen Rückstand im Laufe des dritten Lebensjahres auf, sodass sie um den dritten Geburtstag herum auf dem gleichen Stand sind wie ihre Altersgenossen. Sie werden dann als Late Bloomer bezeichnet.
Sekundäre Sprachentwicklungsstörungen
Sekundäre Spracherwerbsstörungen gehen mit weiteren Störungen einher und entstehen häufig aus diesen. Ursachen für sekundäre Sprachentwicklungsstörungen können beispielsweise sein:
- Hörstörungen (z.B. aufgrund häufiger Mittelohrentzündungen)
- neurologische Hintergründe (z.B. frühkindliche Hirnschädigung)
- erbliche Ursachen (z.B. Down-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom)
- körperliche Faktoren (z.B. Lippen-Kiefer-Gaumenspalte)
Wie äußert sich eine SES?
Spracherwerbsstörungen können sich auf unterschiedliche Art äußern:
- Das Kind spricht Wörter falsch aus (Dyslalie).
- Es wendet die Grammatik falsch an (Dysgrammatismus).
- Der Wortschatz ist gering.
- Das Kind hat Verständnisprobleme.
Wie kann man eine SES erkennen?
Sprachentwicklungsstörungen sind in den ersten Lebensjahren schwer zu diagnostizieren, da jedes Kind sein eigenes Tempo auf dem Weg zur korrekten Sprache hat. Oft ist es erst ab etwa drei Jahren möglich, eine SES sicher zu erkennen.
Der Kinderarzt wird die Sprachentwicklung Ihres Kindes jedoch bei den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen im Blick behalten. Bei Bedarf wird er weitere Untersuchungen veranlassen. Im Rahmen der Diagnose einer SES füllen die Eltern Fragebögen zur Entwicklung des Kindes aus. Außerdem erfolgt eine logopädische Einschätzung des Kindes und der Kinderarzt wird ein Entwicklungsprofil erstellen. Anhand der gesammelten Daten kann ermittelt werden, ob das Kind eine Sprachentwicklungsstörung hat und wie das weitere Vorgehen aussehen kann.