Kinderentwicklung – Die Lebensmonate 19 bis 24
Schon im ersten Lebensjahr zeigen Kinder großes Interesse am eigenen Spiegelbild. Das Gegenüber im Spiegel wird eingehend betrachtet und teilweise als ein Spielkamerad angesehen, mit dem nach Herzenslust geplaudert wird. Das Kind kann in dieser Phase noch nicht erkennen, dass es selber die Person im Spiegelbild ist. Im weiteren Verlauf versuchen viele Kinder auch, nach dem Gegenüber zu greifen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Allgemeines
Etwa zwischen dem 18. und dem 24. Lebensmonat setzt die Selbstwahrnehmung ein: Ihr Kind beginnt, sich selbst als eigenständige Person zu sehen. Somit ist ein erster Entwicklungsschritt getan, um eigene Gefühle, aber auch die Gefühle anderer wahrzunehmen.
Während manche Kinder schon früher die ersten eigenständigen Schritte machen können, lassen sich andere etwas mehr Zeit und beginnen erst gegen Mitte bis Ende des zweiten Lebensjahrs, auf zwei Beinen die Welt zu erkunden. Wann genau ein Kind laufen lernt, ist individuell sehr verschieden.
Körperliche Entwicklung
In den ersten Jahren haben viele Kinder einen schier unbändigen Bewegungsdrang und wollen ihre wachsenden motorischen Fähigkeiten auf unterschiedliche Art und Weise erproben. Allerdings gibt es auch ruhigere Kinder, die nicht ständig „auf Achse“ sein müssen, was kein Grund zur Beunruhigung ist. Egal, wie bewegungsfreudig die Kleinen sind – Vater oder Mutter müssen immer dabei sein. Auch wenn sie schon selbstständig laufen können, brauchen sie noch die Nähe zu den Eltern.
Schlafbedürfnis
Der Schlafbedarf Ihres Kindes nimmt jetzt langsam ab. Die meisten Kinder schlafen im zweiten Lebensjahr tagsüber durchschnittlich etwa eine bis eineinhalb Stunden, wobei viele von ihnen nicht mehr jeden Nachmittag müde sind. Wacht Ihr Kind nachts oft auf, kann das daran liegen, dass sein Schlafbedarf gesunken ist, sodass Sie hier unter Umständen den Mittagsschlaf verkürzen können oder Ihr Kind abends später zu Bett bringen. Gegen Ende des zweiten Lebensjahrs benötigen manche Kinder gar keinen Schlaf am Tag mehr.
Sauberkeitserziehung
Erst gegen Ende des zweiten Lebensjahrs ist das kindliche Nervensystem so weit entwickelt, dass es dem Gehirn mitteilen kann: Die Blase ist voll. Doch nur wenige Kinder beginnen bereits in diesem Alter, Stuhl- und Harndrang zu kontrollieren. Wann ein Kind „trocken“ wird, bestimmt es weitgehend nicht einmal selbst. Sein Körper sagt ihm, wenn es so weit ist.
Sie als Eltern sollten in dieser Frage keinen Ehrgeiz entwickeln. Druck auszuüben oder stets enttäuscht zu sein, weil andere Kinder bereits hin und wieder mal aufs Töpfchen gehen, schadet nur. Wie in vielen anderen Entwicklungsfragen ist beim Trockenwerden die Bandbreite der Normalität sehr groß. Mit vier Jahren brauchen noch etwa 20 Prozent der Kinder beim Schlafen eine Windel, mit sechs Jahren sind es immerhin noch 10 Prozent.
Damit das Kind trocken werden kann, muss es über folgende Fähigkeit verfügen:
- Es muss spüren können, dass seine Blase voll ist. Das heißt, sein Gehirn muss entsprechende Signale entschlüsseln können. Beim Darm ist das leichter, weil sich der Druck langsamer aufbaut.
- Erfahrungsgemäß ist erst ab vier Jahren die vollständige Blasenkontrolle möglich. Bei vielen Kindern dauert es länger.
- Das Kind muss abschätzen können, wie lange es vom ersten Impuls „Die Blase ist voll“ bis zum Töpfchen braucht. Echtes Zeitverständnis entwickelt sich jedoch erst im Kindergartenalter.
Geistige Entwicklung, Emotionen und Lernen
Im zweiten Lebensjahr ist die Bindung zu den Eltern, insbesondere zur Mutter, noch sehr ausgeprägt. Vor allem in der Nacht treten häufig Verlustängste auf. Achten Sie daher besonders in dieser Zeit darauf , ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln. Sie sollten nicht befürchten, Ihr Kind zu verwöhnen, wenn Sie es beim Einschlafen begleiten oder gar ins Familienbett holen. Diese Phasen treten auf und gehen wieder vorüber, ohne dass Ihr Kind dies dauerhaft einfordern wird.
Spielen
Ihr Kind entwickelt jetzt zunehmendes Interesse an anderen,gleichaltrigen Kindern und versucht, Verhaltensweisen beim Spielen nachzuahmen. Zudem erfreuen sich erste soziale Spiele großer Beliebtheit. So hat Ihr Kind möglicherweise großen Spaß daran, einen Ball zu Ihnen zurückzurollen. Gegen Ende des zweiten Lebensjahrs werden Gegenstände nach bestimmten Merkmalen sortiert – eine gute Übung, um das logische Denken zu schulen. Bausteine werden zunächst übereinander (mit etwa 18 Monaten), dann nebeneinander (gegen Ende des zweiten Lebensjahrs) und später auch kombiniert angeordnet.
Das Kind erkennt sich
Mit eineinhalb Jahren etwa beginnen Kinder, sich selbst als eigenständige Person wahrzunehmen. Zuvor hatten sie zwar durchaus schon ihren eigenen Kopf, doch dass sie ein eigenständiges Wesen sind, war ihnen bislang nicht wirklich klar.
Ob es schon soweit ist, können Sie vor dem Spiegel herausfinden. Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Kind sich in seinem Spiegelbild selbst erkennt? Oder glaubt es noch, dass es sich dabei um ein anderes Kind handelt? Schon Säuglinge schauen gern in den Spiegel und erfreuen sich am Spiegelbild von Mama oder Papa. Doch dauert es bis zur „Ankunft des Selbst“, wie Entwicklungspsychologen diesen Moment im Laufe des zweiten Lebensjahrs nennen, bis es sich selbst sozusagen von außen wahrnehmen kann.
„Ich“ und „meins“ werden bald die wichtigsten Worte sein, und Ihr Kind wird Stolz, Wut, Freude und Trauer zunehmend mit sich selbst in Verbindung bringen können. Das Erkennen, unverwechselbar und für sein Tun in gewisser Weise auch verantwortlich zu sein (ob es nun Lob oder Tadel erhält), ist ein schwieriger und in Stufen sich entwickelnder Prozess, der in den nächsten Jahren noch andauern wird.
Naturwissenschaftler haben den sogenannten Rouge-Test entwickelt, mit dessen Hilfe ermittelt werden kann, ob sich ein Kind bereits als eigenständige Person wahrnimmt. Dabei wird zunächst das Verhalten des Kindes vor dem Spiegel beobachtet. Anschließend wird beim Spiel, vom Kind unbemerkt, ein kleiner roter Farbtupfer auf Stirn oder Wange aufgetragen. Zurück vor dem Spiegel wird dann erneut die Reaktion abgewartet. Merkt das Kind nicht, dass sich die rote Farbe auf seinem Gesicht befindet – und nicht nur auf der Spiegelfläche – ist die Selbstwahrnehmung noch nicht ausgeprägt. Wenn das Kind sich selbst jedoch schon als eigenständige Person wahrnimmt, wird es wissen, dass es sich bei der Person im Spiegel um es selbst handelt – und den roten Tupfer nicht aus dem Spiegel, sondern aus dem Gesicht wischen wollen.