Nüchtern trainieren: Was Sport vor dem Frühstück wirklich bringt
Raus aus dem Bett, und noch vor dem Frühstück rein in die Laufschuhe? Die Meinungen gehen auseinander: Für die einen ist ein morgendlicher Lauf auf nüchternen Magen der perfekte Start in den Tag. Andere kommen nicht gut aus den Federn und fühlen sich viel zu geschwächt, um ohne Frühstück zu trainieren.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Was ist Nüchterntraining?
Nüchterntraining erfreut sich vor allem im Ausdauersport großer Beliebtheit. Die Idee dahinter ist nicht neu, dafür aber vielfach diskutiert. Wer auf nüchternen Magen Laufen geht, tut dies in der Regel, um seine sportlichen Leistungen langfristig zu optimieren. Aber kann das wirklich funktionieren?
Was steckt hinter dem Nüchterntraining?
Morgens ist der Kohlenhydratspeicher nicht mehr komplett aufgefüllt, da seit der letzten Mahlzeit – dem Abendessen – einige Stunden vergangen sind. Wenn wir uns körperlich anstrengen, benötigt der Körper Energie. Diese Energie bezieht er aus eben diesem Kohlenhydratspeicher. Nun könnte man annehmen, dass die letzten Reserven sehr schnell aufgebraucht sind.
Bis der Kohlenhydratspeicher komplett leer ist, dauert es allerdings eine ganze Weile. Wer also bloß eine "kleine Runde laufen geht", wird wahrscheinlich kaum einen Effekt spüren – ob positiver oder negativer Art sei erst einmal dahingestellt. Wenn aber so lange und intensiv trainiert wird, dass schließlich kein "Brennstoff" mehr vorhanden ist, reagiert der Körper darauf.
Und genau das wollen sich einige Sportler zunutze machen. Vom Nüchterntraining versprechen sie sich grundsätzlich zwei verschiedene Effekte:
1. Vergrößerung der Kohlenhydratspeichers
Gewöhnt man den Körper an ein regelmäßiges Nüchterntraining, so legt sich der Organismus nach und nach immer größere Kohlenhydratspeicher zu. Diese Methode machen sich zum Beispiel Marathonläufer zunutze, um auch längere Distanzen problemlos durchzuhalten.
2. Optimierung des Energiestoffwechsels
Wenn der Kohlenhydratspeicher leer ist, fehlt der nötige Brennstoff, um die körperliche Anstrengung zu meistern. Deshalb sucht sich der Körper eine andere Energiequelle und greift statt auf die Kohlenhydratspeicher auf die Fettspeicher zurück.
So weit die Theorie, die allerdings umstritten ist. Tatsächlich gibt es derzeit keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Nüchterntraining zur Verbesserung des Fettstoffwechsels beiträgt. Im Gegenteil: Immer wieder hört man die alte Läuferweisheit: "Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate." Damit ist gemeint, dass der Organismus nicht, wie erhofft, auf den Fettspeicher als Energiequelle zurückgreift, sondern körpereigene Eiweißreserven aus der Muskulatur und den Zellen des Immunsystems verstoffwechselt. Der Körper befindet sich also auf der Suche nach "Treibstoff", um die körperliche Anstrengung zu bewältigen und findet diese in den Muskeln.
Bevor es dazu kommt, tritt allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leistungstief ein. Dieses Leistungstief wird in Läuferkreisen auch als "der Mann mit dem Hammer" bezeichnet. Erst, wenn das körpereigene Protein aus der Muskulatur in Kohlenhydrate umgewandelt wird, ist der Körper wieder ausreichend versorgt, und erst dann funktioniert auch wieder die Fettverbrennung.
Für wen eignet sich Nüchterntraining (nicht)?
Die bisher dünne Studienlage lässt keine eindeutige Schlussfolgerung zu. Nach Ansicht zahlreicher Experten ist Nüchterntraining aber vor allem im Hobby- und Breitensport wenig sinnvoll und unter Umständen auch nicht ratsam. Zum einen ist aufgrund des bisherigen Wissenschaftsstands kaum eine Leistungssteigerung zu erwarten. Zum anderen kann es aufgrund der fehlenden Energie womöglich schneller zu Überlastung oder Verletzungen kommen.
Profiathleten können hingegen ganz anders mit der Belastung des Nüchterntrainings umgehen. Sie haben in der Regel schon jegliche Art von Leistungsoptimierung ausgereizt und streben permanent danach, sich weiter zu verbessern. Dies könnte erklären, weshalb einige Top-Athleten trotz unzureichender wissenschaftlicher Beweise auf Nüchterntraining setzen.
Was Hobbyläufer beachten sollten
Ist Nüchterntraining deshalb zwangsläufig schlecht?
Nein. Zwar konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass sich Nüchterntraining positiv auf die Ausdauerleistung auswirkt. Fakt ist jedoch, dass man den Organismus zu einem gewissen Grad schulen und somit an das Laufen auf nüchternen Magen gewöhnen kann. Wie gut oder schlecht der Körper mit Nüchterntraining zurechtkommt, hängt aber auch noch von anderen Faktoren ab:
Dauer und Intensität des Trainings
Auch, wenn das Abendessen schon einige Stunden zurückliegt, ist der Kohlenhydratspeicher am Morgen in der Regel noch nicht komplett aufgebraucht. Da der Organismus erst einmal auf die Reserven in der Leber zurückgreift, sind die Muskel-Glykogenspeicher meist noch relativ voll. Für eine kurze Laufrunde am Morgen ist im Normalfall also noch genug Energie aus den Kohlenhydratspeichern vorhanden – auch ohne Frühstück.
Wichtig: Einen Richtwert zu nennen, ist hier schwierig, da dieser natürlich von Ihrem persönlichen Trainingszustand abhängt. Wer aber regelmäßig fünf bis zehn Kilometer läuft, sollte es in der Regel auch nüchtern über diese Distanz schaffen. Längere Distanzen oder besonders intensive Einheiten, etwa Intervalltraining oder Tempoläufe, sind hingegen nicht empfehlenswert. Wesentlich ist hier also eine verantwortungsvolle Trainingsgestaltung.
Genetische Veranlagung
Oft sagt uns der Körper ganz genau, was er braucht – wenn wir ihm nur richtig zuhören. Es gibt Menschen, die einfach keine großen "Frühstücker" sind. Diesen Menschen kann eine morgendliche Laufrunde auf nüchternen Magen wahrscheinlich nichts anhaben. Andere hingegen sind ein ausgiebiges Frühstück gewohnt und fühlen sich mit leerem Magen kaum für eine Trainingseinheit gewappnet. Am Ende muss jeder selbst herausfinden, wie der Körper auf Nüchterntraining reagiert. Eines ist aber klar: Wer leistungsfähiger werden möchte, sollte lieber auf andere Trainingsmethoden vertrauen.