Massagepistole: hilfreich oder gefährlich?
Muskelverspannungen sind häufig und schmerzhaft. Sie loszuwerden, ist gar nicht so einfach. Abhilfe verspricht ein Trend, der aus den USA herübergeschwappt ist: Massagepistolen. Sportler wie Fußballstar Christiano Ronaldo zeigen sich mit dem Gadget, das effektiv tiefliegende Muskelpartien lockern und Schmerzen einfach wegschießen soll. Massagepistolen lassen sich sogar ganz einfach selbst anwenden. Aber versprechen sie auch, was sie halten? Oder können sie sogar Schaden anrichten?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Massagepistole: So funktioniert sie
Ob die Ähnlichkeit mit einem Akkubohrer gewollt ist? Die Optik der Massagepistole suggeriert jedenfalls Power – und die hat das Gerät auch tatsächlich. Anstelle eines Bohrers stehen jedoch verschiedene Aufsätze zur Auswahl: eine Massagekugel für größere Bereiche zum Beispiel oder ein spitz zulaufender Kopf, um spezielle Punkte zu bearbeiten. Die Vibrationsstärke lässt sich einstellen. Je nachdem gibt das Gerät mehr oder weniger starke Stöße ab, mit denen der jeweilige Aufsatz die Muskelpartien bearbeitet. Dadurch sollen die Durchblutung angeregt, tiefliegende Verspannungen und verklebte Faszien gelockert werden.
Der Trend kommt aus den USA und mittlerweile ist das Angebot an verschiedenen Massagepistolen riesig. Ein Chiropraktiker aus Los Angeles entwickelte den Prototyp 2008.
Massagepistole: Was soll sie bewirken?
Je nach Aufsatz sollen Massagepistolen bei verschiedenen Beschwerden einsetzbar sein. Der Marktführer Therabody nennt neben diversen Muskel- und Körperbereichen zum Beispiel auch
- Schleimbeutelentzündungen,
- Plantarfasziitis und
- Karpaltunnelsyndrom als Anwendungsgebiet.
Außerdem soll sich die Massagepistole zum Aufwärmen der Muskulatur vor dem Sport und zu ihrer Regeneration nach dem Training eignen.
Wie sinnvoll ist eine Massagepistole?
Leider gibt es derzeit noch kaum Studien, die sich mit Massagepistolen beschäftigt haben. Eine kleine Studie aus Österreich hat untersucht, wie sich die Anwendung von Massagepistolen auf die Flexibilität und Leistung der Muskeln von Sportlern auswirkt und ob sie die Regeneration beschleunigt. 16 durchweg männliche Probanden bekamen dafür an zwei Tagen entweder fünf Minuten lang eine Behandlung mit einem Hypervoltgerät (Massagepistole) an der Wadenmuskulatur oder gar keine Behandlung. Anschließend wurden der Bewegungsumfang sowie die Muskelleistung gemessen.
Die Forschenden stellten fest, dass die Behandlung mit der Massagepistole die Flexibilität der Muskeln erhöht, ohne ihre Leistung dabei negativ zu beeinflussen. Sie empfehlen Sportlern, entsprechende Geräte in ihr Aufwärmtraining zu integrieren.
Vibration gegen Muskelkater?
Eine weitere Studie verglich die Wirkung von herkömmlicher Massage und Vibrationstherapie (nicht speziell Massagepistolen) auf das Entstehen von Muskelkater und die Muskelregeneration. Dafür wurden 45 weibliche Probandinnen vor dem Training entweder 15 Minuten lang massiert, bekamen fünf Minuten Vibrationstherapie oder gar keine Behandlung. Mit dem Ergebnis: Alle drei Gruppen entwickelten einen Muskelkater, jedoch hatten die Probandinnen weniger Schmerzen, die eine Vibrationsbehandlung oder eine Massage bekommen hatten. Die Vibrationsbehandlung schlug noch besser an als die manuelle Massage.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten die Probandinnen, die eine Vibrationstherapie bekommen hatten, nach dem Training einen geringeren Milchsäurespiegel im Blut, was für eine raschere Erholung der Muskulatur spricht.
Beide Studien könnten also ein Hinweis darauf sein, dass Vibrationsmassagegeräte Sportler sowohl beim Aufwärmen der Muskulatur als auch bei deren Regeneration unterstützten können. Ein Beleg für ihre Wirksamkeit sind die Arbeiten jedoch nicht, und erst recht nicht für ihre Sicherheit.
Auch die Verbände für Physiotherapie halten sich auf unsere Anfrage hin bedeckt – offenbar gibt es bislang zu wenig Erfahrungen mit den Geräten und wenig verlässliche Infos über ihre Wirkung. Da eine Massagepistole kein Medizinprodukt ist, entfallen außerdem entsprechende Untersuchungen für die Zulassung. Es lässt sich also kaum eine sichere Aussage darüber treffen, wie sicher und hilfreich das Produkt ist. Angesichts der Tatsache, dass Massagepistolen mit einer gewissen Wucht arbeiten, sollte also zumindest Vorsicht geboten sein.
Massagepistole ersetzt keine Therapie
In einer Folge ihres Podcasts "Kritische Physiotherapie" haben drei Physiotherapeuten sich dem Thema Massagepistolen angenommen. Ihr Urteil: Eine Massagepistole wird einen gelernten Physiotherapeuten nie ersetzen können, unter dem Wellnessaspekt hätte sie jedoch ihre Existenzberechtigung. Eine positive Wirkung auf Muskeln und Faszien können sich die drei jedenfalls durchaus vorstellen.
Durch verschiedene Aufsätze und Stärken könne man eventuell Spannungen lösen oder sie sogar zugunsten der aktiven Sportphase erhöhen. Da die Geräte jedoch noch nicht lange auf dem Markt sind, könne man die Wirkungsweise nicht zu 100 Prozent bestätigen. "Möglichkeiten sind vermutlich da, aber wir wissen es nicht", heißt es in dem Podcast.
Auch wenn so eine Massagepistole möglicherweise den Aufwärm- und Regenerationsprozess vor und nach dem Sport unterstützt, ersetzt sie sicherlich nicht die anderen nötigen Maßnahmen wie gezieltes Aufwärmtraining.
Im Internet finden sich auch kritische Stimmen von Physiotherapeuten, die warnen, dass eine falsche Selbstanwendung mit den Geräten durchaus zu Schäden führen könnten.
Klar ist: Bei Problemen mit bestimmten Körperpartien kann ein Massagegerät nicht das einzige Mittel sein. Bei Knieschmerzen zum Beispiel kann eine Massage der Sehnenansätze und Muskeln am Oberschenkel vielleicht unterstützend wirken – aber nur, wenn dazu ein entsprechendes Krafttraining und Therapieprogramm kommen.
Massagepistole: Der Test
Was aber ist mit dem Wellness-Aspekt? Um herauszufinden, ob eine Massagepistole zumindest subjektiv für Wohlbefinden sorgt, hilft nur eins: ausprobieren! Das tun wir, mit einem Mittelklassegerät von Wattne.
Es liegt relativ schwer in der Hand, kommt mit sechs verschiedenen Aufsätzen von rund über flach bis spitz daher, und lässt sich in 20 verschiedenen Stufen einstellen. 1.200 bis 3.300 Stöße in der Minute kann es so abgeben – mehr als ein Specht.
Für empfindlichere Bereiche wie den Nacken reicht mir definitiv Stufe 1, Stufe 20 würde ich an keiner Stelle einsetzen wollen. Denn der Effekt ist zunächst: überraschend stark. Das Gerät rüttelt mich ganz schön durch. Aber: Es tut gut. Keine Ahnung, ob es tatsächlich tieferliegende Muskelpartien erreicht, aber es fühlt sich so an. Am besten finde ich den Massageball als Aufsatz, der für größere Muskelpartien gedacht ist.
Bei verspannten Schultern von der falschen Haltung, verhärteten Waden nach dem Joggen oder schmerzenden Fußsohlen verschafft es mir zumindest gefühlt Erleichterung. Ein Gerät, das ich definitiv häufiger anwenden werde. Es ersetzt für mich jedoch keine Massage mit der Hand, denn (professionelle) Hände können Verhärtungen erspüren und mit der richtigen Intensität darauf eingehen. Das kann ein Massagegerät natürlich nicht. Hätte ich tatsächlich Verletzungen, würde ich damit lieber zur*zum Ärztin*Arzt gehen, als die Massagepistole anzuwenden.
Was gibt es zu beachten im Umgang mit einer Massagepistole?
Wichtig ist:
- Wählen Sie lieber eine niedrige Vibrationsstufe.
- Seien Sie besonders vorsichtig bei empfindlichen Körperbereichen wie Kopf und Nacken.
- Bei Kindern und Schwangeren sollte das Gerät nicht angewendet werden.
- Achten Sie darauf, dass Sie nur weiches Gewebe mit der Massagepistole bearbeiten, also etwa nicht die Wirbelsäule.
- Lassen Sie Verletzungen wie eine Schleimbeutelentzündung und chronische Schmerzen von einer*einem Ärztin*Arzt abklären und besprechen Sie vorher, ob Sie ein Massagegerät einsetzen dürfen.