Entlieben: Psychologe erklärt, wann Liebe nachlässt
Manchmal endet die Liebe einfach. Und manchmal wünscht man sich, man könnte sich aktiv entlieben. Im Interview erklärt der Psychologieprofessor Lars Penke, was genau beim Entlieben geschieht – und ob man es forcieren kann.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Entlieben: Psychologe erklärt, wann Liebe nachlässt
Onmeda.de: Langjährige Paarbeziehungen enden manchmal scheinbar ohne Grund. "Wir haben uns nicht mehr geliebt", heißt es dann. Kann Entlieben tatsächlich einfach so passieren – wie verlieben?
Prof. Lars Penke: Man muss zwei Teilaspekte der Liebe unterscheiden: Die Verliebtheit, auch leidenschaftliche Liebe genannt, und die kameradschaftliche Liebe, die sich erst durch eine tiefere Vertrautheit zum Partner einstellt. Verliebtheit lebt von der Unsicherheit: Man ist sich des Interesses und der Zuneigung des anderen noch nicht ganz sicher, man muss noch um ihn werben. Dieser Zustand – man könnte ihn als eine Art suchtartige Fixation beschreiben – ist nicht darauf angelegt, ewig zu dauern. Je besser man den anderen kennt und je vertrauter man sich ihm fühlt, umso mehr weicht die Verliebtheit der kameradschaftlichen Bindung.
Um sich zu entlieben, muss man sich von seinem Vertrauen lösen.
Dass die Verliebtheit im Laufe einer Beziehung nachlässt, ist also unausweichlich?
Penke: Es gibt auch Paare, bei denen dieser Zustand länger hält, weil sie sich selten sehen oder es schaffen, einen Teil der anfänglichen Unsicherheit und Spannung aufrechtzuerhalten. Aber in der Regel lässt die Verliebtheit bereits innerhalb des ersten Beziehungsjahres nach. Das heißt aber nicht, dass man sich entliebt. Im Idealfall geht die leidenschaftliche Liebe in eine tiefere Bindung über. Der Partner wird verlässlicher, vorhersagbarer, ein sicherer Hafen.
Das klingt nicht besonders romantisch.
Penke: Vielleicht nicht romantisch im aufregenden Sinne, aber vertraut und sicher. Tatsächlich hat die kameradschaftliche Liebe viel Ähnlichkeit mit der Eltern-Kind-Beziehung. Vor allem die Bindung zwischen Mutter und Kind hat sich im Laufe der Evolution als stabil und sicher erwiesen.
Es deutet einiges darauf hin, dass die evolutionär gesehen viel jüngere Paarbeziehung auf Grundlagen aufbaut, die in der Evolution für die Eltern-Kind-Bindung entstanden sind. Die physiologischen und emotionalen Prozesse, die einer partnerschaftlichen Bindung Stabilität verleihen, scheinen jedenfalls denen zwischen Mutter und Kind sehr ähnlich.
Dennoch kommt es immer wieder vor, dass selbst stabile Partnerschaften in die Brüche gehen. Wie lässt sich das erklären?
Penke: Die Bindung wird schwächer, wenn das Vertrauen verloren geht. Dafür kann es verschiedenste Gründe geben – Verheimlichungen, Vernachlässigungen, Lügen, Untreue. Wenn man das Gefühl hat, sich auf den Partner nicht mehr verlassen zu können, hat man von der Beziehung nichts mehr, die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt negativ aus.
Nicht jeder trennt sich dann. Emotional labilen Menschen fällt es beispielsweise oft schwerer, sich aus einer Beziehung zu lösen. Sie entlieben sich nicht, sondern bei ihnen verwandelt sich die Liebe in eine ängstlich-ambivalente Form der Bindung: Sie vertrauen dem anderen zwar nicht mehr wirklich, halten aber an der Beziehung fest, weil sie Angst vor dem Alleinsein haben.
Kann man sich aktiv entlieben?
Manchmal entliebt sich auch nur einer von beiden und der Verlassene wünscht sich dann, er könnte sich lösen. Im Internet findet man dazu richtige Anleitungen: Man soll Erinnerungsstücke verbrennen, sich auf die negativen Seiten des Ex-Partners oder der Beziehung konzentrieren, mit anderen flirten, sich ablenken. Was halten Sie von solchen Tipps? Kann man sich aktiv entlieben?
Penke: Wenn man den Partner nach der Trennung noch liebt, liegt es meist daran, dass die Vertrautheit noch da ist. Man glaubt weiterhin, sich auf ihn verlassen zu können. Um sich zu entlieben, muss man sich von diesem Vertrauen lösen. Erinnerungsstücke sind dabei hinderlich, weil sie einen an Situationen denken lassen, in denen die Beziehung verlässlich und stabil war. Mehr an die negativen Seiten der Beziehung zu denken, ist in dieser Situation sinnvoller, weil es die eigenen Zweifel am Bindungsverhältnis verstärkt und einem hilft, sich davon zu lösen.
Wenn man sich nicht gut vom Ex-Partner lösen kann, hat es aber oft nicht nur etwas mit der Stärke der eigenen Liebe zu tun, sondern auch damit, dass man keine Alternativen für sich sieht: Man glaubt, keine Chance auf einen neuen Partner zu haben. Flirten kann in diesem Fall wirklich helfen.
Wie ist es mit frisch Verliebten, deren Liebe nicht erwidert wird: Können sie etwas tun, um sich aktiv zu entlieben?
Penke: Wenn man merkt, dass die Bemühungen zwecklos sind, lässt die Verliebtheit normalerweise irgendwann nach. Verliebtheit ist mit dem Flow-Erlebnis vergleichbar, das manche vom Computerspielen kennen. Der Reiz besteht darin, dass das Anforderungsniveau perfekt ist: Man wird gefordert, muss sich bemühen, hat aber auch Erfolgserlebnisse, weil man ermutigende Signale empfängt. Zum Beispiel ein Lächeln, freundliche Worte oder eine beiläufige Berührung. Wenn sich der andere aber vollkommen desinteressiert zeigt, bleiben die Erfolgserlebnis aus und das Spiel wird aussichtslos und verliert seinen Reiz.
Warum fällt es unglücklich Verliebten dann meist so schwer, sich zu entlieben?
Penke: Möglicherweise, weil sie weiterhin ermutigende Zeichen bekommen, die ihre Hoffnung aufrechterhalten. Oder weil sie Freundlichkeit als Interesse missdeuten. Auch dann hilft Flirten: Wer genug Alternativen hat, läuft nicht Gefahr, sich zu sehr auf eine Person zu fixieren.
Herr Professor Penke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.