Erbkrankheiten
Unter Erbkrankheiten versteht man Erkrankungen, die ihre Ursache in einer Veränderung des Erbguts (DNA) haben und von den Eltern an die Nachkommen vererbt werden.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Allgemeines
Erbkrankheiten bei Neugeborenen sind jedoch zum Glück nicht so häufig: Nur circa vier Prozent aller Kinder sind bereits bei der Geburt von einer Erbkrankheit betroffen. Manche Erbkrankheiten treten jedoch erst später, also bei älteren Kindern oder bei Erwachsenen zu Tage. Man geht davon aus, dass letztendlich gut 75 Prozent der Menschen von Erkrankungen betroffen sind, die erbliche Ursachen haben oder von ihnen mit verursacht wurden.
Im Erbgut sind sämtliche Funktionen, Strukturen und Merkmale des menschlichen Körpers verschlüsselt. DNA befindet sich zu fast 100 Prozent im Zellkern, den jede menschliche Zelle besitzt. Fehler im Erbgut können das genetische Programm von Zellen stören – mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für den einzelnen Menschen. Veränderungen im Erbgut von Mutter oder Vater können über die Eizelle der Mutter oder die Samenzelle des Vaters von einer Generation zur nächsten vererbt werden.
Chromosomen
Jede menschliche Zelle besitzt einen Zellkern. Er enthält das Erbgut, die fadenförmige DNA, die ausgestreckt und aneinandergelegt fast zwei Meter lang ist. Damit die DNA in den mikroskopisch kleinen Zellkern passt, ist sie extrem spiralig aufgedreht und ineinander verwunden. Jeder DNA-Strang hat außerdem an sich schon eine verdrehte Struktur, die einer Wendeltreppe ähnelt (sog. DNA-Doppelhelix). Im Zellkern hat das Erbmaterial eine sehr kompakte und verdichtete Form – die DNA liegt nicht als ein einziger Strang vor, sie ist vielmehr in verschiedene Portionen aufgeteilt: die Chromosomen.
Jede Zelle besitzt 23 Chromosomen in doppelter Ausführung, insgesamt also 46. Eine Ausnahme sind die mütterliche Eizelle und die väterliche Samenzelle – sie besitzen nur einen einfachen Chromosomensatz, das heißt 23 Chromosomen. Bei der Zeugung eines Kindes kommen Ei- und Samenzelle zusammen. Die Zellen des Kindes enthalten dadurch wieder 46 Chromosomen.
Chromosomenabweichungen (Chromosomenstörungen)
Damit aus einer befruchteten Eizelle ein Kind entstehen kann, muss diese sich immer wieder teilen. Bei jeder Zellteilung werden die 46 Chromosomen zuvor verdoppelt und schließlich auf die beiden neuen Zellen gleichermaßen verteilt.
Manchmal geht bei dieser Verteilung etwas schief, wodurch es zu Chromosomenabweichungen (Chromosomenstörungen) kommen kann. Dadurch können Zellen entstehen, bei denen zum Beispiel die Chromosomenzahl nicht mehr stimmt. Das heißt, einige Zellen des Embryos besitzen nun vielleicht ein Chromosom weniger als normalerweise, also nur 45. Oder es ist ein Chromosom zu viel in den Zellen, also 47 statt 46. Es gibt aber auch Chromosomenabweichungen, die die Chromosomenstruktur betreffen. Dann fehlt möglicherweise einem Chromosom ein Stück oder wurde verdoppelt. Manchmal können auch Teile der Chromosomen ihre Orientierung ändern, wodurch ein Teil des Chromosoms nun quasi "rückwärts" eingebaut ist. Kommt Chromosomenmaterial hinzu oder geht verloren, können Folgen für das Kind entstehen. Chromosomenabweichungen können zum Beispiel zu folgenden Erbkrankheiten führen:
- Down-Syndrom (Trisomie 21)
- Edwards-Syndrom (Trisomie 18)
- Pätau-Syndrom (Trisomie 13)
- Katzenschreisyndrom
- Prader-Willi-Syndrom
- Angelman-Syndrom
Auch eine Fehlverteilung der beiden Geschlechtschromosomen (X und Y) kann zu Erkrankungen führen. In der Regel besitzt jeder Mensch zwei dieser Geschlechtschromosomen – Mädchen zwei X-Chromosomen (XX) und Jungen ein X- und ein Y-Chromosom (XY). Beispiele für Erbkrankheiten, denen eine Fehlverteilung der Geschlechtschromosomen zugrunde liegt, sind:
- Ullrich-Turner-Syndrom
- Klinefelter-Syndrom
- Fragiles-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom)
Beispiel Down-Syndrom
Einige Erbkrankheiten entstehen sowohl durch Abweichungen der Chromosomenzahl als auch der Chromosomenstruktur, wie zum Beispiel das Down-Syndrom (Trisomie 21). Das Down-Syndrom zählt mit zu den häufigsten Chromosomenabweichungen: Circa eins von 700 Neugeborenen ist davon betroffen.
Bei Personen mit Down-Syndrom kommt das 21. Chromosom nicht wie sonst zweimal vor, sondern es liegen gleich drei Kopien in jeder Zelle. Manchmal ist es aber auch zu einer Verlagerung von Chromosomenmaterial gekommen und Teile des 21. Chromosoms gehören nun zu einem anderen Chromosom. Die meisten Embryos mit solch einer Fehlverteilung werden nicht ausgetragen – sie führt häufig zu einer Fehlgeburt. Nur bei etwa 15 Prozent kommt es trotz der Fehlverteilung zu einer Entbindung.
Abweichungen von der Chromosomenzahl hängen auch mit dem Alter der Mutter zusammen: Die Häufigkeit fehlerhafter Verteilungen steigt ab dem 35. Lebensjahr leicht an. Statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Down-Syndrom bei Müttern zwischen 35 und 39 Jahren bei 2 bis 10 zu 1.000.
Gendefekte
Die DNA jedes Chromosoms ist in kleine Abschnitte eingeteilt: die Gene. In den Genen befindet sich verschlüsselt die gentische Information für viele verschiedene Merkmale und Funktionen des Körpers. Jedes Chromosom trägt mehrere Tausend dieser Gene – insgesamt besitzt der Mensch über 30.000.
Verändert sich ein einzelnes Gen, kann das ohne Folgen für das Kind bleiben – es kann jedoch auch zu einer vererbbaren Erkrankung führen. Zum Teil tritt so eine Erkrankung bereits bei einem oder beiden Elternteilen auf. Häufig sind Eltern aber auch ohne es zu wissen nur Träger des Gendefekts und die Erkrankung zeigt sich bei ihnen nicht, weil sie noch eine gesunde Kopie des Gens besitzen. Tragen beide Eltern den gleichen Gendefekt, besteht die Möglichkeit, dass das Kind beide defekten Gene erbt und die Erkrankung deshalb bei ihm zu Tage tritt.
Fehler in einzelnen Genen können unter anderem zu folgenden Erbkrankheiten führen:
- Chorea Huntington (Huntington-Krankheit)
- Marfan-Syndrom
- Achalasie
- Mukoviszidose (Cystische Fibrose)
- Phenylketonurie
- Bluterkrankheit (Hämophilie)
- Brugada-Syndrom (erbliche Herzerkrankung)
Die meisten Erbkrankheiten durch einzelne Gendefekte sind im Vergleich zu jenen durch Chromosomenabweichungen relativ selten – durchschnittlich ist höchstens eins von 10.000 Neugeborenen davon betroffen.
Äußere Faktoren
Genetische Veränderungen beim Kind können auch entstehen, wenn bestimmte äußere Faktoren in einer frühen Phase der Schwangerschaft, vor allem kurz nach der Befruchtung, auf den Embryo einwirken. Zu solchen Faktoren zählen unter anderem Röntgenstrahlung sowie verschiedenen Wirkstoffe (z.B. manche Krebsmedikamente). Kommt es durch solche Einflüsse zu einer Veränderung im Erbmaterial des Kindes, kann diese später an dessen Nachkommen weitergegeben und dadurch zu einer Erbkrankheit werden.
Multifaktorielle Erkrankungen
Als multifaktorielle Erkrankungen bezeichnet man Erbkrankheiten, die nicht allein durch Veränderungen des Erbmaterials entstehen – vielmehr müssen außerdem verschiedene Umweltfaktoren vorliegen, damit solch eine Erkrankung zu Tage tritt. Bei multifaktoriellen Erkrankungen ist auch häufig nicht nur ein einziges Gen verändert, sondern es liegen Veränderungen in vielen verschiedenen Genen vor, deren Wirkung sich summiert.
Das bedeutet, man besitzt unter Umständen eine genetische Veranlagung für eine bestimmte Erkrankung – ob sie tatsächlich ausbricht, hängt jedoch davon ab, welche zusätzlichen Faktoren auf einen einwirken: Also welchen Umwelteinflüssen man über eine längere Zeit ausgesetzt ist und wie der persönliche Lebensstil aussieht. Solche Einflüsse sind zum Beispiel:
- ungesunde Ernährung (z.B. zu viel Zucker, zu viel tierische Fette)
- Rauchen/Passivrauchen
- Chemikalien, denen man ausgesetzt war
- Strahlung (z.B. UV-Strahlung, Röntgenstrahlung)
Zu den multifaktoriellen Erkrankungen zählt man unter anderem:
Multifaktorielle Erkrankungen kommen häufiger vor als Erbkrankheiten durch Chromosomenabweichungen oder einzelne Gendefekte – oft stellen sie sich erst im Lauf des Lebens ein. Bei durchschnittlich einem von 100 Kindern kommt es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer multifaktoriellen Erkrankung.