Baby-led Weaning: Fingerfood statt Babybrei
Baby-led Weaning (kurz: BLW) ist breifreie Beikost. Statt pürierter Pastinake oder zermatschter Möhrchen landet von Anfang an mundgerechtes Fingerfood auf dem Teller. Die Kleinen bestimmen selbst, was und wie viel sie sich in den Mund schieben. Doch Kinderärzte halten das Ernährungskonzept für gefährlich.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Baby-led Weaning: Fingerfood statt Babybrei
Etwa mit sechs Monaten sind die meisten Babys bereit für Beikost. Ein Löffelchen für Mama, ein Löffelchen für Papa … Klassischerweise beginnt mit dem Beikoststart auch die Einführung in die Breikost. Dabei werden die Milchmahlzeiten nach und nach durch Karottenpüree oder andere Babybreie ersetzt, bis irgendwann auch Brot und andere feste Speisen hinzukommen.
Beim Baby-led Weaning hingegen sieht das ganz anders aus. Die Eltern bieten ihrem Nachwuchs lediglich Fingerfood an, also zum Beispiel gekochte Möhren, Brokkoli, Kartoffeln oder Brot. Das Baby sitzt mit der ganzen Familie am Esstisch und kann – wenn es denn möchte – selbstständig das gedünstete Gemüsestück vom Teller nehmen, daran lutschen oder es auch essen.
Die Eltern sollen ihrem Kind dem Konzept nach verschiedene Nahrungsmittel anbieten. Instinktiv soll das Baby dann wissen, welche Nährstoffe es gerade benötigt und dann zu dem entsprechenden Lebensmittel greifen. Intuitive Ernährung für Babys gewissermaßen – wobei das Fingerfood nur als Ergänzung gedacht ist.
Denn es geht zunächst vor allem um das Erforschen der Nahrung und weniger darum, satt zu werden. Muttermilch oder Fläschchennahrung stehen noch im Vordergrund. Der englische Begriff Baby-led Weaning bedeutet soviel wie "babygeleitetes Abstillen".
Ab wann kann man mit Baby-led Weaning anfangen?
Den richtigen Zeitpunkt für die Beikosteinführung gibt nicht der Kalender, sondern das Kind vor. Bei einigen Babys kann man schon nach dem vierten Monat langsam mit Baby-led Weaning anfangen, einige sind erst mit sieben Monaten bereit für die Beikost.
Entscheidend sind die sogenannten Beikostreifezeichen:
- Das Baby sollte offensichtliches Interesse an Lebensmitteln zeigen – zum Beispiel wenn es das Essen mit den Augen verfolgt oder sogar selber den Mund weit aufreißt, wenn die Eltern etwas essen.
- Der Zungenstreckreflex, mit dem Babys feste Nahrung normalerweise wieder aus dem Mund befördern, sollte verschwunden oder zumindest stark abgeschwächt sein.
- Das Kind kann selbstständig sitzen.
- Beim Baby-led Weaning wird ausdrücklich nicht gefüttert. Das Baby muss daher schon in der Lage sein, die Nahrungsmittel selbst zu greifen und sich in den Mund zu stecken.
Generell empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO bis zu einem Alter von sechs Monaten reine Milchernährung. Erst ab dann sollten Eltern mit Baby-led Weaning beginnen.
Der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zufolge benötigen Babys bis zum Alter von sechs Monaten in der Regel keine Beikost. Es gebe jedoch keine Belege dafür, dass es gesundheitsschädlich oder gesundheitsfördernd ist, dem Baby bereits zuvor Beikost zu geben.
Im Alter von 3 und 4 Monaten, wenn der Säugling in Rückenlage den Kopf in der Körpermitte halten kann oder wenn er beim Hochziehen oder beim unterstützten Sitzen den Kopf kontrollieren kann, kann er Brei mit dem Löffel erhalten. Fingerfood kann der Behörde zufolge im Alter von fünf bis sieben Monaten angeboten werden.
Welche Lebensmittel sind geeignet?
Gut geeignet für den Start in die Baby-led Weaning-Beikost sind alle Gemüsesorten, die auch in den klassischen Babybreien enthalten sind – zum Beispiel:
- Möhren,
- Kartoffeln,
- Brokkoli,
- Blumenkohl,
- Kürbis,
- Kohlrabi,
- Pastinake oder
- Zucchini
Nicht geeignete Lebensmittel sind
- Honig,
- Nüsse,
- ganze Trauben,
- rohe Äpfel oder Birnen,
- Mandarinen,
- roher Fisch,
- Fast Food,
- nicht durchgegarte Eier
- gezuckerte oder gesalzene Speisen und
- fettreduzierte „Light“-Produkte.
Generell sollte das Gemüse weich sein, aber nicht sofort zermatschen, wenn das Baby es mal etwas unsanft in der Hand hält. Keine Sorge, auch ein zahnloser Gaumen kann schon einiges zerkleinern.
Da Babys um den sechsten Monat herum noch mit der ganzen Hand greifen (den Pinzettengriff lernen sie erst etwa ab dem achten Monat), sollte man die Fingerfood-Häppchen nicht zu klein schneiden. Optimal sind Gemüsesticks in "Pommesgröße“.
Verschlucken? Nährstoffmangel? Kritik am Baby-led-Weaning
Doch der "Baby-geführte" Beikosttrend ist umstritten. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte lehnt ihn sogar ab. "Für eine gute Versorgung ist ein ausgewogenes Nahrungsmittelangebot wichtig. Dieses kann bei Säuglingen, die von der Hand in den Mund leben, auf der Strecke bleiben“, sagt Bundessprecher Hermann Josef Kahl.
Vor allem eine mögliche Unterversorgung mit Eisen sorgt immer wieder für Kritik am Baby-led Weaning. "Wenn das Kind dann nur an einem Stück Fleisch saugt, bekommt es kaum Eisen. Außerdem kann es sein, dass ein motorisch ungeschicktes Kind bei dem Fingerfood-Konzept nicht richtig satt wird. Oder dass es sich an einem Stück Gemüse oder Obst verschluckt."
Einer Studie aus Neuseeland zufolge verschlucken sich BLW-Babys im Alter von sechs Monaten häufger als Breibabys, im Alter von acht Monaten jedoch seltener. Wichtig ist, dass die Eltern als Fingerfood keine Lebensmittel wie ganze Nüsse oder Trauben anbieten, die das Baby im Ganzen verschlucken könnte.
Vor- und Nachteile von Baby-led-Weaning
Befürworter sehen folgende Vorteile:
- Babys können ihr Essen erforschen, indem sie es fühlen, riechen und schmecken
- BLW-Babys sollen später weniger wählerisch sein in Bezug auf Essen
- Hand-Auge-Koordination und Kauen werden trainiert
- Das selbstgesteuerte Essen soll Babys schneller selbstständig und selbstsicherer machen
- Weil sie ihr Essen selbst steuern, sollen die Babys besser einschätzen können, wann sie satt sindund weniger zu Übergewicht neigen.
Kritiker sehen folgende Nachteile:
- Das meiste des angebotenen Essens wird nicht im Mund des Babys landen, sondern auf dem Boden oder auf der Kleidung.
- Babys, die ausschließlich Fingerfood als Beikost erhalten, nehmen weniger Kalorien zu sich und werden länger zusätzlich auf Brust oder Flasche angewiesen sein.
- Das Baby könnte sich verschlucken
- Da im Alter von etwa sechs Monaten die Eisenspeicher des Babys aufgebraucht sind, benötigt es ab diesem Alter Beikost zusätzlich zur Muttermilch. Kritiker befürchten, dass Babys beim Fingerfood nicht ausreichend Eisen aufnehmen.
Fazit: Lieber als Ergänzung
Ein wichtiger Punkt beim Baby-led Weaning: Das Kind isst selbst. Das heißt, es darf gemantscht und experimentiert werden! Gerade am Anfang müssen sich Eltern darauf einstellen, dass ein Großteil des Essens nicht im Mund, sondern auf dem Fußboden oder auf dem Lätzchen landet.
Baby-led Weaning soll ein gesundes Essverhalten fördern und Übergewicht vorbeugen, da die Kinder ihren eigenen Appetit sowie Sättigung besser wahrnehmen können. Das sagen zumindest die Befürworter dieser Beikostmethode.
Untersuchungen konnten dies allerdings nicht bestätigen. Wie die Wissenschaftler der Universität Otago (Neuseeland) festgestellt haben, gab es keine Unterschiede beim BMI (Body-Mass-Index) zwischen BLW-Babys und jenen, die mit Babybrei gefüttert wurden. Um verlässliche Aussagen treffen zu können, sind allerdings weitere Studien notwendig. Nicht bekannt ist auch, wie sich BLW langristig auf Essverhalten und BMI auswirkt.
Breikost oder Fingerfodd – das Ideal liegt vermutlich in der Mitte. Baby-led Weaning und traditionelle Breifütterung sollten sich nicht ausschließen. Empfehlenswert ist es, den Babys eine Mischung anzubieten – mal Fingerfood, mal Brei und, solange das Kind es möchte, natürlich auch Milch.
"Ab dem zehnten Lebensmonat sollten Eltern dazu übergehen, das Kind an den Familienmahlzeiten teilnehmen zu lassen. Wenn es dabei noch die Hilfe der Eltern braucht, können sie es dabei ruhig noch füttern", so die Experten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
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