Löffel mit Kapseln
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Spermidin – wirklich ein Anti-Aging-Wundermittel?

Von: Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 24.11.2021

Spermidin kommt von Natur aus im Körper und in Lebensmitteln vor. Inzwischen gibt es den Stoff aber auch als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Kapseln zu kaufen. Denn Spermidin gilt als Wundermittel. Es soll eine Anti-Aging-Wirkung haben und sogar das Leben verlängern. Stimmt das?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Was ist das?

Wer jetzt an Sperma denkt, liegt gar nicht so falsch: Spermidin wurde in Spermien entdeckt. Der natürliche Stoff kommt aber auch in den meisten anderen Körperzellen vor. Die Zellen können ihn selbst bilden. Zudem nehmen wir Spermidin über bestimmte Lebensmittel zu uns. Relativ viel davon steckt etwa in reifem Käse, Pilzen und Weizenkeimen.

Vermutlich erfüllt Spermidin für die Zellen verschiedene Aufgaben. Welche, ist noch nicht vollständig geklärt. Eine wichtige Funktion kennt man aber schon: Spermidin hilft den Zellen dabei, sich zu reinigen und zu erneuern. Das macht die Substanz für die Medizin, die pharmazeutische Forschung und für Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln interessant. Denn eine Substanz, die die Zellen jung und gesund hält, könnte vor schweren Krankheiten wie Krebs und Alzheimer schützen und sogar den Alterungsprozess aufhalten – theoretisch.

Spermidin: Wirkung

Spermidin kann in Zellen die sogenannte Autophagie in Gang setzen. Autophagie heißt wörtlich übersetzt "sich selbst essen" (griech. auto = selbst, phagein = essen). Denn im Prinzip verdaut die Zelle dabei einen Teil ihrer Bestandteile, und zwar jene, die alt und nicht mehr brauchbar sind. Oft wird Autophagie auch als Recyclingprogramm der Zellen beschrieben: Die Zelle zerlegt ihren "Müll" in chemische Bausteine und stellt daraus neue nützliche Stoffe her.

Das gilt zunächst einmal nur für körpereigenes Spermidin. Welche Wirkung Sperimidin-Kapseln oder Spermidin aus der Nahrung auf unsere Zellen haben, ist bislang kaum erforscht. Studien zu dieser Frage gibt es bisher nur für einfache Lebewesen wie Fliegen. Wurde ihnen in Laborexperimenten Spermidin verabreicht, lebten sie tatsächlich ein paar Tage länger als Fliegen, die Futter ohne Spermidin erhalten hatten.

Solche Beobachtungen bieten allerdings nur bedingt Anlass zur Hoffnung: Der menschliche Körper ist weitaus komplexer als der einer Fliege. Menschen reagieren oft ganz anders auf Wirkstoffe als Tiere. Das gilt sogar für höhere Organismen als Fliegen, wie zum Beispiel Ratten. Deshalb lassen sich Ergebnisse aus Tierversuchen nur bedingt auf Menschen übertragen.

Um herauszufinden, welche Wirkung Spermidin im menschlichen Körper entfaltet, müssen also erst noch Studien mit Menschen folgen. Aktuell ist nicht einmal klar, wie viel von dem über die Nahrung oder Kapseln aufgenommenen Spermidin überhaupt in den Zellen ankommt.

Spermidin: Lebensmittel & Kapseln

Reich an Spermidin sind zum Beispiel folgende Lebensmittel:

  • Weizenkeime
  • Pilze
  • Hülsenfrüchte wie Sojabohnen
  • reifer Käse (z. B. Parmesan oder Cheddar)
  • Brokkoli und Blumenkohl
  • Kartoffeln
  • Kürbiskerne

Das in Kapseln enthaltene Spermidin stammt üblicherweise aus Weizenkeimen oder Sojabohnen. Für eine Monatsration zahlt man zwischen 13 und 70 Euro. Der Spermidin-Gehalt pro Tagesdosis liegt bei vielen Produkten im Bereich von einem Milligramm. Zum Vergleich:

  • In reifen Käsesorten stecken etwa 10 mg Spermidin pro 100 Gramm,
  • in Pilzen rund 9 mg und
  • in Blumenkohl und Brokkoli jeweils etwa 3 mg.

Selbst Popcorn liefert mit 4 mg pro 100 g noch mehr Spermidin als die Kapseln – und es schmeckt auch besser.

Spermidin-Kapseln: Kaufen oder lieber nicht?

Eher nicht. Noch ist nicht klar, inwieweit über die Nahrung oder Kapseln aufgenommenes Spermidin der Gesundheit zugutekommt, geschweige denn, ob es Anti-Aging-Wunder bewirkt. Und selbst wenn, tut man seinem Konto, seinem Geschmackssinn und seiner Gesundheit etwas Gutes, wenn man sich statt der Kapseln jeden Tag eine Portion Gemüse gönnt. Das ist nicht nur günstiger und schmackhafter, sondern enthält auch viele andere wertvolle Nährstoffe.

Quellen

Spermidin: Anti-Aging-Effekt unklar. Online-Informationen von Cochrane Österreich: www.medizin-transparent.at (Abrufdatum: 29.12.2020)

Jungbleiben mit Spermidin? Online-Informationen der Verbraucherzentrale: www.verbraucherzentrale.de (Stand: 21.9.2020)

Spermidin als Autophagie-Induktor. Online-Informationen der Pharmazeutischen Zeitung: www.pharmazeutische-zeitung.de (Stand: 4.3.2020)

Muñoz-Esparza, N. C., et al.: Polyamines in Food. Frontiers in Nutrition, Vol. 6, Nr. 108 (Juli 2019)

Atiya Ali, M., et al.: Polyamines in foods: development of a food database. Food & Nutrition Research, Vol. 55, E-Publikation (Januar 2011)

Eisenberg, T., et al.: Induction of autophagy by spermidine promotes longevity. Nature Cell Biology, Vol. 11, Iss. 11, pp. 1305-1314 (November 2009)