Lektine: Sind sie schädlich für die Gesundheit?
Gemüse ist gesund. Das galt uneingeschränkt – bis der amerikanische Arzt Steven R. Gundry die Behauptung aufstellte, dass Tomaten, Kartoffeln und Vollkorngetreide krank machen. Die darin enthaltenen Lektine sollen Schuld sein an Verdauungsproblemen und Autoimmunerkrankungen. Auf lektinfreie Diät setzen auch einige Promis. Ist das pflanzliche Eiweiß wirklich ungesund?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Was sind Lektine?
Nicht nur Tiere, auch Pflanzen wehren sich dagegen, gefressen zu werden. Um sich gegen Fressfeinde zu verteidigen, bilden einige Pflanzen Abwehrstoffe: Lektine. Diese Eiweiße sind so etwas wie natürliche Pflanzenschutzmittel.
Zwar sind manche Gewächse darauf angewiesen, dass Tiere ihre Samen aufnehmen und verbreiten. Beeren zum Beispiel leuchten rot, um Vögel anzulocken, die sie fressen und ihre Samen schließlich woanders wieder ausscheiden. Aber auch solche Pflanzen sollen nicht gefressen werden, bevor sie reif sind und Samen gebildet haben. Deswegen enthalten unreife Früchte auch mehr Lektine als reife.
Lektine sind sogenannte "Glykoproteine", also Eiweiße, die sich an Zucker binden. Fressen Tiere zu hohe Mengen davon, bekommt ihnen das schlecht. Je nach Pflanze und Tier kann das sogar tödlich ausgehen. Wer überlebt, lernt aus seiner Erfahrung und meidet die Pflanze in Zukunft. Auch der Mensch gehört zu den "Fressfeinden" von Pflanzen. Es leuchtet also ein, dass Lektine auch für Menschen nicht gesund sind. Das überzeugt auch Promis wie Gwyneth Paltrow, die auf eine lektinfreie Ernährung schwören.
Warum sollen Lektine schädlich sein?
Lektine sollen unter anderem
- die Zellen der Darmwand schädigen.
- die Aufnahme anderer Nährstoffe wie Calcium, Eisen und Zink im Darm behindern.
- hormonelle Probleme verursachen.
- Wassereinlagerungen zur Folge haben.
- zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
- sich an rote Blutkörperchen binden und dazu führen, dass diese verklumpen.
- sich an andere Körperzellen heften und Immunreaktionen hervorrufen. Aus diesem Grund sollen sie auch für die Entstehung von Autoimmunkrankheiten wie Diabetes Typ-1, Multiple Sklerose oder Hashimoto mitverantwortlich sein.
- Bauchschmerzen, Durchfall und Darmentzündungen hervorrufen.
Vor allem Menschen mit einem schwachen Immunsystem sollen von den negativen Auswirkungen betroffen sein.
Sind Lektine wirklich schädlich?
Es gibt verschiedene Arten der Glykoproteine. Die meisten gelten als völlig harmlos. Es ist außerdem kaum möglich, lektinfrei zu leben, denn die Eiweiße kommen fast überall vor. Würde man alle lektinhaltigen Lebensmittel vermeiden, wäre der Speiseplan wenig abwechslungsreich und arm an vielen wichtigen Nährstoffen.
Es gibt sogar pflanzliche Lektine mit positiven Wirkungen. So sollen einige den Blutzuckerspiegel senken. Tumorzellen sollen empfindlich auf Mistel-Lektine reagieren. Und Bananen-Lektine sollen antivirale Eigenschaften besitzen. Forschende suchen auf der Basis dieser Proteine derzeit nach einem Mittel gegen HIV. Und Lektine können als Antioxidantien im Körper oxidativen Stress reduzieren.
Wann sind Lektine giftig?
Andere Lektine sind bekanntermaßen giftig. Sie finden sich zum Beispiel in grünen Kartoffeln und Bohnen und können Durchfall, Darmentzündungen, Magenverstimmung und Erbrechen bewirken.
Wer beispielsweise Kidneybohnen ungekocht isst, muss mit Vergiftungserscheinungen rechnen. Das in ihnen enthaltene Lektin kann tatsächlich dazu führen, dass die roten Blutkörperchen verklumpen, was wiederum den Sauerstofftransport im Blut erschwert.
Verzicht ist unnötig
Bei großer Hitze zerfallen diese pflanzlichen Proteine jedoch. Der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zufolge kann man Kartoffeln und Hülsenfrüchte nach dem Kochen bedenkenlos essen. Es gibt auch keine aktuellen und aussagekräftigen Studien, die den Generalverdacht gegen Lektine bestätigen können. Ein Zusammenhang zwischen Lektinen und Autoimmunerkrankungen oder anderen Krankheiten ist nicht nachgewiesen.
Unverträglichkeiten durch Lektine?
Einer Theorie zufolge sind viele vermeintliche Glutenunverträglichkeiten gar nicht wirklich auf Gluten zurückzuführen, sondern auf ein in der Schale der Getreidekörner enthaltenes Lektin. Während das Getreide für Brot früher häufig gewässert, angekeimt und fermentiert (gegärt) und das Pflanzenprotein so unschädlich gemacht wurde, enthalten moderne, im Schnellverfahren hergestellte Brote heute noch größere Mengen dieses Lektins. Eine Ausnahme ist Sauerteigbrot, da es gegärt ist. Jedoch haben industriell hergestellte Sauerteigbrote ebenfalls keine lange Fermentationszeit mehr. Belegen lässt sich diese Theorie jedoch nicht.
Wann ist es sinnvoll, Lektine zu meiden?
Es spricht nichts dagegen, eine lektinarme Ernährung auszutesten. Manche Menschen mit Autoimmunkrankheiten berichten, dass es ihnen damit besser geht. Wichtig ist jedoch, seine Ernährung dadurch nicht zu sehr einzuschränken. Und schließlich hat auch jeder Mensch einen anderen Stoffwechsel und reagiert individuell auf bestimmte Lebensmittel. Während einige Menschen nach dem Verzehr von Lektinen Verdauungsprobleme haben, können andere problemlos angemessene Mengen essen.
In welchen Lebensmitteln kommen Lektine vor?
Zum Beispiel in folgenden Lebensmitteln kommen Lektine in größeren Mengen vor:
- Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen, Sojabohnen (Erbsen weniger)
- Nachtschattengewächse wie Auberginen, Tomaten, Kartoffeln, Paprika
- Mais
- Gurken
- Zucchini
- Kürbis
- Weizen
- Nüssen
- Vollkornreis
Einen niedrigen Lektingehalt haben folgende Nahrungspflanzen:
- Salat
- Karotten
- Sellerie
- Knoblauch
- Brokkoli
- Spargel
- Avocado
- Pilze
Um Lektine in der Nahrung unschädlich zu machen, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Kochen
- Einweichen der Lebensmittel, zum Beispiel Hülsenfrüchte, in Wasser
- Fermentieren
Weitere Tipps, um Lektine zu vermeiden
Besonders viele Lektine stecken in der Schale, da die Fressfeinde dort auch zuerst knabbern. Auch Vollkornprodukte enthalten deshalb viele Lektine, denn in diesen sind die Getreideschalen noch enthalten. Wer unter Verdauungsproblemen wie einem Reizdarm leidet, kann lektinreiches Gemüse also schälen, auch wenn dadurch andere Nährstoffe eingebüßt werden. Reife Früchte enthalten außerdem weniger der Glykoproteine als unreife.