Nachtschattengewächse: Arten, Wirkung und Gefahren
Nachtschattengewächse umfassen neben Nutzpflanzen und Früchten wie Kartoffeln, Tomaten und Auberginen auch Giftpflanzen mit berauschender Wirkung. Der Konsum der Naturdrogen ist sehr gefährlich, da es schnell zu tödlichen Vergiftungen kommen kann. Welche halluzinogenen Nachtschattengewächse gibt es und wie äußert sich eine Überdosis?
Was sind Nachtschattengewächse?
Der Begriff Nachtschattengewächse (Solanaceae) umfasst eine Pflanzenfamilie der Ordnung Solanales. Zu ihr gehören 92 Gattungen mit circa 2.300 Arten, unter anderem Nutzpflanzen wie Kartoffeln, Tomaten, Aubergine und Paprika, aber auch Zierpflanzen beziehungsweise Giftpflanzen wie Tollkirsche, Engelstrompete, Bilsenkraut und Stechapfel.
Von den giftigen Nachtschattengewächsen geht eine berauschende halluzinogene Wirkung aus, weshalb sie auch
- Biodrogen,
- biogene Drogen oder
- Naturdrogen
genannt werden. Für die bewusstseinsverändernde Wirkung der Nachtschattengewächse sorgen chemische Verbindungen wie Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin, die zu ungleichen Teilen in den Giftpflanzen enthalten sind.
Die Pflanzen werden frisch gesammelt und dann getrocknet oder auch im Internet bestellt. Der Rausch durch Nachtschattengewächse ist sehr gefährlich, da zwischen wirksamer und tödlicher Dosis nur wenige Milligramm liegen.
Liste: Welche halluzinogenen Nachtschattengewächse gibt es?
Die wichtigsten Gattungen der Nachtschattengewächse, die als Rauschdrogen verwendet werden, sind:
- Stechapfel (Datura stramonium)
- Tollkirsche (Atropa belladona)
- Bilsenkraut (Hyoscyamus niger)
- Alraune (Mandragora officinarum)
- Engelstrompete/Trompetenbaum (Datura suaveolens)
- Schlafbeere/Winterkirsche (Ashwagandha/Withania somnifera)
Zunehmender Missbrauch von Nachtschattengewächsen
Salben mit Nachtschattengewächsen als Bestandteil wurden früher als "Flug-Salben" oder "Hexensalben" bezeichnet und enthielten neben den Nachtschattengewächsen noch weitere Giftpflanzen. Das Auftragen auf die Haut löste einen Rauschzustand aus.
Heute sind derart Produkte nicht mehr erhältlich. Dennoch sind Nachtschattengewächse wie Stechapfel, Tollkirsche, Bilsenkraut und Alraune beliebt – vor allem bei Jugendlichen.
Der Missbrauch der giftigen Nachtschattengewächse scheint zuzunehmen. Diese Vermutung ergibt sich aus vereinzelten Studien über den Konsum von Nachtschattengewächsen sowie den steigenden Angeboten der Substanzen im Internet. Genaue Erhebungen über die Zahl der Konsumierenden gibt es allerdings nicht.
Anwendungsformen
Beim Konsum der Nachtschattengewächse können Konsumierende zwischen verschiedenen Anwendungsformen wählen. Die Pflanzen werden gegessen, als Tee aufgebrüht oder geraucht. Dabei lassen sich sowohl die frischen als auch die getrockneten Pflanzen(teile) verwenden.
Rechtliche Lage
Die Giftpflanzen sind leicht zugänglich. Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin sowie deren Zubereitungen verstoßen derzeit nicht gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Sie unterliegen vielmehr dem Arzneimittelgesetz (AMG). Verstöße gegen das AMG werden in der Regel mit Bußgeldern und nur in besonders schweren Fällen strafrechtlich geahndet.
Wirkung halluzinogener Nachtschattengewächse
Nachtschattengewächse verdanken ihre Wirkungsweise den sogenannten Alkaloiden. Das sind organische, strickstoffhaltige und meist alkalische Pflanzenstoffe, die auf den parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems wirken. Für den durch die Naturdroge ausgelösten Rausch sind vor allem drei Inhaltsstoffe verantwortlich.
Atropin: Atropin ist chemisch gesehen eine Mischung aus D-Hyoscyamin und dem psychoaktiv wirksamen L-Hyoscyamin. Es wirkt erregend auf das zentrale Nervensystem, was sich in einer allgemeinen Erregung mit motorischer Unruhe und erhöhter Herzfrequenz äußert.
Hyoscyamin: L-Hyoscyamin ist nach dem Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) benannt, der Wirkstoff kommt jedoch auch in den meisten anderen Nachtschattengewächsen vor. Die Wirksamkeit von Hyoscyamin ist deutlich stärker als die des Atropins. Beim Trocknen der Pflanze wandelt sich L-Hyoscyamin zum schwächer wirkenden Atropin um (Racemisierung). Deshalb wirken getrocknete Pflanzen schwächer als frische.
Scopolamin: Scopolamin wirkt annähernd so wie Atropin, im Vergleich allerdings etwas beruhigender und dämpfender. Es lähmt die Magensaft- und Schweißabsonderung ebenso wie das zentrale Nervensystem. Der Wirkstoff sorgt für einen Zustand der Willenlosigkeit und Apathie, ähnlich wie bei einer Hypnose.
In welchem Verhältnis sich die Wirkstoffe zusammensetzen, ist je nach Nachtschattengewächs verschieden. Die Tollkirsche enthält zum Beispiel hauptsächlich Atropin, während Stechapfel, Bilsenkraut und Alraune überwiegend aus Scopolamin bestehen.
Alkaloide sorgen in Kombination für einen Rausch, bei dem folgende Erlebnisse auftreten können:
- Halluzinationen und Angstzustände
- innere Unruhe
- Rededrang (Logorrhoe) und Euphorie
- Tobsuchtanfälle
- Weinkrämpfe
- sexuelle Erregtheit
- starkes Traumerleben
- wahnhafte Wiederholung von Handlungsabläufen
Im Gegensatz zu anderen Halluzinogenen wird der Drogenrausch durch Nachtschattengewächse als sehr real empfunden, wodurch sich weitere Risiken ergeben. Zum Beispiel kann es kann passieren, dass sich eine berauschte Person aus dem Fenster stürzt, weil sie glaubt, fliegen zu können.
Vergiftungen durch Nachtschattengewächse
Der Konsum von berauschenden Nachtschattengewächsen ist sehr gefährlich, da diese ganz unterschiedliche Mengen der bewusstseinsverändernden Wirkstoffe enthalten und die Risiken dadurch unkalkulierbar werden.
Bei Einnahme der psychoaktiven Wirkstoffe wird der körpereigene Botenstoff (Neurotransmitter) Acetylcholin von seinen Rezeptoren im parasympathischen Nervensystem verdrängt. Dadurch kann das Acetylcholin nicht mehr wirken.
Acetylcholin-Rezeptoren kommen in sehr vielen Organen und Organsystemen vor. Durch die Verdrängung des Acetylcholins treten deshalb zahlreiche Symptome auf, die unter dem Begriff des Zentralen anticholinergen Syndroms zusammengefasst werden. Von einer Vergiftung sprechen Fachleute, wenn folgende vier Hauptsymptome vorliegen:
- Errötete und heiße Haut
- Trockene Schleimhäute
- Beschleunigter Puls (Tachykardie)
- Erweiterung der Pupillen (Mydriasis)
Daneben kann es zu weiteren Symptomen kommen:
- räumliche und zeitliche Desorientierung
- verminderte Speichelsekretion und Schluckbeschwerden
- Sehstörung/Bindehautreizung
- Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz
- starke Angst und Halluzinationen
- Stimmungsschwankungen
Eine Vergiftung durch Nachtschattengewächse kann zudem zu tödlichen Atemlähmungen und einem Koma sowie zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen. Das Herz schlägt dann so schnell, dass es kein Blut mehr durch den Organismus pumpen kann. Bei dieser sogenannten Tachykardie arbeitet das Herz bis zu 300-mal in der Minute, normal sind etwa 80 Schläge pro Minute.
Wie giftig sind Nachtschattengewächse?
Atropin: Bei Kindern können bereits 2 bis 5, beim Erwachsenen 10 bis 20 Tollkirschen tödliche Vergiftungserscheinungen auslösen.
L-Hyoscyamin: Ab einer Menge von 5 Milligramm löst L-Hyoscyamin Vergiftungssymptome aus. Die tödliche Dosis beträgt für Erwachsene 10 Milligramm (oral aufgenommen). Bei Kindern wirken zum Beispiel schon 15 Bilsenkrautsamen tödlich.
Scopolamin: Stechapfel enthält hohe Scopolamin-Anteile, bei Kindern bewirken 15 Stechapfelsamen tödliche Vergiftungserscheinungen.
Erste Hilfe bei Überdosierung
Bei einer Vergiftung durch Nachtschattengewächse bestehen Erste-Hilfe-Maßnahmen darin, der betroffenen Person Flüssigkeit in Form von Tee, Wasser oder Saft zuzuführen. Wenn jemand nach dem Konsum von Pflanzen Vergiftungserscheinungen zeigt, bewahren Sie Ruhe und sichern Sie zur genauen Bestimmung der giftigen Pflanze Überreste der eingenommenen Substanz.
Außerdem sollte eine Giftbindung mit Kohletabletten erfolgen. Der Körper des*der Betroffenen sollte zusätzlich mit feuchten Tüchern gekühlt werden. Als Gegengift steht der Wirkstoff Physostigmin zur Verfügung. Dieser verdrängt die Giftstoffe der Nachtschattengewächse von den Acetylcholin-Rezeptoren und wirkt so unter anderem dem schnellen Puls und den Erregungszuständen entgegen.
Besonderes Augenmerk sollte der psychischen Betreuung gelten. Lassen Sie die vergiftete Person nie unbeaufsichtigt, da starke Angstzustände und Aggressionen auftreten können. Aus diesem Grund kommt auch dem Eigenschutz eine besondere Bedeutung zu.