Eine junge Frau blickt traurig drein.
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Psychotherapie: 5 Tipps, um die Wartezeit zu überbrücken

Von: Brit Weirich (Medizinautorin, M.A. Mehrsprachige Kommunikation), Lydia Klöckner (Medizinredakteurin)
Letzte Aktualisierung: 01.07.2024

Wer eine seelische Erkrankung hat, braucht dringend Hilfe – nicht erst in ein paar Monaten. So lange dauert es aber oft, bis Ratsuchende in Deutschland einen Therapieplatz bekommen. Was können Betroffene tun, um möglichst schnell professionelle Hilfe zu bekommen? Und wie hilfreich sind verfügbare alternative Hilfsangebote, um die Wartezeit zu überbrücken?

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.

Wartezeiten in der Psychotherapie

Jede vierte erwachsene Person erfüllt in Deutschland die Kriterien einer seelischen Erkrankung. Auch Kinder und Jugendliche sind immer häufiger betroffen. Besonders verbreitet sind 

Seelische Probleme sind für Betroffene und ihre Angehörigen mit einem hohen Leidensdruck verbunden und beeinträchtigen ihren Alltag enorm. Mithilfe einer Psychotherapie lassen sich viele der Erkrankungen gut in den Griff bekommen. Die Erfolgsquote liegt je nach Störung bei 40 bis 70 Prozent.

Ratsuchende warten im Durchschnitt jedoch 20 Wochen auf einen Therapieplatz. Vor allem in ländlichen Regionen herrscht ein Mangel an psychotherapeutischen Fachkräften. Zudem sind die Wege oft weiter, was den Zugang zusätzlich erschwert.

Weitere Gründe für lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz sind:

  • Bürokratische Hürden: Damit eine Therapie von der Krankenkasse übernommen wird, müssen zunächst umfangreiche Anträge und Gutachten eingereicht werden. Diese Prozesse sind zeitaufwändig und können den Start der Therapie verzögern.

  • Steigender Bedarf: Immer mehr Menschen suchen psychotherapeutische Hilfe, zum Beispiel wegen höherer gesellschaftlicher Akzeptanz oder steigender Belastungen. Die Anzahl der psychotherapeutischen Fachkräfte wächst jedoch nicht im gleichen Maße, wodurch die Nachfrage das Angebot übersteigt.

Unbehandelt werden psychische Störungen mit der Zeit oft schlimmer und mitunter chronisch. Zudem richtet eine seelische Erkrankung, je länger sie besteht, immer mehr Schaden an, und zwar in nahezu jedem Lebensbereich: Oft können Betroffene ihrem Beruf nicht mehr oder nicht mehr wie gewohnt nachgehen.

Mitunter ruft seelische Not auch körperliche Beschwerden hervor und/oder bewirkt, dass Betroffene ihre Gesundheit vernachlässigen. Meist belastet die seelische Störung auch das nähere Umfeld.

All das kann wiederum zur Folge haben, dass sich das Leid der erkrankten Person noch vergrößert – ein Teufelskreis, den es unbedingt zu vermeiden gilt. 

Möglichkeit 1: Akutbehandlung

Im April 2017 trat eine geänderte Psychotherapie-Richtlinie in Kraft. Sie sollte dafür sorgen, dass psychisch kranke Menschen schneller professionelle Hilfe bekommen – etwa in Form der sogenannten psychotherapeutischen Akutbehandlung (APAK): Wer in einer schweren seelischen Krise steckt, hat Anspruch auf 12 bis 24 Therapiestunden.

Einen Termin für die erste Sitzung können Patient*in und Therapeut*in direkt in der sogenannten psychotherapeutischen Sprechstunde vereinbaren, also im Erstgespräch. Anders als bei einer regulären Therapie sind vor Beginn der Akutbehandlung keine Probesitzungen notwendig.

Auch muss die Akutbehandlung nicht zuerst von der Kasse genehmigt werden. Der*die Therapeut*in muss der Kasse nur schriftlich mitteilen, welche Erkrankung festgestellt wurde und wann die Behandlung beginnt.

Eine dauerhafte Linderung oder gar Heilung der psychischen Beschwerden darf man sich von einer Akutbehandlung jedoch nicht erhoffen. Gerade im Falle einer schweren psychischen Störung reicht die kurze Zeit in der Regel nicht aus, um den Ursachen auf den Grund zu gehen und wirksame Lösungsstrategien zu erarbeiten.

Dazu ist die Akutbehandlung auch nicht gedacht. Sie soll in erster Linie

  • verhindern, dass die Krankheit schlimmer oder chronisch wird und
  • bewirken, dass sich der Zustand der betroffenen Person stabilisiert, bis eine langfristige Behandlung stattfinden kann.

Möglichkeit 2: Psychotherapie ohne Kassenzulassung

Normalerweise zahlt die gesetzliche Krankenkasse eine Psychotherapie nur, wenn der*die Therapeut*in eine Kassenzulassung hat. Wer sich in einer Privatpraxis behandeln lässt, muss die Therapie aus eigener Tasche bezahlen.

Von dieser Regel gibt es jedoch eine Ausnahme: Wenn Betroffene nachweisen können, dass

  • sie dringend eine Psychotherapie benötigen und
  • in ihrer Umgebung keine zugelassene Praxis freie Therapieplätze anbieten kann,

muss die Kasse auch eine Behandlung in einer Privatpraxis bezahlen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 13 Absatz 3 des Sozialgesetzbuches. Dabei muss es sich um eine sogenannte Richtlinientherapie handeln. Das sind Methoden, die Studien zufolge wirksam und daher offziell anerkannt sind. Dazu zählen derzeit:

  • Verhaltenstherapie
  • analytische Psychotherapie
  • tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
  • systemische Therapie

Die Erstattungsanträge werden von den Kassen jedoch häufig abgelehnt, meist mit Verweis auf

  • die psychotherapeutische Sprechstunde,
  • die Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigungen und/oder
  • die Möglichkeit einer Akutbehandlung.

Für Menschen, die dringend Unterstützung benötigen, ist dieser Verweis nicht hilfreich: 

  • In der psychotherapeutischen Sprechstunde erhalten Betroffene schließlich noch keine Behandlung. Hier wird lediglich besprochen, welche Therapieform für sie geeignet sein könnte. Wann und wo sie diese beginnen können, wissen sie dann aber noch immer nicht.

  • Über die Terminservicestellen erhalten die Betroffenen nur wieder einen Termin für ein (weiteres) Erstgespräch. Ob es dort auch zeitnah einen Platz frei gibt, wissen die Mitarbeitenden der Terminservicestellen in der Regel nicht.

  • Eine Akutbehandlung ist eine Erste-Hilfe-Maßnahme für die Psyche. Danach benötigen die Betroffenen in der Regel weiterhin Unterstützung.

Kostenerstattungsverfahren: Dranbleiben lohnt sich

Das Kostenerstattungsverfahren ist zwar schwieriger geworden, bleibt aber weiterhin möglich. Die besten Chancen hat laut der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), wer wie folgt vorgeht:

  1. Lassen Sie sich in der psychotherapeutischen Sprechstunde bescheinigen, dass eine "Richtlinienpsychotherapie" notwendig und unaufschiebbar ist.

  2. Fragen Sie bei mindestens drei bis fünf zugelassenen psychotherapeutischen Praxen nach einem freien Therapieplatz. Führen Sie dabei Protokoll: Notieren Sie dabei den Namen des*der Therapeut*in, den Tag und die Uhrzeit Ihrer Anfrage, sowie die angegebene Wartezeit.

  3. Achten Sie bei der Suche nach einer (privaten) Praxis darauf, dass diese eines der Richtlinienverfahren anwendet. Bitten Sie dort um eine schriftliche Bescheinigung, dass die Behandlung kurzfristig übernommen werden kann.

  4. Stellen Sie bei Ihrer Krankenkasse einen Antrag auf ambulante Psychotherapie und Kostenerstattung nach § 13 Absatz 3 SGB V. Fügen Sie dem Antrag die genannten Dokumente bei.

Möglichkeit 3: Beratungsstellen

In vielen Städten und Gemeinden gibt es Beratungsstellen, die bei seelischen Problemen zeitnahe, kostenlose und meist auch anonyme Hilfe anbieten.

Die Mitarbeitenden sind in der Regel Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen und Psycholog*innen, haben aber in der Regel keine psychotherapeutische Ausbildung. Sie können den Betroffenen also keine Therapie anbieten. Dafür können sie ihnen etwa dabei helfen,

  • praktische Lösungen für Probleme zu finden, die ihr Befinden zusätzlich beeinträchtigen,
  • äußere Umstände zu ändern, die ihre Erkrankung ausgelöst haben, begünstigen und/oder verschlimmern,
  • traumatische Erfahrungen zu verarbeiten, die die Erkrankung (mit-)verursacht haben und
  • weiterführende Hilfsangebote zu finden.

Das Beratungsangebot ist von Ort zu Ort verschieden. In den meisten größeren Städten gibt es mehrere Anlaufstellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, etwa:

  • Suchtberatungsstellen
  • Familien- und Eheberatung
  • Seniorenberatung
  • Kinder- und Jugendberatung 
  • Beratung für Opfer von Gewaltverbrechen

Darüber hinaus gibt es die sozialpsychiatrischen Dienste, die allgemein für Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige gedacht sind. Die Beratungsangebote ersetzen zwar keine professionelle Behandlung, sind als Überbrückungstherapie aber grundsätzlich empfehlenswert.

Die Telefonnummern, Adressen und Öffnungszeiten der örtlichen Beratungsstellen findet man in der Regel im Internet, etwa auf der Website der Stadt. Wer im Internet nicht fündig wird, kann auch telefonisch bei der Stadtverwaltung nachfragen, welche psychologischen Beratungsangebote zur Verfügung stehen.

Möglichkeit 4: Selbsthilfegruppen

In Selbsthilfegruppen kommen Menschen zusammen, die mit der gleichen Erkrankung oder einem ähnlichen seelischen Problem zu kämpfen haben. Bei den meist wöchentlich stattfindenden Treffen tauschen sich die Betroffenen über alles aus, was mit ihrer Erkrankung zusammenhängt. 

Die Gespräche können zum einen bewirken, dass sich die Betroffenen verstanden, gestärkt und unterstützt fühlen. Zum anderen können sich aus dem Austausch neue Erkenntnisse ergeben, die den Mitgliedern im Umgang mit ihrer Erkrankung weiterhelfen. Die Gespräche drehen sich häufig um folgende Fragestellungen:

  • Zu welchen Problemen führt die Erkrankung im Alltag, in Beziehungen und im Job? Welche Möglichkeiten gibt es, mit diesen Herausforderungen umzugehen?

  • Welche Strategien hat jedes einzelne Mitglied im Umgang mit seiner Erkrankung gefunden? Sind diese sinnvoll? Wenn ja: Könnte es auch für andere Gruppenmitglieder hilfreich sein, diese Bewältigungsstrategien auszuprobieren?

Selbsthilfegruppen gibt es hierzulande in fast allen Städten und Gemeinden. Allerdings gibt es nicht überall für jedes Problem eine passende Gruppe. In diesem Fall kann es nötig sein, die Suche auszuweiten.

Bei der Vermittlung einer geeigneten Gruppe hilft zum Beispiel die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) über die Suchfunktion auf der Website.

Möglichkeit 5: Online-Therapie

In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Apps und Online-Angeboten entwickelt, die die Behandlung psychischer Erkrankungen ergänzen, unterstützen oder sogar ersetzen sollen. Bekannte Beispiele sind etwa:

  • der kostenpflichtige Online-Kurs Selfapy
  • das Online-Selbsthilfeprogramm Moodgym der AOK
  • der Depressionscoach von der Techniker Krankenkasse (TK)

Diese und viele andere Angebote fußen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch haben Studien ergeben, dass Online-Maßnahmen als Überbrückungstherapie bei bestimmten psychischen Problemen tatsächlich wirksam helfen können. Befürwortende heben zudem hervor, dass die Programme gegenüber der klassischen Therapie eine Reihe von Vorzügen haben:

  • Es gibt keine Wartezeiten.
  • Wer Hemmungen hat, eine therapeutische Praxis aufzusuchen, dem fällt es vielleicht leichter, die Therapie auf virtueller Basis zu beginnen.
  • Die Angebote sind von überall aus und jederzeit nutzbar.

Dennoch ist unter Fachleuten umstritten, inwieweit sich die Online-Angebote tatsächlich zum Therapieren psychischer Störungen eignen. Kritiker*innen befürchten zudem Sicherheitslücken beim Datenschutz (vor allem, wenn die Therapie via Skype oder E-Mails stattfindet).

Auch bemängeln sie, dass es in einer virtuellen Therapie nicht möglich ist, die nonverbalen Signale der Ratsuchenden zu deuten und zu berücksichtigen. Mimik und Körpersprache verraten viel über das Befinden eines Menschen. Fällt diese Ebene der Kommunikation weg, gehen auch wichtige Informationen über den psychischen Zustand der erkrankten Person verloren.

Grundsätzlich ungeeignet ist eine Online-Therapie bei:

  • Psychosen
  • schweren psychischen Krisen
  • schweren Depressionen
  • Suizidgedanken