
Dann will ich hier mal gleich den Aufschlag machen und das neue Unterforum mit erstem Inhalt füllen

Wie manche von euch wissen, mache ich ja schon seit etlichen Jahren mit anhaltenden Depressionen und Ängsten herum. Mal ist’s besser, mal schlechter. Zur Zeit eher letzteres, was womöglich damit zusammenhängt, daß ich mein Fluoxetin vor 12 Wochen ausgeschlichen habe und es vielleicht doch ein bißchen mehr Wirkung hatte als noch während der jahrelangen Einnahme gedacht. Vielleicht aber auch nur Zufall.
Auf jeden Fall bin ich seitdem auf der Suche nach alternativen Therapien und Methoden, um mich auch ohne Medikament zu stabilisieren. (Zwei kognitive Verhaltenstherapien habe ich auch schon hinter mir; eine dritte Therapie bzw. heilpraktisches Coaching versuche ich geradezu abzustimmen.)
Über einen Blog im Netz und die Rezensionen auf Amazon zu
„Depression ist heilbar“ von Stephen S. Ilardi
bin ich nun auf die Therapeutic Lifestyle Change (TLC) aufmerksam geworden.
Und was ich da bisher gelesen habe, ist nicht nur ein immenser Augenöffner, sondern bestätigt auch etliche meiner persönlichen Vermutungen und Schlußfolgerungen aus den letzten Jahren:
Nämlich schlicht, in meinen Worten zusammengefaßt, die Tatsache, daß der moderne Mensch gar nicht so „modern“ ist, sondern aus Evolutionssicht betrachtet nach wie vor ein Steinzeitmensch ist, der rein von seiner genetischen Steinzeit-Ausstattung her nicht mehr für das moderne Lebensumfeld geschaffen ist:
Die falschen Lebensmittel (u.a. speziell zu wenig Omega-3), zu wenig Bewegung (Dopamin), zu wenig Schlaf (zirkadianer Rhythmus), zu wenig Sonnen-/Tageslicht (Vitamin D, Serotonin, Melatonin), soziales Umfeld und Unterstützung und Aktivität.
Evolution passiert eben nicht über Nacht - und 5-10.000 Jahre Menschheitsgeschichte sind in dieser Hinsicht (leider) "über Nacht". Das hebelt keine noch so raffinierte Wissenschaft und Technologie aus.
Für mich klingt das alles sehr einleuchtend, weil ich ich das meiste davon schon vor Jahren lange vor dem Lesen des Buches an mir selbst beobachtet und vermutet hatte. Nur konnte ich es bis dato nicht so konkret begründen bzw. wußte gar nicht, wie allgemeingültig das eigentlich für die meisten Menschen doch ist - und daß eben nicht nur ein rein persönliches Problem von mir selbst ist:
- Fisch ist ein wesentlicher Omega-3-Lieferant. Nur soviel Fisch kann normalerweise niemand essen, wie er insbesondere heutzutage müßte, denn andere natürliche Omega-3-Quellen sind im Verlauf der letzten ein bis zwei Jahrhunderte aufgrund der Industrialisierung der meisten Nahrungsmittel praktisch zum Erliegen gekommen, bspw. diverse Gemüsesorten (landen zu unreif im Handel) oder auch Fleisch (Fütterung mit Getreide statt auf der Weide mit Gras und Blattgemüse etc.).
Unser modernes (deutsches) Prinzip ist hier ganz klar: Alles jederzeit für jeden, möglichst günstig – gepfiffen auf die Qualität. Das rächt sich nun. - Zu Uni-Zeiten bin ich viel zu Fuß unterwegs gewesen und auch 2-3x pro Woche mindestens ne Stunde Fahrrad gefahren. Noch in den ersten Berufsjahren konnte ich mir den Luxus erlauben, manchmal zu Fuß ins Büro bzw. nach Hause zu gehen – das waren anderthalb bis zwei Stunden Fußmarsch, sprich Bewegung.
Heute ist meine Arbeitsstelle 40km von Zuhause entfernt – ohne Auto nicht machbar. Dann noch Familie und Haushalt on top – und ihr könnt euch ausrechnen, wo mein Bewegungsniveau aktuell ist im Vergleich zu früher - Auf Schlafmangel habe ich schon immer allergisch reagiert. Meine Mutter war eine Nachteule und hat sich immer mal wieder darüber mokiert, wenn ich damals als Jugendlicher freiwillig zwischen acht und neun im Bett lag, selbst manchmal wochenends oder in den Ferien. Dem nächtlichen Durchfeiern bis morgens um vier oder fünf konnte ich auch noch nie etwas abgewinnen. Das alles hat sich mittlerweile etwas verschoben – normalerweise liege ich zwischen zehn und elf im Bett, manchmal auch vor zehn. Aber Richtung Mitternacht oder danach spüre ich den Mangel fast immer unweigerlich schon am nächsten Morgen, erst Recht unter der Woche, wenn ich um halb sieben raus muß. Und spätestens mit der Geburt unseres Sohnes vor sieben Jahren und den schlaflosen Nächten in den ersten ein bis zwei Jahren lag das Offensichtliche dann endgültig auf der Hand.
- Mit dem Mangel an Bewegung und den langen Bürotagen hat natürlich auch das Tanken von Tageslicht abgenommen; das eine bedingt fast schon das andere.
- Als nach dem Studium alle im Freundeskreis zu arbeiten anfingen, Familien gründeten und teilweise auch weiter weg zogen, war das eine arge Veränderung für mich, an der ich schnell zu knabbern hatte und auch noch bis heute habe. Das war mir schon lange bewußt, bevor die Depri ausbrach oder ich besagtes Buch oben gelesen habe. Die jahre- und jahrzehntelangen Probleme und Streitigkeiten in der Familie zwischen meinen Eltern und einem meiner Brüder waren sicher auch nicht „optimal“ für ein vertrauensvolles, soziales Umfeld, das „immer“ da ist, um einen aufzufangen.
- Über fehlende, fesselnde Aktivitäten kann und konnte ich mich grundsätzlich nicht beschweren – die einzige „Baustelle“, die für mich nie eine war
Allerdings haben hier natürlich die Depri und die Ängste seitdem einiges sehr stark in Zweifel gezogen, und manche meiner alten Hobbies wie beispielsweise der Modellbau spielen sich praktisch nur noch in guten Momenten in meinem Kopf ab – jeder Versuch, da ins Handeln zu kommen, endete bisher meistens mit Unwohlsein…
Lange Rede, kurzer Sinn – ich wollte das, was ich in dem neuen Buch gestern gelesen habe, hier mal lediglich aus persönlicher Sicht und mit eigenen Erfahrungen untermauern. Denn ich denke, in dem, was der Autor da beschreibt, steckt leider viel viel Wahres!
Es geht insbesondere also auch weniger um so allgemeine Plattitüden wie "heute ist alles zu schnell, zu hektisch, zuviel Streß", sondern um sehr konkrete Aspekte, die ich persönlich besser greifen und handhaben kann. Wobei Stressoren wie Informationsflut, übervolle Terminkalender und der Spagat zwischen Familie und Job natürlich immer noch on top kommen, klar.
Ich für meinen Teil habe mir auf jeden Fall schonmal 1000er Omega-3-EPA-Kapseln bestellt und heute Morgen die erste genommen. Ein großer Fischesser bin ich nie gewesen (Gräten - igitt *g*) - aber auch das habe ich vor, noch mehr zu ändern als schon in den letzten ein bis zwei Jahren - und wenn es nur regelmäßig eben Lachsfilet ist

Montag abends mache ich ja seit vier Wochen Karate – und auch den Rest der Woche will ich dann jetzt noch mit 2-3x Fahrrad-fahren oder längeren Spaziergängen ausfüllen. Das muß irgendwie gehen – und zwar nicht „müssen“, weil „müssen“, sondern weil es unserem natürlichen Wesen entspricht.
Damit werden sich dann hoffentlich auch die Schlafprobleme legen, mehr Tageslicht bekomme ich dadurch auch ab (es hatte schon was, als das Karate letzte Woche aufgrund eines gebrochenen Wasserrohres in der Halle im Freien stattgefunden hat *g*).
In Sachen Freundeskreis und sozialem Anschluß kann ich nicht unbedingt viel mehr tun: Ich habe mich auch in den letzten Jahren da nicht übermäßig zurückgezogen; ganz im Gegenteil habe ich es meiner Depression zu verdanken, daß ich hier aus dem jahrelangen Jammern, wie schlimm es doch sei, daß alle Freunde keine Zeit mehr hätten, raus bin und stattdessen sogar etliche Kontakte reaktivieren konnte, die jahrelang eingeschlafen waren

Tja – und Aktivitäten… ich hoffe einfach, daß ich durch eine stärkere Beachtung und Erfüllung der ersten Punkte irgendwann wieder an den Punkt komme, wo mir auch meine Aktivitäten aus sich heraus wieder mehr Spaß und Erfüllung verschaffen anstatt nur Beschäftigungstherapie zu sein

Die TLC ist hierzulande sicher noch nicht so bekannt; ob sie funktioniert, vermag ich noch nicht zu beurteilen.
Aber trotz meiner mittelprächtigen Stimmung bin ich guter Dinge, die Anregungen mal aufzunehmen, auszuprobieren und zu sehen, wie sich alles entwickelt.
Und ich denke – wenn es denn funktioniert -, können davon auch alle anderen hier im Forum profitieren, denn die TLC ist kein Widerspruch oder nur eine Alternative zur Medikamenten- oder Psychotherapie, sondern eine sinnvolle Ergänzung, die man sehr gut kombinieren kann.
Hoffe, es klappt

LG,
Alex
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