Aktivkohle: Macht das schwarze Pulver wirklich schön und gesund?
Wieder einmal hat die Wellnessindustrie eine vermeintliche Wunderzutat für sich entdeckt: Aktivkohle. Seit Jahrzehnten kommt das poröse Material in Trinkwasserfiltern und Belüftungsanlagen zum Einsatz. Doch taugt es auch zur Reinigung von Haut und Zähnen, sogar zur "Entgiftung" des Körpers?
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Aktivkohle: Macht das schwarze Pulver schön und gesund?
Aktivkohle heißt das neue, vermeintliche Wunder-Pulver, das neuerdings in vielen Schönmach-Mitteln steckt: Cremes, Peelings, Zahncremes, Shampoos. Wer "schwarze Maske" bei Google sucht, bekommt nicht etwa Fotos von Gangstern mit Sturmmaske zu sehen, sondern hübsche junge Frauen, die sich pechschwarze, folienartige Fetzen von Nase und Kinn pellen: Aktivkohle-Peel-off-Masken, die die Poren angeblich höchst effektiv von Mitessern und Umweltgiften befreien.
Auch Lebensmittelhersteller scheuen sich nicht vor dem schwarzen Pulver. Kohle-Säfte, Kohle-Smoothies, Kohle-Wasser, Kohle-Croissants: All das gibt es längst zu kaufen. Aber stimmt das? Macht Aktivkohle wirklich schön, sauber und gesund?
Aktivkohle, ein uraltes Reinigungsmittel
Kohle kennt jeder, zumindest in Form der schwarzen Klumpen, mit denen man den Grill beheizt. Aktivkohle besteht aus dem gleichen Material, nämlich aus Kohlenstoff. Doch im Gegensatz zur handelsüblichen Holzkohle ist Aktivkohle poröser.
Mithilfe bestimmter Verfahren können Chemiker die molekulare Struktur der Kohle verändern und sie in eine Art pulverförmigen Super-Schwamm verwandeln. Dabei wird sie so löchrig, dass die "innere Oberfläche" eines Gramms bis zu 1.500 Quadratmeter groß sein kann.
An dieser inneren Oberfläche – also an den Wänden der Löcher – können sich Schmutzpartikel ablagern. Deshalb eignet sich Aktivkohle hervorragend, um Abwasser zu reinigen und Trinkwasser von Bakterien, Fetten, Schwermetallen und anderen unerwünschten Stoffen zu befreien. Auch in Belüftungsanlagen kommen Aktivkohlefilter zum Einsatz, weil sie unter anderem Abgase, Chlor und verschiedenste Geruchsstoffe aus der Luft entfernen.
Anwendung in der Medizin
In der Medizin findet Aktivkohle bereits seit Jahrzehnten Anwendung, zum Beispiel als Mittel gegen akute Vergiftungen. Im besten Fall kann das Pulver das Gift einfangen und daran hindern, über die Darmwand ins Blut zu gelangen.
Denn die Aktivkohle verfügt nicht nur über eine große innere Oberfläche, diese hat auch ein hohes Adsorptionsvermögen. Das heißt, die Toxine bleiben gewissermaßen an ihr kleben, anstatt mit dem Körper zu interagieren.
Diese Eigenschaft macht die Aktivkohle auch für die Kosmetik- und Wellnessindustrie interessant. Schon seit Jahren macht sie sich die Angst vieler Menschen vor "Toxinen" und "Schlacken" im Körper zunutze und bringt immer neue "Detox"-Produkte auf den Markt. Doch bisher konnten die Firmen für keines dieser Mittel ausreichende, wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise anführen.
Aktivkohle hat da einen Glaubwürdigkeits-Vorteil: Ihre giftaufsaugende Wirkung ist lange bekannt und erwiesen.
Aktivkohle in Zahncreme und Kosmetik
Das gilt allerdings für pure Aktivkohle. Zahncremes enthalten in der Regel zahlreiche andere Substanzen. Daher stellt sich die Frage, ob das Pulver seine reinigende Wirkung auch in Kombination mit all diesen Stoffen entfalten kann. Die Zeitschrift Ökotest wandte sich mit dieser Frage vor rund zwei Jahren an die Zahnmedizinerin Prof. Carolina Ganß. Sie antwortete: "Aktivkohle ist ja relativ reaktiv – ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mit den vielen Inhaltsstoffen einer Zahncreme reagiert."
Auch Kosmetika enthalten nicht nur Aktivkohle, sondern auch noch weitere Inhaltsstoffe wie Öle und Aromen. Womöglich sind die Poren der Aktivkohle mit all diesen Substanzen schon so verstopft, dass sie gar keine Kapazitäten haben, um die Poren des Anwenders zu ent-stopfen.
Detoxen mit Aktivkohle?
Und was ist mit dem Rest des Körpers? Kann man mit Aktivkohle all die Schlacken und Toxine aus dem Darm schrubben, die sich dort dank Fast Food und Fertigkost gesammelt haben?
Die gute Nachricht: Das ist im Grunde gar nicht notwendig. Im Darm setzen sich in der Regel keine Schadstoffe fest. Normalerweise gelangen diese durch die Darmwand ins Blut, welches sie zu den beiden Entgiftungsorganen des Körpers transportiert: zu den Nieren und zur Leber. Mit ihrer Hilfe reinigt der Körper sich permanent selbst, dazu braucht er keinen Aktivkohlefilter.
Wenn ein Mensch über Jahre hinweg Schadstoffe zu sich nimmt, kann es passieren, dass sich unerwünschte Stoffe im Körper anreichern. Eine Studie des Umweltbundesamtes hat zum Beispiel ergeben, dass einige Kinder zu hohe Konzentrationen von Weichmachern in sich tragen. Auch Schwermetalle können sich im Körper sammeln. Allerdings geschieht dies in der Regel nicht im Darm, sondern in der Leber und im Fettgewebe – und dort kommt man mit Aktivkohle nicht hin.
Ob es Sinn ergibt, Aktivkohlepulver zu schlucken, ist also überaus fraglich. Und für Menschen, die Arzneimittel einnehmen, birgt es sogar Risiken: Da Aktivkohle so unspezifisch wirkt, saugt sie nicht nur Gifte und Schadstoffe auf, sondern auch medizinische Wirkstoffe.
Wer die Pille mit einem schwarzen Smoothie herunterspült, riskiert also unter Umständen eine ungewollte Schwangerschaft. Und auch Antibiotika können ihre Wirkung verlieren, wenn man sie zusammen mit Aktivkohle einnimmt.
Um das zu verhindern, müsste man die Aktivkohle mit einer speziell beschichteten Kapsel umschließen, die sich erst im Darm öffnet. Eine solche Kapsel hat gerade ein Forscherteam um den französischen Mikrobiologen Dr. Jean de Gunzburg entwickelt. Doch die Säfte auf dem Markt enthalten in der Regel normales Aktivkohlepulver und sollten daher nicht mit Arzneien kombiniert werden.