Polio: Impfung schützt vor Kinderlähmung
Die hochansteckende Infektionskrankheit Polio hat in der Vergangenheit immer wieder zu Epidemien mit vielen Todesfällen geführt. Dank der Polio-Impfung kommt die Kinderlähmung heute nur noch selten vor. Welche Symptome auf die Infektion hindeuten, erfahren Sie hier.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Mediziner*innen geprüft.
Was ist Polio?
Polio (Poliomyelitis oder Kinderlähmung) ist eine Infektionskrankheit, die durch das Poliovirus hervorgerufen wird. Die meisten Erkrankten haben keine oder nur leichte Symptome. Bei einigen Menschen nimmt Polio jedoch einen schweren Verlauf, der zu lebensbedrohlichen Lähmungen und anderen bleibenden Schäden führen kann. Es ist auch möglich, dass viele Jahre nach der Infektion Spätschäden auftreten (Post-Polio-Syndrom).
Bevor die Polio-Impfung eingeführt wurde, war die Poliomyelitis so weit verbreitet, dass die Menschen bereits im Kindesalter daran erkrankten – weshalb die Erkrankung auch als Kinderlähmung bezeichnet wird. Aber: Nicht nur Kinder, auch Erwachsene können an Polio erkranken.
Wie häufig ist Polio?
Weltweit konnte Polio durch Impfungen stark zurückgedrängt werden. Ganz Europa gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) als poliofrei. Der letzte durch ein Wildvirus ausgelöste Fall von Kinderlähmung in Deutschland trat 1990 auf. 1992 wurden die beiden letzten importierten Fälle gemeldet – Reisende hatten sich im Ausland mit dem Virus infiziert. Vor Einführung der Polio-Schluckimpfung 1962 verursachten Polioviren in den Industrienationen regelmäßig verheerende Epidemien. Immer wieder kommt es allerdings auch in bereits poliobefreiten Gebieten zu Rückschlägen.
Polio: Impfung gegen das Virus
Am besten kann man der Kinderlähmung mit einer Polio-Impfung vorbeugen. Grundsätzlich sollte jede*r gegen Kinderlähmung geimpft werden, im Idealfall bereits als Säugling. Die Polio-Impfung zählt daher zu den Standardimpfungen, die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts empfohlen werden. Personen, die als Kind nicht oder nicht vollständig geimpft wurden oder deren Impfstatus unbekannt ist, sollten die Polio-Impfung nachholen.
Auffrischung und Empfehlungen für bestimmte Personengruppen
Wer als Baby gegen Polio geimpft wurde, sollte die Impfung im Alter von 9 bis 17 Jahren auffrischen lassen. Personen, die im Erwachsenenalter zum ersten Mal gegen Polio geimpft wurden, sollten den Impfschutz nach zehn Jahren einmalig auffrischen lassen.
Bestimmten Personengruppen wird ebenfalls eine Auffrischungimpfung empfohlen, wenn die letzte Polio-Impfung länger als zehn Jahre zurückliegt. Dazu zählen:
- Reisende, die sich in Gebieten aufhalten, in denen das Ansteckungsrisiko erhöht ist, insbesondere Pakistan oder Afghanistan
- Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, die aus Regionen mit hohem Infektionsrisiko eingereist sind
- Personen, die beruflich einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, zum Beispiel medizinisches Personal
Wie wird geimpft?
In Deutschland stehen verschiedene Impfstoffe zur Verfügung, die der*die Arzt*Ärztin in mehreren Einzeldosen als Spritze verabreicht. Die Polio-Impfung für Säuglinge wird häufig mit anderen Impfstoffen beispielsweise gegen Keuchhusten (Pertussis) kombiniert. Der Kombinationsimpfstoff wird auf vier Einzeldosen verteilt: Die Grundimmunisierung erhalten Säuglinge im Alter von zwei Monaten, die letzte Dosis zu Beginn des zweiten Lebensjahres. Wird kein Kombinationsimpfstoff verwendet, erhält das Baby je nach Präparat zwei bis drei Einzeldosen.
Die Polio-Impfung steht seit 1998 in Deutschland nicht mehr als Schluckimpfung zur Verfügung. Im alten Lebendimpfstoff waren Viren in abgeschwächter Form enthalten, welche von den geimpften Personen mit dem Stuhl ausgeschieden wurden. In sehr seltenen Fällen (weniger als 1 Fall pro 1 Million Impfungen) haben sich empfindliche Personen mit den ausgeschiedenen Erregern infiziert und eine sogenannte Impfpoliomyelitis entwickelt. Um dieses Risiko zu vermeiden, wird heute mit sogenannten inaktivierten Polio-Vakzinen (IPV) geimpft.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Der bei Säuglingen oft verwendete Polio-Kombinationsimpfstoff wird in der Regel gut vertragen. Häufig entstehen Rötungen oder schmerzhafte Schwellungen an der Einstichstelle. Auch allergische Reaktionen sind möglich. Da das Immunsystem auf den Impfstoff reagiert, kann es vorübergehend zu Impfreaktionen wie Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit und geschwollene Lymphknoten kommen. Diese bilden sich normalerweise nach ein bis drei Tagen zurück.
Selten treten als Nebenwirkungen einer Polio-Impfung bei kleinen Kindern Fieberkrämpfe auf. Ebenfalls selten kann es bei Kindern zu einer kurzzeitigen Muskelerschlaffung kommen ("hypoton-hyporesponsive Episode"), die sich wieder ohne bleibende Schäden zurückbildet.
Kinderlähmung: Ursachen
Auslöser der Polio sind Polioviren, von denen drei Typen unterschieden werden (Typ I, II, III). Das Polio-Wildvirus vom Typ II gilt seit 1999 als ausgerottet. Die Poliomyelitis ist hochansteckend. Außerhalb des menschlichen Körpers können Polioviren jedoch nur kurze Zeit überdauern.
So wird das Virus übertragen
Typischerweise entsteht Polio durch eine fäkal-orale Übertragung. Das bedeutet: Eine Person kommt mit Polioviren in Kontakt, die ein infizierter Mensch ausgeschieden hat und nimmt diese mit dem Mund auf (Schmierinfektion). Dies kann zum Beispiel über verunreinigtes Trinkwasser oder Nahrungsmittel oder nach engem Kontakt mit Erkrankten passieren. Die Ansteckung mit Kinderlähmung über eine Tröpfcheninfektion, also durch Niesen, Husten oder Küssen, ist äußerst selten.
Kinderlähmung: Symptome
Die meisten Menschen, die sich mit Polio angesteckt haben, bemerken keine Symptome. Wenn Beschwerden auftreten, machen sich diese zunächst in Form der sogenannten abortiven (gemilderten) Poliomyelitis bemerkbar.
Die abortive Poliomyelitis zeigt sich etwa sechs bis neun Tage nach der Infektion mit dem Poliovirus. Erkrankte bemerken unspezifische Symptome wie:
- Fieber
- Kopfschmerzen und Muskelschmerzen
- Übelkeit
- Appetitlosigkeit
- Durchfall
- Halsschmerzen
- Schluckbeschwerden (Dysphagie)
Dringen die Erreger im weiteren Verlauf in das zentrale Nervensystem (ZNS) ein, kann dies zwei Verlaufsformen zur Folge haben:
- die nicht-paralytische Polio, die zu einer Hirnhautentzündung (Meningitis) führt und
- die paralytische Polio, die "klassische" Variante der Kinderlähmung.
Nicht-paralytische Polio: Hirnhautentzündung
Bei 2 bis 4 von 100 aller Infizierten geht die abortive Poliomyelitis nach drei bis sieben Tagen in die sogenannte nicht-paralytische Polio über. Bei der nicht-paralytischen Polio lösen die Erreger eine Hirnhautentzündung (Meningitis) aus.
- Fieber
- Nackensteifigkeit
- Rückenschmerzen
- Muskelschmerzen
- Erhöhte Sensibilität auf äußere Reize
Paralytische Polio: Die "klassische Kinderlähmung"
Sehr selten geht die abortive Poliomyelitis in die "klassische" Kinderlähmung über: in die sogenannte paralytische Polio. Typisches Anzeichen sind Lähmungen, die sich oft nur teilweise wieder zurückbilden. Dabei ist häufig die Arm- oder Beinmuskulatur betroffen, es kann aber auch die Atem-, Sprech-, Augen- und Schluckmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen sein. Sind die Atemmuskeln von der Poliomyelitis befallen, kann eine tödliche Atemlähmung entstehen. Weitere Symptome sind meist starke Rücken-, Muskel- und Nackenschmerzen.
Diagnose bei Verdacht auf Polio
Allein anhand der Symptome kann der*die Arzt*Ärztin die Diagnose Polio nicht stellen. Die ersten Krankheitszeichen der Poliomyelitis sind so wenig kennzeichnend, dass fast jede fieberhafte Infektion als Ursache infrage kommt. Auch Lähmungserscheinungen, die bei der schweren Verlaufsform der Polio auftreten können, sind kein Beweis für die Erkrankung. Ähnliche Symptome können zum Beispiel auch bei einer Coxsackie- und ECHO-Virus-Infektion, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Diphtherie, Nervenentzündung (Neuritis) oder dem Guillain-Barré-Syndrom auftreten. Daher müssen diese Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen werden (Differenzialdiagnose).
Hat ein*e Arzt*Ärztin den Verdacht, dass der*die Betroffene an Polio erkrankt sein könnte, hilft ein Erregernachweis. Das Poliovirus lässt sich indirekt über die gegen das Virus gebildeten Antikörper im Blut oder direkt nachweisen. Das Poliovirus selbst kann man im Labor aus Stuhl, Rachensekret oder Gehirnflüssigkeit (Liquor) isolieren. Aus dem Stuhl gelingt der Nachweis des Virus zu 80 Prozent innerhalb der ersten 14 Krankheitstage.
Behandlung der Kinderlähmung
Es stehen bisher keine Medikamente zur Verfügung, mit denen man das Poliovirus direkt bekämpfen kann. Daher zielt die Therapie von Polio immer darauf ab, die Symptome zu lindern, so zum Beispiel mit Schmerzmitteln.
Je nachdem, wie die Erkrankung verläuft, können weitere Maßnahmen erwogen werden:
- Strenge Bettruhe, auch schon bei Verdacht auf eine Poliomyelitis
- Muskelentspannende, wechselnde Lagerung von Betroffenen bei auftretenden Lähmungen
- Krankengymnastik zur Nachbehandlung
- Eventuell maschinelle Beatmung (bei Atemlähmungen) und intensivmedizinische Betreuung
Verlauf der Kinderlähmung
Fast immer verläuft Polio symptomlos, sodass Erkrankte nichts von der Infektion bemerken. Oder aber die Symptome sind nur mild ausgeprägt und beschränken sich auf vorübergehende allgemeine Beschwerden wie Halsschmerzen, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen oder Appetitlosigkeit (abortiver Verlauf). Die "klassische" Kinderlähmung, also ein schwerer Verlauf mit Lähmungen, der lebensbedrohlich sein kann, ist dagegen sehr selten.
Post-Polio-Syndrom (PPS)
Nach einer überstandenen Polio kann sich im weiteren Verlauf, oft nach Jahrzehnten, ein Post-Polio-Syndrom (PPS) entwickeln. Darunter versteht man die nach einer Kinderlähmung auftretenden Spätfolgen in Form von:
- Schwäche
- Muskelschwund
- Schmerzen
- Schluckbeschwerden
- Atemproblemen
- Erschöpfungszuständen
Das Post-Polio-Syndrom kann nach jeder Poliomyelitis-Verlaufsform auftreten – auch wenn die Infektion ohne Krankheitszeichen verlaufen ist. Die genauen Ursachen sind unbekannt, möglicherweise entsteht das Syndrom durch Überlastung der noch intakten Nervenzellen.